Vor zwei Jahren rief der US-amerikanische Antifeminist, Männerrechtsaktivist und Pick-Up-Artist Roosh V. (mit richtigem Namen Daryush Valizadeh) seine Anhänger dazu auf, sich unter dem Motto „Return of The King“ in 165 Städten in 43 Ländern der Welt zu treffen. Der Auftrag lautete, sich zu lokalen „neomaskulinen Stämmen“ zusammenzuschliessen und die eingelernten Frauen-Verführungstechniken in der wirklichen Welt zu testen.
Auch in der Schweiz (Basel) war ein Treffen geplant. Auch hier sollten sich ‚echte Kerle‘ zusammentun und Frauen flach legen. Das ist nämlich, was Pick-Up-Artists (PUAs) tun: Sie lernen, echte Kerle zu werden und Frauen ins Bett zu kriegen. Oft auch mit Methoden, die sexualisierte Gewalt legitimieren. PUAs reduzieren Frauen in drastischer Weise auf Sexobjekte, sie wollen eine Welt, in der endlich wieder klar ist, wer die Hosen an hat. Eine Welt, in der Frauen Männern zur Verfügung stehen. Roosh V. und viele andere bieten Workshops an und schreiben Handbücher, in denen die ‚Kunst‘ der Verführung gelehrt wird, oder Reiseführer, in denen länderspezifisch erklärt wird, wie man das ‚Nein‘ einer Frau überwindet. Die ‚Philosophie‘ von Roosh V. lautet: Ein Mann hat jederzeit Anspruch auf Sex.
Der Pick-up-Trend ist als klassische Selbsthilfe-Subkultur entstanden, in denen verunsicherte Männer sich mehr Selbstbewusstsein aneignen wollten, um ihren Erfolg bei Frauen zu steigern. Das Modell entwickelte sich zunächst in den USA zum Riesengeschäft und produzierte eine Heerschar von Gurus. Zentrales Steckenpferd war von Beginn an die Betonung evolutionsbiologischer Unterschiede zwischen den Geschlechtern und dabei die Idealisierung stereotyper Männlichkeitsbilder wie Stärke und Überlegenheit. Darauf basierend entwickelte die Szene bald eine antifeministische Stossrichtung, verfasst wurden – nun auch im deutschsprachigen Raum – Bücher wie „Lob des Sexismus“. Frauen und insbesondere Feministinnen wurden beschuldigt, Männer zu entmännlichen, zu manipulieren und kleinzuhalten. Entsprechend feierte auch die männerrechtlerische Blogsphäre PUAs als Revolution gegen den Feminismus.

Screen von Angela Washkos Videospiel „The Game: The Game (with music by Xiu Xiu)’ (2016, Ren’Py Application). Washko ist Künstlerin und hat sich in ihrer Arbeit mit den Praktiken von Pick-up-Artists beschäftigt. Quelle: wnymedia.net
PUAs gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt. Auch in der Schweiz. Sie sind virtuell unterwegs, in unzähligen Blogs, Webseiten und Foren. Sie treffen sich aber auch analog zu Workshops und zum gemeinsamen Aufreissen in Clubs. Die PUA-Szene ist ein Sammelbecken für Männer, die von ihren Freundinnen betrogen wurden oder von ihrem Schwarm eine Abfuhr erhielten. Oder einfach Männer, die sich aufgrund ihrer Misserfolge bei Frauen gedemütigt fühlen. PUAs bezeichnen ihre früheren Ichs als „Average Frustrated Chumps“, als Männer, die sich frustiert, machtlos und unmännlich fühlen. Und die als PUAs ihre (vermeintliche) ursprüngliche Überlegenheit zurückgewonnen haben. Die PUA-Anführer – meist ältere Männer, die mit Erfahrungsberichten über zahlreiche Eroberungen prahlen – versprechen, Männern zu sexuellem „Ruhm“ zu verhelfen.
Ich kann euch alle haben
Obwohl die PUA-Bewegung schon länger existiert, erhielt sie erst 2005 mit dem Erscheinen von Neil Strauss’ Bestseller The Game: Penetrating the Secret Society of Pickup Artists mediale Aufmerksamkeit. Einzelne PUA-Gurus wurden seither immer wieder kontrovers diskutiert, zum Beispiel Roosh V. oder der gebürtige Schweizer Julien Blanc, der weltweit Boot Camps anbietet und dem in Grossbritannien die Einreise verweigert wurde, weil in seinen Seminaren sexualisierte Gewalt legitimiert wird.
Natürlich ist die PUA-Szene divers, einige distanzieren sich klar von Gewalt. Allerdings enthalten auch die Klassiker, auf die sich weniger extreme PUAs berufen, sexistische Vorannahmen. Etwa The Mystery Method: How to Get Beautiful Women Into Bed von Erik von Markovic (alias Mystery), Lob des Sexismus (Lodovico Santana) oder Ich kann euch alle haben (Matthias Pöhm). Diese Bücher beschreiben Verführung als evolutionsbiologisch begründetes ‚Game‘ mit bestimmten Regeln. Wer sich an sie hält, kriegt jede Frau ins Bett. Laut Mystery ist das wichtigste Ziel des Menschen Reproduktion und die Weitergabe des Erbgutes. Als scheinbar wissenschaftlich untermauert gilt deshalb: Sobald eine Frau einen Mann attraktiv findet, will sie auch mit ihm schlafen und sich reproduzieren. Entscheidend für Männer ist, nach aussen ein optimales Erbgut zu verkörpern, konkret heisst das, sich eine Alpha-Männlichkeit anzueignen. Diese ist nicht genetisch vorgegeben, sondern performativ, Männer können sich Alpha-Männlichkeit durch Selbstbewusstseins-Training, Selbstaffirmation und frauenobjektivierendes Gedankengut angeignen. Auch bestimmte Körperhaltungen, Gestik, Gangart und Stimmlage vermitteln eine Illusion von Macht, Erfolg und Dominanz.

„It doesn’t count as sex“, Screen von Angela Washkos „The Game“, Quelle: angelawashko.com
Santana zufolge sind Männer rational, während sich weibliches Erleben und Verhalten in Emotionen abspiele, irrational und deshalb ohne eigene Vorstellung sei. Es gilt: Frauen sind trainierbar, „eine Frau will, was du willst. Nimm die Zügel in die Hand. Führe sie dominant ins Vergnügen“ (Santana). Oder wie Pöhm es formuliert: „Frauen wollen jemand, der führt, der weiss, wo es lang geht“. Widerstand seitens einer Frau wird als evolutionäres Verhalten gedeutet, gemäss dem die Frau eigentlich Sex will, es aber nicht so wirken soll. Die Frau wolle verhindern, dass sie als ‚Schlampe‘ wahrgenommen werde. Anders gesagt: die Frau sagt zwar „Nein“, meint aber „Ja“. Mystery schlägt vor, Widerstände zu ignorieren: „If you’re undressing her and she says, ‚we should stop‘, just agree… and then keep going. ‚I know baby,‘ you reply as you continue.“
Einstiegsdroge für rechtsnationale Weltanschauungen
Es ist zu einfach, PUAs zu belächeln. Viele ihrer Vorstellungen entsprechen exakt dem, was soziologisch als Rape Culture beschrieben wird, nämlich jene fortbestehende implizite oder explizite gesellschaftliche Grundannahme, dass Frauen (geistig) unterlegen sind und von Männern erobert und angeeignet werden wollen und sollen. Auch mündet die proklamierte Alpha-Männlichkeit zuweilen in Gewaltexzesse: Elliot Rodger tötete 2014 in Kalifornien sechs Menschen. Rodger war zuvor in PUA-Foren und auf maskulistischen Webseiten aktiv. In seinem Manifest bezeichnet er sich als „the true alpha male“ und erklärt, er wolle Frauen töten, da sie ihm den Sex verweigerten, der ihm eigentlich zustehe.
Gegen die internationalen PUA-Treffen im November 2015 gab es breite Proteste, so dass Roosh V. die Meetings absagte. Auch in Basel versammelten sich Frauen, um zu protestieren. Man sagte ihnen: Beachtet diese Idioten doch nicht! Seit Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, wird allerdings zunehmend deutlich: Diese ‚Idioten‘ spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der rechtsnationalen Radikalisierung junger Männer. Es gibt sowohl inhaltlich als auch auf der Ebene der Akteure zahlreiche Überschneidungen zwischen den PUAs und der neuen Rechten. Das Phantasma von einer Wiederaneignung dominanter Männlichkeit wirkt bei vielen Männern wie eine Einstiegsdroge für rechtsnationale Weltanschauungen.
Vom Feindbild eines angeblich grassierenden ‚Feminismus‘, der Männer klein halte, ist es ein kleiner Schritt zu der Vorstellung, die Verweichlichung des westlichen Mannes führe zur Schwächung nationaler Souveränität und zur baldigen Machtübernahme durch Muslime. Der norwegische Attentäter Anders Breivik argumentierte in seinem Manifest genau so, und Roosh V. antwortete auf die Anfrage von 20 Minuten zum geplanten Pick-Up-Treffen in Basel: „Habt ihr in der Schweiz das Problem mit der muslimischen Invasion schon gelöst?“

„Several man are blocking your view“, Screen von Angela Washkos „The Game“. Quelle: angelawashko.com
Die PUA-Community ist mehr als eine Selbsthilfegruppe mit fragwürdigen Methoden. Die Überschneidung der US-PUA-Szene mit der neuen Rechten zeigt sich zum Beispiel im Internet-Forum The Red Pill. Das Forum ist ein Zusammenschluss von verschiedenen antifeministischen Männerrechts-Gruppierungen, die dezidiert rechtsnationalistisches bis rechtsextremes Gedankengut vertreten und mit neu-rechten Gruppierungen wie Alt Right interagieren. Zwar sind PUAs nicht automatisch Rechtsnationalisten, viele Aktivisten bei The Red Pill sind jedoch auch PUAs, oder sie haben als solche angefangen. Zahlreiche Alt-Right-Aktivisten – auch einige der Fackelträger in Charlottesville – waren oder sind als PUAs unterwegs und/oder haben eine intensive Phase im Männerrechtsaktivismus durchlaufen. Die Journalistin Jennifer Swann hat die Entwicklung vom PUA zum Alt Right-Aktivisten und Trump-Unterstützer aufgezeigt und die Bewunderung in der Pick Up-Szene für den Alpha-Mann Trump beschrieben. Gemäss der Autorin Siyanda Mohutsiwa hat der US-amerikanische Männerrechtsaktivismus eine zentrale Rolle dabei gespielt, Donald Trump zu einem akzeptablen Präsidentschaftskandidaten zu machen.
PUAs haben nicht als nationalistisches Projekt begonnen, aber sie wurden zu einem. Viele PUAs radikalisierten sich via Antifeminismus und Männerrechts-Aktivismus zu Alt Right und machen heute Stimmung gegen Geflüchtete. Wer die Haltung hat, Männer seien die eigentlichen Opfer der Emanzipation, gelangt leicht zu der Überzeugung, Weisse beziehungsweise Europäer seien die eigentlichen Opfer von Rassismus oder von ‚Flüchtlingsfluten‘. Auch im deutschsprachigen Raum ist das rechtsnationale Gedankengut des antifeministischen Männerrechtsaktivismus in verschiedenen Studien deutlich herausgestellt worden (vgl. Andreas Kemper, (R)echte Kerle. Zur Kumpanei der Männerrechtsbewegung). Zwar sind die Überschneidungen zwischen PUAs, Männerrechtsaktivismus und Rechtspopulismus subtiler als in den USA, weil die PUA-Foren strenger moderiert werden. Offen rassistisch ist die deutschsprachige PUA-Szene nicht, eine Brutstätte für rechtes Gedankengut aber schon: Aufschlussreich sind hier die zahlreichen deutschen, schweizer oder österreichischen PUAs, die sich in aggressiven maskulistisch-rechten Foren wie 8chan und 4chan oder auf Seiten wie Wikimannia austoben.
Pick-Up-Artists und antifeministischer Männerrechtsaktivismus sind eine bislang zu wenig beachtete Triebkraft neu-rechter Bewegungen. Lag der Fokus von Analysen zur neuen Rechten bisher vor allem auf Rassismus und Migrationsfeindlichkeit, wird jetzt zunehmend deutlich, dass Antifeminismus, Frauenverachtung und maskulistische Ideologien ebenfalls zentral, ja häufig der Ausgang für rechtsnationale Radikalisierung sind.