Immer wieder ist in Deutschland von einem „Inflationstrauma“ die Rede. Dabei bezieht sich der Begriff nicht auf Erfahrungen, sondern auf Narrative, die ihrerseits eine Geschichte haben. In den Medien wird dagegen der Eindruck erweckt, das „Trauma“ wäre von einer Generation zur nächsten vererbt worden.

  • Sebastian Teupe

    Sebastian Teupe ist Juniorprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte des Geldes, der Märkte und der industriellen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Sein Buch „Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923“ ist 2022 erschienen.

„Die Deut­schen haben (…) ein Trauma – ein Infla­ti­ons­trauma“. Das stellte eine Sendung im Deutsch­land­funk vor gut zehn Jahren fest. Da war dieses Trauma, das stets auf die Hyper­in­fla­tion von 1923 zurück­ge­führt wird, „schon fast neunzig Jahre alt“. Mitt­ler­weile wäre das Trauma also ziem­lich genau hundert Jahre alt. In Verges­sen­heit geraten ist es in den letzten Jahren nicht. Im Zuge der Infla­ti­ons­er­fah­rungen der letzten Monate tauchte der Begriff des Infla­ti­ons­traumas regel­mäßig in Arti­keln großer Tages­zei­tungen auf. Nur gele­gent­lich wird kritisch gefragt, ob den Deut­schen die Infla­tion in den Genen stecke. Meist wird das deut­sche Infla­ti­ons­trauma als Fakt einfach hinge­nommen. Auch im Kreise der Wirt­schafts­weisen wird die Hyper­in­fla­tion von 1923 als immer noch kollektiv prägendes Ereignis betrachtet. 

Was bezeichnet der Begriff des Infla­ti­ons­traumas? Woher stammt er? Und wie über­zeu­gend ist die These, dass die Deut­schen an diesem Trauma nun schon seit hundert Jahren leiden?

Deut­sche Ur-Ängste?

Eine wissen­schaft­liche und etablierte Defi­ni­tion des Infla­ti­ons­traumas gibt es nicht. Ganz allge­mein ist mit dem Trauma eine sowohl hand­lungs­lei­tende als auch lähmende kollek­tive Angst vor Infla­tion beschrieben. Die Angst lässt sich histo­risch begründen. Viele Autorinnen und Autoren nennen als Begrün­dung den Verlust der Erspar­nisse in den frühen 1920er Jahren, der einer Enteig­nung durch den Staat gleichkam. Der Verlust hatte eine wütende und verzwei­felte Mittel­schicht zur Folge. Andere Autoren verweisen auf deut­sche „Ur-Ängste vom Zusam­men­bruch der Währung“. Eine beson­ders dras­ti­sche Defi­ni­tion in diesem Sinne fand sich vor einigen Jahren in der Taz, wonach sich das Trauma der Infla­tion so beschreiben lasse: „Auf der einen Seite das Reser­voir von Waren, letzt­lich von Eßwaren, und auf der anderen Seite Geld, das seine Kauf­kraft verloren hat. Es hat sich so aufge­bläht, daß es wie (Scheiß-) Dreck behan­delt wird. Es ist selbst zum Beschiß geworden und hat seine Schlüs­sel­ge­walt über die Eßwaren verloren.“ Die Foto­auf­nahmen von Geld als Spiel­zeug, Heiz­mittel oder Stra­ßen­dreck, die nahezu jeden Artikel zur Hyper­in­fla­tion zieren, geben dieser Inter­pre­ta­tion einen bild­li­chen Ausdruck. Das Argu­ment der Angst und der Enteig­nung der Spar­gut­haben sind eng verbunden mit der poli­ti­schen Desta­bi­li­sie­rung der Weimarer Repu­blik, die auch der fehlenden Unter­stüt­zung der Mittel­schicht geschuldet war. 

Von Exis­tenz­ängsten geplagt waren die Mittel­ständler, die während der Infla­tion selten ihre Arbeit verloren, aller­dings eher nach der Infla­tion. Zahl­reiche Beamte wurden im Zuge des Spar­dik­tats der Währungs­sta­bi­li­sie­rung von 1924 entlassen. Noch weit­rei­chen­dere Folgen hatte die massive Arbeits­lo­sig­keit während der Großen Depres­sion, die fünf Jahre später begann. Neuere Studien haben aller­dings auch gezeigt, dass eine Krise im kultu­rellen Gedächtnis keiner korrekten histo­ri­schen Zuord­nung bedarf. Tatsäch­lich scheinen viele Deut­sche die Hyper­in­fla­tion als eine schwam­mige Groß­krise mit Geld­ent­wer­tung, Arbeits­lo­sig­keit und dem Aufstieg Hitlers zu verbinden. Im histo­ri­schen Rück­blick kommt es, so könnte man zuge­spitzt sagen, auf zehn Jahre mehr oder weniger nicht an. 

Das Infla­ti­ons­trauma unter­scheidet sich an diesem Punkt aller­dings entschei­dend von einem durch selbst gemachte Erfah­rungen begrün­deten Trauma. Fast niemand der heute in Deutsch­land Lebenden hat die Hyper­in­fla­tion erlebt. Zwar gibt es Studien dazu, dass beson­ders trau­ma­ti­sie­rende Erleb­nisse wie der Holo­caust auch an jüngere Gene­ra­tionen vererbt werden können. Im Fall der Hyper­in­fla­tion von 1923 wird dies gele­gent­lich mit Verweisen auf „die Groß­el­tern“ behauptet. Deren in Einzel­fällen prägenden Erzäh­lungen waren in der Bundes­re­pu­blik aber schon bald nicht mehr von dem kultu­rellen Gedächtnis der deut­schen Gesell­schaft zu trennen. Wenn heute von einem „Infla­ti­ons­trauma“ die Rede ist, bezieht sich der Begriff nicht auf selbst gemachte Erfah­rungen, sondern auf gesell­schaft­liche Narra­tive – auf Erzäh­lungen, die von Medien, Wissen­schaft und Politik repro­du­ziert werden und damit alter­na­tive Deutungen und Perspek­tiven der deut­schen Geschichte in den Hinter­grund drängen.

Von der Stag­fla­tion zum Inflationstrauma

Der Ursprung der Begriffs­bil­dung „Infla­ti­ons­trauma“ lässt sich nicht mit Sicher­heit fest­stellen. Die enge Verknüp­fung von Infla­tion und Trauma scheint aber eine neuere Wort­schöp­fung zu sein, jeden­falls kein weit­ver­brei­teter zeit­ge­nös­si­scher Begriff. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der Begriff des Traumas während der Nach­kriegs­zeit in der öffent­li­chen Diskus­sion einen völlig anderen Bezug hatte. Trau­ma­ti­sierte Soldaten gab es zu Tausenden, nicht nur faktisch, sondern auch offi­ziell diagnos­ti­ziert: für die Zahlung einer Kriegs­rente war die Diagnose eines Psycho­logen erfor­der­lich. Das „Kriegs­trauma“ rückte noch während der Infla­ti­ons­zeit ins Zentrum poli­ti­scher Debatten. Linke Kreise bemühten sich um eine begriff­liche Auswei­tung, um auch Frauen in das kollek­tive Kriegs­trauma mit einzu­be­ziehen. Von rechten Kreisen wurde das Kriegs­trauma dagegen im Sinne einer Neurose schwäch­li­cher Kämpfer umge­deutet. Zudem stig­ma­ti­sierten viele Amts­ärzte des Arbeits­mi­nis­te­riums die nerven­kranken Soldaten als arbeits­scheu. So betrachtet wäre es in bürger­li­chen Kreisen in den 1920er Jahren gewagt gewesen, sich selbst als „trau­ma­ti­siert“ zu bezeichnen. Der Begriff des Traumas war poli­tisch zu aufgeladen. 

In der Bundes­re­pu­blik tauchte der Begriff noch in den 1960er Jahren nur sehr verein­zelt in den Zeitungen auf. Bundes­kanzler Kurt Georg Kiesinger benutzte 1967 in einer Bundes­tags­rede den Begriff des „doppelten“ Traumas: „Wir, die wir in dieser Bundes­re­gie­rung zusammen sind“, führte der Kanzler aus, „kennen aus eigener Lebens­er­fah­rung die beiden Trau­mata, die […] unser Volk belasten: das Trauma der Infla­tion und das Trauma der Defla­tion.“ Sein Außen­mi­nister und Nach­folger Willy Brandt, der auf dem Höhe­punkt der Hyper­in­fla­tion von 1923 noch keine zehn Jahre alt war, sprach 1972 eben­falls von einem „spezi­fisch deut­schen Trauma“ der Infla­tion. Brandt verband diese Fest­stel­lung jedoch zugleich mit einer Warnung eines „falschen Gebrauch[s] dieses in unserem Land beson­ders explo­siven Wortes“. Ein Jahr zuvor war die Infla­tion in der Bundes­re­pu­blik auf den bedroh­lich schei­nenden Wert von über fünf Prozent geklet­tert. Für Brandt hatte diese Entwick­lung aller­dings wenig mit den spezi­fi­schen Erfah­rungen von 1923 zu tun, die aus seiner Sicht – „jeden­falls für die Älteren“ – den Begriffs­in­halt einer Infla­tion bildeten. Womit die Bundes­re­gie­rung unter Brandt zu kämpfen hatte, war ein inter­na­tio­nales Phänomen stei­gender Preise. Auch Brandt ging von einem „doppelten Trauma“ wirt­schafts­his­to­ri­scher Erfah­rungen aus. Das drückte sich darin aus, dass er es ablehnte, die Infla­tion durch „Rezes­sion und Arbeits­lo­sig­keit“ zu bekämpfen. Im selben Jahr prägte Brandts Finanz­mi­nister und spätere Kanzler Helmut Schmidt den Satz „Lieber fünf Prozent Infla­tion als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“.

In den 1980er Jahren hatten sich sowohl die histo­ri­schen Erfah­rungs­werte mit Infla­tionen verän­dert als auch die indi­vi­du­ellen Lebens­er­fah­rungen der (West-)Deutschen. Bundes­kanzler Helmut Kohl kam – anders als Brandt und Schmidt – lange nach der Hyper­in­fla­tion auf die Welt. Das galt mit nur einer Ausnahme für sein gesamtes Kabi­nett. Von einem Infla­ti­ons­trauma sprach Kohl im Bundestag nicht, schon gar nicht von einem persön­li­chen. Er machte aber deut­lich, dass der von Brandt postu­lierte histo­ri­sche Erfah­rungs­wert von Rezes­sion und Arbeits­lo­sig­keit der 1970er Jahre keine Gültig­keit mehr hätte: „In jedem Fall umfaßte die Hinter­las­sen­schaft, die wir vorfanden, beides: Infla­tion und Arbeits­lo­sig­keit. Demge­gen­über haben wir mit dem Kampf gegen die Infla­tion ernst gemacht.“ Die „Stag­fla­tion“ der 1970er, eine Kombi­na­tion aus Arbeits­lo­sig­keit und Infla­tion, schaffte aus diesem Erfah­rungs­wert heraus ein neues Verständnis für das Phänomen der Infla­tion, das auch für den Begriff des Infla­ti­ons­traumas wegwei­send war. In der Folge war es im poli­ti­schen Diskurs eher möglich, das Trauma der Infla­tion unab­hängig vom Trauma der Defla­tion zu proble­ma­ti­sieren. So lässt sich anhand einer Analyse der Bundes­tags­reden zeigen, dass der zuvor finanz­po­li­tisch offene Verweis auf den histo­ri­schen Erfah­rungs­wert der Infla­tion seit den 1970er Jahren eine Engfüh­rung im Sinne deut­scher „Stabi­li­täts­kultur“ erfuhr.

Die Geschichts­wis­sen­schaft hat sich erst seit den 1980er Jahren wirk­lich intensiv mit der deut­schen Infla­tion ausein­an­der­ge­setzt. Teil­weise fand die These eines kollek­tiven Infla­ti­ons­traumas dabei beson­dere Beach­tung. Sie schien in der Lage, sowohl die restrik­tiven Entschei­dungen während der Großen Depres­sion zu erklären als auch den Aufstieg Hitlers. Dessen NSDAP hatte die Verteu­fe­lung der Hyper­in­fla­tion zu einem ihrer Marken­kerne gemacht. Als Ursache von 1933 lässt sich die Hyper­in­fla­tion aber kaum verstehen. Zugleich stand das Infla­ti­ons­trauma in einem schwie­rigen Verhältnis zu der sich etablie­renden Erkenntnis, dass die Infla­tion der Nach­kriegs­zeit ökono­misch eher Vorteile als Nach­teile gehabt hatte, zumin­dest bis zum Beginn der Hyper­in­fla­tion im Sommer 1922. Die Hyper­in­fla­tion von 1922/1923 erfuhr vor diesem Hinter­grund eine isolierte Betrach­tung als wirt­schaft­lich schäd­li­ches, beson­ders einpräg­sames und poten­ziell trau­ma­ti­sie­rendes Erlebnis. Die deut­schen Spare­rinnen und Sparer, deren Schicksal mit dem Begriff des Infla­ti­ons­traumas bis heute unent­rinnbar verknüpft ist, waren zu diesem Zeit­punkt aller­dings längst enteignet. 

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Eine Krise von vielen

Eine lang­fris­tige Betrach­tung des „Infla­ti­ons­traumas“ zeigt, dass die These einer hundert­jäh­rigen Exis­tenz ungenau ist. Die zahl­rei­chen indi­vi­du­ellen Erleb­nisse der Ereig­nisse von 1923 sind keines­wegs gleich­be­deu­tend mit dem, was in der öffent­li­chen Debatte heute mit dem deut­schen „Infla­ti­ons­trauma“ bezeichnet werden soll. Das Infla­ti­ons­trauma hat sich von einer niemals konkret bezeich­neten und in seinen Auswir­kungen unklaren Primär­er­fah­rung der deut­schen Bevöl­ke­rung zu einem fest­ste­henden Begriff des kultu­rellen Gedächt­nisses gewan­delt. Doch auch das kultu­relle Verständnis des Infla­ti­ons­traumas hat sich im Zuge der Infla­ti­ons­er­fah­rungen der 1970er Jahre und mit zuneh­mender Distanz zur Großen Depres­sion gewan­delt. Unab­hängig von seinem begriff­lich erfolg­losen Tandem­partner des „Defla­ti­ons­traumas“ konnte das Infla­ti­ons­trauma zu einer glaub­wür­digen Erklä­rung west­deut­scher Stabi­li­täts­kultur herhalten. Je öfter es in diesem Sinne genutzt wurde, umso über­zeu­gender schien es. Die Annahme einer hundert­jäh­rigen Exis­tenz des Infla­ti­ons­traumas sugge­riert eine Konti­nuität der Bedeu­tung dieses Begriffs, die ange­sichts der Verän­de­rungen frag­lich scheint.

Eine andere Frage ist, ob und in welcher Hinsicht der Begriff des Infla­ti­ons­traumas ange­bracht ist. Wirft man einen Blick auf die Bundes­tags­de­batten der letzten Jahre, bezieht sich der Begriff des „Traumas“ im Eifer der parla­men­ta­ri­schen Ausein­an­der­set­zung auf alles Mögliche, ob Stutt­gart 21, die Wahl­er­folge der FDP oder das Abstim­mungs­ver­halten der Linken. In der schrift­li­chen Begrün­dung von parla­men­ta­ri­schen Anträgen bezieht sich der aus der Medizin stam­mende Begriff des Traumas dagegen fast ausschließ­lich auf mental geschä­digte Solda­tinnen, Soldaten und Geflüch­tete, die aufgrund ihrer Erleb­nisse staat­liche Unter­stüt­zung benö­tigen. Dieser Kontext von Krieg und Flucht, der auch im poli­ti­schen Diskurs der 1920er Jahre eine zentrale Rolle spielte, macht deut­lich, dass die deut­sche Geschichte von einer Viel­zahl trau­ma­ti­sie­render Erleb­nisse durch­zogen ist. In diesem histo­ri­schen Kontext war die deut­sche Hyper­in­fla­tion nur eine Krise von vielen, und bei weitem nicht die schlimmste. Anders ausge­drückt: Wer zwischen 1914 und 1923 sowohl sein Kind als auch sein Geld auf dem Konto verlor, hatte allen Grund, trau­ma­ti­siert zu sein. Es wäre aber grob verkür­zend, darin ein „Infla­ti­ons­trauma“ zu sehen. Dass die Sehn­sucht nach poli­ti­scher und wirt­schaft­li­cher Stabi­lität in Deutsch­land eng verknüpft sind mit dem Begriff des Infla­ti­ons­traumas, hat ohne Frage histo­ri­sche Gründe. Diese liegen aber weniger in den Ereig­nissen von 1923 als in der spezi­fi­schen histo­ri­schen Entwick­lung des kultu­rellen Gedächtnisses.