Der Begriff „Klimawandel“ ist zu einem Allerweltsbegriff geworden, zu einer leeren Chiffre. Wer „Klimawandel“ sagt, verschleiert Machtverhältnisse und kaschiert die Verursacher.

  • Christoph Keller

    Christoph Keller ist Buchautor, Reporter und Podcaster sowie Lehrbeauftragter an der Zürcher Hochschule der Künste. Sein letztes Buch „Afrika fluten“, Roman, erschien im Oktober 2023.

Im Hitze­sommer 2023, mit dem heißesten je gemes­senen Monat, mit Wald­bränden auf Rhodos, auf der Insel Euböa, auf Maui, in weiten Teilen Kanadas, und an vielen anderen Orten, dann mit dem Sturm­tief „Daniel“, das ganze Gegenden in Grie­chen­land und Rumä­nien verwüs­tete und auch verant­wort­lich war für die Über­flu­tung der liby­schen Stadt Darna in diesem Sommer, bei dem die globale Tempe­ratur über Wochen über der Grenze von plus 1,5 Grad lag, fand sich ein Topos in jeder Kata­stro­phen­mel­dung: dass „der Klima­wandel“ daran schuld sei.

Die NZZ vermel­dete in Zusam­men­hang mit den Hitze­wellen in Südeu­ropa, China und den USA, „der Klima­wandel“ habe „so hohe Tempe­ra­turen erst möglich gemacht“; das SRF schrieb, dass Winde, Trocken­heit und Blitz­schläge die verhee­renden Brände auf Maui verur­sacht hätten, und dass „der Klima­wandel“ all diese Faktoren „verstärkt“. In der ZEIT war zu lesen, dass „der Klima­wandel“ eine Ursache sein könnte für die Neuan­sied­lung von Meeres­schild­kröten auf den Balearen, neuer­dings gefährdet „der Klima­wandel“ auch die euro­päi­sche Bier­pro­duk­tion, und über­haupt ist „der Klima­wandel“ schuld an Über­schwem­mungen, Erosion und Dürre.

Derweilen reden Politiker:innen promi­nent und regel­mäßig davon, man müsse „den Klima­wandel“ bekämpfen, „der Klima­wandel“ sei die größte Heraus­for­de­rung für die Mensch­heit, oder „der Klima­wandel“ biete auch Chancen, etwa für die Inno­va­tion; oder es wird gesagt, dass „der Klima­wandel“ die ärmsten Nationen am heftigsten trifft, manchmal tönt es auch apodik­tisch von den Redner­bühnen, der Mensch­heit drohe das Ende, wenn „der Klima­wandel“ nicht gestoppt werde. Es ist möglich, so kürz­lich Bundes­kanzler Olaf Scholz in einer Rede, „den Klima­wandel“ zu nicht nur zu „bekämpfen“, sondern auch zu „lindern“, man kann „den Klima­wandel“ auch „konstruktiv angehen“, und ja, „der Klima­wandel“ ist die Ursache der allge­gen­wär­tigen „Climate Anxiety“.

Das sind Reden und Redens­arten, die eine eigene Wirkung entfalten. Sie machen deut­lich, dass „der Klima­wandel“, in abge­wan­delter Form als „Klima­krise“ oder einfach auch nur als „Klima“, zu einem allge­gen­wär­tigen, medial und öffent­lich kommu­ni­zierten Agens in unserer Sprache geworden ist, ähnlich einer Instanz, die viel­fache Wirkung entfaltet kann: hier Brände, dort Über­flu­tungen, da Hitze­wellen, andern­orts Hungers­nöte, erhöhte Sterb­lich­keit überall, „der Klima­wandel“ beein­flusst auch Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen, er ist die Ursache für „Migra­ti­ons­ströme“. Ein mäch­tiger Faktor, der viel­leicht auch nicht mehr „aufzu­halten“ sei, dieser „Klima­wandel“.

Aber wer genau ist nun dieser „Klima­wandel“, der so mächtig in der Welt waltet? In die Welt gekommen ist der Begriff „Climate Change“ mit der Frame­work Conven­tion on Climate Change der UNO (UNFCCC), die im Rahmen des Erdgip­fels in Rio de Janeiro 1992 erar­beitet wurde. Die UNFCCC hielt in ihrem Artikel 1 fest, dass mit „Klima­wandel“ gemeint ist: „a change of climate which is attri­buted directly or indi­rectly to human acti­vity that alters the compo­si­tion of the global atmo­sphere and which is in addi­tion to natural climate varia­bi­lity observed over compa­rable time periods“. Die UNFCCC machte einen Unter­schied zwischen menschen­ge­machtem „climate change“ und der „natural varia­bi­lity“ der klima­ti­schen Ände­rungen; eine Diffe­ren­zie­rung, die sich im Glossar der UNO zum Begriff „climate change“ wieder­findet, dort aller­dings mit der Verdeut­li­chung, dass menschen­ge­machte Klima­ver­än­de­rungen auf das Verbrennen von fossilen Brenn­stoffen zurück­zu­führen sind. Sämt­liche Berichte des Inter­go­vern­mental Panel on Climate Change IPCC haben über die Jahre dann mit wissen­schaft­li­cher Akribie aufge­zeigt, wie komplex die Auswir­kungen der fort­ge­setzten Konta­mi­na­tion der Atmo­sphäre durch menschen­ge­machte Treib­haus­gase sind, durch CO2, Methan, Lach­gase und andere. Hier, in den Berichten des IPCC, werden nicht nur die komplexen Wirkungen des „change“ im Klima wissen­schaft­lich belegt, sondern auch die Verur­sa­cher beim Namen genannt: die fossile Indus­trie, die Banken und Regie­rungen, die mit Krediten und Subven­tionen für die Weiter­exis­tenz dieser Indus­trie sorgen, und letzt­lich alle, die vom fossilen Status quo profitieren.

Die Medien und auch die Politiker:innen haben diese Kausal­ketten, die im Endef­fekt nicht zu einem „change“ im Klima führen, sondern zu einem Kollaps des Klima­sys­tems, unmit­telbar nach dem Erdgipfel in Rio de Janeiro unter dem Begriff „Klima­wandel“ zusam­men­ge­fasst, eine Zeit­lang noch Hand in Hand mit dem grif­fi­geren Begriff des „Treib­haus­ef­fekts“, dann nicht mehr. Vorge­spurt wurde dieses Framing aller­dings schon vorher durch dieje­nigen, die das eigent­liche Problem darstellen: die Erdöl­kon­zerne. Shell beispiels­weise erzählte bereits 1991 im firmen­ei­genen Film Climate of Concern den ganzen Komplex als ein wissen­schaft­li­ches, haupt­säch­lich meteo­ro­lo­gi­sches Thema, mit akku­raten Vorher­sagen über die Erhit­zung des Planeten und der damit verbun­denen tech­no­lo­gi­schen Heraus­for­de­rungen, ohne aller­dings auch nur einmal die Erdöl­kon­zerne als die Verant­wort­li­chen zu nennen; das meist genannte Wort in diesem Film ist „climate change“ (nicht „fossil fuels“).

Damit hat sich seit mehr als dreißig Jahren in der öffent­li­chen Diskus­sion ein Begriff fest­ge­setzt, der den Fakt der fort­ge­setzten, irrepa­ra­blen Verschmut­zung der Atmo­sphäre mit Klima­gasen in den Kontext eines „Wandels“ versetzt. Mit der Folge, dass viele unter „Klima­wandel“ tatsäch­lich die drohende Kata­strophe verstehen, während aber sehr viel mehr Menschen darin eben eher einen lang­samen, fort­schrei­tenden, aber undra­ma­ti­schen „Wandel“ des globalen Klimas sehen.

Wenn „Meta­phern töten können“, wie der Linguist George Lakoff fest­stellte, wenn Sprache „wie ein Motor ist fürs Denken“, wie die Sprach­for­scherin Lera Boro­ditsky fest­hält, dann ist rele­vant, wie das viel­leicht größte aktu­elle Problem der Mensch­heit in öffent­li­chen Diskursen benannt wird. Sprache befä­higt zum Handeln, weil sie die hand­lungs­lei­tenden Zusam­men­hänge aufzeigt, aber sie kann auch das Gegen­teil bewirken, gerade auch und beson­ders in Krisen­zeiten. Alle Forschungen zur kogni­tiven Disso­nanz, die seit Leon Fest­in­gers bahn­bre­chendem Buch A Theory of Cogni­tive Disso­nance (1957) gemacht wurden, zeigen, dass Menschen bei der Wahr­neh­mung einer Disso­nanz (hier mein Lebens­stil, dort die mani­feste, fossil bedingte Erhit­zung der Atmo­sphäre) sich für die mildere, weniger beun­ru­hi­gende Inter­pre­ta­tion der Umstände entscheiden („Es ist nicht so schlimm“). Das mag erklären, weshalb Frei­zeit­hung­rige unbe­küm­mert die Flug­zeuge bestiegen, um im feuer­ver­sehrten Rhodos ihre Ferien zu verbringen, warum Touristen in Maui ins Meer stiegen, verkohlte Körper von Einhei­mi­schen in unmit­tel­barer Nähe hin oder her.

Eine Unter­su­chung an der Univer­sität Busan in Südkorea und der Newcastle Univer­sity bestä­tigt denn auch, dass die Verän­de­rung der Wort­wahl signi­fi­kante Ände­rungen der Krisen­wahr­neh­mung mit sich bringt. Bei der Studie stuften nur 33,1 Prozent der Probanden den Begriff „climate change“ als „negativ“ ein, während umge­kehrt „global warming“ von 52,1 Prozent als „negativ“ bezeichnet wurde. Die Ergeb­nisse der Studie lassen den vorsich­tigen Schluss zu, dass ein Begriff nega­ti­vere, ableh­nen­dere Reak­tionen auslöst, je konkreter er ist („warming“ statt „change“).

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Der unkon­krete Begriff „Klima­wandel“ hat für die Verursacher:innen den unbe­streit­baren Vorteil, dass er ganze Kausal­ketten und damit auch Komple­xi­täten verschleiert – beson­ders durch die Perso­na­li­sie­rung, wonach „der Klima­wandel“ zu schlech­teren Ernten etc. führt. Insbe­son­dere diese Tatsache, die wir seit der Entde­ckung der Physi­kerin Eunice Newton Foote im Jahr 1856 kennen, dass der wärmende Effekt der Sonne grösser ist, wenn die Atmo­sphäre mit Wasser­dampf getränkt ist, und noch viel grösser, wenn CO2 beigegeben wird. Diese Verschleie­rung von Ursache und Wirkung camou­fliert, und darauf hat der Sozio­loge José Maurício Domin­gues hinge­wiesen, auch die Macht­kon­stel­la­tionen und die Verant­wort­lich­keiten in der Debatte rund ums Klima. Der „Klima­wandel“, so Domin­gues, benennt keine Ursache und keine Wirkung, er bezeichnet nicht, was Risiken sind und wer sie am Ende trägt, er sagt nichts zu den Verant­wort­lich­keiten und führt so, in seiner unein­ge­schränkten, auch massen­me­dialen Verwen­dung zu einer Entpo­li­ti­sie­rung der Debatte.

Domin­gues sieht in der Verschleie­rung der Risiken, der Macht­kon­stel­la­tionen, des Ressour­cen­ver­brauchs, der histo­ri­schen Akku­mu­la­tion von Klima­gasen seitens der Indus­trie­länder unter dem Begriff des „Klima­wan­dels“ eine „epis­te­mo­lo­gi­sche Commu­nity“, in deren Zentrum er das IPCC und die UNO mit ihren Defi­ni­tionen sieht. Er verweist aber vor allem darauf, dass unter­schied­liche Akteure aus unter­schied­li­chen Gründen und mit unter­schied­li­chen Absichten auf die Defi­ni­tionen von IPCC und UNO refe­ren­zieren. Diese Bezug­nahmen sind immer inter­es­sens­ge­leitet und es lässt sich leicht nach­weisen, dass das Inter­esse an der Verschleie­rung von Ursa­chen und Wirkungen vor allem bei denje­nigen groß ist, die als Quelle allen Übels leicht zu iden­ti­fi­zieren sind: die großen Erdöl­kon­zerne und ihre Finan­zierer. Sie sind denn auch dazu über­ge­gangen, in ihren pledges den „Klima­wandel“ offensiv zu adres­sieren, um diesen dann zu einem „gemein­samen Problem der gesamten Mensch­heit“ zu erklären, verbunden mit der Versi­che­rung, dass sie sich ihrer Verant­wor­tung „bewusst“ seien. Shell (um hier nur ein Beispiel zu nennen) sieht sich als „Partner“ von Regie­rungen und Kunden, wenn es um die Bewäl­ti­gung des „Klima­wan­dels“ geht. Dass Shell 2022 mit netto 51 Millionen Tonnen CO2 in der eigenen Produk­tion und mit 1,2 Milli­arden Tonnen CO2 beim Gebrauch der fossilen Produkte zu den größten Verschmut­zern der Atmo­sphäre und zugleich zu den größten Profi­teuren des „Klima­wan­dels“ gehört, wird nicht adressiert.

Die Fata­lität besteht darin, dass ein exis­ten­zi­elles Problem der Mensch­heit, nämlich die wissent­liche, letzt­lich letale Konta­mi­na­tion der Atmo­sphäre mit Treib­haus­gasen in den leeren Signi­fi­kanten „Klima­wandel“ verpackt wurde. Ein leerer Signi­fi­kant ist in der Termi­no­logie des argen­ti­ni­schen Philo­so­phen Ernesto Laclau so etwas wie ein Sammel­be­griff, das heißt der „hege­mo­niale Reprä­sen­tant“ einer ganzen Reihe von Forde­rungen und Vorstel­lungen, der „unter­schied­li­chen Akteuren, Inter­essen und Vorstel­lungen“ als ein „leeres Begriffs­feld“ dient.

Damit verbindet sich, betont Laclau, die Gefahr der Entpo­li­ti­sie­rung und auch der Norma­li­sie­rung. Das zeigt sich etwa in wieder­keh­renden Redens­arten wie „Bekämp­fung des Klima­wan­dels“ oder „Anpas­sung an den Klima­wandel“, die einen Gegen­stand sugge­rieren (einen Agens), der nicht mehr als eine Chiffre ist. Über solche Opera­tionen sickert der Begriff „Klima­wandel“ in den kollek­tiven Sprach­kanon ein, verall­täg­licht sich und verliert sich im Unbe­stimmten. Vage adres­siert wird damit die im Ergebnis unstrit­tige Tatsache, dass sich das Klima „wandelt“, während die Ursache dieser „Wand­lung“, nämlich die fort­ge­setzte, wissent­liche Schä­di­gung der Atmo­sphäre durch Klima­gase mitsamt ihren Verur­sa­chern seman­tisch und diskursiv wegdi­vi­diert wird. Hier sehen wir also eine ebenso verklau­su­lie­rende wie verharm­lo­sende Stra­tegie am Werk, die darauf abzielt, von den Schul­digen abzu­lenken; genauso, wie die Erfin­dung des (zwischen­zeit­lich stan­dard­mäßig berech­neten) „CO2-Fussabdrucks“ durch BP von der eigenen Verant­wort­lich­keit ablenken wollte (und immer noch will).

In einem bemer­kens­werten Ansatz hat der Poli­to­loge Mario Cand­eias, Direktor des Insti­tuts für Gesell­schafts­ana­lyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung fest­ge­stellt, dass wir „in keiner offenen Situa­tion“ mehr leben; viel­mehr seien die „Entwick­lungs­pfade zwar umkämpft, aber viele Wege bereits verun­mög­licht und Alter­na­tiven verschlossen“.

Cand­eias sieht eine neue histo­ri­sche Phase kommen, die geprägt sein wird von einem hege­mo­nialen „Green Capi­ta­lism“, der aber, weil die Ausbeu­tungs­struk­turen fort­be­stehen, sowohl in den west­li­chen Gesell­schaften wie auch gegen­über dem globalen Süden zu neuen Konfron­ta­tionen führen wird; und dies in einer Welt, die aufgrund klima­ti­scher Extreme „von Gewalt und Kata­stro­phen geprägt sein wird“. Mario Cand­eias sieht hege­mo­niale Kämpfe, gepaart mit dem Kampf ums nackte Über­leben, auf uns zukommen und er ist entschieden der Ansicht, dass es an der Zeit wäre, sich Gedanken zu machen über eine „demo­kra­ti­sche und soli­da­ri­sche Lebens­weise, für eine sozia­lis­ti­sche Perspek­tive“, die mit Blick auf die Zeiten eines „Post-Growth“ (der unwei­ger­lich kommen wird) als Leit­linie dienen kann. Diese Perspek­tive erfor­dert, und darauf läuft Mario Cadeinas Argu­men­ta­tion hinaus, „disrup­tive Stra­te­gien“ inner­halb der Linken, eines „erkenn­baren und wirkungs­vollen Bruchs“ gegen­über dem ganzen Parteiengefüge.

Dieser „Bruch“, den Cadeinas fordert, beginnt, wie viele andere, mit einem anderen Gebrauch der Sprache, mit der Verwen­dung anderer Wörter. Herun­ter­ge­bro­chen auf die Frage nach der Verwen­dung des Begriffs „Klima­wandel“ kann das nur heißen, in radi­kaler Offen­heit zu benennen, was das Problem ist: die fort­ge­setzte, wissent­liche Konta­mi­nie­rung der Atmo­sphäre durch profit­gie­rige Konzerne, die Bürge­rinnen und Bürgern, Konsu­men­tinnen und Konsu­menten keine Alter­na­tive für Fort­be­we­gung und Heizung geboten haben (und weiterhin nicht bieten) als die fossilen Brenn- und Treib­stoffe, um deren Schäd­lich­keit sie erwie­se­ner­maßen seit den 1970er Jahren wissen.

Die briti­sche Zeitung The Guar­dian hat einen Anfang gemacht und schreibt in letzter Zeit immer häufiger von einem „human made climate change“, manchmal auch von einer „climate crisis, as the result of burning fossil fuels“. Es sind erste Versuche, die Folgen dieser Krise, in die wir gerade hinein­schlit­tern, und die Verur­sa­cher dieser Krise wieder zu versprach­li­chen, um die Spre­chenden neu hand­lungs­fähig und damit mächtig zu machen.