Der „Doppeladler“-Torjubel von Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ist mehr als Ausdruck einer von Migration geprägten Schweiz. In ihm zeigt sich eine Art von Fussball, die nationale Rivalitäten aufs Äusserste kultiviert und Versöhnung verhindert.

  • Andrej Marković

    Andrej Marković ist Doktorand an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars der Universität Zürich. Er forscht zur Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens.

Fuss­ball bewegt. Mehr noch als der Fuss­ball bewegt aber die Nation. Gerade die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer stellt nicht nur die Popu­la­rität des Ball­sports und die Vermark­tungs­fä­hig­keiten des Welt­fuss­ball­ver­bands unter Beweis, sondern auch die Anzie­hungs­kraft des Natio­nalen. Wer wollte schon die im Vergleich zu Champions-League-Spielen höheren Fern­seh­ein­schalt­quoten mit der an „der WM“ gebo­tenen fuss­bal­le­ri­schen Leis­tung erklären? Wenig erstaun­lich also, dass in der Schweiz über den Torjubel der schwei­ze­ri­schen Natio­nal­spieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri heftig debat­tiert wurde. Die beiden Fuss­baller hatten nach ihren Tref­fern im Spiel gegen Serbien den Doppel­adler der alba­ni­schen Flagge mit ihren Händen nach­emp­funden. Für viele in der Schweiz ein Unding, schliess­lich habe man für eine, nämlich die schwei­ze­ri­sche, Nation zu spielen – dann aber auch bitte beim Schwei­zerpsalm sein Äusserstes zu geben.

Die Diskus­sion ist nicht neu. Für weite Teile der Schweizer Öffent­lich­keit ist es ein Problem, wenn Migranten ihren Mehr­fach­zu­ge­hö­rig­keiten im Schweizer Trikot Ausdruck verleihen. Vor einigen Jahren sah sich sogar der Schweizer Fuss­ball­ver­band dazu veran­lasst, den Gebrauch des «Doppel­ad­lers» zu regle­men­tieren. Doch wer die Diskus­sion um den Torjubel auf die Frage der Legi­ti­mität von Mehr­fach­zu­ge­hö­rig­keiten redu­ziert, wird den Komple­xi­täten der schwei­ze­ri­schen Einwan­de­rungs­ge­sell­schaft nicht gerecht. Nicht alle Äusse­rungen von Migranten lassen sich in diesen alther­ge­brachten Deutungs­rahmen zwängen. Zur Vertei­di­gung der beiden Spieler wies man in den Sozialen Medien humo­ris­tisch auf Wappen­vögel in „urschwei­ze­ri­schen“ Kontexten hin, wertete den Torjubel als anti­ras­sis­ti­schen Akt oder soli­da­ri­sierte sich im progres­siven Selbst­ver­ständnis. Letz­teres hatte der „Nati“-Captain Stephan Licht­steiner bereits im Spiel vorge­macht. Doch damit ist es nicht getan. Statt­dessen sollte man einen Blick auf die Verhält­nisse im post­ju­go­sla­wi­schen Sport wagen.

Natio­na­lismen im post­ju­go­sla­wi­schen Sport

Schaute man sich unmit­telbar nach dem Spiel serbi­sche Online­por­tale an, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Aufmerk­sam­keit vor allem dem Spiel der serbi­schen Mann­schaft und der Leis­tung des Schieds­rich­ters galt. Der Schweizer Torjubel bewegte wenig. Ange­sichts der Bericht­erstat­tung im Vorfeld der Partie konnte das erstaunen, schliess­lich wurde auch in der Schweiz die Erwar­tung an ein „heisses“ Spiels geschürt. Doch gerade das Ausbleiben grös­serer Reak­tionen auf die Geste macht deut­lich, wie sehr man sich im ehemals jugo­sla­wi­schen Raum an die natio­na­lis­ti­sche Drama­ti­sie­rung von sport­li­chen Duell gewöhnt hat.

Kroa­tiens Natio­nal­spieler Šimunić rief nach der erfolg­rei­chen WM-Qualifikation 2013 Parolen der faschis­ti­schen Ustaša-Bewegung; Quelle: kosmo.at

Dies gilt insbe­son­dere für den Männer-Fussball, der die meisten Zuschauer anzieht und wieder einmal Männern die Vertei­di­gung der natio­nalen Ehren anver­traut. Wie überall war Fuss­ball auch schon vor dem Zerfall Jugo­sla­wiens nicht unpo­li­tisch, seine Rhetorik oft krie­ge­risch. Seit seinen Anfängen war er zudem mit natio­nalen Bewe­gungen verknüpft. In den von den Zerfalls­kriegen geprägten jugo­sla­wi­schen Nach­fol­ge­staaten geriet er aller­dings voll­ends zu einer Bühne, auf der Fangruppen sport­li­chen Wett­be­werb mit natio­na­lis­ti­scher Mili­tanz und Geschichts­po­litik engführten. In ihren Choreo­gra­fien schworen sie der natio­nalen Sache die Treue und deuteten Quis­linge und Faschisten aus dem Zweiten Welt­krieg, als Jugo­sla­wien von den Achsen­mächten zerschlagen und besetzt wurde, zu patrio­ti­schen und anti­kom­mu­nis­ti­schen Helden um.

Fans von Partizan Belgrad singen im Spiel gegen den maze­do­ni­schen Verein KF Shkën­dija: „Tötet den Albaner!“; Quelle: youtube.com

Das lässt sich auch an der laufenden Welt­meis­ter­schaft beob­achten. Im Spiel gegen die Mann­schaft von Costa Rica waren serbi­sche Fans mit dem Banner einer mili­tä­ri­schen Einheit zu sehen, die von einem „Gross­ser­bien“ träumte und faktisch mit den Besat­zern kolla­bo­rierte. Derweil zeigten Aufnahmen, wie kroa­ti­sche Spieler in der Kabine ihren Sieg über Argen­ti­nien mit einem Lied der rechten Band „Thompson“ feierten, dessen erste Text­zeile mit der Gruss­pa­role der faschis­ti­schen Ustaša-Bewegung iden­tisch ist. Zwar gelang es natio­na­lis­ti­schen Fuss­ball­fans nur in Kroa­tien und insbe­son­dere Serbien zeit­weise zu rele­vanten poli­ti­schen Akteuren aufzu­steigen, doch die Form ihrer Botschaften stösst auf grenz­über­schrei­tende Zustim­mung. So findet der in serbi­schen Stadien popu­läre Schlachtruf „Tötet den Albaner!“ andern­orts seine Entspre­chung: Letztes Jahr sangen etwa die Fans der koso­va­ri­schen und kroa­ti­schen Mann­schaft in einem Quali­fi­ka­ti­ons­spiel für die Welt­meis­ter­schaft: „Tötet den Serben!“

Fuss­ball­spiele und Mordaufrufe

Ein Wandel erfolgt nur langsam, was sich auch an der Regel­mäs­sig­keit zeigt, mit der Strafen über die betref­fenden Fuss­ball­ver­bände verhängt werden. Insbe­son­dere bei Spielen zwischen Mann­schaften mit den Farben der ehema­ligen Kriegs­gegner wird die natio­nale Konfron­ta­tion stets aufs Neue zur Schau gestellt. Ein Beispiel hierfür sind die Quali­fi­ka­ti­ons­spiele im Rahmen der Welt­meis­ter­schaft 2014 zwischen der kroa­ti­schen und serbi­schen Mann­schaft, die ohne Gäste­pu­blikum ausge­tragen werden mussten. Die mediale Aufmerk­sam­keit konnte ganz von den einhei­mi­schen Fans gepachtet werden, die sich jeweils als schlechte Gast­geber erwiesen. Im Hinspiel in Zagreb ordnete das Haupt­trans­pa­rent den Match in einen angeb­lich über tausend Jahre währenden kroa­ti­schen Abwehr­kampf ein. In der serbi­schen Haupt­stadt sorgten die Fans hingegen für Aufsehen, indem sie das im Kroa­ti­en­krieg von serbi­schen Truppen weit­ge­hend zerstörte Vukovar für Serbien beanspruchten.

Eine Drohne trägt bei der Partie Serbien gegen Alba­nien eine Fahne „Gross­al­ba­niens“ über den Platz; Quelle: bernerzeitung.ch

Hohe Wogen schlug das Länder­spiel zwischen Serbien und Alba­nien im Rahmen der Quali­fi­ka­tion zur Euro­pa­meis­ter­schaft 2016: Eine Drohne trug die auf ein Banner gedruckten Umrisse eines weite Teile des West­bal­kans einschlies­senden „Gross­al­ba­niens“ über das Feld. Das Publikum reagierte mit der Into­na­tion von „Tötet den Albaner!“ und das Spiel musste nach einem Platz­sturm abge­bro­chen werden. Ange­sichts solcher Exzesse ist es nicht über­ra­schend, dass in der serbi­schen Öffent­lich­keit heftige Reak­tionen auf den „Doppel­adler“ ausblieben. Die Geste wurde ange­sichts solch offener Bekennt­nisse zum Massen­mord eher als vergleichs­weise harm­loser Ausdruck der eigenen Zuge­hö­rig­keit verstanden.

Instru­men­ta­li­sie­rungen des Fuss­balls von allen Seiten

Solche gewalt­be­reiten Fangruppen sind auch im ehemals jugo­sla­wi­schen Raum keine Sympa­thie­träger. Dennoch liegt der Akzent der Bericht­erstat­tung der in der Region domi­nanten Medien auf den Verfeh­lungen der Anhänger der gegne­ri­schen Mann­schaft. Es ist der ehema­lige Kriegs­gegner, den die Sport­be­richt­erstat­tung droht, als unver­bes­ser­lich und hass­erfüllt hinzu­stellen. Auch aufgrund solcher einge­spielten Erwar­tungen erklärt sich das Inter­esse der serbi­schen Öffent­lich­keit an Spie­lern der Schweizer Fuss­ball­mann­schaft mit alba­ni­schem Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Mit ihm stehen in erster Linie natio­nale Riva­li­täten im Vorder­grund und damit immer auch der poli­ti­sche Konflikt zwischen den Nationen, der sich haupt­säch­lich um das mehr­heit­lich von Alba­nern bewohnte und für den serbi­schen Natio­nal­my­thos zentrale Kosovo dreht. Vor zehn Jahren rief die ehemals serbi­sche Provinz ihre Unab­hän­gig­keit aus, die Serbien bis heute nicht aner­kennt. Erschwert wird eine Annä­he­rung auch, weil sich die serbi­sche Gesell­schaft einer adäquaten Ausein­an­der­set­zung mit der in den Neun­zi­gern eska­lierten Repres­si­ons­po­litik gegen­über der kosovo-albanischen Bevöl­ke­rung verwei­gert, obwohl diese zur Flucht und Vertrei­bung von über einer Million Menschen führte. Dessen einge­denk sollte man sich mit über­harten Urteilen gegen Xhaka und Shaqiri zurück­halten. Der Jubel ist auch Ausdruck einer von dieser Gewalt­po­litik gezeich­neten Biografie.

Für eine alba­ni­sche Tages­zei­tung stellte der Sieg der Schweizer Natio­nal­mann­schaft bei der WM einen Trumpf der „Albaner“ über die Serben dar; Quelle: shekulli.com.al

Zugleich wird auch im Kosovo fast ausschliess­lich den „eigenen“ Opfern gedacht. Und überall wird die konfron­ta­tive Stim­mung nicht zuletzt von poli­ti­schen Eliten aufrecht­erhalten. Der um eine popu­lis­ti­sche Aussage nie verle­gene serbi­sche Präsi­dent und mäch­tigste Mann im Staat Alek­sandar Vučić witzelte vor der Welt­meis­ter­schaft viel­sa­gend, dass er einen deut­li­chen Sieg gegen die Schweiz erwarte. Der alba­ni­sche Premier­mi­nister Edi Rama, der über eine Verei­ni­gung Alba­niens und Kosovos wieder­holt laut nach­ge­dacht hatte, feierte wiederum die Bilder des Torju­bels als Foto des Tages. Die Schweizer Mann­schaft trug aller­dings nicht nur für Poli­tiker, die aus serbisch-albanischen Konfron­ta­tionen Kapital schlagen, zuneh­mend die Züge eines alba­ni­schen und damit in den Konflikt invol­vierten Teams. In kroa­ti­schen und bosni­schen Online­por­talen nahmen Kommen­tar­schreiber den Sieg „der Albaner“ über die serbi­sche Auswahl mit Genug­tuung zur Kenntnis. So sehr sich in diesen Äusse­rungen auch die Perspek­tiven von Auswan­de­rer­ge­sell­schaften spie­geln, die den Bezug der Diaspora zur „alten Heimat“ betonen, so sehr zeigen sie auch, wie stark die Feind­schaften der jugo­sla­wi­schen Zerfalls­kriege im öffent­li­chen Bewusst­sein präsent bleiben und im Sport fort­ge­schrieben werden.

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Das gefähr­liche Spiel nicht mitspielen

Deswegen ist „der Doppel­adler“ keine Baga­telle. Ihn ausge­rechnet im Spiel gegen Serbien zu zele­brieren, bedeu­tete den sport­li­chen Triumph zu einem über das Spiel­feld hinaus­wei­senden, natio­nalen Erfolg umzu­deuten. Wohl­ge­merkt: eines (erneuten) alba­ni­schen Siegs über Serben. Dass die Botschaft nicht nur die Fans im Stadion, die sie ausge­pfiffen, errei­chen sollte, machten beide Spieler mit ihren zwischen­zeit­lich in den sozialen Medien veröf­fent­lichten Fotos ihres Jubels deut­lich, die unter natio­nalen Vorzei­chen verär­gert respek­tive eupho­ri­siert kommen­tiert werden. Grund­sätz­lich sind derar­tige Über­hö­hungen sport­li­cher Wett­kämpfe keine Beson­der­heit des post­ju­go­sla­wi­schen Raums. Aller­dings sind sie dort auch aufgrund der Kriege der jüngsten Vergan­gen­heit beson­ders ausge­prägt und tragen ihren Teil zu einer anhal­tenden Entfrem­dung und andau­ernden natio­na­lis­ti­schen Mobi­li­sie­rung bei. Bei diesem Spiel sollte man nicht mitspielen.