Die Unterstützung von Widerstandsbewegungen in anderen Ländern kann Leben retten. Andererseits wird Widerstand gerne vereinnahmt, auch von jenen, die selbst Andere und Anderes unterdrücken. Über die Solidaritätskampagne für Angela Davis im ehemaligen Ostblock und wie ungarische Künstler darauf reagierten.

  • Katalin Krasznahorkai

    Katalin Krasznahorkai ist Kunsthistorikerin und Kuratorin, sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich.

Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass die Stadt Birmingham in Alabama (USA) den Fred Shut­tles­worth Human Rights Award nicht Angela Davis, der Ikone der ameri­ka­ni­schen Bürger­rechts­be­we­gung, zuer­kennen will – obwohl sie dafür vorge­schlagen worden war. Seither mutmasst die Presse über die Gründe für diese Kehrt­wende, eine Erklä­rung des Preis­ko­mi­tees gibt es nicht. Davis selbst, die schon viele Ehrungen erhalten hat, reagierte zu Recht verwun­dert: “I have devoted much of my own acti­vism to inter­na­tional soli­da­rity and, speci­fi­cally, to linking strug­gles in other parts of the world to US grass­roots campaigns against police violence, the prison indus­trial complex, and racism more broadly.”

Angela Davis (m.) neben Erich Honecker während der Welt­ju­gend­fest­spiele 1973, Quelle: deutschlandfunkkultur.de

Inter­na­tio­nale Soli­da­rität von Wider­stands­be­we­gungen war schon immer poli­tisch heikel. Vermut­lich hat das Birmingham Civil Rights Insti­tute den von ihm verlie­henen Award nicht Angela Davis zuer­kannt, weil diese aus der Perspek­tive der Preis­geber eine Form von ‚falscher’ Soli­da­rität ausübt, nämlich mit der pro-palästinensischen und anti­zio­nis­ti­schen, mitunter anti­se­mi­ti­schen BDS-Kampagne. Wer sich mit wem wie soli­da­ri­siert, hat nämlich nicht nur erheb­liche Konse­quenzen für das Über­leben von Unter­drückten oder Verfolgten, sondern konnte und kann auch Teil poli­ti­scher Instru­men­ta­li­sie­rung sein. Das zeigt sich gerade auch am Beispiel von Angela Davis, die einer­seits im ehema­ligen Ostblock von den Regie­rungen zur Wider­stand­si­kone gemacht wurde, sich ande­rer­seits aber nie mit den Unter­drückten und Anders­den­kenden in den Partei­dik­ta­turen Osteu­ropas soli­da­ri­siert hat. Es waren oppo­si­tio­nelle Künst­le­rInnen im ehema­ligen Ostblock, die diese fehlende Soli­da­rität von Davis und die heuch­le­ri­sche Soli­da­rität ihrer Regie­rungen kriti­siert haben. So kam es, dass sowohl Erich Honecker als auch oppo­si­tio­nelle Künstler „Frei­heit für Angela Davis!“ riefen. Während Honecker auf die Unter­drü­ckung im Westen zielte, wollten die Künstler – mit dem glei­chen Slogan – auf ihre eigene Unter­drü­ckung aufmerksam machen.

Frei­heit für Angela Davis!

„Frei­heit für Angela Davis!“ wurde ab 1971 zum Slogan einer globalen Soli­da­ri­täts­kam­pagne im Kalten Krieg. Der Slogan war von den USA über Kuba bis in die Sowjet­union ein Aufschrei gegen die Unge­rech­tig­keit des kapi­ta­lis­ti­schen Systems, gegen den Miss­brauch der Justiz sowie gegen die Unter­drü­ckung und Diskri­mi­nie­rung der schwarzen Bürge­rInnen der USA. Die Kampagne wurde – nachdem die Sowjet­union die Rich­tung vorge­geben hatte – in allen Ostblock-Staaten über­nommen und mit großem medialem Aufwand verfolgt. Ziel des KGB war es, mit der Unter­stüt­zung von Kuba und dem Einsatz von Agenten die USA innen- und außen­po­li­tisch zu desta­bi­li­sieren. Dazu gehörte auch die Aufwer­tung der Propaganda- und Desin­for­ma­ti­ons­ab­tei­lung des KGB im Jahr 1970, die Kampagne für Angela Davis war Teil dieser Strategie.

Kosmo­nautin Valen­tina Tereš­kova und Angela Davis bei den 10. Welt­fest­spielen der Jugend in Berlin 1973, Quelle: info.ru

Entspre­chend wurde etwa in der DDR Davis’ Frei­las­sung aus dem Gefängnis, in dem sie aufgrund des Vorwurfs der Unter­stüt­zung terro­ris­ti­scher Akte zwei Jahre in Unter­su­chungs­haft verbracht hatte, 1972 als Erfolg der Massen-Solidaritätskampagne der Ostblock-Staaten gefeiert. Die Versen­dung von Millionen Post­karten an Angela Davis während ihrer Haft und die regel­mä­ßige Pres­se­be­richt­erstat­tung über den Prozess, wurden als Teil dieses Erfolgs präsen­tiert. Die Devise war: In der DDR gibt es keinen Rassismus!

Davis, die ein aktives und promi­nentes Mitglied der kommu­nis­ti­schen Partei der USA (CPUSA) war, unter­stützte diese Sicht­weise, als sie nach ihrer Frei­las­sung durch die kommu­nis­ti­schen Länder tourte, um sich für die beispiel­lose Soli­da­ri­täts­welle, insbe­son­dere aus der DDR, zu bedanken. Gleich­zeitig nutzten Erich Honecker und rang­hohe Offi­ziere der DDR die Gele­gen­heit, um mit Angela Davis auf zahl­rei­chen öffent­li­chen Veran­stal­tungen zu posieren und sich als Frei­heits­kämpfer zu insze­nieren. Dies wurde auch von den west­li­chen Medien wahr­ge­nommen, die Davis als „regie­rende Heldin der DDR“ beschrieben.

Erika Bert­hold begrüßt Angela Davis vor der Neuen Wache in Ost-Berlin am 10. September 1972 über­schwäng­lich, Quelle: welt.de

Was von den Medien im Osten vertuscht wurde: Die Mobi­li­sie­rung der Jugend für die inter­na­tio­nale Soli­da­rität geriet in der DDR teil­weise außer Kontrolle: Bei der Ankunft von Angela Davis am Flug­hafen Berlin/Schönefeld kamen anstatt der ange­kün­digten zwei- bis drei­tau­send jungen Menschen fünf­zig­tau­send. Der sorg­fältig geplante Empfang wurde dadurch zu einem unkal­ku­lier­baren Ereignis, gleichsam zu einer hyste­ri­schen Massen­be­grü­ßungs­ak­tion eines Pop-Stars. Auch bei der Kranz­nie­der­le­gung vor der Neuen Wache in Berlin, zur Zeit der DDR Mahnmal für die Opfer des Mili­ta­rismus und Faschismus, ging etwas schief: Dort umarmte Davis ausge­rechnet und als einzige Erika Bertold, die damals in der „Kommune 1 Ost“ wohnte, eine WG kriti­scher Funk­tio­närs­kinder. Das Foto von diesem miss­glückten Staatsakt erschien deshalb wenig über­ra­schend auch nicht in der Presse.

Mit Davis gegen den Staat

In Ungarn wurde Davis’ Tour durch Ostberlin und die Sowjet­union genauso verfolgt wie ihr zwei Jahre dauernder Prozess in den USA. In zahl­rei­chen Jugend­klubs (KISZ) hing ihr Porträt, sogar eine Baubri­gade in Dunaúj­város benannte sich nach ihr.

Einla­dungs­karte für das Happe­ning „Frei­heit für Angela Davis!“, Quelle: TNPU-Archiv

Aller­dings begannen unga­ri­sche Künst­le­rInnen sehr schnell zu begreifen, dass man die verord­nete Propa­gan­da­kam­pagne auch gegen die staat­liche Unter­drü­ckung im eigenen Land richten kann. Die Rock­band Illés etwa widmete ihr Album „Human Rights“ – eine Hommage an die univer­sellen Menschen­rechte – Angela Davis. Dadurch wurde das Erscheinen der Platte über­haupt erst möglich, denn das Thema Menschen­rechte war im dama­ligen Ungarn – trotz des staat­li­chen Enthu­si­asmus für die Befreiung von Angela Davis – ein Tabu. Ironi­scher­weise waren es sogar leitende Entschei­dungs­träger gewesen, die der Band diese Widmung empfahlen.

Riskanter war die subver­sive Tarnung in der Happening-Szene. Während Erich Honecker mit Angela Davis posierte und „Frei­heit für Angela Davis!“ rief, insze­nierte Tamás Szent­jóby, einer der radi­kalsten Künstler des Ostblocks, ein Happe­ning eben­falls mit dem Titel „Frei­heit für Angela Davis!“. So konnte er nicht nur den Inhalt tarnen, sondern auch gleich noch das Happe­ning als Kunst­form in der Öffent­lich­keit präsentieren.

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Dies erkannte auch der Agent, der von der Staats­si­cher­heit zur Beob­ach­tung des Happe­nings geschickt worden war. Er merkte, dass Angela Davis „nur der Aufhänger“ war. In seinem Bericht heißt es: „Es war Szent­jóby, der sich nicht zum Schweigen bringen ließ“. Entspre­chend wertete der Spitzel die Aktion zwar auch als Kritik an Amerika, doch erkannte er sehr wohl, dass diese Perfor­mance eine Kritik war, die sich gegen die sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft richtete:

Sz. [anony­mi­siert] kam auf die Bühne und fing an, den offenen Brief von James Baldwin an Angela Davis vorzu­lesen. Er folgte dem Wort­laut der Über­set­zung des Briefes aus einer unga­ri­schen Tages­zei­tung. Während Sz. versuchte, den Brief vorzu­lesen, war Margit Rajczy bemüht, ihm den Text mit einem Besen aus den Händen zu schlagen. Doch Sz. las unbe­ein­druckt weiter, woraufhin Rajczy immer aggres­si­vere und härtere Methoden einsetzte, um ihn zum Schweigen zu bringen: Sie verband seinen Mund mit einer Strumpf­hose, kitzelte ihn an der Nase, presste einen Watte­bausch zwischen seine Beine, fesselte einen seiner Unter­schenkel an den Ober­schenkel und kippte ihm Bier über den Kopf. Aber Szent­jóby las unbe­ein­druckt weiter und Rajczy warf den auf einem Bein hinkenden Szent­jóby mit dem Besen zu Boden. So las Sz. auf dem Boden liegend weiter, während sie einen Tisch über ihn stellte. Immer noch unbe­ein­druckt las Sz. weiter und been­dete den Brief.

Der legen­däre Brief von James Baldwin, einem der damals bekann­testen ameri­ka­ni­schen Schrift­steller, bezog sich auf das Hand­schel­len­foto von Angela Davis auf dem Cover der News­week. Bald­wins Brief schloss mit einem Satz über staat­liche Willkür und Gewalt in den USA: „For, if they take you in the morning, they will be coming for us that night.“ Schwarze Akti­vis­tInnen, die in den USA im Gefängnis saßen, nannten diese von Baldwin geschil­derte Praxis einen „weißen Terro­rismus gegen schwarze Körper“. Doch die Autos, die nachts vorfuhren und Oppo­si­tio­nelle abholten, kannte man auch in den Ostblock-Staaten.

Soli­da­rität mit Angela Davis, nicht aber mit Bobby Seale

Die Gegen­sätz­lich­keit von Honecker und Szent­jóby, die beide Davis als ihre Projek­ti­ons­fläche nutzten, könnte größer nicht sein. Szent­jóby bezog sich genau in dem Moment auf die Prozesse gegen führende schwarze Bürger­recht­le­rInnen, als die unga­ri­sche Regie­rung versuchte, ihn mit einer massiven „opera­tiven Bear­bei­tung“ durch die Staats­si­cher­heit mundtot zu machen.

Tamás Szent­jóby (1972): „Sit Out! Be Forbidden! Sitting on a Chair with Strapped Up Mouth“, Fotos: Gyula Czene Quelle: TNPU Archiv

Doch wo hörte die Soli­da­rität der Herr­schenden im Ostblock mit der schwarzen Bürger­rechts­be­we­gung auf? Im Gegen­satz zu Angela Davis blieb im Falle von Bobby Seale, Mitbe­gründer der Black Panther Party (BPP), eine von den Satel­li­ten­staaten der Sowjet­union unter­stützte Soli­da­ri­täts­welle weit­ge­hend aus. Die BPP wurde in der sowje­ti­schen Presse und auch in der DDR offi­ziell ange­griffen, weil sie die natio­nale Selbst­be­stim­mung der schwarzen Bevöl­ke­rung forderte. Das war in Ungarn nicht anders. Die Black Panther Party wurde propa­gan­dis­tisch als Gegenpol zu Angela Davis insze­niert, obwohl Davis der Bewe­gung selbst ange­hörte und sich offen mit ihren Zielen solidarisierte.

Umso inter­es­santer ist Szent­jóbys Reak­tion auf die ausblei­bende Soli­da­rität. Er entschloss sich 1972 zu einem weiteren Happe­ning, das er Bobby Seale widmete. Mit dem Titel „Sit Out! Be Forbidden! Sitting on a Chair with Strapped Up Mouth“ hielt er öffent­lich in Buda­pest ein Reenact­ment der Gerichts­szene ab, in der Bobby Seale vom Richter an den Stuhl gefes­selt mit zuge­klebtem Mund saß. Diesmal ging es nicht um Tarnung, sondern um das Zeigen von Soli­da­rität, die der Staat vermissen ließ. Und diese ‚falsche‛ Soli­da­rität mit Seale trug dazu bei, dass Szen­tóby als „negativ-feindliches Element” 1975 des Landes verwiesen wurde.

Soli­da­rität pola­ri­siert – auch heute

Es war Herbert Marcuse, Angela Davis’ Doktor­vater, der sich bereits in den 1970er Jahren trotz seiner gene­rellen Unter­stüt­zung der Soli­da­ri­täts­kam­pagne kritisch über Davis’ Bereit­schaft äußerte, Staats­chefs auto­ri­tärer Regime des Ostblocks zu umarmen, während in den Gefäng­nissen dort zahl­reiche poli­ti­sche Gefan­gene saßen, die genauso wenig Chancen auf einen gerechten juris­ti­schen Prozess hatten wie ehedem Davis in Kalifornien.

Sowje­ti­sche Werk­tä­tige bei einer Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung für Angela Davis, Quelle: mzk1.ru

Auch osteu­ro­päi­sche Exilanten, u.a. Alex­ander Solsche­nizyn, kriti­sierten Davis und forderten sie auf, ihr Schweigen zu diesem Thema zu brechen. Davis hat dieses Dilemma nie analy­siert oder öffent­lich gemacht. Auch heute äußert sie sich nicht zu den Vorwürfen der (dama­ligen) Exilanten, aber betont nach wie vor die enorme Bedeu­tung der staat­li­chen Soli­da­ri­täts­kam­pa­gnen – eine Soli­da­rität, die ihr Leben gerettet habe.

Angela Davis war nicht die einzige, die den Wider­stand im Ostblock übersah oder falsch einschätzte. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass die osteu­ro­päi­schen Staaten alles daran setzten, Dissi­denz und Wider­stand im eigenen Land entweder totzu­schweigen oder als Ergebnis ameri­ka­ni­scher Einfluss­nahme und Inter­essen zu verkaufen, also gerade jener Inter­essen, gegen die Davis auftrat.

Der Mythos, die USA steu­erten und finan­zierten Dissi­denten, wird bis heute gepflegt. Wann immer sich Wider­stands­be­we­gungen in Osteu­ropa formieren, wie z.B. in der Ukraine, wird das Gerücht, diese seien maßgeb­lich von den USA beein­flusst, wieder­be­lebt. Diese von unter­schied­li­chen poli­ti­schen Akteuren gepflegte Verschwö­rungs­theorie ist vor allem dazu da, Soli­da­rität mit diesem Wider­stand zu verhin­dern. Das betrifft aber auch andere Formen von Soli­da­rität. Sich zum Beispiel mit Kriegs­flücht­lingen zu soli­da­ri­sieren, gilt heute in Ungarn als „staats­feind­lich“. Mit dieser Krimi­na­li­sie­rung gelingt es, die Arbeit von NGOs zu diskre­di­tieren und zu unter­binden. Es sind jene Orga­ni­sa­tionen, die jetzt gegen die repres­sive Regie­rung kämpfen und für Meinungs­frei­heit, Pres­se­frei­heit und die Unab­hän­gig­keit der Justiz, für Gender­ge­rech­tig­keit und Demo­kratie, einstehen. Sie könnten eine Welle der inter­na­tio­nalen Soli­da­ri­sie­rung mehr gebrau­chen denn je.