Antifeminismus ist ein Kernanliegen reaktionärer Politik – und richtet sich aktuell massiv gegen trans Menschen. Wie ist der Kampf gegen die Gleichberechtigung von Frauen und Queers – unter dem Stichwort Gender – von einem katholischen Nischenthema zum Fundament eines rechten, internationalen Netzwerks geworden?

  • Maren Behrensen

    Maren Behrensen lehrt Philosophie an der Universität Twente (Enschede, Niederlande) und forscht zu Identitätskategorien, Antigenderismus und Populismus, epistemischer Ungerechtigkeit – und der technologischen Vermittlung sozialer Realitäten.

Nach den von der russi­schen Besat­zung durch­ge­führten Schein­re­fe­renden wurde am 30. September 2022 im Kreml die Anne­xion der ukrai­ni­schen Gebiete Cherson, Sapo­ri­schija, Luhansk und Donetsk verkündet. Zu diesem Anlass hielt Vladimir Putin eine bemer­kens­werte Rede. Er wandte sich darin direkt an den Westen; genauer: an jene Menschen, die angeb­lich unter den dortigen Eliten leiden. Ihnen sicherte er die russi­sche Unter­stüt­zung in einem vermeint­lich deko­lo­nialen Kampf für eine „multi­po­lare Welt“ zu. Und dann sprach er über Regen­bo­gen­fa­mi­lien, nicht-binäre Menschen und geschlechts­an­glei­chende Eingriffe als Perver­sionen, gegen die sich Russ­land und sein Volk zur Wehr setzen würden. Er beschrieb Fort­schritte bei der Gleich­be­rech­ti­gung queerer Menschen als „Sata­nismus“, und beschwor einen apoka­lyp­ti­schen Endkampf des „heiligen“ Russ­land gegen die west­li­chen Eliten.

Es gab bei diesem Anlass keinen Grund, über Homo­se­xua­lität und Tran­si­den­tität zu spre­chen. Das gilt auch für die in den Medien ungleich stärker rezi­pierte Rede vor den Abge­ord­neten der Duma vom 21. Februar 2023, in der Putin gegen die kirch­liche Segnung gleich­ge­schlecht­li­cher Paare und angeb­liche Bestre­bungen ätzte, in der angli­ka­ni­schen Kirche einen geschlechts­neu­tralen Gott einzuführen.

In beiden Reden werden diese Themen als Aspekte einer Ideo­logie beschrieben, die das Handeln west­li­cher Eliten bestimme und Russ­land und seine Verbün­deten bedrohe. Putin greift so ein Motiv auf, dass auch in hiesigen Klagen über Gender, queer­ness oder woke­ness regel­mäßig auftaucht: es handle sich um einfluss­reiche, homo­gene Theo­rie­ge­bilde, die auf eine voll­stän­dige kultu­relle Umer­zie­hung des Menschen durch eine kleine, aber mäch­tige Minder­heit abzielten.

Der päpst­liche Kampf gegen Gender

Es gibt offen­sicht­liche Paral­lelen zwischen Putins Aussagen und jenen der Päpste Fran­ziskus (Berg­o­glio) und Bene­dikt XVI. (Ratz­inger) zum Thema Geschlecht. Beide beziehen sich auf Papst Johannes Paul II. (Wojtyła), dessen „Theo­logie des Leibes“ zwar inner­halb der Kirche als fort­schritt­lich galt, aber an der mora­li­schen Verur­tei­lung aller Sexua­lität außer­halb der auf Fort­pflan­zung ausge­rich­teten, hete­ro­se­xu­ellen Kern­fa­milie festhielt.

Fran­ziskus beschrieb Gender mehr­fach als eine gefähr­liche, kolo­niale Ideo­logie, so zuletzt in einem Inter­view mit der argen­ti­ni­schen Zeit­schrift La Nacion. Diese Ideo­logie führe in eine gleich­ma­che­ri­sche Dystopie, und sie sei von der Seel­sorge für queere Menschen scharf zu trennen (in dem Sinne, in dem das katho­li­sche Dogma zwischen der Verur­tei­lung von Homo­se­xua­lität als Praxis und der Empa­thie für „sündige“ homo­se­xu­elle Menschen unter­scheiden will).

Ratz­inger warnte schon als Bischof und später als Präfekt der Glau­bens­kon­gre­ga­tion vor Gender als falscher Philo­so­phie. In einer Weih­nachts­an­sprache an das Kardi­nals­kol­le­gium in Jahr 2012 sagte er: „Das Geschlecht ist nach dieser Philo­so­phie nicht mehr eine Vorgabe der Natur, die der Mensch annehmen und persön­lich mit Sinn erfüllen muß, sondern es ist eine soziale Rolle, über die man selbst entscheidet, während bisher die Gesell­schaft darüber entschieden habe. Die tiefe Unwahr­heit dieser Theorie und der in ihr liegenden anthro­po­lo­gi­schen Revo­lu­tion ist offen­kundig.“ Die Kirche tritt als Vertei­di­gerin der durch libe­ra­li­sierte Geschlech­ter­ver­hält­nisse bedrohten Werte und als Beschüt­zerin von Familie und Kindern vor vermeint­li­cher Indok­tri­na­tion auf

Paral­lelen gibt es zu den Aussagen säku­larer Gegner:innen der Gleich­be­rech­ti­gung queerer Menschen. In diesem Zusam­men­hang ist insbe­son­dere ein poli­ti­scher Akti­vismus zu nennen, der Selbst­be­stim­mungs­rechte für trans Menschen als Angriff auf Frau­en­rechte und Schutz­räume für Frauen und Kinder darstellt. Seine Protagonist:innen kommen häufig aus dem Umfeld des soge­nannten „gender­kri­ti­schen Femi­nismus“ (wie Kath­leen Stock oder J. K. Rowling) und aus dem konser­va­tiven bis extrem rechten poli­ti­schen Spek­trum (wie Jordan B. Peterson oder Matt Walsh), aber sie finden mitunter Zustim­mung von Menschen, die sich poli­tisch liberal oder links verorten.

Diese ideo­lo­gi­schen Verbin­dungen zwischen einem neofa­schis­ti­schen Diktator (Putin), konser­va­tiven reli­giösen Milieus und sich als femi­nis­tisch verste­henden Aktivist:innen sind nicht bloß ober­fläch­li­cher Natur. Schaut man auf ihre histo­ri­sche Genese, so zeigt sich, dass hier stra­te­gisch poli­ti­sche Brücken gebaut wurden.

Ideo­lo­gi­scher Brückenschlag

Der begriff­liche Kitt zwischen diesen Posi­tionen ist der Begriff der „Natur“ als norma­tive Natur­ord­nung, insbe­son­dere als „natür­liche“ Macht­ord­nung der Geschlechter. Diese zeigt sich affir­mativ, wenn die Komple­men­ta­ri­täts­dok­trin der katho­li­schen Kirche Männer und Frauen als von Gott fürein­ander und für den Zeugungsakt geschaffen begreift (eine reli­giöse Verbrä­mung eines sehr alten philo­so­phi­schen Motivs). Sie äußert sich kondem­na­to­risch, wenn Homo­se­xua­lität und Tran­si­den­tität als wider­na­tür­lich bezeichnet werden. Die Rhetorik verschärft sich, wenn minder­jäh­rige Menschen in den Fokus der Debatte geraten. Mit dem mora­li­schen Impe­rativ des Kinder­schutzes werden dann etwa Adop­tionen von gleich­ge­schlecht­li­chen Paaren oder die stüt­zende Beglei­tung tran­si­denter Jugend­li­cher dämonisiert.

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Wie die Philosoph:innen B. R. George und Stacey Goguen zeigen, werden durch solche Dämon­sie­rungen seit Jahr­zehnten metho­disch Moral­pa­niken erzeugt: was sich vor drei oder vier Jahr­zehnten noch gegen Femi­nis­tinnen und Homo­se­xu­elle rich­tete, wendet sich heute gegen trans Menschen. In diesen Moral­pa­niken spielt der Gedanke der „sozialen Anste­ckung“ eine zentrale Rolle; also die Vorstel­lung, dass Femi­nismus und Homo­se­xua­lität durch den Kontakt mit selbst­be­wussten Femi­nis­tinnen oder offen homo­se­xuell lebende Menschen weiter­ge­geben werden können. Dieser Gedanke liegt auch den queer­feind­li­chen Gesetzen und Geset­zes­vor­haben in Russ­land, Polen, Ungarn, Florida, Tennessee, Utah und vielen anderen Juris­dik­tionen zugrunde: gegen „homo­se­xu­elle Propa­ganda“, gegen Drag Shows, gegen den freien Zugang zu Infor­ma­tionen und Kultur.

Er moti­viert auch den Anti-Trans-Backlash, der inzwi­schen in vielen Ländern in den poli­ti­schen Main­stream einge­drungen ist. Durch metho­do­lo­gisch frag­wür­dige Studien wie die rapid onset gender dysphoria-Umfrage von Lisa Littman, schrille Bücher wie Irrever­sible Damage von Abigail Shrier und auf sozialen Medien sehr aktive Reichweitenverstärker:innen wie die Autor:innen  J. K. Rowling und Jordan B. Peterson wird sehr gezielt Angst geschürt vor einem „Trans­gen­de­rismus“, der sich wie ein Virus verbreite.

Diese Angst speist sich aus der Gleich­set­zung eines stüt­zenden Umgangs mit trans Jugend­li­chen mit Mani­pu­la­tion, Kindes­miss­brauch und der chir­ur­gi­schen Verstüm­me­lung von Minder­jäh­rigen. Sie greift ein aus der Film­ge­schichte(Psycho, Dressed to Kill, oder Das Schweigen der Lämmer) bekanntes Motiv auf: der Mann, der sich als Frau verkleidet, um Frauen Gewalt anzutun. Denn in Diskus­sionen um Toiletten, Umklei­de­ka­binen und Drag Shows tauchen vor allem trans Frauen auf, die dort als gefähr­liche „Männer in Frau­en­klei­dern“ verächt­lich gemacht werden. In Debatten über Hormon­the­ra­pien, Puber­täts­blo­cker und geschlechts­an­glei­chende Eingriffe tauchen vor allem trans­mas­ku­line Personen auf: hier aber als „verwirrte Mädchen“, die von verant­wor­tungs­losen Mediziner:innen zu irrever­si­blen Eingriffen gedrängt würden.

In diesem Zusam­men­hang werden gerne soge­nannte detran­si­tio­ners zitiert, also Menschen, die manche oder alle der von ihnen gewählten Anpas­sungs­maß­nahmen bereuen. Der Tonfall, mit dem solche Fälle von der Anti-Trans-Propaganda genutzt werden, ist geprägt von Sorge um Weib­lich­keit und Frucht­bar­keit. Abge­schnit­tene Brüste und heraus­ge­schnit­tene Gebär­mütter (wie auf dem Cover von Abigail Shiers Buch) werden zum Symbol einer bösen Ideo­logie, die sich nicht nur an der Natur der Weib­lich­keit vergeht, sondern auch das Fort­be­stehen der Mensch­heit insge­samt gefährdet.

So wird auf natur­ge­ge­bene Eigen­schaften verwiesen, die eine Tran­si­tion nicht ändern könne. Auf der eigenen Seite die sexu­elle Aggres­si­vität des Mannes, auf der anderen Seiten die Fort­pflan­zungs­fä­hig­keit und der Fort­pflan­zungs­wille der Frau. Dieser Punkt macht diese Anti-Trans-Motive anschluss­fähig in unter­schied­li­chen poli­ti­schen Lagern: Femi­nis­tinnen, die sich um die Belange „biolo­gi­scher Frauen“ sorgen; reli­giöse Milieus, die sich auf natur­recht­liche Vorstel­lungen von Part­ner­schaft, Geschlechts­iden­tität und Fort­pflan­zung berufen; und natio­na­lis­ti­sche Milieus, die (mehr oder weniger verklau­su­liert) Familie und Fort­pflan­zung als zentral für das Fort­be­stehen einer ethnisch defi­nierten Volks­ge­mein­schaft begreifen, und diese durch queere Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gungen bedroht sehen.

Der poli­ti­sche Brücken­schlag geschieht durch Main­strea­ming eines eigent­lich rand­stän­digen Themas. Mitte der 1990er-Jahre nahmen konser­va­tive Akademiker:innen aus dem post-sowjetischen Raum erste Kontakte zu Gleich­ge­sinnten in den Verei­nigten Staaten auf, und im Umfeld der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking erkoren katho­li­sche Hier­ar­chen Gender zum neuen Feind­bild. Stich­wort­ge­be­rinnen waren Aktivist:innen wie Chris­tina Hoff Sommers und Dale O’Leary, die den Gebrauch des engli­schen Begriffs gender schon damals als Teil einer sinis­tren poli­ti­schen Verschwö­rung beschrieb. Viele von O’Learys Behaup­tungen (etwa ein von marxis­ti­schen Akademiker:innen unter­wan­derter Femi­nismus) gehören heute noch zum Stan­dard­re­per­toire des Anti-Trans-Backlashes.

Ratz­inger, der schon in der 1986 veröf­fent­lichten Inter­view­reihe Zur Lage des Glau­bens die ersten, vorsich­tigen Schritte hin zur Gleich­be­rech­ti­gung queerer Menschen in apoka­lyp­ti­schen Worten beschrieb, nahm das Stich­wort dankbar auf. Gender gab ihm einen hand­li­chen Ober­be­griff für all das Neue, gegen das er seine Kirche (und die Mensch­heit) zu vertei­digen müssen meinte. Die Publizist:innen Birgit Kelle und Gabriele Kuby haben in den letzten andert­halb Jahr­zehnten durch ihr Wirken dazu beigetragen, diesen katho­li­schen Anti­fe­mi­nismus, der sich an einer angeb­li­chen „Gender-Ideologie“ abar­beitet, zu popu­la­ri­sieren. Damit waren sie, wie US-amerikanische Antifeminist:innen vor ihnen, vor allem in Osteu­ropa erfolg­reich, wo ihre Bücher über­setzt und sie gerne zu Vorträgen einge­laden wurden.

Von Reli­gion zum Rechtsruck

Mit der Zeit griffen extre­mis­ti­sche Politiker:innen die Schlag­worte aus der katho­li­schen anti­fe­mi­nis­ti­schen Rhetorik auf. Im Deutsch­land der späten Nuller­jahre versuchte zunächst die inzwi­schen bedeu­tungs­lose Natio­nal­de­mo­kra­ti­sche Partei Deutsch­lands (NPD), durch die Skan­da­li­sie­rung von Gender Main­strea­ming Zustim­mung jenseits ihrer rechts­extremen Basis zu gewinnen. Diese Stra­tegie wurde von der Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) im Zuge ihrer zuneh­menden Radi­ka­li­sie­rung fort­ge­führt, um im Wider­stand gegen „Gender-Gaga“ und „Früh­sexua­li­sie­rung“ die Partei als Vertre­terin von tradi­tio­nellen Werten, Familie und Kindes­wohl präsen­tieren zu können.

Es ist der AfD gelungen, zumin­dest das Spre­chen über Gender im poli­ti­schen Main­stream zu veran­kern: als Aufre­ger­thema, das regel­mäßig von den Medien ausge­schlachtet wird, kann es sich inzwi­schen keine Politiker:in mehr leisten, keine Meinung dazu zu haben. (Ähnli­ches zeichnet sich für das Thema „trans“ ab; im Verei­nigten König­reichist es jetzt schon der Fall, dass von führenden Politiker:innen erwartet wird, auf die onto­lo­gi­sche Fang­frage, was eine Frau sei, eine Antwort zu haben.)

Viktor Orbán hat aus diesem Anti­gen­de­rismus ein auto­kra­ti­sches Regie­rungs­pro­gramm geschaffen: die Chiffre Gender ist der Schei­tel­stein eines Bedro­hungs­sze­na­rios, in dem Orbán als Bewahrer „christ­li­cher Werte“ gegen die Euro­päi­sche Union und „Globa­lismus“ kämpft, um die natio­nale und kultu­relle Einheit Ungarns zu bewahren. Orbán wird von vielen US-amerikanischen Republikaner:innen bewun­dert und ist gern gese­hener Gast bei konser­va­tiven Veran­stal­tungen. Ron DeSantis, Gouver­neur von Florida und aussichts­rei­cher Mitbe­werber für die repu­bli­ka­ni­schen Vorwahlen zur Präsi­dent­schafts­wahl 2024, führt in seinem Teil­staat einen Kreuzzug gegen queere Minder­heiten und die Wissenschafts- und Meinungs­frei­heit, der stark von Orbáns Poli­tik­stil inspi­riert ist.

Das Beispiel Orbán zeigt auch, wie sehr sich Anti­fe­mi­nismus und der aktu­elle Anti-Trans-Backlash auf anti­se­mi­ti­sche Denk­muster stützen. Orbán und von ihm inspi­rierte Populist:innen insi­nu­ieren regel­mäßig, dass der jüdi­sche Phil­an­throp George Soros einer der führende Köpfe hinter „Woke-Ideologie“ und „Gender-Ideologie“ sei. Dahinter steht der Gedanke einer kleinen, aber mäch­tigen Clique, der direkt aus dem Anti­se­mi­tismus des 20. Jahr­hun­derts über­nommen ist. Auch ohne jüdi­sche Menschen explizit nennen zu müssen, fungiert dieser Verweis als eindeu­tige dogwhistle für ihre Adressat:innen. Dieser struk­tu­relle Anti­se­mi­tismus ist ein weiteres verbin­dendes Element zwischen natio­na­lis­ti­scher, reli­giöser und „femi­nis­ti­scher“ Trans- und Queer­feind­lich­keit: hier treffen sich das Erbe des christ­li­chen Anti­se­mi­tismus, rechts­extremer Hass auf das Fremde, und das Bild des gefähr­li­chen Mannes aus einer anderen Kultur (das vor allem gegen musli­mi­sche und schwarze Menschen in Stel­lung gebracht wird, aber auch anti­se­mi­ti­sche Wurzeln hat).

Zu diesen ideo­lo­gi­schen Verbin­dungen kommen zahl­reiche perso­nelle und finan­zi­elle Vernet­zungen über inter­na­tio­nale reli­giöse Orga­ni­sa­tionen. Wie Agnieszka Graff und Elżbieta Korolczuk (die in Geschichte der Gegen­wart Russ­lands Kultur­krieg gegen Gender darge­stellt haben) in ihrem Buch Anti-Gender Poli­tics in the Popu­list Moment darstellen, spielt der World Congress of Fami­lies (WCF) hierbei eine tragende Rolle. Der WCF entstand aus dem bereits oben erwähnten Verbin­dungen zwischen reak­tio­nären reli­giösen Milieus in Russ­land (und anderen post-sowjetischen Staaten) und den Verei­nigten Staaten. Die 13. Ausgabe des Kongresses, die 2019 in Verona (und damit zum ersten Mal außer­halb der ehema­ligen Sowjet­union) statt­fand, brachte rechte Politiker:innen zusammen mit Aktivist:innen und evan­ge­li­kalen, katho­li­schen und ortho­doxen Auto­ri­täten. Dies bringt uns zurück zu Putin, denn es fließt nicht nur Propa­ganda, sondern auch Geld: vor allem aus den Verei­nigten Staaten und Russ­land nach Europa und in andere Teile der Welt.

Was einst als kirch­liche Kritik an einer fast nur Akademiker:innen bekannten Theorie begann, ist inzwi­schen zu einem inter­na­tio­nalen, rechten Netz­werk geworden. Anti­fe­mi­nismus und die Dämo­ni­sie­rung von trans Personen sind nicht nur zentraler Bestand­teil popu­lis­ti­scher Politik in Europa, sie gehören auch zur außen­po­li­ti­schen Stra­tegie von Ländern wie Russ­land. Mit der Dämo­ni­sie­rung queerer Menschen spricht Russ­land gezielt konser­va­tive und rechts­extreme Kräfte in euro­päi­schen Demo­kra­tien an, um diese zu desta­bi­li­sieren (zuletzt illus­triert durch die Grün­dung einer inter­na­tio­nalen „russo­philen“ Orga­ni­sa­tion in Moskau, bei der neben Außen­mi­nister Lawrow und Konstantin Malo­fejew, einem poli­tisch einfluss­rei­chen Geld­geber des World Congress of Fami­lies, auch der AfD-Funktionär Waldemar Herdt anwe­send war und von Russ­land als Alter­na­tive zum „sata­nis­ti­schen Westen“ sprach).

Der Kampf der Russo­philen, Reak­tio­nären und Besorgten richtet sich, hier wie dort, reli­giös moti­viert oder nicht, aller­dings nicht gegen eine Ideo­logie. Er richtet sich gegen Menschen und ihr Recht auf Selbst­be­stim­mung, heute wie vor dreißig oder fünfzig Jahren.