Kann man angesichts widriger Zeitumstände zwar alles andere als optimistisch, dafür aber entschieden hoffnungsvoll sein? Hoffnung ist eine Haltung, die wir nicht aufgeben dürfen, weil sie uns politisch sensibel macht für gegenwärtiges Unrecht.

  • Hartmut von Sass

    Hartmut von Sass lehrt Theologie und Philosophie und ist stellvertretender Direktor des Collegium Helveticum in Zürich.

Langsam verfliegt der Jetlag nach einer mehr­tä­gigen Reise in die USA. Boston, das elitäre Herz Neueng­lands, und San Antonio, das Zentrum von Süd-Texas, waren die Stationen. Sie bilden zugleich das poli­ti­sche Spek­trum der Verei­nigten Staaten eini­ger­massen treff­si­cher ab, sodass auf meinem kleinen akade­mi­schen Ausflug der Links­li­be­ra­lismus des Nord­os­tens vom religiös-politischen Konser­va­tismus im Süden abge­löst wurde. Nun war es offen­sicht­lich nicht irgend­eine Zeit, zu der ich über den Atlantik flog.

Boston – San Antonio

Gut drei Wochen nach der Wahl von Donald J. Trump zum 45. Präsi­denten mag sich der erste Schock gelegt haben; umso spür­barer war nun die konso­li­dierte Fassungs­lo­sig­keit auf dem einen Ende und die recht verbis­sene Hoff­nung auf eine überaus vage Besse­rung der Lage auf der anderen. Schon vor der Abreise fragte ich mich: In welches Land reist man da nun eigent­lich? In eines, das sich an der Ostküste selbst nicht mehr versteht, oder das an der mexi­ka­ni­schen Grenze Ausschrei­bungen für Firmen lanciert, die sich auf Mauerbau spezia­li­siert haben?

Wenige Tage vor Abflug fiel mir das neue Buch des engli­schen Lite­ra­tur­theo­re­ti­kers Terry Eagleton in die Hände: Hope without Opti­mism (2015), was im Deut­schen als Hoff­nungs­voll, aber nicht opti­mis­tisch wieder­ge­geben wird. Und so beglei­tete mich die Lektüre dieser bestens geschrie­benen Studie durch Amerika, das bereits unter Obama von jener viel­zi­tierten „Kühn­heit der Hoff­nung“ (der Auda­city of Hope) lebte und dem nun ein neuer, womög­lich verhäng­nis­voller „change“ verspro­chen wird. Beides, der zukunfts­träch­tige Predigtton des nun schei­denden Präsi­denten und der TV-erprobte Popu­lismus seines Nach­fol­gers mögen auf je ihre Weise äusserst ameri­ka­ni­sche Phäno­mene sein. Und gerade dadurch doku­men­tieren sie die oft kommen­tierte Spal­tung in den ganz und gar nicht „Verei­nigten Staaten“, sodass Neueng­land und Texas für die riva­li­sie­renden Lager inner­halb der gegen­wär­tigen Poli­tik­szene stehen. Wer es mit ‚Boston‘ und nicht mit ‚San Antonio‘ hält, ist unwei­ger­lich mit der Frage konfron­tiert, wie nun auf die noch sehr unüber­schau­bare Situa­tion zu reagieren ist. Hoff­nungs­voll, aber nicht optimistisch?

Hoff­nung – !?

The art of a culture of hope, by Jessica Huber and James Leadbitter; Quelle: .theartofacultureofhope.com

The art of a culture of hope, #4, by Jessica Huber and James Lead­bitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

Die lebens­welt­liche Bedeu­tung der Hoff­nung steht ausser Frage, obgleich sie ideen­po­li­tisch nie zum promi­nenten Arsenal unseres gesell­schaft­li­chen und intel­lek­tu­ellen Selbst­ver­ständ­nisses gehörte. Sicher, es gab immer wieder Konjunk­turen der Hoff­nung, doch Einwände wie fehlender Reali­täts­sinn, Anfäl­lig­keit für geschichts­phi­lo­so­phi­sche Ideo­lo­gien oder gene­rell die schiere Krite­ri­en­lo­sig­keit des Hoffens wiegen schwer. So schwer, dass die Hoff­nung als poli­ti­sche Grund­stim­mung nach ihrem kurz­zei­tigen Höhen­flug in den 1960er Jahren in eine Rezes­sion geriet, von der sie sich bis heute kaum erholen konnte. Und doch macht der Kurz­auf­tritt der Hoff­nung – man denke an Ernst Blochs Das Prinzip Hoff­nung (1954/59), Jürgen Molt­manns Theo­logie der Hoff­nung (1964) oder Gabriel Marcels Homo Viator (bereits 1945) – darauf aufmerksam, dass sie ein Seis­mo­graph für’s Kontra­fak­ti­sche ist. Denn die Hoff­nung lebt nicht von der Über­ein­stim­mung mit dem, „was der Fall“ ist, sondern verweist auf das, was der Fall sein könnte.

Auch die dama­ligen Hoff­nungs­dis­kurse von Bloch, Molt­mann und anderen lebten von der Span­nung zwischen den histo­risch konta­mi­nierten Fakten der Nach­kriegs­zeit und den ‚Kontra­fakten‘, wie sie von den revo­lu­tio­nären Kräften imagi­niert, aller­dings selten reali­siert wurden. Eine ähnliche Span­nung gilt es in unserer Zeit, in die hinein Eagleton schreibt, zu verar­beiten. Die Hoff­nung, ja Erwar­tung auf eine libe­rale Ordnung globalen Zuschnitts hat sich nach der ‚Wende‘ um 1990 nicht erfüllt. Die heutigen Gegen­be­we­gungen von Abschot­tung, Natio­na­lismus und Xeno­phobie werden als Reak­tion, ja als popu­lis­ti­sche Rück­seite jener fried­li­chen Revo­lu­tion ange­sehen. Es scheint, als könnte man heute nur noch hoffen, dass man hoffen dürfte, was man damals zu hoffen meinte. Auch Eagle­tons Buch ist wohl ein Seis­mo­graph unserer Gegen­wart, und es wirft die Frage auf, ob Hoff­nung eine Antwort auf die Ereig­nisse und Zustände unserer Tage sein kann. Und wenn ja, was das konkret hiesse?

Gegen die Bana­lität des Optimismus

The art of a culture of hope, by Jessica Huber and James Leadbitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

The art of a culture of hope, # 2, by Jessica Huber and James Lead­bitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

Zunächst verdeut­licht Eagleton, was es nicht bedeutet: Er grenzt Hoff­nung – wie der Titel des Buches ankün­digt – strikt vom schalen Opti­mismus ab. Diese Diffe­ren­zie­rung ist nicht nur begriff­lich notwendig, sondern drängt sich auch hinsicht­lich der Reak­tionen auf eine Lage auf, die alle heraus­for­dert, sich positiv auf Künf­tiges zu beziehen. In einer derar­tigen Situa­tion befinden auch wir uns. Selbst viele Anhän­ge­rInnen Hillary Clin­tons, sogar einige Bernie-Sanders-JüngerInnen schwenken in eine Stim­mung ein, die man land­läufig als Zweck­op­ti­mismus bezeichnet: Man müsse nun ja, so hört man, auf das Bessere (nicht unbe­dingt Beste) hoffen, man glaube noch immer an Amerika und seine Versprechen.

Es ist kaum zu entscheiden, ob solche Haltungen etwas zutiefst Wahres arti­ku­lieren oder ob sie unter das fallen, was Eagleton „unver­bes­ser­liche Zuver­sicht“ nennt. Nicht nur von einer albernen Fröh­lich­keit möchte er die Hoff­nung frei­halten, sondern auch von einem leeren Glauben an den guten Verlauf der künf­tigen Geschichte. Diese Sicht umfasst für Eagleton drei konstruk­tive Aspekte: Zum einen sei Hoff­nung inso­fern rational, als sie durch Gründe unter­mauert sei; eine blinde Hoff­nung bleibe ein Wider­spruch in sich und münde im besten Fall in kuriose Igno­ranz des Realen, im schlech­teren Fall hingegen in die Immu­ni­sie­rung gegen­über dem, was zu tun wäre. Zum zweiten sei die prin­zi­piell fehl­bare Hoff­nung mit Anstren­gung verbunden. Im Kontrast zum passiven Opti­mismus verlange sie von uns das Bemühen ab, sich für das Erhoffte tatkräftig einzu­setzen. Und zum dritten bewahre sich der Hoffende eine Sensi­bi­lität für die Verzwei­felten, für die der reine Opti­mist kein Senso­rium habe. Gerade dies bezeuge eine Ernst­haf­tig­keit, die die Brisanz der Hoff­nung gegen­über jedem Trium­pfa­lismus festhalte.

Was ist Hoffnung?

Gegen­über Philo­so­phen der Hoff­nung wie Imma­nuel Kant oder Ernst Bloch schärft Eagleton ein, dass Hoff­nung nicht selbst zur Struktur der Wirk­lich­keit gehöre. Denn jene Gegen­stimmen erweckten den Eindruck, sie würden in ihrer Fort­schritts­gläu­big­keit die Hoff­nung als Teil unserer natür­li­chen Ausstat­tung onto­lo­gi­sieren. Und ebenso weist Eagleton die Ansicht zurück, Hoff­nung sei intrin­sisch gut. Die These von der Fehl­bar­keit der Hoff­nung verpflichte auf das Einge­ständnis, in bestimmten Szena­rien die Hoff­nung fahren zu lassen.

The art of a culture of hope, by Jessica Huber and James Leadbitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

The art of a culture of hope,, #7, by Jessica Huber and James Lead­bitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

Eagleton ist sich bewusst, dass ‚Hoff­nung‘ in ein Begriffs­netz gehört, das nur schwer vonein­ander abgrenz­bare Terme enthält, die unsere Rela­tion zur Zukunft einfangen. Dabei konzen­triert er sich darauf, Hoffen und Wünschen ins Verhältnis zu setzen. Das liegt deshalb nahe, weil er mit der alten scho­las­ti­schen Defi­ni­tion sympa­thi­siert, welche Hoff­nung „als aktives Bekenntnis zur Wünsch­bar­keit und Reali­sier­bar­keit eines bestimmten Ziels“ charak­te­ri­siert. Dabei könnten Hoffen und Wünschen in Konflikt geraten, wenn man sich etwa wünscht zu rauchen, aber hofft, der Neigung zu wider­stehen. Zudem könne man immer etwas wünschen, aber auf es zu hoffen sei exklu­siver. Und schliess­lich meine das Hoffen nicht nur die Anti­zi­pa­tion des Erhofften, sondern auch das Enga­ge­ment für jenes Anti­zi­pierte. Hoffen koste etwas, wünschen hingegen sei, so Eagleton, „gratis“.

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Was also ist Hoff­nung? Diese sokra­ti­sche Frage lässt verschie­dene Antworten zu, wobei Eagleton drei zumin­dest berührt, ohne sich zwischen ihnen zu entscheiden: Hoffen kann als Emotion verstanden werden, die reaktiv bleibt. Hoffen kann als Dispo­si­tion verstanden werden, wobei sie dann zumeist den trai­nier­baren Tugenden zuge­ordnet wird. Hoffen kann aber auch als Tätig­keit verstanden werden, sodass wiederum das aktive Element des Hoffens in den Vorder­grund rückt.

An jenem Dienstag der Präsi­den­ten­wahl durch­fors­tete ich wie so viele andere Menschen ungläubig die Nach­richten. Dabei führte die tief­sit­zende Irri­ta­tion über das, was man da lesen konnte, doch immer wieder dazu, Freunden zu schreiben, die die eigene Fassungs­lo­sig­keit teilten. Einer von ihnen sagte, zuletzt habe er sich an 9/11 so gefühlt – welch bittere Ironie, dass die Daten nun inver­tiert sind: 11/9, ein ohnehin geschichts­träch­tiger Tag. Womit wir zurück­kehren aus dem ameri­ka­ni­schen Trum­pismus in unsere euro­päi­sche Zerris­sen­heit, die uns nach dem Brexit und den überall schwe­lenden Radi­ka­li­sie­rungen auch nicht mit einer gemein­samen Stimme spre­chen lässt. Und all dies nun gepaart mit der Frage, was man selbst tun könnte und woher sich dieses Enga­ge­ment eigent­lich speisen sollte in Zeiten, die jede Hoff­nung so sehr unter Druck setzen.

Hoff­nung wider alle Hoff­nung, auch heute?

The art of a culture of hope, by Jessica Huber and James Leadbitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

The art of a culture of hope, #1, by Jessica Huber and James Lead­bitter; Quelle: theartofacultureofhope.com

Seinem letzten Kapitel hat Eagleton den Titel „Hoff­nung wider alle Hoff­nung“ gegeben. Er spielt damit auf eine Formel des Apostel Paulus an, der im Römer­brief summiert: „Hoff­nung, wo nichts zu hoffen war“ (4,18). Die produk­tive Pointe dieser zwei­deu­tigen Hoff­nung liegt  darin, dass wir es mit zwei Begriffen des Hoffens zu tun haben: einer­seits mit einer Hoff­nung, die sich auf konkrete Ereig­nisse richtet (hoffen, dass x), und ande­rer­seits mit einer, sagen wir, Meta-Hoffnung, die eine Weise des Exis­tie­rens bezeichnet (in Hoff­nung leben). Nicht Gegen­stände – das Erhoffte – stehen dann im Zentrum, sondern der Bezug zu ihnen in der Hoff­nung als Akt des Hoffens; nicht einzelne Hoff­nungen auf etwas Parti­ku­lares, sondern ein Modus der Nach­denk­lich­keit und Umsicht, der eine hoff­nungs­volle Einstel­lung zu buch­stäb­lich allem umfasst.

Nun konfron­tiert uns Eagleton jedoch mit der unglück­li­chen Alter­na­tive, zwischen ober­fläch­li­chem Opti­mismus und rational errech­neter Hoff­nung zu wählen. Könnte es demge­gen­über nicht eine ausge­wo­gene Bestim­mung zwischen beiden Polen geben, die die Hoff­nung erst zu dem macht, was sie sein kann: eine Tugend verant­wort­li­chen Enga­ge­ments mit Blick auf das, was ist und sein wird? Dass wir auf etwas hoffen, könnte schon voraus­setzen, dass wir hoff­nungs­voll leben. Die (Meta-)Hoffnung exis­ten­ti­eller Orien­tie­rung bildete dann die lebens­welt­liche Bedin­gung dafür, uns über­haupt auf etwas Konkretes hoffend beziehen zu können – und nicht umgekehrt.

„Hoff­nung wider alle Hoff­nung“ meint dann, dass Hoff­nung als grund­le­gende Lebens­ori­en­tie­rung sich gerade nicht aus einzelnen Beispielen ergibt oder von ihnen demen­tiert wird. Viel­mehr meint es, dass oft in Oppo­si­tion zu ihnen dennoch gehofft werden kann. Das gilt auch für die Zeit des Trum­pismus und all seiner abend­län­di­schen Paral­lelen. Wer die Fassungs­lo­sig­keit in ‚Boston‘ teilt und wer die blinden Hoff­nungen in ‚San Antonio‘, aber auch die dort latente, oftmals expli­zite Aggres­sion verab­scheut, kann nicht mehr unpo­li­tisch sein. Es wäre vermessen, aus diesem Enga­ge­ment der Hoff­nung ein Programm destil­lieren zu wollen – ich kann es jeden­falls nicht. Aus der durch die Hoff­nung etablierten Span­nung zwischen dem, was ist, und dem, wie es sein könnte, ergibt sich solch ein Katalog auch nicht unmit­telbar. Die Hoff­nung steht daher nicht für eine mate­riale Füllung politisch-gesellschaftlicher Aktion, sondern für deren moti­va­tio­nalen Hinter­grund: nicht wie wir uns enga­gieren können, klärt die Hoff­nung, sondern sie begründet zunächst, warum wir es tun müssen.

Erst daraus, auf welche Weise wir die Span­nung zwischen Jetzt und Dann beschreiben, ergeben sich Über­le­gungen, wie jene hoff­nungs­volle Moti­va­tion konkret werden kann. Die Ratio­na­lität der Hoff­nung verbietet nun einmal den post­fak­ti­schen Gestus, von dem auch Trump lebt. Die Anstren­gung, die das Hoffen mit sich bringt, schliesst aus, nur Empfänger, nicht auch verant­wort­li­cher Bürger sein zu wollen. Und die Nach­denk­lich­keit der Hoff­nung sensi­bi­li­siert für die, die nicht und nicht mehr hoffen können, und muss dem Chau­vi­nismus, Rassismus, ja der Gross­kot­zig­keit jenes neuen poli­ti­schen Typus, zu dem auch der nächste ameri­ka­ni­sche Präsi­dent gehört, den Kampf ansagen.

Die so diffe­ren­zierte Hoff­nung könnte uns nicht nur eine Sprache geben, in der wir unsere Zeit in Gedanken fassen, sondern die uns eine Einstel­lung finden lässt, wie wir weder leeren Opti­mismen noch rein kalku­lierten Einzel­hoff­nungen erliegen – sondern tatsäch­lich mit der „Kühn­heit der Hoff­nung“ leben. Hoff­nungs­voll, aber nicht opti­mis­tisch ist also ein wunder­barer Titel, nur womög­lich aus anderen Gründen als denen, die Eagleton vorschweben.