Die Hongkonger Proteste sorgen weltweit für Aufmerksamkeit. Vollkommen zu Recht, veranschaulichen sie doch grundsätzliche Themen sowie Konfliktlinien vieler kapitalistischer Gesellschaften. Gleichzeitig stehen die Proteste in direktem Zusammenhang mit Hongkongs kolonialer Geschichte – was allerdings selten erwähnt wird.

  • Robert Kramm

    Robert Kramm ist Historiker und war Postdoc in der Society of Fellows in the Humanities an der University of Hong Kong. Seit Januar 2020 leitet er die Nachwuchsforschergruppe „Radical Utopian Communities“ an der LMU München. Er arbeitet zur Globalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit einem regionalen Schwerpunkt Modernes Japan/Ostasien.

Seit dem Früh­jahr 2019 erlebt die ehema­lige briti­sche Kron­ko­lonie Hong­kong massen­haft Proteste, die sich im Laufe der vergan­genen sechs Monate zuneh­mend verschärften. Die Polizei verschoss über 10.000 Tränen­gas­kar­tu­schen und verhaf­tete mehr als 5.000 Menschen, es gab unzäh­lige Verletzte, und am 8. November starb Chow Tsz-lok, der mutmaß­lich durch einen Einsatz der Polizei bedrängt aus einem Park­haus stürzte. Die  Hong­konger Proteste eröffnen eine ganze Reihe von grund­sätz­li­chen Fragen: nach den Stra­te­gien und Inhalten poli­ti­schen Protests, nach der Bedeu­tung demo­kra­ti­scher Grund­rechte und deren Bedro­hung, aber auch nach den Prak­tiken der Aneig­nung, Produk­tion und Verbrei­tung von Wissen in der gegen­wär­tigen poli­ti­schen Meinungs­bil­dung und Diskus­sion. Welt­weit erfährt Hong­kong eine enorme mediale Aufmerk­sam­keit, die von Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen bis hin zur Dämo­ni­sie­rung der Proteste als anti-chinesischer Terro­rismus reichen. So ungleich und so unter­schied­lich poli­tisch moti­viert die Posi­tio­nie­rungen auch sein mögen: Sie alle über­sehen, welche Rolle Hong­kongs kolo­niales Erbe, seine impe­ri­al­ge­schicht­li­chen Verflech­tungen und deren Nach­wir­kungen in diesen Protesten immer noch spielen. 

Zwischen China und kolo­nialer Vergangenheit

Kritik an der poli­ti­schen Führung Hong­kongs und VR Chinas im Zusam­men­hang mit dem Auslie­fe­rungs­ge­setz (vgl. dazu hier und hier), aber auch den massiven Einschrän­kungen demo­kra­ti­scher Grund­rechte ist fraglos notwendig. Auch die Forde­rung nach einem univer­sellen Wahl­recht ist zwin­gend. Im kolo­nialen Hong­kong wurde der Gouver­neur Hong­kongs von der Briti­schen Krone in London aus entsandt; ganz ähnlich wird heut­zu­tage der oder die Chief Execu­tive, derzeit Carry Lam Cheng Yuet-ngor, vom Staatsrat der Volks­re­pu­blik China ernannt. Der/die Chief Execu­tive ernennt weiterhin die Kabi­netts­mit­glieder, und auch im Legis­la­tivrat wird nur über die Hälfte der Sitze per freier Wahl bestimmt; die andere Hälfte wird durch so genannte „func­tional consti­tuen­cies“ besetzt, also Inter­es­sens­gruppen der führenden Handels-, Industrie-, und Finanzbranchen. 

An diese Gemein­sam­keit der Abhän­gig­keiten und Fremd­be­stim­mung im Wahl­system des kolo­nialen und des heutigen Hong­kong erin­nert auch der Kommentar eines Protes­tie­renden bzw. Sympa­thi­santen der Proteste, der nur unter dem Namen Tony bekannt ist. In Bezug auf den Slogan „Libe­rate Hong Kong“ (光復香港) weist Tony auf die verschie­denen Bedeu­tungen von „libe­rate“ (光復) im Kanto­ne­si­schen hin, dass eben auch „wieder­her­stellen“ heißen kann und auch in diesem Sinne von den Protes­tie­renden verwendet wird. Daran knüpft Tony die rheto­ri­sche Frage, was denn eigent­lich vor dem Hinter­grund der struk­tu­rellen Ungleich­heit im kolo­nialen Hong­kong – insbe­son­dere im Bezug auf das Wahl­system – wieder­her­ge­stellt werden soll. Er gibt selbst die Antwort: „No matter how dark Hong Kong’s reality gets, there is no need for us to roman­ti­cize our colo­nial past.”

Vor derar­tigen Roman­ti­sie­rungen und einer Verklä­rung von Hong­kongs kolo­nialer Geschichte warnt auch ein Hong­konger anar­chis­ti­sches Kollektiv, das schon bei „Occupy Central“ und in dem „Umbrella Move­ment“ aktiv war. Das Kollektiv wies bereits zu Beginn der ersten großen Protest­mär­sche im Juni 2019 darauf hin, dass der Protest stark natio­na­lis­ti­sche Tendenzen habe. Das gemein­same Ziel der Abschaf­fung des Auslie­fe­rungs­ge­setzes, die Empö­rung über Poli­zei­ge­walt und die Kritik an der Inkom­pe­tenz und Peking-Hörigkeit der poli­ti­schen Führung Hong­kongs igno­riere zudem unter­schied­liche poli­ti­sche Über­zeu­gungen. Das punk­tu­elle, nicht unbe­dingt nach­hal­tige Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl verschleiere dabei die Tatsache, dass die Protes­tie­renden, von denen Studien zufolge beinahe drei Viertel aus einer gut gebil­deten Mittel­schicht kommen, auch dadurch moti­viert seien, ihre Privi­le­gien und ihren Besitz zu vertei­digen. Dies erkläre auch, so das Kollektiv, warum nicht unbe­dingt alle sozialen Schichten den Protest unter­stützen und warum dieser auch nicht in eine umfas­sende Kritik an den Hong­konger Besitz- und Produk­ti­ons­ver­hält­nissen einge­bettet ist. Viel­mehr repro­du­ziere der Protest ein Bedro­hungs­sze­nario, in dem die Kommu­nis­ti­sche Partei Chinas über kurz oder lang die kapi­ta­lis­ti­sche, als freiheitlich-demokratisch imagi­nierte Ordnung Hong­kongs – sprich: das roman­ti­sierte frühere, eben eigent­lich kolo­niale Hong­kong – durch rigide Kontrolle oder gar Enteig­nungen zerstöre.

Hete­ro­gener Protest

Inter­es­san­ter­weise gründet der lokal­pa­trio­ti­sche Mythos Hong­kongs als Insel des Wohl­stands, der Frei­heit und des Rechts­staats in genau dieser Logik. Und das hat histo­ri­sche Gründe, denn die meisten Hong­konger bzw. deren Vorfahren migrierten in verschie­denen Krisen­zeiten vom „Fest­land“ nach Hong­kong, unter anderem nach den Opium­kriegen, dem chine­si­schen Bürger­krieg und insbe­son­dere während der Kultur­re­vo­lu­tion. Die geogra­fi­sche und kultu­relle Nähe Hong­kongs zu China, aber insbe­son­dere die briti­sche Kolo­ni­al­herr­schaft schufen die Rahmen­be­din­gungen für eine erfolg­reiche Migra­tion, die zwar nicht unbe­dingt poli­ti­sches Mitspra­che­recht, zumin­dest aber wirt­schaft­li­chen Aufschwung und Vermö­gens­si­cher­heit ermög­lichte. Der gras­sie­rende Natio­na­lismus in Hong­kongs Protesten und der Anspruch auf Siche­rung bestimmter Rechte und Privi­le­gien kann also nicht von Hong­kongs kolo­nialer Geschichte getrennt gedacht werden. 

„Chinazi“, Hong­kong 2019; Foto: R. Kramm

„Capi­ta­lism is shit“, Hong­kong 2019; Foto: R. Kramm

Die Proteste in Hong­kong sind viel zu hete­rogen, um sie über­haupt als Bewe­gung zu bezeichnen. Aber mögli­cher­weise liegen in dieser Unein­heit­lich­keit auch gleich­zeitig die Stärken und Schwä­chen der Proteste. Denn einer­seits können die Protes­tie­renden durch ihre dezen­trierte Kommu­ni­ka­tion über soziale Medien und spon­tane Orga­ni­sa­tion von Demons­tra­tionen staat­liche Kontrollen umgehen und somit die Proteste fort­setzen. Ande­rer­seits verun­mög­li­chen aber offenbar genau diese Umstände, ein klares poli­ti­sches Programm zu entwi­ckeln, und fördern mögli­cher­weise sogar, dass einige Protes­tie­rende diffuse Forde­rungen arti­ku­lieren und diese vermi­schen. So kann der Wunsch nach demo­kra­ti­scher Mitbe­stim­mung durch eine unre­flek­tierte Polemik gegen VR Chinas poli­ti­sche wie auch wirt­schaft­liche Einfluss­nahme nicht nur an Schärfe, sondern auch an Inhalt verlieren, beson­ders dann, wenn diese sich in verstö­renden Slogans wie „Chinazi“ (zu lesen als: China=Nazi) und einem seman­ti­schen Spiel mit Wort­hülsen wie „Capi­ta­lism is Shit – CCP is Capi­ta­list“ erschöpfen. 

Frem­den­feind­lich­keit und Kolonialnostalgie

Darüber hinaus stachelt die Konstruk­tion einfa­cher Feind­bilder einen Konflikt an, der bereits etliche Male in stark „frem­den­feind­li­cher“, gegen Fest­land­chi­nesen gerich­teter Gewalt endete. Gezielt zerstörten einige Protest­gruppen Filialen von Firmen, die von Fest­land­chi­nesen in Hong­kong geleitet werden. Zudem kam es bereits zu einer ganzen Reihe von Zwischen­fällen, bei denen festland-chinesische und lokal-kantonesische Hongkonger_innen gewalt­tätig anein­an­der­ge­rieten, sich mit Stöcken und Stangen schlugen oder gar mit Messern und Brand­be­schleu­niger atta­ckierten. Zudem verpassen die Protes­tie­renden durch unklare Benen­nung der herr­schenden Verhält­nisse die Chance einer grund­sätz­li­chen Analyse und Kritik der Hong­konger Lebens­welt. Gerade die junge Gene­ra­tion hätte allen Grund dazu: das krass kompe­ti­tive Bildungs­wesen, die zuneh­menden Verschär­fungen auf dem Arbeits- und Immo­bi­li­en­markt sowie das abseh­bare Ende der „one system, two countries“-Vereinbarung im Jahr 2047 bieten keine guten Aussichten auf eine erfolg­reiche wirt­schaft­liche Karriere, gesi­cherte soziale Mobi­lität, menschen­wür­dige Wohn­ver­hält­nisse oder auch poli­ti­sche Eman­zi­pa­tion. Das Verspre­chen des freiheitlich-demokratischen kapi­ta­lis­ti­schen Systems auf ein Leben in rela­tiver Sicher­heit, in Wohl­stand und Frei­heit kann also nicht einmal im Kleinen und zu Lebzeiten im Alltag junger Hong­konger einge­löst werden. China dafür die allei­nige Schuld zu geben greift schlichtweg zu kurz.

Bereits seit dem frühen Sommer 2019 begannen einige Protes­tie­rende, die Euro­päi­sche Union und viel­mehr noch das Verei­nigte König­reich und die USA als – zumin­dest einst­malig – führende Länder der selbst­er­nannten freien Welt um Unter­stüt­zung zu bitten. Auf den Demons­tra­tionen tauchten Hong­kongs Kolo­ni­al­flagge, aber vermehrt auch auslän­di­sche natio­nale Flaggen auf, insbe­son­dere der Union Jack sowie Stars & Stripes oder Hi no maru, respek­tive die Flaggen des UK, der USA und Japans. Gerade im Kontext Hong­kongs können derar­tige Symbole zu kolo­nialen Versatz­stü­cken werden. Insbe­son­dere dann, wenn diese in ein Netz von nicht unpro­ble­ma­ti­schen Symbolen und Perfor­manzen einge­woben sind. So zum Beispiel als Studie­rende am 9. November des Toten Chow Tsz-lok gedachten und dazu das Lied „Last Post“ spielten, einen Song aus dem British Empire des 19. Jahr­hun­derts, das auch im Common­wealth immer noch bei Mili­tär­be­stat­tungen verwendet wird – insbe­son­dere um Soldaten zu ehren, die im Krieg gefallen sind. „Last Post“ stellt einen eindeu­tigen Bezug zur impe­rialen Geschichte her, und betont als Abschieds­gruss der geden­kenden Studie­renden zugleich einen männ­lich domi­nierten, martia­li­schen Charakter der Proteste, indem die „front-liner“ (eine Bezeich­nung für die Protes­tie­renden in den ersten Reihen der Demons­tra­tionen) als Soldaten im Krieg insze­niert werden.

Pepe-Graffito in der Univer­sität Hong­kong, 2019; Foto: R. Kramm

Pepe the frog

Und dann ist da Pepe der Frosch! Pepe entstand 2005 als Comic­figur, wurde jedoch vor allem als Meme bekannt, das spätes­tens 2016 zu einem wich­tigen Motiv der Alt-Right Bewe­gung wurde und das immer noch in rechts­po­pu­lis­ti­schen und dezi­diert rechts­extremen Kreisen zirku­liert. In den USA wird Pepe als Symbol für white supre­macy gehan­delt, und die Anti-Defamation League hat Pepe als Hass­symbol kate­go­ri­siert. Die viel­fäl­tigen Gestal­tungs­mög­lich­keiten sowie die einfache Verbrei­tung über die sozialen Medien sind sicher­lich der Grund für die Aneig­nung und Popu­la­rität Pepes in Hong­kong. Zudem ist der Umstand, dass Pepe in den USA ein Alt-Right-Symbol geworden ist, unter vielen jungen Hongkonger_innen offenbar nicht bekannt oder es stört sie nicht. Andere argu­men­tieren, dass Pepe seine rechts-nationalistische und rechts­extreme Bedeu­tung verloren habe bzw. diese in Hong­kong nicht zutreffe. In diesem Zusam­men­hang wird auch gerne auf den Protest-Slogan „Be water, my friend“ verwiesen, ein Motto von Bruce Lee, womit die poli­ti­sche Flui­dität der stark hete­ro­genen Proteste ausge­drückt werden soll.

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Pepe am Meiji-Schrein, Tokyo 2019; Foto: R. Kramm

Bei aller Liebe zu Aneig­nungs­prak­tiken, Umdeu­tungen und Mehr­deu­tig­keit: die Wahl Pepes als zentraler Charakter der Hong­konger Proteste ist zumin­dest unglück­lich. Darüber hinaus verweist Pepe in Hong­kong auf eine weitere Dimen­sion der kolo­nialen Vergan­gen­heit. Denn die Verwen­dung von Pepe als Figur der Hong­konger Proteste kann nicht nur in Hong­kong selbst, sondern auch in Japan beob­achtet werden. Und zwar nicht irgendwo, sondern am schin­tois­ti­schen Meiji-Schrein in Tokyo! Der Meiji Jingū, erbaut 1920 zur Ehrung des Meiji-Kaisers, war und ist ein zentraler Ort in Japans natio­na­lis­ti­schem und impe­ria­lis­ti­schem Schrein-System, durch das der Staat Shintō als Staats­ideo­logie im Zuge der Meiji-Restauration etablierte und bis 1945 prak­ti­zierte, und in welchem schin­tois­ti­sche Schreine eine poli­ti­sche Funk­tion zur Vereh­rung des Kaisers erhielten. 

Die Rolle Japans

Und genau an diesem Ort haben Hong­konger Touristen auf kleinen Holz­tä­fel­chen, so genannten ema, ihren Wunsch nach der Befreiung Hong­kongs zusammen mit Porträts von Pepe bekundet. Ema sind in schin­tois­ti­schen Schreinen in Japan weit verbreitet. Auf ihnen können Menschen ihre Wünsche aufschreiben und dann an einer bestimmten Stelle am Schrein oder Tempel aufhängen, wo die Holz­tä­fel­chen für die Gott­heiten (kami) aber auch für Priester und andere Besucher_innen sichtbar sind. Bevor die Tafeln in einem Feuer rituell verbrannt werden, erfüllen ema somit die doppelte Funk­tion der Kommu­ni­ka­tion eines Wunsches um „dies­welt­li­chen Wohl­taten“ (genze riyaku), der sich an die Götter, aber eben auch an die Gemeinde bzw. die Öffent­lich­keit richtet.

Der Ausdruck des Wunsches nach der Befreiung Hong­kongs durch Japan birgt, gelinde gesagt, eine gewisse Ironie. Japan hatte sich in der ersten Hälfte des zwan­zigsten Jahr­hun­derts schon einmal als Befreier Asiens insze­niert, und dabei spielte Shintō keine unwich­tige Rolle. Schin­tois­ti­sche Schreine und Riten waren inte­graler Bestand­teil impe­ria­lis­ti­scher Assi­mi­lie­rungs­po­litik im japa­ni­schen Empire. Ausle­gungen des Shintō waren auch Teil von Japans panasia­ti­scher Ideo­logie, die den Völkern Asiens unter Japans Führung eine Befreiung vom Joch der west­li­chen Kolo­ni­al­herr­schaft versprach. Japans Ideo­logen spra­chen von einer Groß­ost­asia­ti­schen Wohl­stands­sphäre (daitōa kyōeiken), in die sie auch Hong­kong inte­grierten. Im Dezember 1941 besetzte die Kaiser­lich Japa­ni­sche Armee Hong­kong für „drei Jahre und acht Monate“ (三年零八個月), ein Ausdruck der bis heute als Metonymie für die Besat­zungs­zeit verwendet wird. 

Die japa­ni­schen Besatzer regierten Hong­kong im Kriegs­recht, inter­nierten briti­sche Soldaten und Zivi­listen und begingen auch verein­zelt Massaker – wie unter der briti­schen Kolo­ni­al­herr­schaft hatte die über­wie­gend chine­si­sche Bevöl­ke­rung Hong­kongs auch diesmal am meisten zu leiden. Befreiung sieht anders aus. Und vor allem vor dem Hinter­grund von Japans Aggres­sion im Zweiten Welt­krieg mit Massen­tö­tungen, Zwangs­ar­beit und Sexskla­verei, die japa­ni­sche Soldaten, Poli­zisten und Kolo­ni­al­be­amte beson­ders in China auf brutalste Art und Weise prak­ti­zierten, ist ein Wunsch nach Hong­kongs Befreiung durch Japan nicht mehr nur unglück­lich. Er ist geschmacklos, histo­risch verblendet und tatsäch­lich gefähr­lich. Pepes Alt-Right Ballast, gepaart mit der Verherr­li­chung von Japans Impe­ria­lismus, den rechts­extreme Natio­na­listen in Japan damals wie heute an Shintō-Schreinen zele­brieren, spielt rechter Propa­ganda und Geschichts­re­vi­sio­nismus direkt in die Hände.

Pepe-Graffito in der Univer­sität Hong­kong, 2019; Foto: R. Kramm

Zurück in die Vergangenheit?

Die Hong­konger Proteste sind untrennbar mit Hong­kongs kolo­nialer Vergan­gen­heit verwoben. Und die Protes­tie­renden im post­ko­lo­nialen Hong­kong sollten sich fragen, an welche Geschichten sie ihre Protest­prak­tiken anknüpfen und welche Bilder sie gene­rieren und repro­du­zieren wollen. Oder ganz groß gespro­chen: Welche Formen sozialer Orga­ni­sa­tion stellen sie sich vor und wer kann, soll und darf daran teil­haben? Frei­lich – demo­kra­ti­sche Grund­rechte sind in Hong­kong vergleichs­weise einge­schränkt. Aller­dings verblendet die Forde­rung nach „Libe­ra­tion“, in der im Kanto­ne­si­schen bewusst oder unwis­send auch die Bedeu­tung der „Wieder­her­stel­lung“ einer früheren, kolo­nialen Ordnung mitschwingt, dass die Mehr­heit der Menschen in Hong­kong noch nie so frei war. Das soll keines­wegs heißen, dass die Forde­rungen der Proteste nach mehr Demo­kratie bereits erfüllt sind; ganz im Gegen­teil ist es wichtig, noch mehr poli­ti­sche Eman­zi­pa­tion und Parti­zi­pa­tion zu fordern, aber eben nicht, indem Hong­kongs Geschichte zur Gegen­wart wird.