Braucht es wirklich eine Neuverfilmung von Kleopatra? Paramount meint ja und hat als Hauptdarstellerin die israelische Schauspielerin Gal Gadot verpflichtet. Regie führt Patty Jenkins und das Buch stammt von Laeta Kalogridis. Doch darum geht es gerade nicht… Ein Blick hinter die Kulissen.

Liegt wieder einmal ein Fall kultu­reller Aneig­nung vor? Nachdem Gal Gadot als Kleo­patra gecastet worden war, hagelte es umge­hend Kritik, die in mehr­fa­cher Hinsicht poli­tisch aufge­laden ist. Neben dummen und anti­se­mi­ti­schen Tweets wie „Dein Land stiehlt arabi­sches Land und du stiehlst ihnen die Film­rollen“ entbrannte eine (erneute) Debatte über Kleo­pa­tras Haut­farbe und Herkunft. Eine arabi­sche Kleo­patra, wie der Tweet nahe­legt, sei realis­ti­scher als eine israe­li­sche respek­tive Weiße Kleo­patra. Das klingt zunächst absurd, enthält aber einen wahren Kern, denn es verweist auf die orien­ta­lis­ti­sche Verkör­pe­rung der ägyp­ti­schen Herr­scherin in der euro­päi­schen Popkultur. War Kleo­patra Schwarz, weil Afri­ka­nerin (ein Zusam­men­hang, der im Übrigen nicht zwin­gend ist) – oder ist sie als „make­do­ni­sche Grie­chin“ doch Weiß und von euro­päi­schem Geblüt? In öffent­li­chen Debatten, in femi­nis­ti­schen Blogs, in afro­zen­trierten Semi­naren und in den Büchern von Gelehrten ist im 20. und 21. Jahr­hun­dert immer wieder Kleo­pa­tras Herkunft und Aussehen Thema von mehr oder weniger erbit­terten Ausein­an­der­set­zungen. Und da nicht bekannt ist, wer ihre Mutter war, lässt sich diese biogra­fi­sche Lücke mit ebenso reichen wie speku­la­tiven Thesen und Phan­ta­sien füllen.

Geschichte der Hautfarbe

Doch was heißt afri­ka­nisch? Wie Weiß, wie Schwarz war Kleo­patra? Diese Frage beschäf­tigte Inter­net­ge­meinde und Öffent­lich­keit in den USA und in Europa wieder einmal, als 2011 Ange­lina Jolie die Rolle der Kleo­patra in einer neuen Verfil­mung von David Fincher ange­boten wurde. Shirea Carroll, Kolum­nistin des ameri­ka­ni­schen Life­style Maga­zins Essence, bemerkte nach einem etwas boshaften Kommentar darüber, dass es ihr völlig egal sei, wie voll Jolies Lippen, wie gebräunt ihre Haut und wie afri­ka­nisch ihre Adop­tiv­kinder seien: „Ich bin felsen­fest davon über­zeugt, diese Rolle hätte eine schwarze Frau bekommen sollen.“ Dahinter steht kein „umge­kehrter Rassismus“, sondern ein bezeich­nendes Problem. Während nämlich Ange­lina Jolie und Gal Gadot ohne Probleme auch einmal eine ägyp­ti­sche Königin verkör­pern dürfen, „Exotik“ und Anders­sein als Spiel ihrem Reper­toire hinzu­fügen können, ist es für Schwarze Frauen kaum möglich, von der ihnen zuge­schrie­benen Haut­farbe abzu­sehen. Halle Berry etwa wird immer eine Schwarze Detek­tivin, Mutter, Lieb­ha­berin oder ein Schwarzes „Bond Girl“ spielen, egal ob dies für die Rolle rele­vant ist. (Das einzige Mal, dass eine Schwarze Schau­spie­lerin Kleo­patra spielen durfte, war in dem reich­lich klamauk­haften Sexfilm The Noto­rious Cleo­patra von Arthur P. Stoots­berry von 1970.)

Römi­sche Cleopatra-Büste, Anti­ken­samm­lung Berlin; Quelle: wikipedia.org

Doch während Kleo­pa­tras Aussehen in einschlä­gigen Inter­net­foren, Blogs und auch in Zeitungs­ar­ti­keln immer wieder als eindeutig Schwarz oder eindeutig Weiß behauptet wird, geht darüber vergessen, dass Haut­farben in der Antike keine Rolle spielten und zudem selbst eine Geschichte haben, wie der Histo­riker Valentin Groebner zeigt. Erst langsam entwi­ckelte sich zwischen dem drei­zehnten und sech­zehnten Jahr­hun­dert die Vorstel­lung, dass nicht jeder Mensch eine indi­vi­du­elle „Comple­xion“ besitzt, sondern Haut­farben – und zwar unge­achtet der tatsäch­li­chen indi­vi­du­ellen Pigmen­tie­rung und wech­selnden Bräu­nung – charak­te­ris­tisch für bestimmte Menschen­gruppen sind. Danach sind dunkel­braun gebrannte Europäer:innen immer noch Weiß, und sehr helle Afrikaner:innen eindeutig Schwarz. Aller­dings galten auch irische Einwander:innen in den USA im 19. Jahr­hun­dert zunächst als Schwarz, und das verdeut­lich, wie sehr die Wahr­neh­mung und Beschrei­bung von Haut­farbe von sozialen Merk­malen abhängt, und wie sehr sie histo­ri­schen Verän­de­rungen unter­liegt: Galt im Mittel­alter eine zu weiße Haut­farbe noch als unmänn­lich und unzi­vi­li­siert, wurde „Weiß“ in den USA zu einem „Rasse“-Begriff, der jede „Weiß“ ausse­hende Person mit einem entfernten afri­ka­ni­schen Vorfahren ausschloss. Umge­kehrt galt das aller­dings bekannt­lich nicht.

Die ameri­ka­ni­sche Kleopatra

Wenn Kleo­patra heute als Schwarze Königin, als African Queen rekla­miert wird, so muss das vor eben­diesem Hinter­grund gesehen werden. Es handelt sich um eine Ausein­an­der­set­zung mit Fragen von Herkunft und Geschichte, die sowohl die Herkunft der Schwarzen Gemein­schaft in den USA heute betreffen als auch histo­ri­sche Inter­pre­ta­tionen der Stel­lung Afrikas in der Welt­ge­schichte. Kleo­patra ist hier Reprä­sen­tantin und Stell­ver­tre­terin der ägyp­ti­schen Hoch­kultur mit ihrem Einfluss auf Grie­chen­land und damit auf die Entste­hung der west­li­chen Zivi­li­sa­tion. Höchst strittig bleibt die Frage, welchem Ägypten diese Leis­tung zuzu­spre­chen ist: einer afri­ka­ni­schen Hoch­kultur oder einem „Außen­posten“ Europas auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent? Und hier spielt auch Kleo­pa­tras Herkunft eine Rolle. Ist sie (immerhin 300 Jahre nach der Erobe­rung Ägyp­tens durch Alex­ander) immer noch make­do­ni­sche Grie­chin – oder gehört sie mit einer afri­ka­ni­schen Mutter und als ägyp­ti­sche Herr­scherin zur afri­ka­ni­schen Zivi­li­sa­tion? Aus zwei Gründen ist die Antwort auf diese Frage so schwierig: Erstens spielten „Haut­farbe“ und „Rasse“ in der Antike keine Rolle, und zwei­tens ist es heute fast unmög­lich, von diesen Kate­go­rien abzusehen. 

Edmonia Lewis: The Death of Cleo­patra“, 1876; Smit­h­so­nian American Art Museum; Quelle: wikipedia.org

Schwarze ameri­ka­ni­sche und kari­bi­sche Intel­lek­tu­elle disku­tierten schon vor mehr als 100 Jahren über die Bedeu­tung der Schwarzen Kleo­patra für eine Welt­ge­schichte, die Afrika nicht ausschloss. Joel Augustus Rogers, Literat, Akti­vist, Jour­na­list und Histo­riker widmete Kleo­patra in seinem Buch World’s Great Men of Color, einer Samm­lung von biogra­fi­schen Skizzen, ein eigenes Kapitel, und räumte im Vorwort ein, dass auch er Kleo­patra zunächst als Weiße Herr­scherin verstanden hatte. Er bezieht sich hier auf George Wells Parker, einen der ersten Schwarzen Absol­venten von Harvard, der bereits 1918 in seinem Buch Children of the Sun über den engen Zusam­men­hang von Ägypten und Äthio­pien schrieb sowie über die damals neue Erkenntnis, dass alle Menschen aus Afrika stammten. Der Hinweis auf dieses Schwarze Erbe der Mensch­heit musste beson­ders skan­dalös vor dem Hinter­grund wirken, dass in den USA Geschichte als bibli­sche Geschichte lange Zeit mit der Verflu­chung Hams begann, wie auch Rogers erzählt. Weiter beschreibt er, wie ihm als Schwarzem Kind vermit­telt worden ist, dass die gesamte Geschichte und Zivi­li­sa­tion von Weißen geschaffen worden ist und wie er in einem Klima aufwuchs, in dem Mormonen glaubten, Schwarze Menschen würden nicht in den Himmel kommen. Tief geprägt von solchen Lehren, die nur sehr wenig verhüllt die Skla­verei recht­fer­tigen sollten, wurden gerade die Alter­tums­wis­sen­schaft und die Ägyp­to­logie wichtig für ein neues Geschichts­ver­ständnis inner­halb der Schwarzen Gemein­schaft – zumal Geschichts­lo­sig­keit zum Konzept des Sklaven gehört. Insbe­son­dere Erkennt­nisse darüber, wie stark das kultu­rell hoch­ste­hende Ägypten mit dem heutigen Sudan und anderen Ländern im Süden und Westen Afrikas verbunden war, stärkte das histo­ri­sche Selbst­be­wusst­sein einer Gene­ra­tion Schwarzer Intel­lek­tu­eller aus den USA und der Karibik, die eine Geschichte vor der Skla­verei und vor der Skla­ven­be­freiung wieder­be­leben wollten.

Warum Kleo­patra?

Kleo­patra und Caesar als Halb­re­lief am Tempel von Dendera, 1924; Quelle: periodpaper.com

Warum aber ist gerade Kleo­patra eine so zentrale Figur geworden, schließ­lich gab es auch die kuschi­ti­schen bzw. nubi­schen Pharaonen, die als „Black Pharaos“ über­lie­fert sind. Kleo­patra wird häufig als eine der bedeu­tendsten Frauen der Welt­ge­schichte bezeichnet, zugleich ist aber nur wenig über sie bekannt, und die wenigen Infor­ma­tionen über ihr Leben stammen aus römi­schen Quellen. Ihr heroi­scher und tragi­scher Tod, die Tatsache, dass ihre Geschichte als Sieger­ge­schichte geschrieben worden ist, bietet wohl eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­keit. Ihr Selbst­mord in den Händen der Sieger mag an die Selbst­morde von in die Skla­verei verschleppten Afri­ka­ne­rinnen und Afri­ka­nern erin­nern, ihre adelige Herkunft an die verges­senen Prinzen und Prin­zes­sinnen, die unge­achtet ihres Status auf Baumwoll- und Zucker­plan­tagen schuf­teten. Kleo­patra entzog sich mit dem Selbst­mord der Schande, in Rom wie ihre Schwester Arsinoë bereits zuvor als Beute in einem Triumphzug präsen­tiert zu werden. Ihre Geschichte steht inso­fern für die von Siegern geschrie­bene Geschichte der in die Skla­verei verschleppten Menschen, eine frag­men­tierte Geschichte, die nicht einfach lücken­haft ist wie jede histo­ri­sche Über­lie­fe­rung, sondern gleichsam zersprengt, weil die Skla­verei Fami­li­en­bande ebenso wie Erin­ne­rungs­ge­mein­schaften zerstörte, histo­ri­sche Prozesse abbrach, und das Wissen über indi­vi­du­elle und kollek­tive Herkunft entwertete. 

Kleo­patra ist wohl gerade als Frau­en­ge­stalt in der Schwarzen ameri­ka­ni­schen Geschichte so wichtig, weil die eigenen Frauen in der Weißen Popu­lär­kultur als „Mammies“ verein­nahmt worden sind, die Weiße Kinder hinge­bungs­voll pflegten und – dieses Wissen ist in die Südstaaten-Folklore aller­dings weniger einge­gangen – von Weißen Vätern Kinder bekamen. Kleo­patra aber ist eine Königin, die sich der Unter­wer­fung und Demü­ti­gung entziehen konnte, eine Herr­scherin zu einer Zeit, als Rom zwar als das mili­tä­ri­sche Zentrum der Welt galt, Alex­an­dria aber als deren kultu­relles Zentrum. Hier in Afrika fanden sich die größte Biblio­thek der Welt, die mäch­tigste und raffi­nier­teste Archi­tektur, die Korn­kammer des Alter­tums, ein Knoten­punkt der Gelehr­sam­keit – Ägyp­tens kultu­reller und mate­ri­eller Reichtum über­strahlte alles andere. Auch daran erin­nert Kleopatra.

Aporie der Geschichte

In den Geschichts­bü­chern wurde aber lange Zeit die ägyp­ti­sche Zivi­li­sa­tion als Vorläu­ferin oder Ableger euro­päi­scher Kultur auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent darge­stellt und gegen das weiter südlich gele­gene Afrika, beson­ders das Afrika südlich der Sahara abge­schottet. Bei der Debatte über die Schwarze Kleo­patra geht es also um eine Rück­ge­win­nung von Geschichte und nicht um Pigmente. Denn noch heute ist die Schwarze Gemein­schaft in den USA in der Geschichts­schrei­bung vor allem durch den Bürger­krieg und die Skla­ven­be­freiung präsent, als Teil einer Weißen Emanzipations- und Fort­schritts­ge­schichte also, die keinen Bezug zu Afrika hat, und in der die Sklaven Objekte erst der Verskla­vung und dann der Befreiung waren. Inso­fern ist die Schwarze Gemein­schaft mit einer exis­ten­zi­ellen Geschichts­lo­sig­keit konfron­tiert. Mit dem Bezug auf Kleo­patra und das afri­ka­ni­sche Ägypten aber hat sie nicht nur etwas zur ameri­ka­ni­schen Geschichte beizu­tragen, sondern steht gewis­ser­maßen an deren zivi­li­sa­to­ri­schem Anfang.

Helen Gardner im Stumm­film „Cleo­patra“, 1912; Quelle: wikipedia.org

Kleo­patra ist heute als histo­ri­sche Figur reha­bi­li­tiert, unab­hängig davon, wie Weiß oder Schwarz man sie sich denken mag. In der Kunst- und Lite­ra­tur­ge­schichte, in popu­lären Vorstel­lungen und in der Geschichts­schrei­bung lassen sich an ihrem wech­selnden Image recht gut die Erwar­tungen an und die Angst vor Frauen im Zuge poli­ti­scher Umbrüche nach­zeichnen, wie Lucy Hughes-Hallett in Cleo­patra. Histo­ries, Dreams and Distor­tions (1990) zeigt. Im 17. Jahr­hun­dert galt Kleo­patra als ein hilf­loses Mädchen, im revo­lu­tio­nären 18. Jahr­hun­dert verkör­perte sie die nutz­lose Aris­to­kratie, Ende des 19. Jahr­hun­derts spie­gelte sich die Angst vor Suffra­getten im Kleopatra-Bild und in der Hoch­zeit des Kolo­nia­lismus wurde Kleo­patra zur Verkör­pe­rung eines exoti­schen, lasziven Anders­seins. Heute herr­schen zwei Vorstel­lungen vor, die sich beide gegen den Orien­ta­lismus des 19. und frühen 20. Jahr­hun­derts richten. Nun ist Kleo­patra entweder eine aus ursprüng­lich make­do­ni­scher Dynastie stam­mende Herr­scherin, Stra­tegin und Staats­künst­lerin oder eine ägyptische/Schwarze Herr­scherin, Stra­tegin und Staats­künst­lerin. Beides stimmt histo­risch. Als Luxus­ge­schöpf, das in Essig aufge­löste Perlen schlürft und in Esels­milch badet, taugt sie nicht mehr. 

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Schon Eliza­beth Taylor spielte Kleo­patra 1963 als beein­dru­ckende Herr­scherin. Sie galt damals zwar nicht als „zu Weiß“, wurde aber auch schon als Jüdin ange­griffen. Da sie nicht nur zum Judentum konver­tiert war, sondern sich zum Zionismus bekannte und öffent­lich Israel unter­stützte, wurden geplante Dreh­ar­beiten in Ägypten unter­sagt. Aller­dings stellte sich „Cleo­patra“ als so gute Touris­mus­wer­bung heraus, dass der Bann gegen den Film und die Schau­spie­lerin schließ­lich aufge­hoben worden ist. Welch bittere Ironie, dass es damals wie heute nicht um die eigent­liche Geschichte von Kleo­patra geht.