In Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens, fand am 25. Februar 2020 ein weiterer Gipfel der G5 Sahel statt. Angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen in der von Terrorismus, Menschenhandel sowie grenzüberschreitender Kriminalität bedrohten Region hatten sich im Jahr 2014 auf Initiative Frankreichs die fünf Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad in der G5 Sahel zusammengeschlossen. Ihr Sekretariat hat seinen Sitz in Nouakchott. Die wichtigsten Geber der G5 Sahel sind Frankreich und die EU. Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage riefen die Sahel-Staaten vor drei Jahren die „Force Conjointe“ (Gemeinsame Streitmacht) zur Sicherung der Grenzen zwischen den G5 ins Leben, die in Mali angesiedelt ist.
Keine Sicherheit ohne Entwicklung
Die G5 Sahel zielt prioritär auf regionale Integration und Entwicklung und erwartet hierfür substantielle Unterstützungsleistungen der internationalen Geber – es handelt sich schließlich um fünf der ärmsten Staaten der Welt, die zudem wegen der Folgen des Klimawandels und einem rasanten Bevölkerungswachstum besonders anfällig sind. Allerdings wird Entwicklung ohne Sicherheit nicht möglich sein, und daher gilt bislang als Schwerpunkt der Zusammenarbeit der Ausbau des Sicherheitssektors unter internationaler – in erster Linie französischer – Beteiligung und Finanzierung durch die EU. Umgekehrt aber ist für die Stabilisierung ein erkennbarer Fortschritt bei der Entwicklung unabdingbar. Obwohl allen klar ist, dass weder Sicherheit noch Entwicklung in Regionen möglich sind, in denen der Staat die Bevölkerung im besten Fall auf sich alleine gestellt lässt oder diese im schlimmsten Falle eher schikaniert als vor Übergriffen schützt, liegt das Augenmerk kaum auf der Beseitigung der sozialen und politischen Ursachen. Zu diesen Ursachen gehören schlechte Regierungsführung und Korruption, auch innerhalb der Sicherheitskräfte, die erst zu der angespannten Sicherheitslage und dem Erstarken jihadistisch-terroristischer Gruppen zunächst in einzelnen Nachbarstaaten und dann in der gesamten Region Westafrika geführt haben. Sie sollen nun durch einen weiteren Ausbau des Sicherheitssektors beseitigt werden.
Der eigene Weg Mauretaniens
Bei dem Gipfel Ende Februar übernahm Mauretanien unter Staatspräsident El-Ghazouani turnusgemäß den Vorsitz der G5 Sahel für das laufende Jahr. Der bevölkerungsärmste der G5 Staaten erhält damit größeres politisches Gewicht und verstärkte internationale Aufmerksamkeit. Umso mehr lohnt sich ein Blick auf das Land, das vom Westen fälschlicherweise häufig nur mit Terrorismus assoziiert wird, obwohl seit etwa zwölf Jahren keine Vorfälle auf mauretanischem Territorium mehr zu verzeichnen waren. Zudem hat es einen eigenen Weg bei der Bekämpfung des Jihahdismus gefunden, der gerade nicht die Religion in Frage stellt, sondern vielmehr auf sie setzt.

In der Wüstenstadt Oualata; Foto: H. Dickow
Mauretanien ist der einzige rein islamische Staat in der Region und der Islam ist seit der Unabhängigkeit Staatsreligion. Wie die Muslime in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind die Mauretanier Malekiten; sie sind zwar überwiegend strenggläubig, wirken zugleich aber bemerkenswert unideologisch – offenbar unter dem Einfluss sufistischer Traditionen (Marabutismus). Anders als in Burkina Faso, Mali, Niger und dem Tschad, wo es substanzielle christliche Minderheiten gibt, sind die knapp 4.000 überwiegend katholischen Christen in Mauretanien allesamt Ausländer, die in ihrer Religionsausübung nicht behindert werden. Die anderen vier Sahel-Staaten halten zumindest auf dem Papier an einer von Frankreich inspirierten laizistischen Verfassung fest.
Mauretanien erlebte schon vor dem Militärputsch in Mali 2012, der gemeinhin als Beginn der sicherheitspolitischen Krise im Sahel gilt, Angriffe durch jihadistische Gruppen: Anschläge auf Militärposten und Entführungen von Ausländern – nicht nur in den Weiten der Wüste, sondern bis vor die Tore Nouakchotts – gehörten im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zur Tagesordnung. Aber schon damals – unter der Präsidentschaft von Mohamed Abdel Aziz – suchte das Land, neben der Grenzsicherung insbesondere im Norden, eine bemerkenswerte Antwort auf die Herausforderungen. Gemeinsam setzten politische und religiöse Führer auf Dialog: Gegen Attentäter wurden Fatwas verhängt, verurteilte Jihadisten in den Gefängnissen erhielten Religionsunterricht von hochrespektierten Scheichs, die sie über die Unvereinbarkeit von Gewalt und religiösen Vorschriften aufklärten; religiöse Autoritäten befragten Jihadisten während ihrer Haft über ihre Beweggründe für den Anschluss an islamistische Terrorgruppen; die ideologische Ausrichtung von Koranschulen wurde genau beobachtet, gleichzeitig erhielten Koranschulabsolventen Posten in der öffentlichen Verwaltung, um sie weniger anfällig für extremistische Propaganda werden zu lassen. Auch wissenschaftliche Konferenzen nehmen sich des Themas an. Die Leitung der islamischen Universität von Aioun gründete – wiederum in Absprache mit staatlichen Autoritäten – im vergangenen Jahr ein Forschungszentrum zu gewaltbereitem Radikalismus.
Die gesellschaftliche Verantwortung des Islam
Die höchsten islamischen Gelehrten des Landes diskutierten jüngst auf einer von den Vereinigten Arabischen Emiraten gesponserten Konferenz in Nouakchott über die Rolle und Verantwortung des Islam in der Gesellschaft. Der Spiritus Rektor dieser Veranstaltung und Doyen der mauretanischen Ulema, Scheich Abdullah Beyeu, ist schon mit dem Papst und auch Bundespräsident Steinmeier zusammengetroffen. Er tritt nicht als Sprachrohr der Politik auf, sondern als selbstbewusster und zugleich bescheidener Gelehrter, der seine Anschauungen eloquent kundtut. So stellt er sich der Debatte mit Andersdenkenden – sowohl mit Muslimen als auch mit Anhängern anderer Religionsgemeinschaften – und plädiert für ein friedliches Zusammenleben insbesondere auch zwischen Anhängern unterschiedlicher islamischer Strömungen. Gewalt sei durch den Islam nicht gerechtfertigt, so Beyeu.
Auch der Staat nimmt seine Aufgaben ernst: In entlegenen Grenzregionen wurde mit einem bescheidenen Ausbau der Infrastruktur begonnen. Und anders als in manchen Nachbarstaaten stellen die staatlichen Autoritäten die Zivilbevölkerung in Mauretanien nicht unter Generalverdacht, mit terroristischen Gruppen zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil, auf Fahrten durch das Land lässt sich ein respektvoller Umgang zwischen Bevölkerung und Sicherheitskräften sowie staatlichen Repräsentanten beobachten. Staatliche Fürsorge führt zu Identifikation mit dem Staat und seinen Sicherheitskräften: Die lokale Bevölkerung meldet auffällige Bewegungen von Fremden, begegnet dennoch Ausländern nicht misstrauisch, sondern mit einer freundlichen Neugier. Und tatsächlich fanden in Mauretanien im Gegensatz zu den Nachbarstaaten seit 2010 keine jihadistisch oder terroristisch motivierten Anschläge mehr statt.
Ein brüchiger Frieden

Mauretanische Soldaten im Übungsgefecht; Quelle: whatsonafrica.org
Natürlich ist der Friede brüchig angesichts der Entwicklung in der Region, in der jihadistischer Terror und organisierte Kriminalität, von der häufig hohe Regierungskreise profitieren, Hand in Hand gehen. Mit der Übernahme der G5-Präsidentschaft nach dem Gipfel in Pau im Januar 2020 rückt Mauretanien erneut ins Visier der Jihadisten, wie erste Zwischenfälle in der malisch-mauretanischen Grenzregion zeigen. Auch am Fall des bis vor kurzem nicht vom jihadistischem Terrorismus betroffenen Burkina Faso lässt sich dies beobachten: Der Ausbau der militärischen Präsenz in Mali drängte jihadistische Gruppen Richtung Süden in weniger militarisierte Regionen. Die Grenzen sind porös, die Extremisten mobil. In Pau hatte der französische Präsident die Partnerschaft zwischen Frankreich und den fünf Sahelstaaten zwar bekräftigt. Letztendlich aber diente der Gipfel zur öffentlichkeitswirksamen stärkeren Legitimierung des französischen Einflusses, insbesondere der Militäroperation Barkhane.
Nach zwei Amtszeiten stellte sich der mauretanische Präsident Mohamed Abdel Aziz im letzten Jahr verfassungskonform nicht mehr zur Wahl und machte den Weg frei für eine demokratische Transition – ein historischer Vorgang nach einer Serie von Militärputschen. Sein Nachfolger Mohamed Ould Cheikh El-Ghazouani war lange Jahre Generalstabschef und dann – nach Eintritt in den Ruhestand bis zum Wahlkampf – Verteidigungsminister. Er gilt als strategischer Planer der neuen, offenbar funktionierenden Sicherheitsarchitektur von Mauretanien.
Neben der prekären Sicherheitslage in der Region steht er vor weiteren Herausforderungen. Mauretanien befindet sich auf dem Human Development Index auf Rang 157 von 188 Staaten. Die sogenannten Harratin, Nachkommen freigelassener Sklaven, gehören zu den ärmsten Gruppen in der Bevölkerung. Die Korruption ist hoch, die Dominanz des Militärapparats, in dem die sogenannten Weiß-Mauren überrepräsentiert sind, besteht fort. Ghazouani aber setzt auf vorsichtige demokratische Öffnung, er hat sich auf Dialog mit den unterlegenen Kandidaten und der politischen Opposition eingelassen, und auch der Ausbau der internationalen Militärpräsenz steht nicht auf seiner Agenda. Seine ersten Auslandsreisen zeigen, dass er der Zusammenarbeit in der Region, hier insbesondere mit dem südlichen Nachbarn Senegal, mit dem gemeinsame Offshore-Gasexplorationen vereinbart wurden, einen hohen Stellenwert beimisst. Die Kontakte mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien, welche wichtige Geberländer sind, scheinen sich noch weiter zu intensivieren, weniger hingegen die mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.
Entwicklung ohne Frankreich?
Von essenzieller Bedeutung für Ghazouanis Öffnung ist auch, dass sich zeitnah erkennbare Fortschritte bei der Entwicklung – Bildung, Beschäftigung, Gesundheitswesen und Infrastruktur – realisieren lassen. Am Rande des G5 Gipfels fand eine Generalversammlung der sogenannten Sahel-Allianz statt, zu deren Gründungsmitgliedern auch Deutschland gehört. Der Präsident der Generalversammlung, der französische Außenminister Le Drian, und die für Entwicklung zuständige EU-Kommissarin Urpilainen nahmen ebenfalls am Treffen teil. Die Sahel-Allianz soll die Koordinierung der Geber fördern und die Durchführung von Projekten vor allem in prekären Gebieten beschleunigen. Le Drian und Urpilainen unterzeichneten gemeinsam den Beitritt der Europäischen Investitionsbank (EIB) in die Sahel-Allianz, um mit diesem Schritt die Stabilität in den G5 Staaten durch Projekte im Bereich der Bildung und Jugendbeschäftigung, Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Ernährungssicherheit sowie Energie und Klima zu stärken. Der im Anschluss geplante Gipfel der Europäer mit den G5 am Rande des Europäischen Rates in Brüssel im März 2020 wurde wegen der COVIS-19-Krise allerdings vorerst abgesagt.
Es bleibt abzuwarten, wieweit Frankreich seine sicherheitspolitische Agenda unter dem Namen „Koalition für den Sahel“ als Follow-up des Gipfels von Pau nun auch in Mauretanien durchzusetzen versucht oder ob Mauretanien mit tatkräftiger Unterstützung Europas weiterhin seinen eigenständigen Weg geht – im Bündnis mit den Sahelnachbarländern. Der innenpolitische Druck auf Präsident Macron ist allerdings angesichts der hohen Kosten und des Blutzolls des militärischen Engagements im Sahel immens, und so braucht er Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus und setzt dabei auf das Militär. Mauretanien aber setzt auf Dialog und hat schon 1973 signalisiert, dass es seine Souveränität ernst nimmt: Als einziges der G5 hat sich Mauretanien aus dem umstrittenen Währungsraum des Franc CFA, der von Paris aus gesteuert wird, verabschiedet. Das Land braucht für seinen eigenen Weg aber die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.