„Eine Grenze“, schreibt die im südtexanischen Rio Grande Valley aufgewachsene Dichterin Wendy Trevino „ist, wie race, eine grausame Fiktion“. Aufrechterhalten werden könne sie, heißt es in ihrem Gedichtzyklus Brazilian Is Not a Race, nur durch „Gewalt, die niemand mit etwas anderem als Gewalt verwechseln kann“. Diese transformiere menschliche Beziehungen, könne gar neue Kategorien von Menschen produzieren. Wendy Trevino begreift Grenzen folglich nicht bloß als repressiv, sondern erkennt die produktive Kraft der Grenzziehung: Als „Sortiermaschine“ trifft die Grenze Unterscheidungen zwischen jenen Subjekten, deren freie Mobilität gewährleistet wird, und anderen, deren Bewegungsfreiheit unterbunden wird. Grenzen sind ein Teil der materiellen Infrastruktur eines „Bewegungsregimes“, das diese Subjektkategorien in der Praxis (re)produziert.
Europas Grenzen

Tweet von @KeremSchamberg
Dieser Prozess geht, wie Trevino eindrücklich beschreibt, nicht ohne Gewalt vonstatten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt beispielsweise, dass in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits 1.200 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken seien. Gewalt kann hier als unterlassene Hilfeleistung auftreten oder als Kriminalisierung der Seenotrettung. Gleichzeitig greifen Grenzschützer*innen auch zu unmittelbar gewalttätigen Methoden, wenn etwa mit Handschellen gefesselte Geflüchtete ins offene Meer geworfen werden. Zwar geschieht dies meist fernab der Öffentlichkeit, doch kommt es auch vor, dass die Gewalt, mit der die „Festung Europa“ gesichert wird, spektakuläre Bilder produziert, die öffentliche Reaktionen hervorrufen. Lassen sich diese Einzelschicksale artikulieren, besonders wenn die Opfer Kinder sind – und insbesondere solche, die als nicht-Schwarz positioniert werden – werden Affekte wie Mitleid oder Empörung produziert.
Am 24. Juni dieses Jahres starben mindestens 37 Menschen, größtenteils aus dem Sudan, bei dem Versuch, die Grenze der spanischen Exklave Melilla zu passieren. Selbst langjährige Beobachter*innen, die mit der Gewalt des europäischen Grenzregimes vertraut sind, waren erschrocken ob der Brutalität des „Massakers“. In einer gemeinsamen Erklärung des Rats für Migration und medico international heißt es: „Es ist das Bild aufgehäufter menschlicher Leiber, von Halbtoten und Toten, das ein neues Niveau der Feindschaft und Entmenschlichung demonstriert.“

Poster „World War Z“, Quelle: amazon.com
Im rechtskonservativen politischen Lager lässt sich eine gewisse Schadenfreude nicht übersehen. So teilte ein selbsternannter „paläolibertärer“ Twitter-Nutzer ein Bild, auf dem ein Foto der Geflüchteten, die versuchen, den Grenzzaun in Melilla zu überwinden, neben ein Werbeposter für den Film World War Z (2013) gesetzt ist. Beide Bilder zeigen eine Masse aufgehäufter Leiber, die vor blauem Himmel in Gestalt dunkler Silhouetten zu erkennen ist, was es nahezu unmöglich macht, individuelle Körper zu unterscheiden. Die entmenschlichende Gleichsetzung flüchtender Menschen und fiktiver Untoter besorgt der Nutzer (dessen Name ich nicht nenne, um seinem Account keine zusätzliche Reichweite zu verschaffen) mit der Bildüberschrift „Wenn aus Filmen Realität wird“. Als kulturelle Repräsentation dient mithin die Gattung des Zombiefilms, das heißt als „Linse“ und „Blaupause“: Sie liefert sowohl ein Klassifikationsmuster als auch eine Handlungsanweisung. Flüchtende werden entindividualisiert und dehumanisiert; die Ausübung von Gewalt gegen sie legitimiert, ja als notwendig dargestellt.
Monströse Mobilität
Ein Blick auf die Grundstruktur der Zombieerzählung zeigt, dass sie wesentlich durch die Bedrohung durch exzessive Mobilität und deren Einhegung durch bestimmte Grenzen organisiert ist. Carl Swanson zufolge markiert eine Grenze in der Zombieerzählung einen Überlebensraum, in dem menschliche Charaktere vor den untoten, ansteckenden „Anticharakteren“, d.h. den Zombies geschützt sind. Inhaltlich mögen die Charaktere durch die fleischfressenden Monster bedroht sein, auf der Ebene der Narration hingegen muss das Handeln der Menschen die Möglichkeit des Fortschreitens der Erzählung selbst gewährleisten – denn ohne handlungsfähige Charaktere kann nicht(s) erzählt werden.

George A. Romeros „Night of the Living Dead“ (1968), Quelle: codigoespagueti.com
Die Grenzen, welche einen Raum schaffen, in dem die Erzählung voranschreiten kann, können solide Mauern oder hastig vor Fenster genagelte Bretter sein. Früher oder später müssen sie allerdings fallen, was zu actionreichen Fluchtsequenzen führt, die mit dem Erreichen eines neuen Überlebensraumes – oder dem Tod der Charaktere – enden. Swanson unterscheidet zwischen zwei Formen der Grenzüberschreitung, einem „soft breach“ und einem „hard breach“. Ersterer entsteht, wenn ein Zombie den Raum der Erzählung betritt, ohne eine unmittelbare Gefahr darzustellen. Ein „hard breach“ tritt ein, wenn die Mauern fallen und die Charaktere kämpfen oder fliehen müssen. Unabhängig von der konkreten Geschichte, die eine Zombieerzählung erzählt, kennzeichnet seit George A. Romeros Night of the Living Dead (1968) diese Struktur die Gattung der Zombie-Filme.
Der Hollywood-Blockbuster World War Z (Marc Forster, 2013) artikuliert die Logik der Zombieerzählung explizit als Angst vor der Überschreitung von nationalstaatlichen Grenzen durch ansteckende Antisubjekte. Auf der Suche nach dem Ursprung des Virus, der Menschen in Zombies verwandelt, reist der Protagonist Gerry Lane (gespielt von Brad Pitt) nach Jerusalem. Die Stadt ist umgeben von einer hohen Mauer, da die israelische Regierung früh auf Berichte von Zombies reagiert hat. Während Lane durch die Stadt geführt wird, strömen schutzsuchende Palästinenser*innen in die Stadt. Spontan beginnt ein religionsübergreifendes gemeinsames Singen, was allerdings schnell die Zombies anlockt. Diese brechen schließlich in Form einer enormen menschlichen Welle über die Mauer – ein klassischer „hard breach“, der Lane zur Flucht zwingt.
Die der Zombieerzählung inhärente Notwendigkeit der Vergrenzung wird in World War Z auf besonders perfide Weise inszeniert. Der „soft breach“ wird hier nicht durch temporär harmlose Zombies ausgelöst, sondern durch menschliche Charaktere. Doch ist es in der Logik des Films die falschen Kategorie Mensch – muslimische Palästinenser*innen –, die eine Grenze passieren, welche sie eigentlich aussortieren sollte. Das Angebot, schutzsuchende Geflüchtete aufzunehmen, zeitigt, so der Film, fatale Konsequenzen. Ein „soft breach“, der darin besteht, den Anderen willkommen zu heißen, muss hier zu einem „hard breach“ und somit zum Untergang der politischen Gemeinschaft führen. Kaum verwunderlich also, dass der Film Anklang im rechten Lager findet.
Figurationen der Mobilität
Doch wäre es falsch, den Blick ausschließlich auf die exzessive Mobilität der Monster zu richten. Die Zombieerzählung kann nur weitergehen, wenn die „richtigen“ Subjekte beweglich bleiben. Die Rolle des mobilen Subjekts erfüllt Gerry Lane. Anders als der Virologe Dr. Fassbach, der zunächst scheinbar die beste Chance ist, das Virus aufzuhalten, aber beim ersten Anblick der Zombies in Panik gerät und sich versehentlich mit der eigenen Waffe erschießt, bleiben Lanes Bewegungen auch in gefährlichen Situationen stets maßvoll und kontrolliert.
Diese Gegenüberstellung der exzessiven Mobilität der entindividualisiert-irrationalen Masse und der kontrollierten Bewegung des rationalen Subjekts strukturiert aber nicht nur World War Z, sondern ist notwendige Konsequenz der erzählerischen Grundstruktur der Gattung: Beweglichkeit ist (überlebens-)notwendig, erfordert aber strenge Selbstregulation, während unkontrollierte Mobilität Leben und Erzählung bedroht und mit allen Mitteln eingehegt werden muss.
Damit aber greifen Zombieerzählungen ein Motiv auf, das den Versuch der modernen politischen Philosophie, das liberale Subjekt zu konzeptualisieren, tief geprägt hat. Wie die Politikwissenschaftlerin Hagar Kotef zeigt, wurden im politischen Denken des Liberalismus Freiheit und Bewegungsfähigkeit als eng verschränkt gedacht, dabei aber von der exzessiven Mobilität „unbändiger Subjekte“ abgegrenzt. Und während Thomas Hobbes noch den Staat in der Pflicht sah, der exzessiven Mobilität Grenzen zu setzen, war es für John Locke namentlich das Grundeigentum, welches als Garant für freie, rationale Subjektivität und moderierte Mobilität figurierte. Lockes im Kontext der Kolonisierung Nordamerikas entstandene Eigentumstheorie behandelt indigene Bevölkerungen, die das Land gemeinschaftlich bewirten, als grundsätzlich irrational. Ihre überschüssige und daher exzessive, nicht in der Freiheit und Rationalität des Privateigentums verankerte Mobilität musste für ihn als Bedrohung erscheinen.
Eine ähnliche Gefahr erblickte Locke jedoch auch innerhalb Englands, wo sich zeitgleich die Enteignung der Landbevölkerung – von Marx eindringlich als sogenannte „ursprüngliche Akkumulation“ beschrieben – vollzog. Auch hier entstand eine eigentums- und vor allem landlose, gezwungenermaßen hochmobile Klasse, die Locke wie viele seiner bürgerlichen Zeitgenoss*innen als überaus bedrohlich wahrnahm. Er sah jedoch in der Auswanderung in die nordamerikanischen Kolonien eine Lösung für dieses Problem, da die landlosen Engländer*innen dort zu Eigentümer*innen werden konnten – was wiederum die Vertreibung der indigenen Bevölkerung bedeutete. Dieses Zusammenspiel der Enteignungen in England und in den Kolonien sorgte nach Kotef für eine „konstante Produktion ‚exzessiver‘ Bewegungen“. Die Konstitution des liberalen, Eigentum besitzenden Subjekts und seines besitzlosen, irrationalen und daher gefährlichen Anderen fielen zusammen.
Die Figurenkonstellation der Zombieerzählung spiegelt also Figurationen der Mobilität, die ihren Ursprung in der Geschichte von Kapitalismus und Siederkolonialismus haben. Üblicherweise verweist die Zombieforschung auf die Geschichte des vorrevolutionären Saint-Domingue, wo es der Kontext der Plantagensklaverei war, in dem die Figur des fremdgesteuerten lebenden Toten Gestalt annahm. Allerdings findet sich in den Geschichten karibischer Zombies kein Äquivalent zur Erzählstruktur des maßgeblich von Romero beeinflussten jüngeren Zombiefilms – zumal die Untoten in Night of the Living Dead noch als Ghouls und nicht als Zombies bezeichnet werden.

Poster, „Union Pacific“ (1939), Quelle: filmaffinity.com
Vielleicht also sind die Ahnen der lebenden Toten der Gegenwart weniger karibische Sklaven als vielmehr die besitzlosen, oft buchstäblich nomadischen Armen Europas und die „Wilden“ Nordamerikas. Tatsächlich finden sich etwa in älteren Westernfilmen regelmäßig Bilder, welche die Ikonographie des Zombiefilms antizipieren. Man muss nur die Belagerung dreier Weißer in einem von „Indianern“ umringten Eisenbahnwagon in Union Pacific (1939) mit dem Ansturm der Zombies auf die schutzbietende Hütte in Night of the Living Dead vergleichen: Beide Filme wechseln zwischen Außenaufnahmen der sich irrational bewegenden „Wilden“ und Einstellungen innerhalb des Überlebensraums, wobei wiederholt Hände durch Fenster und andere Öffnungen greifen und die „positiven“ Charaktere bedrohen.
Eine Welt ohne Zombies
Es ist wohl kein Zufall, dass in den späten 1960ern und am Vorabend des „langen Abschwungs“ (Robert Brenner), welcher den Nachkriegsboom beenden sollte, das Motiv enteigneter, exzessiv mobiler Antisubjekte im Westernfilm von bloßen Momenten zu einer eigenen Gattung wurden. Ebenso wenig sollte es verwundern, dass jüngere Zombiefilme explizit ökologische Themen und die gewaltsame Sicherung von Grenzen thematisieren. Sie antizipieren in der filmischen Erzählung, dass in naher Zukunft die Klimakatastrophe tatsächlich weite Teile der Welt unbewohnbar machen und Fluchtbewegungen in schier unvorstellbarem Ausmaß auslösen wird.
Zweifellos existieren Grenzregime ganz unabhängig von kulturellen Repräsentationen. Letztere können aber Deutungsmuster anbieten, welche die Wahrnehmung grenzüberschreitender Bewegungen als „exzessive“, nur durch den Einsatz tödlicher Gewalt zu stoppende Mobilität reifizieren. Innerhalb der manichäischen Welt der Zombieerzählung kann es keine Solidarität zwischen Lebenden und lebenden Toten geben. Anstatt die Logik der Gattung zu affirmieren, wie es der eingangs erwähnte Tweet macht, muss diese mitsamt ihrer dehumanisierenden Darstellung des Anderen zurückgewiesen werden.
George A. Romero selbst, dessen Filme immer schon selbstkritisch die Ideologie der Zombies hinterfragten, scheint dies erkannt zu haben, wenn er den lebenden Toten nach und nach so etwas wie einen Subjektstatus zuspricht. In Land of the Dead (2005) verzichtet der Protagonist am Ende darauf, Gewalt gegen die sich bereits entfernenden Zombies anzuwenden, da er die Gemeinsamkeit zwischen sich und ihnen erkennt: „Sie suchen nur einen Ort, wo sie hinkönnen“, sagt er. „So wie wir“. Dies anzuerkennen, hieße nichts weniger als die „Barbarei“ existierender Grenzregime abzulehnen.