Ruben Hackler, Gleb Albert: Es wird zurzeit wieder viel über Klasse als Analyseinstrument zum Verständnis der Gegenwart diskutiert. Das gilt für SchriftstellerInnen und linke Intellektuelle wie Annie Ernaux, Didier Eribon oder Chantal Jaquet, die ihre niedere soziale Herkunft offen thematisieren. Zu denken ist hier aber auch an Konservative, die den Kampf um soziale Errungenschaften gegen identitätspolitische Anliegen ausspielen. Dabei scheint uns klärungsbedürftig: Woher kommt das Konzept der Klasse eigentlich, wie ist es entstanden?
Patrick Eiden-Offe: Diese Frage habe ich versucht, mit meinem Buch Die Poesie der Klasse zu adressieren. Der entscheidende Punkt ist vielleicht der letzte Teil des Untertitels: Die Erfindung des Proletariats. Es geht darum, wie sich im Vormärz, also zwischen 1820 und 1850, das allgemeine Bewusstsein durchsetzt, in einer Klassengesellschaft zu leben. Wenn man aber die heutigen Vorstellungen von Klasse und Proletariat mit denen aus dem Vormärz vergleicht, kommt es zu einem Verfremdungseffekt. Für uns ist das Proletariat mit dem Bild einer weißen, männlichen Industriearbeiterklasse verbunden, aber bis zur Revolution von 1848 wird darunter ein „buntscheckiger Haufen“ (Karl Marx) verstanden. Die „Erfindung des Proletariats“ im Vormärz ist ein aktiver und schöpferischer Prozess, kein bloß rezeptives Auffinden. Und es ist eine Selbsterfindung – so wie Edward P. Thompson schon im Titel von The Making of the English Working Class darauf hinweist, dass die Arbeiterklasse eben immer nur „in the Making“ zu haben ist, nie als feststehende Größe. Klasse ist eine historische Prozesskategorie.
Du beschreibst, wie dieser „buntscheckige Haufen“ im deutschsprachigen Raum nach und nach zu einer Kollektividentität als „Proletarier“ findet – über Publizistik, theoretische Schriften, genauso wie über Literatur und Poesie. Wer ist im Vormärz an dieser Identitätsproduktion beteiligt?
Industriearbeiter gibt es auf dem Kontinent noch kaum. Die Trägerschicht dessen, was bald als Arbeiterbewegung bekannt wird, sind vor allem Handwerker. 1811 wird in Preußen der Zunftzwang aufgehoben und es bildet sich eine kapitalistische Produktionsweise heraus, allerdings vorerst ohne Fabriken, sondern nur mit größeren Ateliers, in denen diese Handwerker unter quasi-industriellen Bedingungen ihre Arbeit verrichten müssen. Diese neuen Produktionsbedingungen widersprechen ihrem idealisierten Selbstverständnis als Handwerker und dagegen organisieren sie sich. Eine andere Gruppe, die sich zusammentut, sind präkarisierte Intellektuelle. Sie sind das Produkt der preußischen Bildungsexpansion, aufgrund derer es immer mehr Akademiker gibt, die sich als freie Schriftsteller oder Journalisten verdingen müssen und die dann anfangen, sich selbst aufseiten des Proletariats zu verorten. Eine dritte Gruppe sind Handlungsgehilfen, die in subalterner Position in größeren, transnational agierenden Handelsunternehmen arbeiten: Schreiber, Handlungsreisende, die mit den Handwerkern gemeinsam haben, dass sie viel unterwegs sind. Alle drei Gruppen sind hochmobil, sie bewegen sich durch ganz Europa und zum Teil darüber hinaus.
Wie tauschen sich diese lebensweltlich doch recht unterschiedlichen Gruppen aus? Was sind die Foren, in denen sich ein gemeinsames Selbstverständnis herausbildet?

Wilhelm Weitling (1808-1871 ), undatiert, Quelle: Wikimedia Commons
Die frühen Organisationen der Arbeiterbewegung, die Vereine und quasi-gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse, haben von Beginn an Zeitschriften, in denen darüber diskutiert wird, wer zum Proletariat gehört, wie die gesellschaftliche Lage ist und wie sie sich verbessern ließe. Ein wichtiger Zeitungsmacher ist Wilhelm Weitling, ein reisender Schneidergeselle. Er gibt ab 1842 in der Schweiz den Hülferuf der deutschen Jugend heraus. Dann existiert eine ganze Reihe weiterer Zeitschriften, deren Macher und Macherinnen aus dem bürgerlichen Milieu kommen. Sie schließen sich aber bald mit den radikalisierten Handwerkern zusammen. Diese Zeitschriften sind sowohl in der Produktion wie der Rezeption selbst schon eine politische Organisationsform. Man könnte hier von der Geburt der Arbeiterbewegung aus dem Geist des Zeitschriftenlesekreises sprechen.
Verstehen sie sich tatsächlich als eine gemeinsame Klasse?
Darüber wird zumindest eine ganz aufgeregte Debatte geführt. Auslöser ist das Pauperismus-Problem. In den Städten gibt es einen Verarmungsschub. Bei den wohlhabenden Bürgern löst diese Entwicklung große Angst aus. Das „Proletariat“ wird zum buzzword und teilt die Gesellschaft: Die Bürger fürchten sich vor ihm, andere hingegen identifizieren sich damit. Dabei handelt es sich noch nicht um einen festen Begriff. Statt eine genaue begriffliche Bestimmung zu versuchen, fertigt man immer wieder Listen an, in denen verzeichnet wird, wer dazugehört und wer nicht. Diese Listen finden sich überall: in den proletarischen Zeitschriften selbst, aber auch in den literarischen und journalistischen Angstphantasien der Bourgeois. Diese Listen sind, wie alle Listen, fortsetzbar. Es tauchen darauf oft die folgenden Gruppen auf: verarmte Handwerker und Bauern, die in die Städte geworfen werden, Hausangestellte, Hausgesinde, Bettlerinnen und Bettler, Vagabunden, Prostituierte, Handlungsgehilfen, einfache Soldaten, Akademiker und Pastoren ohne Pfarrei. Irgendwann werden auch Manufaktur- und Fabrikarbeiter genannt. Aus dieser heterogenen Ansammlung wird in den bürgerlichen Medien die Horrorfigur der „gefährlichen Klassen“ konstruiert, gegen die man sich verteidigen müsse. Gleichzeitig gibt es diejenigen, die sagen: ‚Ich bin auch Proletarier‘. Der Bezug auf die Klasse erlaubt ihnen Solidarisierung.
Wenn Du über diese Listen sprichst, hat man den Eindruck, es gehe dabei eher um etwas Deskriptives. Also um eine Selbstverständigung darüber, in welche Klassen die Gesellschaft aufgeteilt ist. Wenn man sich den Begriff des Proletariats in den Sinn ruft, fällt einem aber auch dessen mobilisierende Funktion ein. Wie stark ist dieses Motiv im Vormärz?

Wilhelm Weitling, „Welche Reformen wollen wir?“ (Der Urwähler, 1848), Quelle: Google Books
Das lässt sich anhand der Zeitschriften verdeutlichen. Dass sie zur Kollektivbildung beitragen, kann man auch an den jeweils ersten Nummern erkennen, in denen die erwähnten Listen stehen. Darin findet sich immer wieder die Aufforderung, vom Leser zum Mitarbeiter zu werden. Im „Hülferuf“ von Weitling dient die Liste dazu, jeder Person einzeln zu erklären, warum er oder sie einen guten Grund hat, die Zeitschrift zu abonnieren und mitzumachen. Weitling hat die Heterogenität des Proletariats nie geleugnet. Vielmehr geht er davon aus, dass es Gemeinsamkeiten gibt, Konvergenzpunkte, an denen man sich orientieren könne. In der 1848er-Revolution hat er in Berlin noch einmal eine Zeitschrift gegründet. Der erste Artikel hatte den Titel: „Welche Reform wollen wir?“ Man würde erwarten, dass politische Ziele benannt werden, doch der erste Satz lautet: „Wir? Verwickelte Frage!“
Dennoch stellt sich die Frage, ob die Heterogenität nicht auch als Mangel wahrgenommen wurde.
Doch, das auch. Ich habe eine Rezension von Engels gefunden, in der ausgerechnet er sagt, die Literaten würden nicht zum Proletariat gehören, sie seien die „käuflichste aller Klassen“. Marx wird später auf ähnliche Weise von ‚Lumpenproletariern‘ sprechen. Früh versucht man auch, sich von bestimmten Personengruppen wie den unfreien Arbeitern zu distanzieren: Es sei doch ein wichtiger Unterschied, ob jemand seine Arbeitszeit verkaufe oder mit Haut und Haar einem anderen gehöre. Die Listen werden also sehr schnell zum Gegenstand von Spaltungen oder zum Anlass für Entsolidarisierungen.
Du schreibst, dass die Losung „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ der Arbeiterbewegung im Vormärz „als grausame Zumutung“ erscheinen würde. Heute verbindet man mit der Arbeiterbewegung eher eine Verherrlichung der Arbeit.

„Der Urwähler“ von Wilhelm Weitling, 1848, Quelle: Google Books.
Bei der frühen proletarischen Bewegung in Deutschland habe ich eine solche Verherrlichung kaum gefunden. Arbeit wird dort durchweg als Zwang charakterisiert, als gestohlene Zeit oder als „Marter“. Auch die Intellektuellen, die sich als Proletarier bezeichnen, sagen, das Schreiben sei eigentlich schön, aber es werde einem dadurch miesgemacht, dass man es für Geld machen muss. Es gibt kaum eine Identifikation mit der Arbeit, so wie sie ist. Ausschlaggebend ist dagegen die gemeinsame Erfahrung der Verarmung. Und es gibt die Orientierung an gemeinsamen Werten, die ich als „romantischen Antikapitalismus“ bezeichne. Es wird beklagt, dass gemeinsam gestaltete Aktivitäten wie Spaziergänge, Diskussionen, das gemeinsame Singen und Feiern, die als freie Zeit und nicht bloß als Freizeit verstanden werden, der kapitalistischen Effizienzlogik zum Opfer fallen. Der romantische Antikapitalismus kämpft für etwas, was es früher vermeintlich gegeben habe, was jetzt aber zerstört werde.
Derzeit wird verstärkt über das Verhältnis von Klassen- und Identitätspolitik diskutiert. Doch wer mehr „Klassenpolitik“ fordert, hat meist den Zeitraum 1860–1960 vor Augen, die Zeit der industriellen Gesellschaft und der Industriearbeiter. Wie würdest du das Verhältnis von Klassen- und Identitätspolitik im Vormärz beschreiben?
Es gibt Leute, die heute die Klassenfrage für sich wiederentdecken und dabei denken, damit seien nur die Arbeiter in der Fabrik gemeint. Plötzlich tauchen wieder die alten Bilder auf und werden als die einzige Form von Klassenpolitik präsentiert, um sie gegen Antisexismus oder Antirassismus in Stellung zu bringen. Im Vormärz dagegen kann man eine universalistische Geste finden. Das Problem des Nationalismus spielt in der Arbeiterbewegung noch keine Rolle, weil die Arbeiter hochmobil sind. Die Rassismusfrage taucht aber bereits in der Debatte um ‚die Iren‘ auf, denen vorgeworfen wird, die englischen Löhne kaputtzumachen. Auch geht es immer darum, die Frauen anzusprechen. Hat eine proletarische Frau mehr mit einer bürgerlichen Frau oder einem proletarischen Mann zu tun?
Wie kommt es, dass die Arbeiterbewegung im Vormärz so sensibel gegenüber verschiedenen Arten der Diskriminierung ist? Ist die Situation tatsächlich so eindeutig?
Die Entwicklung der Arbeitsbedingungen hat die Geschlechter einander angenähert. Alle müssen permanent in der Fabrik schuften oder Schichtdienst verrichten. Die Ziele, für die man kämpft, betreffen beide Geschlechter, wenn auch im unterschiedlichen Maße. Früh beginnt allerdings auch der Kampf für die proletarische Kleinfamilie. Das heißt, die Frauen werden aktiv aus der Erwerbsarbeit hinausdrängt. Die Proletarier entdeckten das Ideal der Kleinfamilie – als Argument im Kampf für höhere Löhne, damit die Männer ‚wieder‛ ihre Frauen und Kinder ernähren können, als ob das vorher je der Fall gewesen wäre. Die Orientierung am alten Handwerk, die bei den Arbeitern auf der einen Seite zu einer Solidarisierung im Kampf geführt hat, wirkt sich auf der anderen, geschlechterpolitischen Seite eher spalterisch aus. Jeder Arbeiter will nun in seiner Kleinfamile ein kleiner Meisterpatriarch sein. Die Situation ist also keineswegs eindeutig.
Teilweise bekommt man den Eindruck, dass die Heterogenität dieser Vormärz-Bewegung für Dich einen Vorbildcharakter hat – wie auch ihr ‚romantischer Antikapitalismus‘, die Beschwörung einer imaginierten vorkapitalistischen Vergangenheit.
Die Romantik war komplizierter, als oft angenommen wird. Der Begriff des „romantischen Antikapitalismus“ stammt von Georg Lukács und ist von ihm als Vorwurf gedacht. Die Romantiker hätten bereits einen Antikapitalismus besessen, der sei aber bloß nostalgisch gemeint gewesen. Ich will dagegen zeigen, dass das Nostalgische des romantischen Antikapitalismus überhaupt erst erlaubte, eine bestimmte Kritik zu entwickeln. Zudem kann man feststellen, dass unsere Probleme gar nicht so verschieden von denen sind, die die Leute damals hatten. Wir erleben heute massenhaft Phänomene wie Deindustrialisierung, Automatisierung und die Verlagerung von Produktionsstätten, aber das heißt nicht, dass die Klassengesellschaft verschwindet. Die aktuelle Klassenfiguration ist vielfältig und unübersichtlich, aber nichtsdestotrotz leben wir weiterhin in einer Klassengesellschaft. Um diese Situation fassbar zu machen, müssen wir Beschreibungs- und Imaginationsformen entwickeln – und dabei kann man auf das Bekannte zurückgreifen. Die Klassengesellschaft des Vormärz ist uns viel näher als die der Zeit danach. Heute gilt die Gesellschaft auch als vielfältig, die Menschen werden als Individuen angesprochen. Wenn man die Individualisierung in der Klassengesellschaft nicht als das letzte Wort hinnehmen will, muss man sich wieder die Frage stellen: Wer ist dieses ‚Wir‘?
Ist Klasse allein noch ausreichend, um Formen des Widerstands zu beschreiben? Was wären andere Begriffe? Vor ein paar Jahren gab es die Diskussion über den Begriff des Prekariats und den Versuch, ihn als Mobilisierungsfaktor zu nutzen.

„Der Hülferuf der deutschen Jugend“, September 1841, Quelle: Bayerische Staatsbibliothek
Der Klassenbegriff war lange verpönt, nun ist er wieder zurück. Und gleichzeitig wird er sehr stark metaphorisch verwendet, wenn es etwa um kulturelle Klassen gehen soll. Vorreiter war hier sicher die Rede von der ‚creative class‘. Ich würde dagegen sagen, ähnlich wie Eribon und andere, dass es wichtig ist, immer wieder auch auf die sozioökonomische Dimension von ‚Klasse‘ zurückzukommen. Die strategische Frage ist, ob das Proletariat immer noch ein guter Name ist, um an die alten Kämpfe zu erinnern, weil die damit verknüpften Bilder sehr stark sind. Vielleicht gibt es tauglichere Begriffe. Der Begriff des Prekariats war ein großer Wurf, weil er an das Proletariat denken ließ, aber gleichzeitig markiert, dass es um etwas Neues geht, das in den alten Bildern nicht aufgeht.
Wenn man vom Proletariat spricht, geht es auch um ein utopisches Denken. Wenn man sich heute die sozialen Kämpfe um den Sozialstaat anschaut, bekommt man den Eindruck, dass es sich um Verteidigungskämpfe handelt, auch um Kämpfe gegen falsche Alternativen wie den Rechtspopulismus, aber eine positive Vision ist hier nur schwer zu erkennen.
In meinem Buch beschäftige ich mich kaum mit den utopischen Entwürfen des Vormärz. Es lässt sich allerdings auch leicht sehen, dass sich das, was damals als Utopie entworfen worden war, zunächst nur als die nächste Brennstufe des Kapitalismus entpuppte. Dass etwa alle Arbeiter zusammen essen sollen, wurde mit der Fabrikkantine eingeholt. Das zu entlarven, ist aber auch ein wenig langweilig. Aber es gibt im Vormärz immerhin ein verbindliches Ziel: den Communismus, mit C geschrieben. Zwar blieb unklar, was genau das sein sollte: Bei Marx findet man dazu vor allem parodistische Überlegungen, es gibt aber auch verstreute Hinweise, wie die Produktionsweise organisiert werden sollte. Doch die Zielangabe ‚Communismus‘ ist verbindlich, bei Marx wie bei Weitling. Uns ist sie erklärlicherweise abhandengekommen, weil zahlreiche Regime im 20. Jahrhundert diesen Namen endgültig ruiniert haben. Die Frage ist, ob man in einer Situation wie der jetzigen, die von Verteidigungskämpfen geprägt ist, über etwas Neues nachdenken sollte oder darf. Man muss etwa die Digitalisierung nicht feiern, aber es ist nicht zu bestreiten, dass sie Potentiale für eine andere Form der gesellschaftlichen Produktion, für eine andere Produktionsweise enthält. Vielleicht sollte man der von Hans-Jürgen Krahl so genannten „sozialrevolutionären Phantasie“ mal wieder etwas freieren Lauf lassen.
Was könnten die Lehren aus der Vormärz-Arbeiterbewegung für die Gegenwart sein?
Die von dem Soziologen Ulrich Beck vertretene Behauptung, wir würden nicht mehr in einer Klassen-, sondern in der Individualisierungsgesellschaft leben, ist zum Selbstverständnis im Alltag geworden. Ein Beispiel: Im Jobcenter wird man als einzelner Fall behandelt, anstatt zu einem „Heer von Arbeitslosen“ zu zählen. Gleichzeitig ist man immer auch ein Konkurrenzindividuum. Aber die von Beck beschriebene Situation ist überhaupt kein Argument dagegen, nach übergreifenden Zusammenhängen, nach Klassenverhältnissen zu fragen. Individualisierung und Klassenbildung sind zwei Seiten derselben Medaille. Das wussten die Leute im Vormärz bereits. Das Individuum ist im Kapitalismus immer ein Konkurrenz-Individuum – die Konkurrenz individualisiert und ist gleichzeitig auch eine Art negatives soziales Band. Wir sind alle darin gleich, gegeneinander auf dem Markt um Ressourcen, um Arbeitsplätze, um Geld kämpfen zu müssen. Und diese Gleichheit kann dann auch zum Ausgangspunkt einer Klassen-Solidarität gemacht werden. So jedenfalls haben das im Vormärz Thomas Carlyle und Moses Hess beschrieben. Man sollte also Klassenstandpunkte und die Forderung nach Diversität nicht gegeneinander ausspielen. Als Orientierungspunkt gilt vielmehr, Ziele ins Auge zu fassen, für die man gemeinsam kämpfen kann. Das ist nicht nur ein abstraktes Postulat, sondern ergibt sich aus der heutigen Lage, in der wir divers sind. Dies kann man heute als „Klassenbewusstsein“ bezeichnen. Ein solches Klassenbewusstsein, das Diversität als konstitutiv ansieht, gilt es zu erlangen.
Damit hören die positiven Lehren aus dem Vormärz bereits fast auf. Denn eine bestimmte Art von Klassenpolitik führte auch dazu, Diversität auszublenden. Es kann heute nicht einfach darum gehen, sich wieder auf ‚den Malocher‘ zu beziehen, das sind Rattenfängerdiskurse. Eine andere Sache, die man vielleicht noch aus dieser Geschichte lernen kann: Klassenbewusstsein ist immer kulturell gelebt, hat seinen Ort auch in Kunst und Literatur. Auch darauf hat die ältere englische Sozialgeschichte, haben Edward P. Thompson und Raymond Williams immer wieder hingewiesen. Die Trennung zwischen materiellen und kulturellen Klasseninteressen ist ein Irrweg. Die Rede von der „Poesie der Klasse“ im Titel meines Buchs ist daher ernst gemeint.