Prähistorische Geschlechterdebatten und salopper Rassismus in den Medien: Soll man sich darüber ärgern, gar "Kritik üben"? Nicht immer und nicht nur: Sich an seinen Gegnern abzuarbeiten, macht abhängig, traurig und handlungsunfähig.

  • Franziska Schutzbach

    Franziska Schutzbach hat Soziologie, Me­dien­­wissen­schaften und Ge­schlech­ter­forschung an der Uni­versität Basel studiert. Sie lehrt und forscht am Zentrum Gender Studies der Uni Basel.
Quelle: twitter.com

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In den Medien sind reak­tio­näre Welt­an­schau­ungen derzeit täglich zu hören oder zu lesen. Ob anti-muslimischer Rassismus oder prähis­to­ri­sche Geschlech­ter­de­batten, zu denen wie jüngst im Schweizer Fern­sehen tief-rechte Expo­nenten einge­laden werden – es scheint das Normalste auf der Welt, dass solche Stimmen zu bester Sende­zeit ihre Ansichten vom Stapel lassen dürfen. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben. Und das hat Auswir­kungen auf die Praxis.

Was tun? Was tun gegen solche zuneh­mend lauten Posi­tionen? Man kann versu­chen, sie zu igno­rieren, man kann sie kriti­sieren – oder aber ironi­sieren. Wie bei besagtem Bespiel des Schweizer Fern­se­hens: Die Sendung „Arena“ wirkte mit ihrem Titel („Frauen am Herd?“) und den gela­denen Gästen derart rück­schritt­lich und lächer­lich, dass unter den Hash­tags #SRFa­rena und #Frau­Am­Herd tage­lang Herd­bilder, Koch­töpfe, glück­liche Haus­frauen oder soli­da­ri­sche Männer am (oder im!) Herd gepostet wurden. Es war ein Spass. Natür­lich wird auf diese Weise das Patri­ar­chat nicht gestürzt, immerhin wurden nur Profil­bildli geän­dert und Rezepte getwit­tert. Konser­va­tive Geschlech­ter­mo­delle sind in der Schweiz nach­haltig und tief veran­kert. Aber während ein paar Stunden wurden sichtbar, dass nicht alle das gutheissen.

Hate goes Party

Elisabeth Koch, erste Schweizer Bundesrätin, am Herd; Quelle: facebook.com

Elisa­beth Koch, erste Schweizer Bundes­rätin, am Herd; Quelle: facebook.com

Stra­te­gien der Ironi­sie­rung wurden in den letzten Jahren immer wieder erfolg­reich einge­setzt, um auf gesell­schaft­liche Probleme aufmerksam zu machen. Zum Beispiel an den so genannten „Slut­walks“, an denen Frauen sich die nega­tive Zuschrei­bung „Schlampe“ (slut) sati­risch aneig­neten und an ‚Schlam­pen­mär­schen‘ gegen sexua­li­sierte Gewalt protestierten.

Ähnlich selbst­be­wusst wurde in den 1990er Jahren der Begriff „Kanacke“ von Exil-Türken besetzt, und in Deutsch­land veran­stal­teten jüngst Journalist_innen mit auslän­di­schen Namen so genannte „Hate Poetry“-Abende: Anstatt sich von den rassis­ti­schen Anfein­dungen, die sie täglich per Mail oder Kommen­taren errei­chen, zermürben zu lassen, rezi­tierten sie die Hass­kom­men­tare öffent­lich. Hate goes Party, es war eine Riesen­gaudi mit Schampus und Girlanden. Das ist nicht nur befreiend für Betrof­fene, sondern auch eine wich­tige Botschaft an Rassist_innen: Wir lassen uns weder unsere Stimme nehmen noch die Stim­mung verderben.

Quelle: twitter.com

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Viel­leicht ist das in dieser beängs­ti­genden Zeit genau das, was man sich nicht nehmen lassen sollte: Ein wenig Spass und der Versuch, ange­sichts der bestür­zenden Entwick­lungen nicht zu erstarren, nicht zu verhärten. Viel­leicht aber sollten wir noch einen Schritt weiter gehen, noch mutiger werden. Der Lite­ra­tur­theo­re­tiker und Philo­soph Jean-François Lyotard forderte in Inten­si­täten (1978), Kritik gänz­lich einzu­stellen. Es könne nicht um noch mehr kriti­sche Theorie gehen, schrieb er, denn Kritik lasse sich immer auf die Logik dessen ein, was kriti­siert wird, „sie richtet sich im Feld des Anderen ein und akzep­tiert, selbst in dem Moment, da sie ihn bekämpft, die Dimen­sion, die Rich­tungen und den Raum des Anderen“. Ähnlich formu­lierte es der Philo­soph Gilles Deleuze in Tausend Plateaus (1980): Kritik ersticke jegliche Versuche im Keim, neue Konzepte zu entwerfen: „Wann immer man mir mit einem Einwand kommt, möchte ich am liebsten sagen: ‚Einver­standen, einver­standen, gehen wir weiter…‘. Mit den meisten Einwänden verhält es sich wie mit den allge­meinen Fragen: Sie bringen uns nicht weiter“.

Frau Amherd; Quelle: facebook.com

Frau Amherd; Quelle: facebook.com

Deleuze bemerkte provo­kativ, dass kein Buch, das gegen etwas ist, jemals Bedeu­tung erlangt habe: „Es zählen allein die Bücher für etwas Neues“. Folgt man Deleuze, ist es letzt­lich nicht der Mühe wert, gegen die Wider­sin­nig­keiten zu protes­tieren, „man kann sie nicht bekämpfen, wenn sie einmal da sind. Es ist wich­tiger, andere Dinge zu tun und mit denen zu arbeiten, die in dieselbe Rich­tung gehen.“ Eine ähnliche Haltung hat auch die Philo­so­phin Wanda Tommasi, wenn sie fordert, die innere Fixie­rung auf die Macht der ‚Gegner‘ zu lockern, sich von ihren Mass­stäben und Rich­tungen zu lösen. Denn: Sich perma­nent an diesen abzu­ar­beiten, führe zu einer Art „rebel­li­schen Abhän­gig­keit“, einer zwang­haften Rebel­lion, die sich unun­ter­bro­chen auf das bezieht, was sie ablehnt. Und das bedeute letzt­lich Selbst­be­schrän­kung. Tommasi plädiert statt­dessen dafür, sich so weit wie möglich in die Posi­tion des Subjekts zu begeben. Damit meint sie nicht, die Tatsache der Diskri­mi­nie­rung zu leugnen, man müsse sich aber verge­gen­wär­tigen, dass es selbst in der ausweg­lo­sesten Situa­tion einen Rest Frei­heit, Subjek­ti­vität und selbst­be­stimmtes Handeln geben kann.

Herr/Knecht

Angela Merkel am Herd; Quelle: facebook.com

Angela Merkel am öffent­li­chen Herd; Quelle: facebook.com

Diese Frei­heit entsteht zum Beispiel, wenn vorherr­schende Mass­stäbe oder Diskurs-Logiken abge­lehnt werden. Wie das funk­tio­nieren kann, hat die afro-amerikanische Schrift­stel­lerin und Theo­re­ti­kerin Toni Morrison in einem TV-Interview vorge­macht: Als der (weisse) Mode­rator Morrison fragte, wie sie mit dem Problem der rassis­ti­schen Diskri­mi­nie­rung umgehe, antwor­tete sie: „I don’t have a problem with discri­mi­na­tion. You have a problem!“ Morrison gab den Ball zurück und erklärte, nicht die Schwarzen, sondern die Weissen hätten das Problem, denn es sei nicht nur funda­mental würdelos, sondern ein Zeichen grosser Schwäche, Privi­le­gien und Stärke aus einem System ziehen zu müssen, das andere herabsetzt.

Morrison weigerte sich auf diese Weise, die erfah­rene Diskri­mi­nie­rung als Effekt einer starken weissen Macht/Suprematie zu verstehen, und lenkte statt­dessen den Blick auf die oft unsicht­bare Tatsache, dass eine solche Macht grund­sätz­lich fragil ist. Ähnlich argu­men­tiert auch Tommasi, wenn sie schreibt, die Macht der Herr­schenden sei immer anfällig, denn sie sei letzt­lich darauf ange­wiesen, von den Beherrschten aner­kannt zu werden.

Quelle: twitter.com

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Anhand von Hegels Dialektik zwischen Herr und Knecht zeigt Tommasi das Paradox der Macht auf: Auch ein Selbst­be­wusst­sein, das sich für absolut hält, sei von etwas abhängig, nämlich von der Aner­ken­nung durch ein anderes Selbst­be­wusst­sein. Deshalb sei es eine wirkungs­volle Stra­tegie für Margi­na­li­sierte und Unter­drückte, diese Aner­ken­nung und Koope­ra­tion inner­lich (und wenn möglich auch äusser­lich) zu verwei­gern. Und zwar dadurch, dass sie die eigene Verschie­den­heit von den vorherr­schenden Kräften betonen.

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So gesehen liegt das subver­sive Poten­tial nicht so sehr in einer möglichst präzisen Kritik, und auch nicht im hilf­losen Jammern und Augen­ver­drehen ob der herr­schenden Verhält­nisse. Eine solche Haltung wieder­holt letzt­lich eben­diese Verhält­nisse, verbleibt in ihrem Spek­trum. Das vorherr­schende System wird viel­mehr dann wirkungs­voll ange­griffen und infrage gestellt, wenn dieje­nigen, die margi­na­li­siert werden sollen, sich abwenden, die vorge­ge­benen Diskurse verlassen und ihre Verschie­den­heit stärken. Es geht darum, ein eigen­sin­niges ‚Aussen‘ zu entfalten, das von den ‚Gegnern‘ nichts fragt und nichts fordert. Es geht darum, die Geschichte von anderen Subjekt­wer­dungen zu erzählen und zu leben, und ihnen Auto­rität und Bedeu­tung zu verleihen.