Die Politik und die Förderlinien großer privater, vor allem amerikanischer Stiftungen sind Gegenstand von berechtigter Kritik, die sich auf die intransparente Vergabepraxis, das finanzielle Ungleichgewicht zwischen westlichen Stiftungen und Ländern des globalen Südens und die fehlende demokratische Legitimierung ihrer Tätigkeit bezieht. Spätestens im Corona-Jahr sind Stiftungen zudem ins Fadenkreuz von Verschwörungstheorien geraten. Vor allem Bill Gates und die Gates Foundation sind seit Beginn der Pandemie zu einem beliebten Zielobjekt verschwörerischer Spekulationen geworden. Gates, so die Behauptung, habe das Virus selbst in die Welt gebracht, um mit dem dann entwickelten Impfstoff Menschen apathisch zu machen oder sie sogar mit implantierten Chips direkt zu kontrollieren. Andere meinen, Gates habe das Coronavirus entwickelt, um durch die hohen Todeszahlen einen lang gehegten Plan zur Reduktion der Weltbevölkerung umzusetzen.
Es sind zweifellos die finanzielle Macht und die Vergabepraktiken, die große Stiftungen zu beliebten Objekten von Verschwörungstheorien werden lassen. Zwar veröffentlichen viele Stiftungen detaillierte Jahresberichte. Auf welcher Grundlage sie Geld vergeben, obliegt aber ihren jeweiligen politischen Vorlieben und kann von einer kritischen Öffentlichkeit schwer nachvollzogen werden. In der vom Politikwissenschaftler Michael Barkun vorgelegten Charakterisierung von Verschwörungstheorien werden Stiftungen deshalb als „halb-geheime“ Institutionen bezeichnet: Deren Akteure seien zwar bekannt, ihre Entscheidungen bleiben aber intransparent.

Bill and Melinda Gates Foundation front, Quelle: wikipedia.org
Doch was ist aus historischer Perspektive vom aktuell lancierten Vorwurf zu halten, Stiftungen wie die Gates Foundation hätten das Coronavirus in die Welt gebracht, um „das Bevölkerungswachstum zu reduzieren“? Haben nicht, so ist zu fragen, Stiftungen wie die Rockefeller oder Ford Foundation tatsächlich seit den 1940er Jahren Millionen von Dollar zur Verlangsamung des globalen Bevölkerungswachstums investiert? Im Gegensatz zur 2000 gegründeten Gates Foundation stehen die Quellen der bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründeten Rockefeller und der Ford Foundation der historischen Forschung zur Verfügung. Was verrät nun ein Blick in ihre Archive? Was lässt sich anhand der internen Debatten dieser Organisationen in Bezug auf verschwörungstheoretische Narrative sagen? Bauten ihre Programme wirklich auf eine Täuschung, ja Manipulierung der Öffentlichkeit? Und wie weit reichte ihr Einfluss tatsächlich?
Das Problem der „Überbevölkerung“
Im Juni 1952 versammelten sich 31 Teilnehmer aus Politik und Wirtschaft zu einer privaten Konferenz in Virginia, um über „Bevölkerungsprobleme“ zu diskutieren. Eingeladen hatte der 46-jährige John D. Rockefeller III., der zuvor innerhalb der Rockefeller Foundation bereits darauf gedrängt hatte, den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Fragen der Weltbevölkerung zu legen. Auf der Konferenz wurde das globale Bevölkerungswachstum als eines der zentralen globalen Probleme beschrieben. Die Teilnehmer schlossen an einen Diskurs an, der spätestens seit den späten 1940er Jahren ausgehend von den USA die Gefahren des Bevölkerungswachstums in drastischer Weise unterstrich. Auf der Konferenz bestand große Einigkeit darin, dass die Geburtenrate reduziert werden müsse.
Doch wie sollte das möglich sein? Die Konferenzteilnehmer verorteten das Problem vor allem in Ländern des globalen Südens. Die vermeintliche Lösung eines „Überbevölkerungsproblems“ durch die Entwicklung und Propagierung von Verhütungsmitteln berührte intime Bereiche des Privat- und Sexuallebens und kollidierte mit religiösen, politischen und kulturellen Vorstellungen von großen Teilen der Menschheit. Der etablierte US-Demograph Frank Notestein wies deshalb gleich zu Beginn der Konferenz darauf hin, dass Menschen in asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern ziemlich skeptisch sein würden, wenn US-Amerikaner ihnen nahelegten, weniger Kinder zu bekommen.
Die Debatten auf der Konferenz waren, wie auch die Strategiediskussionen des Population Council – einer von Rockefeller im Anschluss an die Konferenz gegründeten NGO –, von einem tiefen Bewusstsein dieses Problems geprägt. Ohne Zweifel, die wichtigsten Akteure in diesen Organisationen gehörten einer weißen, protestantischen, männlichen Elite an, die fest an ihre eigene Selbstwirksamkeit glaubte und mit technischer Expertise die von ihnen definierten Probleme der Welt zu lösen gedachte. Grundlage ihrer Haltung war der Glaube an die Überlegenheit eines westlichen Gesellschafts- und Familienmodells. Aber diese Elite war sich auch ihrer eigenen Position in der Welt und der ihr entgegengebrachten Skepsis und Ablehnung bewusst. Diese Problemlage bildete ein starkes Motiv, im Geheimen zu agieren und nicht als Urheber einer restriktiven Geburtenpolitik in Erscheinung zu treten.
Ablehnung von Täuschung
Tatsächlich kamen Vorschläge zur Verschleierung der eigenen Aktivität bereits auf der Konferenz in Virginia im Jahr 1952 zur Sprache. Frederick Osborn, ein US-amerikanischer Eugeniker und ein Gründungsmitglied der 1926 gegründeten Eugenics Society, schlug vor, in den USA erzielte technologische Durchbrüche bei der Entwicklung von Verhütungsmitteln anderen Ländern zuzuschreiben. Die letzten Schritte der Entwicklung sollten nach Indien oder Japan verlagert werden, um behaupten zu können, die neue Technologie komme von dort. Gerade in Bezug auf Indien, das als Paradebeispiel eines überbevölkerten Landes galt, sollte damit die Skepsis gegenüber neuen Verhütungsmitteln gemildert werden. Auch der Population Council diskutierte ähnliche Vorschläge. Verhütung sollte nicht mit der Reduktion von Kinderzahlen verbunden, sondern als humanitäre Maßnahme verkauft werden, die zur Steigerung der Gesundheit von Frauen und Kindern beitrage.

The Rockefeller Foundation Africa Regional Office, Kenya, Nairobi, Quelle: rockefellerfoundation.org
In all diesen Diskussionen der 1950er Jahre waren sich die handelnden Akteure bewusst, dass die beginnende Dekolonisierung und der Kalte Krieg es amerikanischen Organisationen schwer machten, die Bevölkerungspolitik anderer Länder offen zu beeinflussen. Umso bemerkenswerter, dass Rockefellers Population Council die explizite Entscheidung getroffen hat, nicht zu Täuschungen zu greifen. Einer der Berater des Council sprach von „substantiellen Fallstricken“ einer manipulativen Strategie. Und der Demographische Direktor und spätere Präsident des Population Council, Bernard Berelson, schlussfolgerte, dass es „extrem schwierig“ sei, „Meinungen zu manipulieren“ und dass die Organisation nicht „jenen Menschen in Asien, für die wir schreiben, einen Mangel an Intellekt“ unterstellen solle.
Erfolg einer kommunikativen Doppelstrategie
Anstelle von Täuschung lässt sich in den öffentlichen Stellungnahmen des Population Council eine kommunikative Doppelstrategie erkennen. Einerseits wurden die aus Sicht der Organisation zu erwartenden dystopischen Horrorszenarien einer überbevölkerten Welt betont. Andererseits wurden utopische Versprechungen gemacht, sollte das Ziel einer Reduktion der Geburtenrate erreicht werden. Besonders erfolgreich war diese Doppelstrategie in einer menschenrechtlichen Form. In den 1960er-Jahren warb Rockefeller energisch für eine Resolution, die „Überbevölkerung“ als Verletzung von Menschenrechten kennzeichnete. Eine überbevölkerte Welt, so das Argument, könne grundlegende Menschenrechte nicht mehr für alle garantieren. Gleichzeitig sollte die Anerkennung eines Menschenrechts auf Verhütungsmittel deren breite Nutzung sicherstellen und zu einer vollen Entfaltung menschlichen Potentials beitragen.
Diese Strategie war vor allem innerhalb der Vereinten Nationen erfolgreich. Die menschenrechtliche Wende führte dazu, dass die führende UN-Bürokratie rund um UN-Generalsekretär U Thant Ende der 1960er Jahre die Resolution Rockefellers unterstützte und zum ersten Mal das Bevölkerungswachstum zum Problem erklärte. Auch sorgte sie dafür, dass die UNO selbst ähnliche Resolutionen verabschiedete und – was noch viel wichtiger war – Geld für Programme bereitstellte, die Verhütungsmittel in den Ländern des globalen Südens unter die Menschen brachten.
In diesem menschenrechtlichen Diskurs setzten sich utilitaristische Vorstellungen durch. Das Bevölkerungswachstum wurde als so bedrohlich wahrgenommen, dass für eine behauptete Sicherung von Menschenrechten durch Geburtenkontrolle auch repressive Formen der Bevölkerungspolitik in Kauf genommen wurden. Das betraf neben Zwangssterilisationen vor allem die neu entwickelte „Spirale“, die ohne ausreichende Tests zum Teil zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden der Frauen führte.
Enttäuschungen
Anfang der 1970er Jahre arbeiteten beinahe zwei Millionen Menschen daran, Verhütungsmittel in Ländern des globalen Südens zu verteilen. Doch trotz neuer Verhütungsmittel und Finanzhilfen in Milliardenhöhe stellte sich bei den Stiftungen bald Enttäuschung ein. Umfragen deuteten darauf hin, dass Paare dankbar Verhütungsmittel annahmen, sie aber lediglich für die bessere zeitliche Planung der von ihnen gewünschten, nach wie vor vielen Kinder verwendeten. Auf der UNO-Weltbevölkerungskonferenz 1974 klang Rockefeller ernüchtert: Er argumentierte, dass bisherige Zugänge „nicht funktioniert“ hatten und räumte ein, gelernt zu haben, „wie komplex und schwierig“ die Frage der Bevölkerungspolitik wirklich sei.

Ford Foundation Center for Social Justice, NY, aia.org
Diese erlebte Enttäuschung hat die Politik der Stiftungen grundlegend verändert. Statt auf die Erhöhung des Angebots an Verhütungsmitteln zu setzen, gingen viele Organisationen seit Mitte der 1970er Jahre dazu über, auf soziale Veränderungen zu drängen. Bildungsangebote für Frauen, die Zurückdrängung von Altersarmut und eine Reduktion der Kindersterblichkeit galten nun als bessere Möglichkeiten, die Geburtenrate zu senken. Diese Politikänderung der Stiftungen resultierte aus einer Anerkennung ihrer eigenen Machtlosigkeit. Trotz aller Versuche, inklusive Druck und repressiver Maßnahmen, war es bis in die späten 1970er-Jahre nicht gelungen, eine Trendwende im globalen Bevölkerungswachstum herbeizuführen.
Skandale, aber keine „Verschwörung“
Stiftungen, Philanthropie und NGOs spielten in nationalstaatlichen und internationalen Institutionen spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Rolle. Die Zuschreibung dieser großen Bedeutung hat aber unseren Blick auf die Probleme verstellt, die solche Organisationen bei der Umsetzung ihrer Vorhaben trotz ihrer finanziellen Macht und ihrer weitreichenden Netzwerke hatten.
Gerade das Beispiel der Bevölkerungspolitik zeigt, dass die komplexen globalen Verhältnisse des Kalten Krieges, der Dekolonisierung und des Aufeinandertreffens unterschiedlicher kultureller und politischer Vorstellungen die Erreichung der Ziele der Stiftungen erschwerte. Trotz ihrer finanziellen Macht und der guten politischen Beziehungen waren sie abhängig von wechselnden politischen Allianzen und kamen ihren Zielen erst dann näher, als sie auch Akteur:innen aus Entwicklungsländern und der Frauenbewegung miteinbezogen.
Es gibt aber auch Gegenerzählungen zu den angeführten Beispielen: Auch wenn Täuschung und Manipulation in den internen Debatten als Strategie abgelehnt wurden, wurden der Öffentlichkeit in der Geschichte der Geburtenkontrolle Informationen vorenthalten. So lässt sich dokumentieren, dass führende Vertreter des Population Council auf einen breiten Einsatz der „Spirale“ drängten, obwohl sie sich der Risiken noch nicht ausgereifter Produkte bewusst waren. Andere Untersuchungen belegen, dass Mediziner und Krankenpfleger vor Ort Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln verheimlichten, um deren Akzeptanz zu steigern. Das sind medizinhistorische Skandale, die von der historischen Forschung mittlerweile gut aufgearbeitet worden sind, jedoch viel zu selten zur Kompensation von Betroffenen geführt haben.
Wie kann man dieses widersprüchliche Handeln der Stiftungen nun mit Blick auf Verschwörungstheorien einordnen? Wie der Historiker Geoffrey Cubitt betont, stehen Verschwörungen als politische Taktik im Sinn geheimer Absprachen allen Akteuren offen. Und so lassen sich auch im undurchsichtigen Bereich der Stiftungspolitik historische Beispiele finden, die solche Formen der Geheimhaltung beinhalten. Verschwörungstheorien zeichnen sich jedoch dadurch aus, bestimmte Akteure zu singulären Drahtziehern hinter den Kulissen zu machen. So etwa in Bezug auf Bill Gates, dem in Verschwörungstheorien die unbegrenzte Macht zugeschrieben wird, seine geheimen Pläne unter Einbeziehung oder Täuschung einer ganzen Reihe internationaler und lokaler Akteure umzusetzen. Stiftungen in einem solchen Sinne als bestimmende Zentren der Macht zu sehen, überschätzt jedoch deren reale Bedeutung bei weitem. Historische Beispiele wie jenes der Bevölkerungspolitik können zeigen, wie sehr auch machtvolle Eliten trotz ihres Einflusses von globalen politischen Konstellationen abhängig sind und in der Erreichung ihrer selbst gesteckten Ziele scheitern können.