Man kennt das schon: Die neue Rechte setzt auf Emotionalisierung und das Prinzip Sündenbock – als wären alle Probleme gelöst, wenn es beispielsweise keine Flüchtlinge mehr gäbe. Mit der NoBillag-Initiative hat die schweizerische Rechte mit der SRG – dem Trägerverein des öffentlichen Radios und Fernsehens in der Schweiz – nun einen neuen Sündenbock gefunden, dem alle negativen Emotionen aufgebürdet werden. Es riecht nach Protest, doch wogegen der Protest sich richtet, ist schon fast egal. Der Sündenbock SRG soll allerdings mit seiner emotionalen Last nicht nur symbolisch in die Wüste geschickt, sondern real abgeschafft werden.

Sendeanlage auf dem Säntis; Quelle: holidaycheck.de
In der NoBillag-Debatte ersetzen Emotionen Argumente. Angst und Wut sind gefährlich für die Demokratie: Sie lassen sich leicht schüren, und sie nähren sich aus sich selbst. Wenn Angst und Wut regieren, bleibt die Vernunft auf der Strecke. Zwei Drittel der NoBillag-Befürworter glauben laut Umfragen, es werde die SRG weiterhin geben, auch ohne Gebühren. Die Unschärfe der Gefühle erlaubt es der NoBillag-Initiative, mit Nebelpetarden zu operieren. Unter dem Deckmäntelchen von Propagandabegriffen wie „Zwangsabgabe“ und „Staatsmedien“ bringen die Rechtspopulisten ihr eigentliches Schiff in den Hafen: Angesichts der Krise der privaten Medien dürfte die SRG langfristig die einzige Bastion sein, die für die Rechten unerreichbar bleibt. Es wäre sehr bequem, sie loszuwerden.
Die Leichtfertigkeit, mit der Initianten sich an einer zentralen Institution der Schweiz zu schaffen machen, spiegelt sich in der infantilen Bildsprache auf ihrer Website (#nolink). Dass es aber um mehr geht als die Abschaffung der SRG, hat Lukas Bärfuss kürzlich deutlich gemacht. „NoBillag bedeutet Anarchie“, so der Titel seiner Analyse, die bemerkenswerterweise im Blick erschienen ist. Bärfuss macht sich die Mühe, die neoliberale Tradition nachzuzeichnen, in der die NoBillag-Initianten stehen: Milton Friedman, James M. Buchanan und Murray Rothbard, die Vordenker des amerikanischen Libertarismus, predigen ein tiefes Misstrauen gegen den Staat, sie hätten eine notorische Nähe zu rechtsextremen Kräften. „Wie kann es sein, dass die Ideologie von libertären Sektierern von der Öffentlichkeit breit diskutiert wird?“, fragt Bärfuss. Er zeichnet ein alarmierendes Bild der Lage: „Fundamentalistische Irrläufer spielen mit der öffentlichen Meinung, führen sie an der Nase herum – und kaum jemand ist in der Lage, ihr übles Spiel aufzudecken.“
Die SRG kann man nicht kaufen, also soll sie weichen
Im kleinen Schweizer Markt sind die Zeitungen ökonomisch noch stärker unter Druck und damit verwundbarer als die Zeitungen in Deutschland. Zum begrenzten Markt kommt der politische Druck von rechts. Ursprünglich forderte Christoph Blocher eine eigene rechtsbürgerliche Tageszeitung, vor kurzem drohte er mit der Gründung einer eigenen Sonntagszeitung. Derweil kauft er, was er kriegen kann, die Liste ist bekannt: Die Weltwoche, die Basler Zeitung (BaZ) und 25 Gratiszeitungen in der Ostschweiz gehören bereits zu seinem Medienimperium, das entspricht einer Reichweite von 800’000 Lesern. Im vergangenen Jahr soll Blocher in einem offenbar gescheiterten Deal mit der Tamedia versucht haben, die BaZ, die unter Markus Somm vierzig Prozent ihrer Auflage eingebüßt hat, gegen die Zürcher Landzeitungen einzutauschen.
Die SRG kann man nicht kaufen, also soll sie weichen. Warum dieser Aspekt in der Debatte bisher kaum Beachtung findet, ist ein Rätsel. Ein weiteres Rätsel ist die Haltung der NZZ. Mit seinem umstrittenen Leitartikel „Die Schweiz braucht keine Staatsmedien“ rückt Chefredaktor Eric Gujer die SRG in die Nähe gelenkter Medien: Die SRG sei „das Kind einer Zeit, in der Hitler und Stalin die neue Radiotechnik nutzten, um ihre Propaganda zu verbreiten, und ein demokratischer Staat wie die Schweiz mit dem Konzept der geistigen Landesverteidigung antwortete“. Damals wurde die Rundfunktechnik überhaupt erst verfügbar, und alle europäischen Staaten gründeten in dieser Zeit öffentlich-rechtliche Sendanstalten.

Briefmarke BBC 1922-1972; Quelle: stamp-photos.com
Der Pionier war England mit der 1922 gegründeten BBC, andere Länder folgten nach dem Krieg. Doch mit seiner Argumentation insinuiert Gujer, die SRG sei bei ihrer Gründung ein politisches Projekt gewesen und in diesem Sinn den gelenkten Propagandamedien von Diktaturen vergleichbar, wenn auch mit umgekehrter Stoßrichtung. Die „Staatsmedien“ sind ein reines Debattenphantom: Die SRG wird von einem privatrechtlichen Verein getragen und ist zur Ausgewogenheit verpflichtet. Eric Gujers Argumentation ist im ganzen Text erratisch, so ist er etwa gegen die SRG, aber nicht für NoBillag. Niemand käme heute auf die Idee, die SRG zu gründen, so Gujer, doch dies gilt für alle traditionellen Medien, leider auch für Zeitungen wie die NZZ. Gebührenfinanzierte Medien sind keine „Dinosaurier“, sondern ein Zukunftsmodell, zumindest solange noch kein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im freien Markt gefunden ist.
Was geschieht, wenn Journalismus dem Markt überlassen wird?
Vielen Lesern ist nicht bewusst, dass Zeitungen nur zu einem geringen Teil von ihren Lesern finanziert werden. Müssten die Leser für die Kosten einer Qualitätszeitung – sprich: einer Zeitung mit einem weltweiten Korrespondentennetz und einer fachlich hochqualifizierten Redaktion – vollumfänglich selbst aufkommen, wäre eine Tageszeitung am Kiosk so teuer wie ein Taschenbuch. Traditionell stammten etwa achtzig Prozent der Einnahmen von Zeitungen aus dem Werbegeschäft. Diese De-facto-Subventionierung funktioniert nicht mehr, seit ein Großteil der Werbeeinnahmen an Plattformen wie Google und Facebook fließt. Private Verlage, wie man sie neuerdings nennt, sehen sich nun gegenüber den gebührenfinanzierten Sendern im Nachteil. Doch statt über alternative Finanzierungsmodelle nachzudenken, etwa als Nonprofit-Organisation, hetzen sie aus einem Gefühl des Neids gegen ihre Kollegen beim Radio und Fernsehen.
Was geschieht, wenn der Journalismus dem Markt überlassen wird, kann man am Beispiel Amerikas studieren. Die USA haben vierzig Mal mehr Einwohner als die Schweiz, wo sich überdies vier Sprachen den kleinen Medienmarkt teilen. Doch selbst in den USA mit ihrem gigantischen Markt findet Qualitätsjournalismus maßgeblich im öffentlichen Sektor statt, zumindest was Radio und Fernsehen angeht: In puncto Glaubwürdigkeit ist das National Public Radio (NPR) ein Leuchtturm. Mit dem Public Broadcasting Act wurde 1967 die Möglichkeit für öffentlich finanzierte Radio- und Fernsehstationen geschaffen, also genau das, was die Initiative für die Schweiz abschaffen möchte.
Das lockere Netzwerk der Stationen des NPR wird durch Sponsoring und freiwillige Spenden finanziert. Allerdings lässt sich der amerikanische Nonprofit-Sektor nicht auf europäische Verhältnisse übertragen: In den USA können Spendenbeiträge von den Steuern abgesetzt werden, der Staat verzichtet somit auf Einnahmen. Überdies hat sich im Nonprofit-Sektor während Jahrzehnten eine eigene Kultur des Fundraisings entwickelt, mit Benefit-Dinners, Gala-Anlässen und Mitgliederaktionen. Und Fundraising kostet Geld: Mindestens dreißig Prozent des Budgets müssen in der Regel für das Einwerben der Gelder aufgewendet werden. Mit jährlichen Kosten von 45 Millionen Franken für das Einziehen von Gebühren in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken ist die Billag zehn Mal effizienter.
Gleichschaltung der Medien
Wenn wir nur noch das zu lesen, hören und sehen bekommen, was der Markt finanziert, sind wir als Leser kein Gegenüber mehr, sondern nur noch Konsumenten. Als Konsumenten jedoch sind wir manipulierbar. Es gibt dann keinen Anspruch mehr auf einen medialen Rundum-Service, der weltweit und in allen Ressorts berichtet. Die Medien sind das Nerven- und Wahrnehmungssystem einer Gesellschaft: Sie machen uns die Welt zugänglich.

SRF Tagesschau-Studio; Quelle: srf.ch
NoBillag betrifft nicht nur die SRG. Die Initiative rührt an die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, und genau davon lenkt die Rechte mit ihren Nebelpetarden ab. Mit ungeheurer Leichtfertigkeit und Ignoranz wird die Errungenschaft der westlichen Moderne aufs Spiel gesetzt. Die westliche Moderne hat Gesellschaften geschaffen, in denen es sich besser leben lässt, als es in der Menschheitsgeschichte zuvor je möglich war. Als Nutznießer dieser modernen Staaten kennen wir nichts anderes, deshalb wiegen wir uns im Glauben, unsere Wohlstands- und Wohlfahrtswelt sei eine Selbstverständlichkeit.
Währenddessen arbeitet der rechtspopulistische Neoliberalismus an der Aufhebung des contrat social. Das westliche Staatsmodell funktioniert, weil wir alle für Dinge bezahlen, die nicht jeder von uns in Anspruch nimmt. Wenn alle nur noch für das bezahlen, was sie selbst nutzen, werden alle ärmer (außer den Reichen). Wenn wir nur noch Medien haben, die von ihren Nutzern finanziert werden, werden alle dümmer (auch die Reichen).
Eine erste Fassung dieses Beitrags erschien auf tell, Online-Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft