Am 20. Januar 2017 sah man Donald Trump erstmals als Politiker mit erhobener Faust, eine Sieges- und Drohgeste, die er sich schon als Privatier, Geschäftsmann und Fernsehstar zugelegt hatte, die im Zusammenhang mit seiner schaurigen Antrittsrede aber zum politischen Symbol seines Herrscherwillens wurde. Die hochgereckte Faust drohte dem Washingtoner Establishment, diesem „Sumpf“, den er trockenzulegen versprach, und stachelte seine (damals spärlich anwesende) Basis zum Widerstand gegen eben diese Machtelite an.

Trump am Mount Rushmore National Memorial in Keystone, South Dakota, 3. Juli 2020, Quelle: bbc.com
Schon am Tag der Inauguration begann so der Wahlkampf um eine zweite Amtszeit, von da an wurde die Faust zum notorischen Grußsymbol – auf der Treppe der Air Force One, in telegenen Auftritten vor der „roten Wand“ aus Trump-Plakaten und MAGA-Kappen, selbst im Hohen Haus des Kongresses nach einer aufgeblasenen „State of the Union“-Ansprache, beim Tanz mit seiner Frau Melania, bei seiner Selbsterhebung vor Mount Rushmore, auf dem Weg zu der seltsamen Bibelstunde vor der St. John’s Kirche neben dem Weißen Haus, als die Heilige Schrift in der Faust steckte, auf dem Balkon des Weißen Hauses nach seiner Genesung von der Corona-Infektion.
Die Faust wurde auch dynastisch vererbt auf seinen Sohn Trump jr. Fist-pumping wurde zum Markenzeichen, bisweilen erhob der Präsident beide Fäuste wie zum Boxkampf, mit dem erstaunten nordkoreanischen Diktator wie zu einem freundlichen Gerangel unter Buben.

Trump mit Kim Jong-un 2017, Quelle: aldianews.com
Die geballte Faust und ihre Geschichte
Was Politiker in der Öffentlichkeit mit ihren Händen tun, ist fast nie belanglos: Zum Beispiel der pseudo-soldatische Gruß von Richard Nixon nach seinem Rücktritt 1974, Angela Merkels Raute, die Winke-Hand der Queen Elizabeth, der sozialistische Gruß roter Revolutionäre und Staatsoberhäupter, das Victory-Zeichen Winston Churchills – nicht zu vergessen der „deutsche Gruß“, den Adolf Hitler sorgfältig einstudiert hatte. Auch Politiker der zweiten Reihe schütteln Hände, deuten mit dem Zeigefinger auf Anhänger, winken der Menge zu, reißen die Arme hoch, schlagen mit der flachen Hand aufs Rednerpult, falten ihre Hände ostentativ zum Gebet und helfen einem Argument mit einer Handbewegung nach.

Honoré Daumier, „L’Emeute“ (1848), Quelle Wikipedia.
Die politische Ikonografie der geballten Faust ist bereits alt und ursprünglich wohl kein Symbol der Auflehnung. Berichtet wird von Fäusten in natürlicher Größe aus Metall in der frühen Neuzeit, die „Personen abgenommen worden <waren>, die verbal oder physisch Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet hatten… Die in effigie eingezogenen und wie Trophäen präsentierten Fäuste stellten den Rechtsfrieden wieder her.“ Immer schon war die geballte Faust eine spontane Geste der Wut und Drohung, Symbol einer körperlichen Gewalt, aus der sich ein kollektiver Widerstand formen konnte. Ausdruck gegeben hat dem Francisco de Goya mit seinem Gemälde „El Colosso“ (1808-1812), ein nackter Riese, der zum imaginären Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner antritt, in dem die napoleonische Besatzung Spaniens gesehen wurde, auch ein Gegenbild zum Frontispiz von Hobbes‘ Leviathan. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Faust klarer verortet und assoziiert, als Symbol bürgerlich-revolutionären Aufstands gegen Monarchie, Adel und Klerus, dann noch eindeutiger konnotiert als Symbol des proletarischen Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Als erstes derartiges Bild einer Person mit geballter Faust gilt Honoré Daumiers „L’Emeute“ von 1848.

John Heartfield „Alle Fäuste zu einer geballt“ in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung vom Oktober 1934. Quelle: Wikipedia
1848 erscheint auch Karl Marx auf einem Flugblatt zur „Freiheit der Meinung“ mit erhobener Faust. Ikonografisch kodifiziert wurde diese linke Variante durch John Heartfields Abzeichen des Roten Frontkämpferbundes (1924-29) und sein berühmtes Plakat „Alle Fäuste zu einer geballt“ in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung vom Oktober 1934, eventuell beeinflusst durch ein 1917 erschienenes Cartoon in der Zeitschrift „Solidarity“ der International Workers of the World (IWW)-Gewerkschaft.
In den 1930er Jahren wurde die Faust zu einem antifaschistischen Symbol (vor allem im Spanischen Bürgerkrieg), schon bei Heartfield auch zu einem antirassistischen Zeichen, das für Aufrufe zur internationalen Solidarität eingesetzt wurde. Die Faust war dann ein Propagandamittel sozialistischer und kommunistischer Diktaturstaaten, wie das Beispiel einer Monumentalskulptur aus der DDR zeigt.
Im „realexistierenden Sozialismus“ gehörte die rote Faust zum Ritual. Das in 1969 in Halle/Salle errichtete (und 2003 abgebaute) „Monument der revolutionären Arbeiterbewegung“ ist ein steinernes Symbol dieser damals schon längst versteinerten Tradition.
Auch in der Plakatkunst des Atelier Populaire während der Mai-Revolte 1968 war die rote Faust ein prominentes Propagandamittel.

„Monument der revolutionären Arbeiterbewegung“, oder „Fäuste“ war ein Denkmal in Halle (Saale), das von 1970 bis 2003 auf dem dortigen Ernst-Thälmann- bzw. Riebeckplatz stand.
Weiter setzten auch sozialistische und eurokommunistische Parteien auf die Faust, im Fall der französischen Parti Socialiste mit einer Rose verziert und zivilisiert. Adaptiert wurde das Symbol dann für die Kämpfe neuer sozialer Bewegungen (Women Power, Black Power, im südamerikanischen Bolivarismus, von Otpor! in der Opposition gegen Milošević). Heute ist die geballte Faust noch bei den „Autonomen“ und Antifa-Gruppen im Gebrauch. Auf Plakaten, Buttons, als T-Shirt-Aufdruck und Emoji ist die Faust ganz unabhängig von politischen Organisationen allgegenwärtig.
Die Faust, „in der politischen Praxis der Gegenwart das Widerstandssymbol schlechthin“ (Heusinger), hat alle gesellschaftlichen Bereiche (wie den Sport) erfasst – und eben damit seine eindeutige Links-Kodierung verloren. Nelson Mandela schwang die Faust nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis ebenso wie Anders Breivik, der „identitäre“ norwegische Massenmörder, zur Eröffnung seines Prozesses die erhobene rechte Hand zur Faust ballte, der Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald nach seiner Festnahme ebenso wie Ramírez Sánchez, bekannt als Carlos, bei seinem Prozess.
Politische Symbole flottieren frei und deswegen können linke Symbolzeichen selbstverständlich auch von rechts und ganz rechts „gestohlen“, angeeignet und verändert werden. „Eiserne Faust“, frei nach Götz von Berlichingens Handprothese, nannte sich auch schon eine 1919 gegründete Organisation völkischer Reichswehr-Offiziere, später wurde sie der Name einer SS-Division. Speziell in Deutschland wurde die „deutsche Faust“ zum Symbol eines antidemokratischen Kampfes gegen die Linke. Die durch Digitalisierung und soziale Netzwerke vervielfachte Möglichkeit der Zirkulation und Reproduktion, auch der Bearbeitung, des Schnitts und des Morphing von Bildern erlaubt solche Appropriationen und Re-Appropriationen von Zeichen, Memes und Symbolen, die ihre historische Aura und Textur verlieren und in fast beliebiger Weise gesampelt werden können. Das erklärt die Karriere der erhobenen Faust vom Symbol des Widerstands der Ohnmächtigen gegen überlegene Gewalt hin zum Propagandainstrument von „White Power“, des weißen Suprematismus und Rassismus.
Die Faust am Arm von Donald Trump

Die blaue Faust des Gewerkschaftsverbands AFL-CIO, Quelle: buttonmuseum.org
Und so kam die Faust an den Arm von Donald Trump. Er hat sie geklaut, wie so vieles, und nutzt sie als Anführer eines vermeintlichen Volksaufstandes gegen Eliten und so deklarierte Volksfeinde. Trump, der sich gerne als Außenseiter und Spielverderber geriert hat, behält seine falsche Widerstandsgeste auch, wenn er die Macht innehat und signalisiert so, dass er immer noch in Opposition zu ihr steht.
Die geballte Faust wird in den Händen vermeintlicher Anwälte, Tribune und Führer des Volkes zum Vorspiel einer Regierung mit „eiserner Hand“. Neonazis ballen die Faust als verkappten Hitlergruß, der Ku-Klux-Klan und weiße Rassisten recken sie hoch, um Trump vor der Wahlniederlage zu retten. Das führt zur Verwirrung; ist die blaue Faust aus Wisconsin ein Banner von Trumps Unterstützermob, oder, wie in dem abgebildeten Fall, eine Manifestation der Gewerkschaftsverbands AFL-CIO?
Man hat das kindische Greinen und Grinsen des unterlegenen US-Präsidenten, wenn er wie nebenbei die Faust zu Gruß ballt, dahingehend unterschätzt, dass ihm diese Bezüge unbewusst geblieben seien. Von Beginn an war der faschistische Coup d’Etat angelegt, und Trumps katastrophaler Abgang erhob die Faust zum Symbol eines weiterhin latenten Bürgerkriegs, den die radikale Rechte über einen bloßen Faustkampf im Capitol hinauszutreiben im Sinn hat.

Aus der Gattung der Faustmemes, Quelle: facebook