„Die Deutschen haben (…) ein Trauma – ein Inflationstrauma“. Das stellte eine Sendung im Deutschlandfunk vor gut zehn Jahren fest. Da war dieses Trauma, das stets auf die Hyperinflation von 1923 zurückgeführt wird, „schon fast neunzig Jahre alt“. Mittlerweile wäre das Trauma also ziemlich genau hundert Jahre alt. In Vergessenheit geraten ist es in den letzten Jahren nicht. Im Zuge der Inflationserfahrungen der letzten Monate tauchte der Begriff des Inflationstraumas regelmäßig in Artikeln großer Tageszeitungen auf. Nur gelegentlich wird kritisch gefragt, ob den Deutschen die Inflation in den Genen stecke. Meist wird das deutsche Inflationstrauma als Fakt einfach hingenommen. Auch im Kreise der Wirtschaftsweisen wird die Hyperinflation von 1923 als immer noch kollektiv prägendes Ereignis betrachtet.
Was bezeichnet der Begriff des Inflationstraumas? Woher stammt er? Und wie überzeugend ist die These, dass die Deutschen an diesem Trauma nun schon seit hundert Jahren leiden?
Deutsche Ur-Ängste?
Eine wissenschaftliche und etablierte Definition des Inflationstraumas gibt es nicht. Ganz allgemein ist mit dem Trauma eine sowohl handlungsleitende als auch lähmende kollektive Angst vor Inflation beschrieben. Die Angst lässt sich historisch begründen. Viele Autorinnen und Autoren nennen als Begründung den Verlust der Ersparnisse in den frühen 1920er Jahren, der einer Enteignung durch den Staat gleichkam. Der Verlust hatte eine wütende und verzweifelte Mittelschicht zur Folge. Andere Autoren verweisen auf deutsche „Ur-Ängste vom Zusammenbruch der Währung“. Eine besonders drastische Definition in diesem Sinne fand sich vor einigen Jahren in der Taz, wonach sich das Trauma der Inflation so beschreiben lasse: „Auf der einen Seite das Reservoir von Waren, letztlich von Eßwaren, und auf der anderen Seite Geld, das seine Kaufkraft verloren hat. Es hat sich so aufgebläht, daß es wie (Scheiß-) Dreck behandelt wird. Es ist selbst zum Beschiß geworden und hat seine Schlüsselgewalt über die Eßwaren verloren.“ Die Fotoaufnahmen von Geld als Spielzeug, Heizmittel oder Straßendreck, die nahezu jeden Artikel zur Hyperinflation zieren, geben dieser Interpretation einen bildlichen Ausdruck. Das Argument der Angst und der Enteignung der Sparguthaben sind eng verbunden mit der politischen Destabilisierung der Weimarer Republik, die auch der fehlenden Unterstützung der Mittelschicht geschuldet war.
Von Existenzängsten geplagt waren die Mittelständler, die während der Inflation selten ihre Arbeit verloren, allerdings eher nach der Inflation. Zahlreiche Beamte wurden im Zuge des Spardiktats der Währungsstabilisierung von 1924 entlassen. Noch weitreichendere Folgen hatte die massive Arbeitslosigkeit während der Großen Depression, die fünf Jahre später begann. Neuere Studien haben allerdings auch gezeigt, dass eine Krise im kulturellen Gedächtnis keiner korrekten historischen Zuordnung bedarf. Tatsächlich scheinen viele Deutsche die Hyperinflation als eine schwammige Großkrise mit Geldentwertung, Arbeitslosigkeit und dem Aufstieg Hitlers zu verbinden. Im historischen Rückblick kommt es, so könnte man zugespitzt sagen, auf zehn Jahre mehr oder weniger nicht an.
Das Inflationstrauma unterscheidet sich an diesem Punkt allerdings entscheidend von einem durch selbst gemachte Erfahrungen begründeten Trauma. Fast niemand der heute in Deutschland Lebenden hat die Hyperinflation erlebt. Zwar gibt es Studien dazu, dass besonders traumatisierende Erlebnisse wie der Holocaust auch an jüngere Generationen vererbt werden können. Im Fall der Hyperinflation von 1923 wird dies gelegentlich mit Verweisen auf „die Großeltern“ behauptet. Deren in Einzelfällen prägenden Erzählungen waren in der Bundesrepublik aber schon bald nicht mehr von dem kulturellen Gedächtnis der deutschen Gesellschaft zu trennen. Wenn heute von einem „Inflationstrauma“ die Rede ist, bezieht sich der Begriff nicht auf selbst gemachte Erfahrungen, sondern auf gesellschaftliche Narrative – auf Erzählungen, die von Medien, Wissenschaft und Politik reproduziert werden und damit alternative Deutungen und Perspektiven der deutschen Geschichte in den Hintergrund drängen.
Von der Stagflation zum Inflationstrauma
Der Ursprung der Begriffsbildung „Inflationstrauma“ lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die enge Verknüpfung von Inflation und Trauma scheint aber eine neuere Wortschöpfung zu sein, jedenfalls kein weitverbreiteter zeitgenössischer Begriff. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der Begriff des Traumas während der Nachkriegszeit in der öffentlichen Diskussion einen völlig anderen Bezug hatte. Traumatisierte Soldaten gab es zu Tausenden, nicht nur faktisch, sondern auch offiziell diagnostiziert: für die Zahlung einer Kriegsrente war die Diagnose eines Psychologen erforderlich. Das „Kriegstrauma“ rückte noch während der Inflationszeit ins Zentrum politischer Debatten. Linke Kreise bemühten sich um eine begriffliche Ausweitung, um auch Frauen in das kollektive Kriegstrauma mit einzubeziehen. Von rechten Kreisen wurde das Kriegstrauma dagegen im Sinne einer Neurose schwächlicher Kämpfer umgedeutet. Zudem stigmatisierten viele Amtsärzte des Arbeitsministeriums die nervenkranken Soldaten als arbeitsscheu. So betrachtet wäre es in bürgerlichen Kreisen in den 1920er Jahren gewagt gewesen, sich selbst als „traumatisiert“ zu bezeichnen. Der Begriff des Traumas war politisch zu aufgeladen.
In der Bundesrepublik tauchte der Begriff noch in den 1960er Jahren nur sehr vereinzelt in den Zeitungen auf. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger benutzte 1967 in einer Bundestagsrede den Begriff des „doppelten“ Traumas: „Wir, die wir in dieser Bundesregierung zusammen sind“, führte der Kanzler aus, „kennen aus eigener Lebenserfahrung die beiden Traumata, die […] unser Volk belasten: das Trauma der Inflation und das Trauma der Deflation.“ Sein Außenminister und Nachfolger Willy Brandt, der auf dem Höhepunkt der Hyperinflation von 1923 noch keine zehn Jahre alt war, sprach 1972 ebenfalls von einem „spezifisch deutschen Trauma“ der Inflation. Brandt verband diese Feststellung jedoch zugleich mit einer Warnung eines „falschen Gebrauch[s] dieses in unserem Land besonders explosiven Wortes“. Ein Jahr zuvor war die Inflation in der Bundesrepublik auf den bedrohlich scheinenden Wert von über fünf Prozent geklettert. Für Brandt hatte diese Entwicklung allerdings wenig mit den spezifischen Erfahrungen von 1923 zu tun, die aus seiner Sicht – „jedenfalls für die Älteren“ – den Begriffsinhalt einer Inflation bildeten. Womit die Bundesregierung unter Brandt zu kämpfen hatte, war ein internationales Phänomen steigender Preise. Auch Brandt ging von einem „doppelten Trauma“ wirtschaftshistorischer Erfahrungen aus. Das drückte sich darin aus, dass er es ablehnte, die Inflation durch „Rezession und Arbeitslosigkeit“ zu bekämpfen. Im selben Jahr prägte Brandts Finanzminister und spätere Kanzler Helmut Schmidt den Satz „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“.
In den 1980er Jahren hatten sich sowohl die historischen Erfahrungswerte mit Inflationen verändert als auch die individuellen Lebenserfahrungen der (West-)Deutschen. Bundeskanzler Helmut Kohl kam – anders als Brandt und Schmidt – lange nach der Hyperinflation auf die Welt. Das galt mit nur einer Ausnahme für sein gesamtes Kabinett. Von einem Inflationstrauma sprach Kohl im Bundestag nicht, schon gar nicht von einem persönlichen. Er machte aber deutlich, dass der von Brandt postulierte historische Erfahrungswert von Rezession und Arbeitslosigkeit der 1970er Jahre keine Gültigkeit mehr hätte: „In jedem Fall umfaßte die Hinterlassenschaft, die wir vorfanden, beides: Inflation und Arbeitslosigkeit. Demgegenüber haben wir mit dem Kampf gegen die Inflation ernst gemacht.“ Die „Stagflation“ der 1970er, eine Kombination aus Arbeitslosigkeit und Inflation, schaffte aus diesem Erfahrungswert heraus ein neues Verständnis für das Phänomen der Inflation, das auch für den Begriff des Inflationstraumas wegweisend war. In der Folge war es im politischen Diskurs eher möglich, das Trauma der Inflation unabhängig vom Trauma der Deflation zu problematisieren. So lässt sich anhand einer Analyse der Bundestagsreden zeigen, dass der zuvor finanzpolitisch offene Verweis auf den historischen Erfahrungswert der Inflation seit den 1970er Jahren eine Engführung im Sinne deutscher „Stabilitätskultur“ erfuhr.
Die Geschichtswissenschaft hat sich erst seit den 1980er Jahren wirklich intensiv mit der deutschen Inflation auseinandergesetzt. Teilweise fand die These eines kollektiven Inflationstraumas dabei besondere Beachtung. Sie schien in der Lage, sowohl die restriktiven Entscheidungen während der Großen Depression zu erklären als auch den Aufstieg Hitlers. Dessen NSDAP hatte die Verteufelung der Hyperinflation zu einem ihrer Markenkerne gemacht. Als Ursache von 1933 lässt sich die Hyperinflation aber kaum verstehen. Zugleich stand das Inflationstrauma in einem schwierigen Verhältnis zu der sich etablierenden Erkenntnis, dass die Inflation der Nachkriegszeit ökonomisch eher Vorteile als Nachteile gehabt hatte, zumindest bis zum Beginn der Hyperinflation im Sommer 1922. Die Hyperinflation von 1922/1923 erfuhr vor diesem Hintergrund eine isolierte Betrachtung als wirtschaftlich schädliches, besonders einprägsames und potenziell traumatisierendes Erlebnis. Die deutschen Sparerinnen und Sparer, deren Schicksal mit dem Begriff des Inflationstraumas bis heute unentrinnbar verknüpft ist, waren zu diesem Zeitpunkt allerdings längst enteignet.
Eine Krise von vielen
Eine langfristige Betrachtung des „Inflationstraumas“ zeigt, dass die These einer hundertjährigen Existenz ungenau ist. Die zahlreichen individuellen Erlebnisse der Ereignisse von 1923 sind keineswegs gleichbedeutend mit dem, was in der öffentlichen Debatte heute mit dem deutschen „Inflationstrauma“ bezeichnet werden soll. Das Inflationstrauma hat sich von einer niemals konkret bezeichneten und in seinen Auswirkungen unklaren Primärerfahrung der deutschen Bevölkerung zu einem feststehenden Begriff des kulturellen Gedächtnisses gewandelt. Doch auch das kulturelle Verständnis des Inflationstraumas hat sich im Zuge der Inflationserfahrungen der 1970er Jahre und mit zunehmender Distanz zur Großen Depression gewandelt. Unabhängig von seinem begrifflich erfolglosen Tandempartner des „Deflationstraumas“ konnte das Inflationstrauma zu einer glaubwürdigen Erklärung westdeutscher Stabilitätskultur herhalten. Je öfter es in diesem Sinne genutzt wurde, umso überzeugender schien es. Die Annahme einer hundertjährigen Existenz des Inflationstraumas suggeriert eine Kontinuität der Bedeutung dieses Begriffs, die angesichts der Veränderungen fraglich scheint.
Eine andere Frage ist, ob und in welcher Hinsicht der Begriff des Inflationstraumas angebracht ist. Wirft man einen Blick auf die Bundestagsdebatten der letzten Jahre, bezieht sich der Begriff des „Traumas“ im Eifer der parlamentarischen Auseinandersetzung auf alles Mögliche, ob Stuttgart 21, die Wahlerfolge der FDP oder das Abstimmungsverhalten der Linken. In der schriftlichen Begründung von parlamentarischen Anträgen bezieht sich der aus der Medizin stammende Begriff des Traumas dagegen fast ausschließlich auf mental geschädigte Soldatinnen, Soldaten und Geflüchtete, die aufgrund ihrer Erlebnisse staatliche Unterstützung benötigen. Dieser Kontext von Krieg und Flucht, der auch im politischen Diskurs der 1920er Jahre eine zentrale Rolle spielte, macht deutlich, dass die deutsche Geschichte von einer Vielzahl traumatisierender Erlebnisse durchzogen ist. In diesem historischen Kontext war die deutsche Hyperinflation nur eine Krise von vielen, und bei weitem nicht die schlimmste. Anders ausgedrückt: Wer zwischen 1914 und 1923 sowohl sein Kind als auch sein Geld auf dem Konto verlor, hatte allen Grund, traumatisiert zu sein. Es wäre aber grob verkürzend, darin ein „Inflationstrauma“ zu sehen. Dass die Sehnsucht nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität in Deutschland eng verknüpft sind mit dem Begriff des Inflationstraumas, hat ohne Frage historische Gründe. Diese liegen aber weniger in den Ereignissen von 1923 als in der spezifischen historischen Entwicklung des kulturellen Gedächtnisses.