Die afro-deutsche Frauenbewegung wirkte seit den 1980er Jahren mit neuem, de-kolonialistischem Wissen auf die deutsche Gesellschaft ein – und ist dennoch bis heute kaum bekannt. Die Historikerin Tiffany N. Florvil gibt im Gespräch mit Sina Speit Einblick in die Geschichte dieser Schwarzen intellektuellen Frauen*.

  • Tiffany N Florvil

    Tiffany N. Florvil ist Associate Professor des Department of History der University of New Mexiko (USA). Sie ist Historikerin der Moderne und Spätmoderne Europas, ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der sozialen Bewegungen, Geschlecht und Sexualität, Emotionen und afrikanische Diaspora. 2020 erschien ihr Buch „Mobilizing Black Germany“ über die afro-deutsche Frauenbewegung seit den 1980er Jahren.
  • Sina Speit

    Sina Speit hat Geschichte und Politikwissenschaften, Public History und Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung studiert. Sie promoviert am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik der Universität Erfurt über die Auseinandersetzung der westdeutschen neuen Frauenbewegung mit dem Nationalsozialismus.

Sina Speit: Tiffany, Du hast im vergan­genen Jahr Dein Buch Mobi­li­zing Black Germany über die afro-deutsche Frau­en­be­we­gung in Deutsch­land veröf­fent­licht. Die afro-deutsche Frau­en­be­we­gung formierte sich Mitte der 1980er Jahre und ist mit der Geschichte der west­deut­schen neuen Frau­en­be­we­gung verknüpft. 1986 grün­deten sich die „ISD – Initia­tive Schwarze Menschen in Deutsch­land“ und der Verein „ADEFRA e. V. – Schwarze Frauen in Deutsch­land“. Der Impuls dafür ging ganz wesent­lich auf die karibisch-afrikanisch-US-amerikanische Akti­vistin und Dich­terin Audre Lorde zurück, die ab 1984 mehrere Jahre in West-Berlin lebte. Du beschreibst in deinem Buch sehr eindrück­lich, welche Inspi­ra­tion und Verbün­dete Lorde für die afro-deutschen und afro-europäischen Frauen war, denen sie begegnete.

Tiffany Florvil: Audre Lorde war ab 1984 Gast­pro­fes­sorin an der Freien Univer­sität Berlin. Sie gab hier drei Semi­nare, in denen sie afro-deutsche Frauen traf. Lorde suchte aktiv nach diesen Kontakten und um sie herum formte sich eine afro-deutsche Gemein­schaft. Audre Lordes Einfluss auf Schwarze Deut­sche war sehr wichtig, sie half ihnen, ihr Schwarz-Sein zu begreifen und zu thema­ti­sieren. Mit ihren Ermu­ti­gungen für das Schreiben über die eigene Iden­tität und ihren Einsatz für Menschen­rechte war Audre Lorde jedoch über­haupt eine wich­tige Figur für viele Menschen in der Afri­ka­ni­schen Diaspora weltweit.

Die Geschichte, die ich in meinem Buch beschreibe, soll den Leser*innen das Entstehen und die Bedeu­tung der afro-deutschen Bewe­gung aufzeigen. Neben Lorde waren viele weitere Schwarze und Schwarze Deut­sche sehr wichtig, es gab Aktivist*innen in Berlin, Frank­furt, Hamburg und anderen Städten. Diese deut­schen Prot­ago­nis­tinnen des Schwarzen Femi­nismus sind gegen­über den US-amerikanischen – Audre Lorde, Toni Morrison oder Angela Davis – kaum bekannt.

Audre Lorde und May Ayim (1987), Quelle: FFBIZ-Archiv

SiS: Dabei wird in deinem Buch deut­lich, wie wichtig die afro-deutschen Aktivist*innen nicht nur für den Schwarzen Femi­nismus, sondern auch als Pionier*innen der queeren Bewe­gung waren: So beschreibst Du die afro-deutsche Frau­en­gruppe ADEFRA als einen Ort der queeren Iden­ti­täts­bil­dung, warum?

TiF: Das ist ein Eindruck, der sich mir durch die Quellen offen­bart hat. ADEFRA wurde von queeren Schwarzen Frauen gegründet, Jasmin Eding, Judy Gummich, Eva von Pirch, Elke Jank, Katha­rina Ogun­toye und vielen mehr – es gab immer eine queere Perspek­tive in ADEFRA. Die Frauen spra­chen darüber, ob sie queer waren, Heteras oder non-binary – wobei sie diese Sprache in dieser Form nicht hatten. ADEFRA war eine Orga­ni­sa­tion, in der queere Iden­ti­täten und Stra­te­gien auspro­biert werden konnten. Sie waren auch mit weißen queeren Frauen verbunden, aber ADEFRA war ihr Ort, in dem sie den Beson­der­heiten ihrer Iden­ti­täten als queere Schwarze Frauen nach­spüren konnten. Es war ein wich­tiger Ort, um gegen tradi­tio­nelle deut­sche Lebens­formen und herkömm­li­ches Wissen zu handeln und ihre Iden­ti­täten freier auszu­pro­bieren, für einzelne wurde ADEFRA zum Ort einer neuer Identitätsbildung.

SiS: In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre lag die Hoch­phase der auto­nomen femi­nis­ti­schen Projekte schon hinter ihnen und die Frau­en­be­we­gung verbrei­terte und verän­derte sich: Die letzte Frauen-Sommeruniversität fand 1983 statt, die „Courage“ erschien 1984 letzt­malig, mit der Grün­dung der GRÜNEN und durch weitere Insti­tu­tio­na­li­sie­rungen fanden die Anliegen der neuen Frau­en­be­we­gung Einzug in poli­ti­sche Insti­tu­tionen. Als ich Dein Buch las, erschien es mir, als mache die afro-deutsche Frau­en­be­we­gung alles im Schnell­durch­lauf: Die Bewusst­wer­dung, das Zusam­men­kommen in regio­nalen Gruppen, gleich­zeitig die über­re­gio­nale Vernet­zung, die Kultur­pro­duk­tion. Das ist doch wahn­sinnig dicht in den Jahren von 1984 bis Anfang der 90er, oder? Wie siehst Du die Verbin­dung zu der Frau­en­be­we­gung vorher? Auf welche Ressourcen und Erfah­rungen konnten die afro-deutschen Femi­nis­tinnen aufbauen?

TiF: Bestimmte Frauen wie Ika Hügel-Marshall, Eva von Pirch, Helga Emde oder Katha­rina Ogun­toye hatten schon viele Erfah­rungen mit der neuen Frau­en­be­we­gung gemacht, sie waren selbst in verschie­denen Gruppen aktiv und haben das, was sie dort gelernt und getan haben, in die Grün­dung der afro-deutschen Bewe­gung mitge­nommen. Inso­fern sehe ich da einen Zusam­men­hang. Aber sie haben das Wissen und die Prak­tiken entschei­dend erwei­tert, durch die Thema­ti­sie­rung von Rassismus und Anti­se­mi­tismus in vielen Semi­naren und Work­shops und durch ihre Verbin­dungen: Die afro-deutsche Frau­en­be­we­gung war natür­lich mit der Schwarzen Bewe­gung in Deutsch­land verknüpft – eine wich­tige Rolle spielten zum Beispiel Patrick Elcock, Vusi Mchunu, Abdul Alka­limat – und auch inter­na­tional. Sie stellten auch ganz neue Fragen: Durch ihre Suche nach Iden­tität fragten sie danach, was Deutsch-Sein und Schwarz-Sein über­haupt bedeuten.

SiS: In den 1980er Jahren wurde in der neuen Frau­en­be­we­gung ja über­haupt erst explizit und öffent­lich über Anti­se­mi­tismus und Rassismus gespro­chen. Du beziehst Dich in Deinem Buch auch auf die Erfah­rungen der Schwarzen Frauen, die sich zuvor in den Frau­en­gruppen als oft einzige Schwarze Frau entweder nicht gesehen oder ausge­grenzt gefühlt hatten.

Ich finde es so inter­es­sant und gleich­zeitig so schwer nach­zu­voll­ziehen, wer wann in der neuen Frau­en­be­we­gung über­haupt dazu in der Lage war, Rassismus anzu­spre­chen. Man sieht zu Beginn der 1980er Jahre, wie mühe­voll diese Ausein­an­der­set­zung anfing und wie lange es brauchte, offen darüber spre­chen zu können.

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TiF: Was war Deines Erach­tens der Grund dafür, dass sie sich erst in den 80er Jahren damit ausein­an­der­setzen konnten?

Audre Lorde in Berlin, 1986, Quelle: FFBIZ-Archiv

SiS: Sie fingen theo­re­tisch mit der Prämisse an, dass alle Frauen gleich seien, und das machte unter­schied­liche Diskri­mi­nie­rungen zu wenig sichtbar. Dann fielen bestimmte Perspek­tiven, Gruppen und Personen aus der Öffent­lich­keits­pro­duk­tion heraus; das ist, glaube ich, ein ganz wich­tiger Punkt. Ilse Lenz weist immer wieder darauf hin, dass es Migrantinnen-Gruppen schon in den 70er Jahren gab. Diese wurden aber in der linken Alter­na­ti­vöf­fent­lich­keit kaum sichtbar und ihre Anliegen deswegen nicht in die Breite der Gesell­schaft trans­por­tiert. Über­wie­gend waren es weiße Akade­mi­ke­rinnen, die zum Beispiel die femi­nis­ti­schen Zeit­schriften gemacht haben. Somit ging es auch zumeist um ihre Iden­ti­täten. In den 1980er Jahren kam dann erst richtig der Perspek­tiv­wechsel, das hängt auch mit dem gesellschafts- und erin­ne­rungs­kul­tu­rellen Wandel zusammen. Jetzt wurde auch in der Breite der Frau­en­be­we­gung die Diskri­mi­nie­rung „Anderer“ erst über­haupt richtig wahr­ge­nommen und einige begannen, sich mit ihrer eigenen Iden­tität als Ange­hö­rige einer weißen Mehr­heit und als Nach­kommen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Täter*gesellschaft auseinanderzusetzen.

TiF: Die Frauen der afro-deutschen Bewe­gung – unter ihnen waren auch einige weiße Frauen wie Dagmar Schultz – haben versucht, das zu thema­ti­sieren, was wir heute Inter­sek­tio­na­lität nennen. Sie schrieben über verschie­dene Diskri­mi­nie­rungen, über so etwas wie ‚Othe­ring‘. Ein Zugang dazu war natür­lich die Beschäf­ti­gung mit dem Natio­nal­so­zia­lismus, den Du unter­suchst, aber eben nicht nur.

SiS: Du beschreibst die Prot­ago­nis­tinnen der afro-deutschen Frau­en­be­we­gung als ‚quoti­dian intellec­tuals‘, als Intel­lek­tu­elle des Alltags. Ich stelle mir vor, dass sie beson­ders aus ihren eigenen, subjek­tiven Erfah­rungen schöpften, hieraus Wissen gene­rierten, und dass sie ganz spezi­fi­sche Grenzen oder Hemm­schwellen über­winden mussten, um als Schwarze deut­sche Frauen intel­lek­tuell tätig zu werden. Würdest Du das als ein typisch femi­nis­ti­sches Hand­lungs­prinzip beschreiben oder siehst Du ganz bestimmte Unter­schiede zur weißen femi­nis­ti­schen Bewusstseinsbildung?

TiF: Das hängt sehr mit der Schwarzen diaspo­ri­schen Geschichte zusammen. Die afro-deutschen Femi­nis­tinnen benutzten ihre Perspek­tive als eine Methode, um die Welt zu begreifen. Sie verwiesen auf ihre persön­li­chen Erfah­rungen, um Rassismus und Gender-Diskriminierungen aufzu­zeigen, und wollten damit die Gesell­schaft verbes­sern. In einem radi­kalen Akt haben sie auch deut­sches Wissen durch ihren Akti­vismus, ihre Akti­vi­täten und ihr Schreiben verän­dert. Sie zeigten, dass sie Afro-Deutsche Intel­lek­tu­elle waren. Sie konnten neues, de-kolonialistisches Wissen erschaffen und es poli­tisch anwenden.

SiS: Ein wich­tiger Punkt in Deinem Buch ist, die Bewe­gung in ihrem inter­na­tio­nalen Charakter einzu­betten. War diese Inter­na­tio­na­lität von Anfang an gegeben, oder war das eher ein Ziel der Frauen, die in den 80er Jahren anfingen, sich zu vernetzen?

TiF: Ich würde sagen, dass es von Anfang an eine inter­na­tio­nale Bewe­gung war. Die deut­schen Frauen haben schon früh an inter­na­tio­nalen Konfe­renzen teil­ge­nommen und standen seitdem in Verbin­dung mit Frauen in den Nieder­landen, Südafrika, den USA und Frank­reich. Gleich­zeitig war es von Beginn an für ihre Bewusst­seins­bil­dung als Frauen der afri­ka­ni­schen Diaspora wichtig, diese Verbin­dungen zu sehen und auf sie bauen zu können. Insbe­son­dere Afro-Deutsche waren immer sehr inter­na­tional orien­tiert. Sie waren immer Schwarze Internationalist*innen wie W.E.B Du Bois und Shirley Graham Du Bois.

SiS: May Ayim, Katha­rina Ogun­toye und andere haben auf die rassis­ti­schen Ausgren­zungs­me­cha­nismen in der deut­schen Gesell­schaft aufmerksam gemacht. Sie thema­ti­sierten und analy­sierten ihren gegen­wärtig erlebten Rassismus in mehreren Kontexten und Tradi­ti­ons­li­nien – Natio­nal­so­zia­lismus, Kolo­nia­lismus, Migra­ti­ons­ge­schichte. Um ein Stich­wort aus aktu­ellen Debatten zu nennen: Schufen sie damit schon ‚multi­di­rek­tio­nale Erin­ne­rungen‘? Waren sie ihrer Zeit voraus, wurden sie nicht gehört? 

Flug­blatt, Quelle: FFBIZ-Archiv

TiF: Ja, genau. Ich glaube, sie wurden nicht gehört. Sie haben in einer Form ‚multi­di­rek­tio­nales‘ Erin­nern betrieben, sie haben darüber geschrieben und gespro­chen, welche Auswir­kungen die Geschichte des Kolo­nia­lismus und des Natio­nal­so­zia­lismus auf ihre Leben hat. Das war eine schwie­rige Arbeit, einer­seits sich das selbst anzu­eignen, ande­rer­seits nach außen zu tragen – über Kolo­nia­lismus wurde nichts im Schul­un­ter­richt gelernt, nichts an den Univer­si­täten gelehrt. Es gab über­haupt keine Gele­gen­heit der Ausein­an­der­set­zung damit.

Mit dem Aufkommen der neuen Frau­en­be­we­gung und der Schwarzen Bewe­gung wurden neue histo­ri­sche Themen in die Öffent­lich­keit gebracht, sie verdeut­lichten die Notwen­dig­keit, sich mit dieser Geschichte zu beschäf­tigen. Sie machten deut­lich, dass das für den Weg zu einer inklu­si­veren Gesell­schaft notwendig war; die Diskri­mi­nie­rungen und Margi­na­li­sie­rungen sollten aufge­bro­chen werden.

SiS: Das sind Themen, die der „Klas­siker“ der afro-deutschen Frau­en­be­we­gung, das Buch Farbe bekennen- Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, 1986 aufge­bracht hat. Es ist 2020 vom Orlanda-Verlag neu aufge­legt worden!

TiF: Ich muss sagen, dass ich noch heute immer wieder Neues in Farbe bekennen finde, obwohl das Buch jetzt schon 35 Jahre alt ist. Es war nicht nur ein wich­tiger Impuls­geber in der afro-deutschen Frau­en­be­we­gung, sondern es ist bis heute ein bemer­kens­werter Text. Es gibt darin so viele tolle Geschichten und Gedichte zu entde­cken, es ist so reichhaltig!

SiS: Was bedeu­tete die Wende 1989/90 für die afro-deutsche Bewe­gung? 

TiF: Schwarze Deut­sche waren von den kultu­rellen und poli­ti­schen Verän­de­rungen, die mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und der poli­ti­schen Wieder­ver­ei­ni­gung im Oktober 1990 einher­gingen, stark betroffen. Das soll nicht heißen, dass es Rassismus und Diskri­mi­nie­rung vor dieser Zeit nicht gab, aber die rassis­ti­sche Gewalt in Deutsch­land wurde zu diesem Zeit­punkt sicht­barer und häufiger. Diese Gewalt exis­tierte auch neben der poli­ti­schen Rhetorik, die behaup­tete: „Wir sind ein Volk“. Im Jahr 1990 bildete sich das Black Unity Committee (BUC), um Vorfälle rassis­ti­scher Gewalt im ganzen Land zu doku­men­tieren. Diesem Komitee gehörten nicht nur Mitglieder der Schwarzen Deut­schen Bewe­gung an, sondern viele weitere Menschen aus der größeren afri­ka­ni­schen Diaspora in Deutsch­land. Ich disku­tiere das BUC und andere Entwick­lungen in meinem Buch. May Ayim thema­ti­sierte diesen Wandel sehr offen in ihrer Prosa und in Inter­views, aber sie war sicher­lich nicht die Einzige. ISD und ADEFRA orga­ni­sierten Veran­stal­tungen, die sich auch mit dem neuen rassis­ti­schen Klima befassten, das auch für Immigrant*innen und nicht-weiße Deut­sche beson­ders schwierig war. So wurde 1989/90 zu einem Moment für nach­hal­ti­geren anti­ras­sis­ti­schen Akti­vismus in der Community.

2019 hat die Schwarze deut­sche Akti­vistin Peggy Piesche ein Buch über die Erfah­rungen von Schwarzen und People of Color in Ost und West im Jahr 1989 veröf­fent­licht: Labor 89 – Inter­sek­tio­nale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost. In diesem Text beschäf­tigt sich Peggy Piesche mit inter­sek­tio­nalen Perspek­tiven aus der Wende­zeit. Im kollek­tiven deut­schen Gedächtnis werden diese inter­sek­tio­nalen Perspek­tiven oft igno­riert. Labor 89 offe­riert acht Porträts von Schwarzen, People of Color, und queeren Aktivist*innen. Diese Aktivist*innen kämpften gegen Rassismus, Sexismus, Homo­phobie und Auslän­der­feind­lich­keit in Deutsch­land. In einer aktu­ellen Arbeit befasse ich mich selber auch noch mehr mit dem ehema­ligen Osten.

SiS: Du ziehst Deine Analyse bis in die 2000er Jahre und kommst am Ende kurz zur deut­schen Black Lives Matter Bewe­gung. Die Schwarzen deut­schen Aktivist*innen der 80er Jahre sind teil­weise heute noch aktiv, aber in den öffent­li­chen Debatten um BLM 2020 oftmals unter­re­prä­sen­tiert, ist mein Eindruck. Wie kommt das?

TiF: Einer­seits enttäuscht mich das: Nach über 30 Jahren afro-deutscher Bewe­gung in Deutsch­land immer noch diese Diskri­mi­nie­rungen. Ande­rer­seits bin ich begeis­tert von den aktu­ellen Gruppen, von der wich­tigen Arbeit gegen Rassismus, die sie und neue Aktivist*innen bis heute leisten. Es dauert einfach, etwas in der Gesell­schaft zu bewegen. Für heutige BLM Aktivist*innen ist die inter­na­tio­nale Vernet­zung erneut sehr wichtig, ganz ähnlich wie zu Beginn der Schwarzen deut­schen Bewe­gung. Das hilft den Aktivist*innen weiter zu machen und die Hoff­nung nicht aufzu­geben. Auch die Soli­da­ri­täts­po­litik ist sehr wichtig. Wir brau­chen dieses breite Feld an Solidarität.

SiS: Ich frage mich, wo die Tradi­ti­ons­bil­dung ist. Worauf können Schwarze Deut­sche heute zurück­greifen? Ist die Bewe­gung offenbar und bekannt genug?

Alice Hasters schreibt in ihrem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (2019), dass sie erst spät Farbe bekennen entdeckt hat und sich gewünscht hätte, das Buch eher gelesen zu haben, um als Schwarze Deut­sche von ihren „Vorgän­ge­rinnen“ gewusst zu haben.

TiF: Genau, ich glaube, die Bewe­gung ist eben nicht so offenbar und aner­kannt – das ist das Problem. Deswegen ist mein Buch auch für die neue Gene­ra­tion Schwarzer Deut­scher so wichtig. Ich wünsche mir, dass sie das wahr­nehmen können, dass sie darin lesen können und sehen, dass sie Teil einer Geschichte und einer Gemein­schaft sind. Schwarze Menschen gibt es in Deutsch­land seit dem 13. Jahr­hun­dert. Es gab Schwarze Deut­sche, die sich in der Weimarer Repu­blik für Menschen­rechte und gegen Kolo­nia­lismus einge­setzt haben; sie haben auch in den 1980er Jahren gekämpft, sie kämpfen jetzt – es gibt ein breites Feld an Schwarzer deut­scher Geschichte! Ich wünsche mir, dass das in Deutsch­land mehr wahr­ge­nommen wird. Das hängt nicht nur mit Iden­tität und Zuge­hö­rig­keit zusammen, sondern auch mit dem Wissen über den deut­schen Natio­na­lismus zum Beispiel. Jede*r Deut­sche lernt mit der Beschäf­ti­gung der Schwarzen deut­schen Geschichte etwas über sich selbst und über Deutsch­land. Die neuen deut­schen Debatten über die Schoah und den Kolo­nia­lismus zeigen uns, wie wichtig und notwendig afro-deutsche Perspek­tiven sind.

  

Tiffany N. Florvil, Mobi­li­zing Black Germany – Afro-German women and the making of a trans­na­tional move­ment (Illi­nois 2020)