Der Abstimmungskampf um die Abschaffung des gebührenfinanzierten Radio und Fernsehens in der Schweiz – die NoBillag-Initiative – lenkt ab vom eigentlichen Ziel der Initianten: Der Angriff gilt zum einen dem kritischen Journalismus – und zum andern der Idee des staatlichen Gemeinwesens.

  • Sieglinde Geisel

    Sieglinde Geisel lebt als Journalistin und Schreibcoach in Berlin. Sie arbeitet für verschiedene Medien (u.a. Deutschlandfunk Kultur, Süddeutsche Zeitung), bis 2016 war sie Berlin-Kulturkorrespondentin der NZZ. Sie ist die Gründerin des Online-Magazins tell.

Man kennt das schon: Die neue Rechte setzt auf Emotio­na­li­sie­rung und das Prinzip Sünden­bock – als wären alle Probleme gelöst, wenn es beispiels­weise keine Flücht­linge mehr gäbe. Mit der NoBillag-Initiative hat die schwei­ze­ri­sche Rechte mit der SRG – dem Träger­verein des öffent­li­chen Radios und Fern­se­hens in der Schweiz – nun einen neuen Sünden­bock gefunden, dem alle nega­tiven Emotionen aufge­bürdet werden. Es riecht nach Protest, doch wogegen der Protest sich richtet, ist schon fast egal. Der Sünden­bock SRG soll aller­dings mit seiner emotio­nalen Last nicht nur symbo­lisch in die Wüste geschickt, sondern real abge­schafft werden.

Sende­an­lage auf dem Säntis; Quelle: holidaycheck.de

In der NoBillag-Debatte ersetzen Emotionen Argu­mente. Angst und Wut sind gefähr­lich für die Demo­kratie: Sie lassen sich leicht schüren, und sie nähren sich aus sich selbst. Wenn Angst und Wut regieren, bleibt die Vernunft auf der Strecke. Zwei Drittel der NoBillag-Befürworter glauben laut Umfragen, es werde die SRG weiterhin geben, auch ohne Gebühren. Die Unschärfe der Gefühle erlaubt es der NoBillag-Initiative, mit Nebel­pe­tarden zu operieren. Unter dem Deck­män­tel­chen von Propa­gan­da­be­griffen wie „Zwangs­ab­gabe“ und „Staats­me­dien“ bringen die Rechts­po­pu­listen ihr eigent­li­ches Schiff in den Hafen: Ange­sichts der Krise der privaten Medien dürfte die SRG lang­fristig die einzige Bastion sein, die für die Rechten uner­reichbar bleibt. Es wäre sehr bequem, sie loszuwerden.

Die Leicht­fer­tig­keit, mit der Initi­anten sich an einer zentralen Insti­tu­tion der Schweiz zu schaffen machen, spie­gelt sich in der infan­tilen Bild­sprache auf ihrer Website (#nolink). Dass es aber um mehr geht als die Abschaf­fung der SRG, hat Lukas Bärfuss kürz­lich deut­lich gemacht. „NoBillag bedeutet Anar­chie“, so der Titel seiner Analyse, die bemer­kens­wer­ter­weise im Blick erschienen ist. Bärfuss macht sich die Mühe, die neoli­be­rale Tradi­tion nach­zu­zeichnen, in der die NoBillag-Initianten stehen: Milton Friedman, James M. Buchanan und Murray Roth­bard, die Vordenker des ameri­ka­ni­schen Liber­ta­rismus, predigen ein tiefes Miss­trauen gegen den Staat, sie hätten eine noto­ri­sche Nähe zu rechts­extremen Kräften. „Wie kann es sein, dass die Ideo­logie von liber­tären Sektie­rern von der Öffent­lich­keit breit disku­tiert wird?“, fragt Bärfuss. Er zeichnet ein alar­mie­rendes Bild der Lage: „Funda­men­ta­lis­ti­sche Irrläufer spielen mit der öffent­li­chen Meinung, führen sie an der Nase herum – und kaum jemand ist in der Lage, ihr übles Spiel aufzudecken.“

Die SRG kann man nicht kaufen, also soll sie weichen

Im kleinen Schweizer Markt sind die Zeitungen ökono­misch noch stärker unter Druck und damit verwund­barer als die Zeitungen in Deutsch­land. Zum begrenzten Markt kommt der poli­ti­sche Druck von rechts. Ursprüng­lich forderte Chris­toph Blocher eine eigene rechts­bür­ger­liche Tages­zei­tung, vor kurzem drohte er mit der Grün­dung einer eigenen Sonn­tags­zei­tung. Derweil kauft er, was er kriegen kann, die Liste ist bekannt: Die Welt­woche, die Basler Zeitung (BaZ) und 25 Gratis­zei­tungen in der Ostschweiz gehören bereits zu seinem Medi­en­im­pe­rium, das entspricht einer Reich­weite von 800’000 Lesern. Im vergan­genen Jahr soll Blocher in einem offenbar geschei­terten Deal mit der Tamedia versucht haben, die BaZ, die unter Markus Somm vierzig Prozent ihrer Auflage einge­büßt hat, gegen die Zürcher Land­zei­tungen einzutauschen.

Die SRG kann man nicht kaufen, also soll sie weichen. Warum dieser Aspekt in der Debatte bisher kaum Beach­tung findet, ist ein Rätsel. Ein weiteres Rätsel ist die Haltung der NZZ. Mit seinem umstrit­tenen Leit­ar­tikel „Die Schweiz braucht keine Staats­me­dien“ rückt Chef­re­daktor Eric Gujer die SRG in die Nähe gelenkter Medien: Die SRG sei „das Kind einer Zeit, in der Hitler und Stalin die neue Radio­technik nutzten, um ihre Propa­ganda zu verbreiten, und ein demo­kra­ti­scher Staat wie die Schweiz mit dem Konzept der geis­tigen Landes­ver­tei­di­gung antwor­tete“. Damals wurde die Rund­funk­technik über­haupt erst verfügbar, und alle euro­päi­schen Staaten grün­deten in dieser Zeit öffentlich-rechtliche Sendanstalten.

Brief­marke BBC 1922-1972; Quelle: stamp-photos.com

Der Pionier war England mit der 1922 gegrün­deten BBC, andere Länder folgten nach dem Krieg. Doch mit seiner Argu­men­ta­tion insi­nu­iert Gujer, die SRG sei bei ihrer Grün­dung ein poli­ti­sches Projekt gewesen und in diesem Sinn den gelenkten Propa­gan­da­me­dien von Dikta­turen vergleichbar, wenn auch mit umge­kehrter Stoß­rich­tung. Die „Staats­me­dien“ sind ein reines Debat­ten­phantom: Die SRG wird von einem privat­recht­li­chen Verein getragen und ist zur Ausge­wo­gen­heit verpflichtet. Eric Gujers Argu­men­ta­tion ist im ganzen Text erra­tisch, so ist er etwa gegen die SRG, aber nicht für NoBillag. Niemand käme heute auf die Idee, die SRG zu gründen, so Gujer, doch dies gilt für alle tradi­tio­nellen Medien, leider auch für Zeitungen wie die NZZ. Gebüh­ren­fi­nan­zierte Medien sind keine „Dino­sau­rier“, sondern ein Zukunfts­mo­dell, zumin­dest solange noch kein Geschäfts­mo­dell für Quali­täts­jour­na­lismus im freien Markt gefunden ist.

Was geschieht, wenn Jour­na­lismus dem Markt über­lassen wird?

Vielen Lesern ist nicht bewusst, dass Zeitungen nur zu einem geringen Teil von ihren Lesern finan­ziert werden. Müssten die Leser für die Kosten einer Quali­täts­zei­tung – sprich: einer Zeitung mit einem welt­weiten Korre­spon­den­ten­netz und einer fach­lich hoch­qua­li­fi­zierten Redak­tion – voll­um­fäng­lich selbst aufkommen, wäre eine Tages­zei­tung am Kiosk so teuer wie ein Taschen­buch. Tradi­tio­nell stammten etwa achtzig Prozent der Einnahmen von Zeitungen aus dem Werbe­ge­schäft. Diese De-facto-Subventionierung funk­tio­niert nicht mehr, seit ein Groß­teil der Werbe­ein­nahmen an Platt­formen wie Google und Face­book fließt. Private Verlage, wie man sie neuer­dings nennt, sehen sich nun gegen­über den gebüh­ren­fi­nan­zierten Sendern im Nach­teil. Doch statt über alter­na­tive Finan­zie­rungs­mo­delle nach­zu­denken, etwa als Nonprofit-Organisation, hetzen sie aus einem Gefühl des Neids gegen ihre Kollegen beim Radio und Fernsehen.

Was geschieht, wenn der Jour­na­lismus dem Markt über­lassen wird, kann man am Beispiel Amerikas studieren. Die USA haben vierzig Mal mehr Einwohner als die Schweiz, wo sich über­dies vier Spra­chen den kleinen Medi­en­markt teilen. Doch selbst in den USA mit ihrem gigan­ti­schen Markt findet Quali­täts­jour­na­lismus maßgeb­lich im öffent­li­chen Sektor statt, zumin­dest was Radio und Fern­sehen angeht: In puncto Glaub­wür­dig­keit ist das National Public Radio (NPR) ein Leucht­turm. Mit dem Public Broad­cas­ting Act wurde 1967 die Möglich­keit für öffent­lich finan­zierte Radio- und Fern­seh­sta­tionen geschaffen, also genau das, was die Initia­tive für die Schweiz abschaffen möchte.

Das lockere Netz­werk der Stationen des NPR wird durch Spon­so­ring und frei­wil­lige Spenden finan­ziert. Aller­dings lässt sich der ameri­ka­ni­sche Nonprofit-Sektor nicht auf euro­päi­sche Verhält­nisse über­tragen: In den USA können Spen­den­bei­träge von den Steuern abge­setzt werden, der Staat verzichtet somit auf Einnahmen. Über­dies hat sich im Nonprofit-Sektor während Jahr­zehnten eine eigene Kultur des Fund­rai­sings entwi­ckelt, mit Benefit-Dinners, Gala-Anlässen und Mitglie­der­ak­tionen. Und Fund­rai­sing kostet Geld: Mindes­tens dreißig Prozent des Budgets müssen in der Regel für das Einwerben der Gelder aufge­wendet werden. Mit jähr­li­chen Kosten von 45 Millionen Franken für das Einziehen von Gebühren in der Höhe von 1,3 Milli­arden Franken ist die Billag zehn Mal effizienter.

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Gleich­schal­tung der Medien

Wenn wir nur noch das zu lesen, hören und sehen bekommen, was der Markt finan­ziert, sind wir als Leser kein Gegen­über mehr, sondern nur noch Konsu­menten. Als Konsu­menten jedoch sind wir mani­pu­lierbar. Es gibt dann keinen Anspruch mehr auf einen medialen Rundum-Service, der welt­weit und in allen Ressorts berichtet. Die Medien sind das Nerven- und Wahr­neh­mungs­system einer Gesell­schaft: Sie machen uns die Welt zugänglich.

SRF Tagesschau-Studio; Quelle: srf.ch

NoBillag betrifft nicht nur die SRG. Die Initia­tive rührt an die Frage, in welcher Gesell­schaft wir leben wollen, und genau davon lenkt die Rechte mit ihren Nebel­pe­tarden ab. Mit unge­heurer Leicht­fer­tig­keit und Igno­ranz wird die Errun­gen­schaft der west­li­chen Moderne aufs Spiel gesetzt. Die west­liche Moderne hat Gesell­schaften geschaffen, in denen es sich besser leben lässt, als es in der Mensch­heits­ge­schichte zuvor je möglich war. Als Nutz­nießer dieser modernen Staaten kennen wir nichts anderes, deshalb wiegen wir uns im Glauben, unsere Wohlstands- und Wohl­fahrts­welt sei eine Selbstverständlichkeit.

Während­dessen arbeitet der rechts­po­pu­lis­ti­sche Neoli­be­ra­lismus an der Aufhe­bung des contrat social. Das west­liche Staats­mo­dell funk­tio­niert, weil wir alle für Dinge bezahlen, die nicht jeder von uns in Anspruch nimmt. Wenn alle nur noch für das bezahlen, was sie selbst nutzen, werden alle ärmer (außer den Reichen). Wenn wir nur noch Medien haben, die von ihren Nutzern finan­ziert werden, werden alle dümmer (auch die Reichen).

Eine erste Fassung dieses Beitrags erschien auf tell, Online-Magazin für Lite­ratur und Zeitgenossenschaft