Institutionen und Stiftungen, die Forschung fördern, vergeben nicht nur finanzielle Mittel für qualitativ herausragende Projekte, sondern sie greifen immer stärker in die Forschung und die Biografien der Forschenden selbst ein. Dabei sitzen sie einem folgenreichen Irrtum auf, denn sie drehen mit ihrer Politik zunehmend den Lauf der Dinge um. Fragt man ForscherInnen, was zuerst da war, die Idee oder das Format, werden sie in der Regel antworten: die Idee. Das Format aus der Idee heraus zu entwickeln, wäre dann der nächste Schritt. Beim SNF – oder in vergleichbaren deutschen und europäischen Förderinstitutionen – ist es anders: Hier kommt zuerst das Format. Gemeint ist damit ein Gefäss, das Voraussetzungen für die Bewerbung festgelegt. Die Forschung selbst und auch die Forscher müssen in das vorgefertigte Format hineinpassen. Tun sie das nicht, können sie ihre Anträge gar nicht erst stellen. Aber was bedeutet das für die Forschung und für die ForscherInnen? Welches Ziel wird mit der Forderung nach Anpassung an das Format verfolgt?
Formatierung der Forscher
Besonders auffällig ist seit einigen Jahren die immer deutlichere „Formatierung“ der ForscherInnen, besonders wenn es um den wissenschaftlichen Nachwuchs geht. Es soll nicht nur potentielle Forschung gefördert, sondern es soll eine bestimmte Vorstellung von Karriere durchgesetzt werden. Im aktuellen Programm des SNF findet sich für geisteswissenschaftliche Doktorierende das Format, „Doc.CH“, für das diese sich eigenständig mit einem Forschungsprojekt bewerben können. Dieses Format gibt es erst seit 2013, und es hat die Doktorandenausbildung in der Schweiz eindeutig verbessert. Denn Doktoratsprogramme an Universitäten werden seit Jahren nur strukturell gefördert, d.h. es werden z.B. Gelder für Lehraufträge, Workshops und die Einladung von Gästen bereitgestellt, kaum aber für Stipendien. „Doc.CH“ hat da Abhilfe geschaffen, aber zugleich ein paar Hürden aufgestellt.
Hürde 1: Gesuche kann man nur bis zwei Jahre nach dem Diplom einreichen.
Hürde 2: Zwischen Bachelor und Doktoratsbeginn muss man die Hochschule gewechselt haben, hat man dies nicht, muss man während der Förderung ein Semester ins Ausland gehen.
Hürde 3: Die Förderung erfolgt nur innerhalb einer Frist von maximal vier Jahren ab Immatrikulation – offensichtlich sucht man den schnellen und mobilen Doktoranden.

„Parcour“, Quelle: www.menshealth.de
Über die Qualität des Forschungsprojektes und die Qualifikation der Bewerber sagen diese drei Voraussetzungen nichts aus. Und sie regulieren an der Realität vorbei. Denn die meisten Studierenden sind anders mobil, sie wechseln vielleicht nicht unbedingt die Hochschule, aber sie gehen während ihres Studiums ins Ausland, viele machen dies auf privater Basis, weil die Förderstrukturen für Auslandsaufenthalte in der Schweiz – es gibt keinen Akademischen Auslandsdienst wie zum Beispiel den DAAD in Deutschland – denkbar schlecht sind. Und auch für die ProfessorInnen ist die geforderte Mobilität kein Vorteil: Will ich als Professorin einen potentiellen Doktoranden, der bei mir sein gesamtes Studium absolviert hat, zu einem Doktorat und einer Bewerbung bei „Doc.CH“ raten, muss ich ihm gleichzeitig einen Hochschulwechsel nahelegen. Aber ist der Wechsel in jedem Fall sinnvoll? Dient er der Forschung? Denn bei kleinen, spezialisierten Fächern gibt es an anderen Schweizer Hochschulen oft keine entsprechenden Programme, zudem ist Forschung spezialisiert und nicht unbedingt von einem Betreuer auf den anderen übertragbar. Kurzum: Normalerweise wechselt man den Betreuer wegen der fachlichen Nähe und nicht wegen eines Förderformates!
Besonders realitätsfern ist jedoch die neue, dritte Hürde. Sie führt zu einer massiven Verschlechterung der Bedingungen für potentielle DoktorandInnen und auch für die Universitäten selbst. Doktoranden werden sich nun erst an Universitäten immatrikulieren, wenn sie einen Förderbescheid haben, die Zeit davor, die lange Antragsphase, wird immer mehr zum privaten Risiko und nicht zu einem von der Universität zu begleitenden Prozess. Und auch hier gilt: Die Qualität der Anträge wird durch diese Regel nicht besser!
Warten und wechseln
Insgesamt scheint Wechseln und Warten, Warten und Wechseln die Devise zu sein. Ist man erstmal promoviert, gibt es neue Formate. Bei der so genannten „Projektförderung“, dem offensten Format, müssen junge Forscher aber nach der Dissertation erst einmal drei Jahre, ab 2017 dann sogar 4 Jahre warten, bis sie ein Projekt einreichen können. Wer für sich und das eigene Projekt eine Finanzierung sucht, muss entweder zusammen mit einem Professor ein Projekt beantragen oder es mit „Ambizione“ versuchen, aber nur, wenn die Dissertation nicht länger als vier Jahre zurückliegt und man in diesen vier Jahren für zwölf Monate an einer anderen Hochschule als am Ort der Dissertation geforscht hat… Auslandsaufenthalte während der Promotion gelten nicht, auch der vom SNF selbst geforderte Hochschulwechsel vor der Promotion wird nicht eingerechnet. Aber was mag der Grund dafür sein, Post-Docs nochmals von einer Hochschule zur anderen zu schicken? Die Frage ist besonders deshalb relevant, da viele Promovierende und Postdocs junge Eltern sind. Ist die Hürde eine in Kauf genommene Benachteiligung für junge Eltern in der wissenschaftlichen Karriere? Verbessert sie die Forschung?

„Parcour“, Quelle: www.womenshealth.de
Aber auch für diejenigen, die ins Ausland gehen wollen, gibt es Einschränkungen. Will man sich für ein „Early Postdoc.Mobility“ oder ein „Advanced Postdoc.Mobility“ bewerben, um zum Beispiel Feldforschung zu betreiben, in Archive zu gehen oder einfach zu Spezialisten auf dem Gebiet der eigenen Forschung, darf man weder in das „Herkunftsland“ noch in das Land, in dem die Ausbildung („Ausbildungsort“) stattgefunden hat. Warum soll ein in Russland geborener Slavist mit Schweizer Hochschulabschluss sich nicht für einen Auslandsaufenthalt in Moskau bewerben dürfen? Mit anderen Worten: Bei all diesen Hürden sieht man ganz deutlich, worum es geht – nicht um die Qualität der Forschungsprojekte, sondern um eine bestimmte Auffassung von „Karriere“. Dieses Konzept von Karriere verhindert im schlimmsten Fall sogar gute Forschung (und somit letztlich auch wieder Karrieren).
Formatierung der Forschung
Professorinnen und Professoren haben es da in der Regel leichter. Allerdings wird auch bei ihrer Forschung zunehmend reguliert. Beim Aufstellen der Hürden konzentriert man sich meistens auf die Formen der Zusammenarbeit, auf die Grösse, neuerdings auf die Anzahl der Projekte sowie auf den Output. Will man zum Beispiel mit anderen Kollegen gemeinsam forschen, kann man nicht einfach mit fünf Spezialisten, die sich an ganz unterschiedlichen Universitäten befinden, eine Forschergruppe bilden, sondern muss entweder ganz gross denken oder interdisziplinär und zudem meist regional beschränkt. Um das Grossformat zu bedienen, einen Nationalen Forschungsschwerpunkt, muss man häufig Kollegen dazu zwingen, ein fremdes und ein strategisch kluges Forschungsprojekt zu bearbeiten. Das ist in den Geisteswissenschaften – zugespitzt formuliert – eigentlich nur für diejenigen interessant, die entweder keine eigenen Ideen haben (die Mitmacher) oder für jene, die ihre eigene Idee so wenig lieben, dass sie sie einer qualitativ heterogenen Gruppe opfern (die Alphatiere). Dass solche Grossprojekte in den Geisteswissenschaften eher kontraproduktiv sind, wurde schon vielfach diskutiert, z.B. bei der deutschen Exzellenzinitiative, die auch nur Grossformate kennt, die Graduiertenschulen und die Exzellenzcluster. Genützt hat diese kritische Debatte bisher leider nicht. Die Förderinstitutionen beschreiten munter weiter den Weg des Grossformats.

„Parkour“, Quelle: liveinternet.ru
Denkt man kleiner, kann man beim SNF ein Projekt im Format „Synergia“ platzieren, das aber nur, wenn man über die Disziplinengrenzen hinaus forscht und dann auch noch „Breakthrough research“ mit „high-risk“ und „high-reward“ macht. Oder man beantragt ein Projekt im Format „Projektförderung“, dies geht ab 2017 aber nur, wenn man in diesem Format nicht bereits gefördert wird. Will man dann ein Buch veröffentlichen, bekommt man nur eine Publikationsförderung, wenn man das Buch als E-Book und open access herausbringt. Die Liste ließe sich fortsetzen….
Qualität als einziges Kriterium!
Wer so denkt bzw. Wissenschaft so konzipiert, setzt erstens voraus, dass Formate nicht intrinsisch mit dem Forschungsgegenstand verbunden sind, und zweitens, dass es andere Kriterien als die der Qualität von Forschung für die Förderung gibt. Beides ist nicht nur falsch, sondern führt langfristig zu einer folgenreichen Entkopplung von Gegenstand und Format sowie für die (oft jungen) Forschenden zu einer Lebensplanung, die sich an Formate anschmiegt.
Es bleibt zu fragen, warum Förderinstitutionen diesen Weg seit Jahren beschreiten. Sie haben weder einen erzieherischen noch einen schöpferischen Auftrag. Sie selbst geben darüber kaum Auskunft, und so lässt sich nur beobachten, was durch und mit den Formaten im Wissenschaftsbetrieb faktisch passiert. Zwei offensichtliche Folgen seien hier genannt: Zum einen regulieren Formate Antragsströme, bevor es überhaupt zu einer qualitativen Beurteilung kommen kann. Vermutlich sorgen sie so, trotz ansteigender Forschungsanträge, für gleichbleibende Förderquoten. Zweitens generieren Förderinstitutionen mit ihren Formaten symbolisches Kapital, was sich langfristig auf das Forschungsverhalten auswirkt. Nachwuchsforscher richten ihre Forschung zunehmend an den Karrierevorstellungen von Förderorganisationen aus, und Forscher ihre Ideen an den vorgegebenen Formaten. So heißt es schon jetzt: Hast du eine Idee für einen NFS (Nationalen Forschungsschwerpunkt)? Und nicht: Hast du eine Finanzierung für deine Idee?
Kurzum: Forschungsförderung sollte sich allein auf die Beurteilung der Qualität konzentrieren und sich dabei selbst an einer hohen Qualität des Beurteilens messen lassen. Die permanente Entwicklung von immer neuen Formaten mit immer neuen Hürden ist eindeutig der falsche Weg. Das Format sollte – als passgenau zu entwickelndes Vorgehen – vielmehr Teil des Forschungsantrages sein und selbst auch in seiner Qualität beurteilt werden. Nur so lässt sich Forschung als offensiv erkenntnisförderndes Verfahren begreifen.
Eine wirklich radikale, sozusagen eine „Break-through“-Forschungsförderung wäre also eine, die auf Formate weitestgehend verzichtet und das Entwickeln derselben den Forschenden überlässt.