In der Pick-Up-Artist-Szene lernen Männer nicht nur, wie sie Frauen verführen können. Die Hyper-Männlichkeits-Community ist längst auch zur Brutstätte rechtsnationaler Weltanschauungen geworden.

  • Franziska Schutzbach

    Franziska Schutzbach hat Soziologie, Me­dien­­wissen­schaften und Ge­schlech­ter­forschung an der Uni­versität Basel studiert. Sie lehrt und forscht am Zentrum Gender Studies der Uni Basel.

Vor zwei Jahren rief der US-amerikanische Anti­fe­mi­nist, Männer­rechts­ak­ti­vist und Pick-Up-Artist Roosh V. (mit rich­tigem Namen Daryush Valiz­adeh) seine Anhänger dazu auf, sich unter dem Motto „Return of The King“ in 165 Städten in 43 Ländern der Welt zu treffen. Der Auftrag lautete, sich zu lokalen „neomas­ku­linen Stämmen“ zusam­men­zu­schliessen und die einge­lernten Frauen-Verführungstechniken in der wirk­li­chen Welt zu testen.

Auch in der Schweiz (Basel) war ein Treffen geplant. Auch hier sollten sich ‚echte Kerle‘ zusam­mentun und Frauen flach legen. Das ist nämlich, was Pick-Up-Artists (PUAs) tun: Sie lernen, echte Kerle zu werden und Frauen ins Bett zu kriegen. Oft auch mit Methoden, die sexua­li­sierte Gewalt legi­ti­mieren. PUAs redu­zieren Frauen in dras­ti­scher Weise auf Sexob­jekte, sie wollen eine Welt, in der endlich wieder klar ist, wer die Hosen an hat. Eine Welt, in der Frauen Männern zur Verfü­gung stehen. Roosh V. und viele andere bieten Work­shops an und schreiben Hand­bü­cher, in denen die ‚Kunst‘ der Verfüh­rung gelehrt wird, oder Reise­führer, in denen länder­spe­zi­fisch erklärt wird, wie man das ‚Nein‘ einer Frau über­windet. Die ‚Philo­so­phie‘ von Roosh V. lautet: Ein Mann hat jeder­zeit Anspruch auf Sex. 

Der Pick-up-Trend ist als klas­si­sche Selbsthilfe-Subkultur entstanden, in denen verun­si­cherte Männer sich mehr Selbst­be­wusst­sein aneignen wollten, um ihren Erfolg bei Frauen zu stei­gern. Das Modell entwi­ckelte sich zunächst in den USA zum Riesen­ge­schäft und produ­zierte eine Heer­schar von Gurus. Zentrales Stecken­pferd war von Beginn an die Beto­nung evolu­ti­ons­bio­lo­gi­scher Unter­schiede zwischen den Geschlech­tern und dabei die Idea­li­sie­rung stereo­typer Männ­lich­keits­bilder wie Stärke und Über­le­gen­heit. Darauf basie­rend entwi­ckelte die Szene bald eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Stoss­rich­tung, verfasst wurden – nun auch im deutsch­spra­chigen Raum – Bücher wie „Lob des Sexismus“. Frauen und insbe­son­dere Femi­nis­tinnen wurden beschul­digt, Männer zu entmänn­li­chen, zu mani­pu­lieren und klein­zu­halten. Entspre­chend feierte auch die männer­recht­le­ri­sche Blog­sphäre PUAs als Revo­lu­tion gegen den Feminismus.

Screen von Angela Washkos Video­spiel „The Game: The Game (with music by Xiu Xiu)’ (2016, Ren’Py Appli­ca­tion). Washko ist Künst­lerin und hat sich in ihrer Arbeit mit den Prak­tiken von Pick-up-Artists beschäf­tigt. Quelle: wnymedia.net

PUAs gibt es mitt­ler­weile auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz. Sie sind virtuell unter­wegs, in unzäh­ligen Blogs, Webseiten und Foren. Sie treffen sich aber auch analog zu Work­shops und zum gemein­samen Aufreissen in Clubs. Die PUA-Szene ist ein Sammel­be­cken für Männer, die von ihren Freun­dinnen betrogen wurden oder von ihrem Schwarm eine Abfuhr erhielten. Oder einfach Männer, die sich aufgrund ihrer Miss­erfolge bei Frauen gede­mü­tigt fühlen. PUAs bezeichnen ihre früheren Ichs als „Average Frus­trated Chumps“, als Männer, die sich frus­tiert, machtlos und unmänn­lich fühlen. Und die als PUAs ihre (vermeint­liche) ursprüng­liche Über­le­gen­heit zurück­ge­wonnen haben. Die PUA-Anführer – meist ältere Männer, die mit Erfah­rungs­be­richten über zahl­reiche Erobe­rungen prahlen – verspre­chen, Männern zu sexu­ellem „Ruhm“ zu verhelfen.

Ich kann euch alle haben

Obwohl die PUA-Bewegung schon länger exis­tiert, erhielt sie erst 2005 mit dem Erscheinen von Neil Strauss’ Best­seller The Game: Pene­t­ra­ting the Secret Society of Pickup Artists mediale Aufmerk­sam­keit. Einzelne PUA-Gurus wurden seither immer wieder kontro­vers disku­tiert, zum Beispiel Roosh V. oder der gebür­tige Schweizer Julien Blanc, der welt­weit Boot Camps anbietet und dem in Gross­bri­tan­nien die Einreise verwei­gert wurde, weil in seinen Semi­naren sexua­li­sierte Gewalt legi­ti­miert wird.

Natür­lich ist die PUA-Szene divers, einige distan­zieren sich klar von Gewalt. Aller­dings enthalten auch die Klas­siker, auf die sich weniger extreme PUAs berufen, sexis­ti­sche Voran­nahmen. Etwa The Mystery Method: How to Get Beau­tiful Women Into Bed von Erik von Markovic (alias Mystery), Lob des Sexismus (Lodo­vico Santana) oder Ich kann euch alle haben (Matthias Pöhm). Diese Bücher beschreiben Verfüh­rung als evolu­ti­ons­bio­lo­gisch begrün­detes ‚Game‘ mit bestimmten Regeln. Wer sich an sie hält, kriegt jede Frau ins Bett. Laut Mystery ist das wich­tigste Ziel des Menschen Repro­duk­tion und die Weiter­gabe des Erbgutes. Als scheinbar wissen­schaft­lich unter­mauert gilt deshalb: Sobald eine Frau einen Mann attraktiv findet, will sie auch mit ihm schlafen und sich repro­du­zieren. Entschei­dend für Männer ist, nach aussen ein opti­males Erbgut zu verkör­pern, konkret heisst das, sich eine Alpha-Männlichkeit anzu­eignen. Diese ist nicht gene­tisch vorge­geben, sondern perfor­mativ, Männer können sich Alpha-Männlichkeit durch Selbstbewusstseins-Training, Selb­staf­fir­ma­tion und frau­en­ob­jek­ti­vie­rendes Gedan­kengut angeignen. Auch bestimmte Körper­hal­tungen, Gestik, Gangart und Stimm­lage vermit­teln eine Illu­sion von Macht, Erfolg und Dominanz.

„It doesn’t count as sex“, Screen von Angela Washkos „The Game“, Quelle: angelawashko.com

Santana zufolge sind Männer rational, während sich weib­li­ches Erleben und Verhalten in Emotionen abspiele, irra­tional und deshalb ohne eigene Vorstel­lung sei. Es gilt: Frauen sind trai­nierbar, „eine Frau will, was du willst. Nimm die Zügel in die Hand. Führe sie domi­nant ins Vergnügen“ (Santana). Oder wie Pöhm es formu­liert: „Frauen wollen jemand, der führt, der weiss, wo es lang geht“. Wider­stand seitens einer Frau wird als evolu­tio­näres Verhalten gedeutet, gemäss dem die Frau eigent­lich Sex will, es aber nicht so wirken soll. Die Frau wolle verhin­dern, dass sie als ‚Schlampe‘ wahr­ge­nommen werde. Anders gesagt: die Frau sagt zwar „Nein“, meint aber „Ja“. Mystery schlägt vor, Wider­stände zu igno­rieren: „If you’re undres­sing her and she says, ‚we should stop‘, just agree… and then keep going. ‚I know baby,‘ you reply as you continue.“

Einstiegs­droge für rechts­na­tio­nale Weltanschauungen

Es ist zu einfach, PUAs zu belä­cheln. Viele ihrer Vorstel­lungen entspre­chen exakt dem, was sozio­lo­gisch als Rape Culture beschrieben wird, nämlich jene fort­be­stehende impli­zite oder expli­zite gesell­schaft­liche Grund­an­nahme, dass Frauen (geistig) unter­legen sind und von Männern erobert und ange­eignet werden wollen und sollen. Auch mündet die prokla­mierte Alpha-Männlichkeit zuweilen in Gewalt­ex­zesse: Elliot Rodger tötete 2014 in Kali­for­nien sechs Menschen. Rodger war zuvor in PUA-Foren und auf masku­lis­ti­schen Webseiten aktiv. In seinem Mani­fest bezeichnet er sich als „the true alpha male“ und erklärt, er wolle Frauen töten, da sie ihm den Sex verwei­gerten, der ihm eigent­lich zustehe.

Gegen die inter­na­tio­nalen PUA-Treffen im November 2015 gab es breite Proteste, so dass Roosh V. die Meetings absagte. Auch in Basel versam­melten sich Frauen, um zu protes­tieren. Man sagte ihnen: Beachtet diese Idioten doch nicht! Seit Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, wird aller­dings zuneh­mend deut­lich: Diese ‚Idioten‘ spielen eine nicht zu unter­schät­zende Rolle bei der rechts­na­tio­nalen Radi­ka­li­sie­rung junger Männer. Es gibt sowohl inhalt­lich als auch auf der Ebene der Akteure zahl­reiche Über­schnei­dungen zwischen den PUAs und der neuen Rechten. Das Phan­tasma von einer Wieder­an­eig­nung domi­nanter Männ­lich­keit wirkt bei vielen Männern wie eine Einstiegs­droge für rechts­na­tio­nale Weltanschauungen.

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Vom Feind­bild eines angeb­lich gras­sie­renden ‚Femi­nismus‘, der Männer klein halte, ist es ein kleiner Schritt zu der Vorstel­lung, die Verweich­li­chung des west­li­chen Mannes führe zur Schwä­chung natio­naler Souve­rä­nität und zur baldigen Macht­über­nahme durch Muslime. Der norwe­gi­sche Atten­täter Anders Breivik argu­men­tierte in seinem Mani­fest genau so, und Roosh V. antwor­tete auf die Anfrage von 20 Minuten zum geplanten Pick-Up-Treffen in Basel: „Habt ihr in der Schweiz das Problem mit der musli­mi­schen Inva­sion schon gelöst?“

„Several man are blocking your view“, Screen von Angela Washkos „The Game“. Quelle: angelawashko.com

Die PUA-Community ist mehr als eine Selbst­hil­fe­gruppe mit frag­wür­digen Methoden. Die Über­schnei­dung der US-PUA-Szene mit der neuen Rechten zeigt sich zum Beispiel im Internet-Forum The Red Pill. Das Forum ist ein Zusam­men­schluss von verschie­denen anti­fe­mi­nis­ti­schen Männerrechts-Gruppierungen, die dezi­diert rechts­na­tio­na­lis­ti­sches bis rechts­extremes Gedan­kengut vertreten und mit neu-rechten Grup­pie­rungen wie Alt Right inter­agieren. Zwar sind PUAs nicht auto­ma­tisch Rechts­na­tio­na­listen, viele Akti­visten bei The Red Pill sind jedoch auch PUAs, oder sie haben als solche ange­fangen. Zahl­reiche Alt-Right-Aktivisten – auch einige der Fackel­träger in Char­lot­tes­ville – waren oder sind als PUAs unter­wegs und/oder haben eine inten­sive Phase im Männer­rechts­ak­ti­vismus durch­laufen. Die Jour­na­listin Jennifer Swann hat die Entwick­lung vom PUA zum Alt Right-Aktivisten und Trump-Unterstützer aufge­zeigt und die Bewun­de­rung in der Pick Up-Szene für den Alpha-Mann Trump beschrieben. Gemäss der Autorin Siyanda Mohut­siwa hat der US-amerikanische Männer­rechts­ak­ti­vismus eine zentrale Rolle dabei gespielt, Donald Trump zu einem akzep­ta­blen Präsi­dent­schafts­kan­di­daten zu machen.

PUAs haben nicht als natio­na­lis­ti­sches Projekt begonnen, aber sie wurden zu einem. Viele PUAs radi­ka­li­sierten sich via Anti­fe­mi­nismus und Männerrechts-Aktivismus zu Alt Right und machen heute Stim­mung gegen Geflüch­tete. Wer die Haltung hat, Männer seien die eigent­li­chen Opfer der Eman­zi­pa­tion, gelangt leicht zu der Über­zeu­gung, Weisse bezie­hungs­weise Euro­päer seien die eigent­li­chen Opfer von Rassismus oder von ‚Flücht­lings­fluten‘. Auch im deutsch­spra­chigen Raum ist das rechts­na­tio­nale Gedan­kengut des anti­fe­mi­nis­ti­schen Männer­rechts­ak­ti­vismus in verschie­denen Studien deut­lich heraus­ge­stellt worden (vgl. Andreas Kemper, (R)echte Kerle. Zur Kumpanei der Männer­rechts­be­we­gung). Zwar sind die Über­schnei­dungen zwischen PUAs, Männer­rechts­ak­ti­vismus und Rechts­po­pu­lismus subtiler als in den USA, weil die PUA-Foren strenger mode­riert werden. Offen rassis­tisch ist die deutsch­spra­chige PUA-Szene nicht, eine Brut­stätte für rechtes Gedan­kengut aber schon: Aufschluss­reich sind hier die zahl­rei­chen deut­schen, schweizer oder öster­rei­chi­schen PUAs, die sich in aggres­siven maskulistisch-rechten Foren wie 8chan und 4chan oder auf Seiten wie Wiki­mannia austoben.

Pick-Up-Artists und anti­fe­mi­nis­ti­scher Männer­rechts­ak­ti­vismus sind eine bislang zu wenig beach­tete Trieb­kraft neu-rechter Bewe­gungen. Lag der Fokus von Analysen zur neuen Rechten bisher vor allem auf Rassismus und Migra­ti­ons­feind­lich­keit, wird jetzt zuneh­mend deut­lich, dass Anti­fe­mi­nismus, Frau­en­ver­ach­tung und masku­lis­ti­sche Ideo­lo­gien eben­falls zentral, ja häufig der Ausgang für rechts­na­tio­nale Radi­ka­li­sie­rung sind.