Am 20. Oktober 2018 fand an der Universität Zürich zum ersten Mal ein sogenanntes „Battle of Ideas-Festival“ statt. Zu den Mitveranstaltern gehörten die Universität selbst, die Volkshochschule Zürich wie auch Stadt und Kanton Zürich. Anspruch des Events war es, zu aktuellen Themen möglichst „offene“, „kontroverse“ und „kritische“ Debatten auf hohem Niveau zu führen, das Ganze auf Englisch und zu Eintrittspreisen von 50 Franken, für Studierende, von denen nur wenige anwesend waren, die Hälfte. Der Künstler Katsunobu Hiraki eröffnete die Veranstaltung mit einer musikalischen Trommeleinlage, und der Rektor der Universität hielt zur Begrüssung eine kurze Ansprache: Wie stolz er darauf sei, heute Gastgeber sein zu dürfen.
Der Veranstalter im Hintergrund
Was die Ankündigung und Bewerbung seitens der Universität mit dem Slogan „Shape the Future through Debate!“ angeht, war das „Battle of Ideas“ kaum von den sonstigen regulären Veranstaltungen an der Universität Zürich zu unterscheiden. Doch die Universität Zürich war nicht Veranstalterin dieses „Battles of Ideas“, sondern nur ein Veranstaltungsort unter vielen anderen. Es handelt sich dabei jeweils um Ableger des gleichnamigen „Festivals“ aus London, dessen Flyer auch in Zürich ausliegen – unter dem Motto „Free thinkers welcome! Free speech allowed!“ Organisiert wird das Ganze hauptsächlich von der “Academy of Ideas”, einem libertärem Thinktank in Partnerschaft mit einer Reihe weiterer libertärer Organisationen, wie dem „Ayn Rand Institute“ und der „Federalist Society“, die in den USA eng mit der Trump-Regierung zusammenarbeitet. Die „Academy“ fordert in ihren „21 Pledges for Progress“ als allererstes die Abschaffung von Gesetzen gegen Hate-speech und Verleumdung im Namen der „freien Meinungsäusserung“ sowie extensive Deregulierungen zugunsten von Unternehmen.
In einem sehr ausführlichen und lesenswerten Bericht vom „Battle of Ideas“ 2010 in der London Review of Books beschreibt Jenny Turner den Hintergrund des Netzwerks der Veranstalter als eine „politische Sekte“. Nach ihrem Eindruck handelt es sich bei der „Academy of Ideas“ um „pretty much a standard right-wing public policy think tank“. Im „New Statesman“ teilt Nick Cohen diese Ansicht und schreibt ebenfalls von einer „Sekte“. Der Investigativ-Journalist George Monbiot spricht im Guardian von einem „kultähnlichen Personennetzwerk“ von libertären Rechten, welches über grossen Einfluss verfüge. In einem Interview mit Lobbywatch meint er zudem, dass es sich bei dem Hauptveranstalter des „Battle of Ideas“-Festivals im Grunde um eine Lobbygruppe für die Interessen von Unternehmen handle, die sich unter anderem stark gegen Umwelt- und Klimaschutz engagiere und die Interessen von Geldgebern aus der Pharmaindustrie wie Novartis, Bayer und Pfizer vertrete.
Die Gründungsdirektorin der „Academy of Ideas“, Claire Fox, Gründerin und Direktorin von „Battle of Ideas“ und ehemalige Kommunistin, streitet gar nicht ab, dass sie zum Beispiel „a relatively enthusiastic supporter of GM (genetically modified) food“ sei, begründete ihre Haltung aber, wie jeder gute Verkäufer bzw. jede Lobbistin, in einem Interview mit der Times mit dem lapidaren Hinweis, „that I have intellectually decided, having looked at the evidence“ – und dass man über solche Fragen halt einfach offen reden müsse.
„Cultural Marxism“
Zweifellos kann man über das Pro und Contra von genetisch veränderten Nahrungsmitteln diskutieren. Es wäre jedoch ein Missverständnis anzunehmen, solche wissenschaftlichen Debatten oder auch wirtschaftliche Themen stünden beim „Battle of Ideas“ im Vordergrund: In der am Festival in Zürich ausliegenden Broschüre liest man beispielsweise, dass Kritik an #Metoo zu oft tabuisiert würde. #Metoo war daher auch in Zürich ein prominentes Thema; bei diesem Panel demonstrierte der Moderator, „Academy of Ideas“-Mitarbeiter Alastair Donald, offen seine Aversion gegenüber dem Feminismus.

Panel zu #Metoo am „Battle of Ideas-Festival“ in der Aula der Universität Zürich, 20.10.2018; Quelle. pbs.twimg.com
Dem entsprechend finden sich in der erwähnten Broschüre Panels aus London mit Titeln wie „Has #Metoo killed the office romance?“, bei denen bereits die Frage die Positionierung vorgibt, oder, ein Meme der radikalen Rechten in den USA aufgreifend: „Cultural marxism – threat or myth?“ Wie die New York Times kürzlich in einem aufsehenerregenden Artikel zeigte, wird die Rede vom „cultural marxism“ in erster Linie von der sogenannten Alt-Right verwendet und ist eine antisemitische Verschwörungstheorie, in der die Frankfurter Schule im Zentrum steht; die Nationalsozialisten sprachen noch vom „jüdischen Kulturbolschewismus“. Der rechtsextreme norwegische Terrorist und Massenmörder Andreas Breivik nannte in seinem Manifest die angebliche Bedrohung durch einen „cultural marxism“ als einen der Gründe für sein Attentat auf eine linke Jugendorganisation.
Beim „Battle of Ideas“ also ist man offen für alle „Ideen“, nimmt selbst solche kruden Vorstellungen ernst und scheut im Namen von „free speech“ nicht die Verwendung rechtsradikaler Terminologie und Frames. Wenn es dort Kritik daran gibt, dann sieht diese folgendermassen aus: Helen Pluckrose, Chefredakteurin des mitveranstaltenden libertären Areo-Magazins, sprach sich auf dem Panel in London gegen die Verwendung des Begriffs „cultural marxism“ mit der Begründung aus, dass es sich bei der damit bezeichneten „irrationalen Social Justice Weltsicht“ – ein weiteres Meme der amerikanischen Alt-Right – nicht um Marxismus handle. Die „Bedrohung“, die der Begriff bezeichne, gehe nicht vom Marxismus selbst aus, sondern komme von anderswo, nämlich vom Anspruch auf soziale Gerechtigkeit: “The Social Justice worldview is irrational and counterproductive to progress. It is not Marxism and we do not need to claim it is to oppose it.”
Die „Academy of Ideas“ veranstaltet demnächst am 6. Dezember in London eine Debatte zur Frage „Is Rising Ethnic Diversity a Threat to the West?“, woran sich auch die Direktorin Claire Fox, eine vehemente Kritikerin des Multikulturalismus, beteiligen wird. Dies veranlasste einen offenen Protestbrief von über 200 Forscherinnen und Forschern unter dem Namen „academics for meaningful debate“, worin diese die Verwendung eindeutiger rassistischer Terminologien und die einseitige Auswahl der Teilnehmenden kritisierten. Es handle sich um eine Pseudodebatte ohne ernsthaften akademischen Anspruch, die zur Normalisierung und Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts beitrage:
As academics and activists, we do not need to be convinced as to the importance of public debate. However, this debate was framed within the terms of white supremacist discourse. Far from being courageous or representative of the views of a ‘silent majority’, this is a reactionary, opportunistic and intentionally provocative approach, with no concern for the public implications and effect of this framing. By presupposing an ethnically homogenous ‘west’ in which ethnic diversity, immigration and multiculturalism are a ‘problem’ to be fixed, it automatically targets communities already suffering from discrimination as part of the ‘problem’.
Bei solchen Themen verwundert es nicht, dass der ultrakonservative Verschwörungstheoretiker, Klimawandelleugner und Breitbart News-Podcaster James Delingpole die „Academy of Ideas“ mit ihren Veranstaltungen zu seinen besten Verbündeten im Kampf gegen „Social Justice Warriors“ zählt. Im Gespräch mit Claire Fox finden beide viele Gemeinsamkeiten, und sind sich einig, in derselben ideologischen Tradition zu stehen. Es gäbe zwischen ihnen politisch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Delingpole bezeichnet Fox als „eine Mischung aus Margaret Thatcher, Sarah Palin und Katie Hopkins, nur gefangen im Körper einer linken Frau“, was erstaunlicherweise in diesem Fall als Kompliment gelten sollte.
Reaktionen
Jacob Geuder ist Doktorand an der Universität Basel und hat auf Anfrage an einem der Panels an der Zürcher Veranstaltung teilgenommen. Im Nachhinein sieht er die „Battle of Ideas“ sowie seine eigene Teilnahme daran jedoch äusserst kritisch. Themensetzungen und Einladungen für ein „Battle of Ideas“-Event seien niemals wertfrei, zudem erschienen, so Geuder, die politischen Agenden der Beteiligten intransparent und im Widerspruch zur angeblich offenen Debatte, die gegen aussen, in der Öffentlichkeit, so sehr betont wird.
Ganz anders sieht das der Hauptveranstalter des Events in Zürich, der PR-Unternehmensberater Paul Seaman, der mit dem „Zurich Salon“ einen Ableger der „Academy of Ideas“ ins Leben gerufen hat. Er hält Diskussionen über die gesellschaftliche „Bedrohung“ durch „Kulturmarxisten“ für notwendig. Da solche Theorien weit verbreitet seien, müsse man offen darüber streiten. Seaman hält es zudem für einen Skandal, dass Steve Bannon vom „New Yorker Festival“ ausgeladen wurde . Und schliesslich seien Linke wie Jeremy Corbyn ohnehin gegen „free speech“ und würden solchen wichtigen Kontroversen aus dem Weg gehen.
Auch die Finanzierung und Mithilfe von Festivals der freien Meinungsäusserung durch private Organisationen mit einer klaren politischen Agenda hält Seaman für unbedenklich. Diese hätten keinen Einfluss auf die Inhalte und es gebe auch keine Profitinteressen. Jeder Mensch, jede Organisation habe schliesslich eine eigene Agenda. Er räumt ein, dass die meisten der Veranstalter einen libertären Hintergrund hätten, es handle sich bei den Festival aber vor allem um „Pro free speech“-Events, an denen sich alle beteiligen sollten.
Und schliesslich zeigte sich auch das Feuilleton der NZZ von der Veranstaltung begeistert und erwähnte mit keinem Wort die dahinter stehende „Academy of Ideas“: „Nichts Demokratischeres also als eine ’Battle of Ideas’: Man wünscht ihr viel Erfolg in Europa und freut sich auf ihre nächstjährige Rückkehr nach Zürich.“
Fragen an die Universität Zürich
Dieser Applaus von rechts überrascht nicht. Dennoch stellt sich die Frage, wieso die Universität Zürich – zusammen mit Volkshochschule, Stadt und Kanton Zürich – mit dem „Battle of Ideas-Festival“ ein Event veranstaltete, das seinem ostentativ behaupteten Anspruch an Offenheit und kritischer Auseinandersetzung ganz offensichtlich nicht gerecht werden kann und dessen libertärer Hintergrund sowie die Art der Organisation und Finanzierung von der Universität Zürich nicht transparent gemacht wurden. Dieses Fehlen von Transparenz betrifft die meisten der von der „Academy of Ideas“ veranstalteten Events, was, gelinde gesagt, nicht so recht zu einem der Offenheit und „free speech“ verschriebenem Institut passen will und bereits schon zu Kritik und Boykotten führte.
Universitäten, die die freie Meinungsäusserung verteidigen müssen und der Ort für ergebnisoffene und kontroverse Debatten sein sollen, sind naturgemäss besonders offen für Veranstaltungen, die sich als Orte „freier Rede“ und Debatte ausgeben. Es kann allerdings bezweifelt werden, ob es für Stadt, Kanton, Universität und Volkshochschule angebracht ist, die Veranstaltung einer Organisation zu unterstützen, die mit ihren nur vorgeblich offenen Debatten tatsächlich politisches Lobbying betreibt und der renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts attestieren. Ihr Trick ist, jede Kritik am „Battle of Ideas“ als Angriff auf „free speech“ oder als Intoleranz gegenüber Andersdenkenden zu deuten. Auf ihn sollte die Universität Zürich nicht ein zweites Mal hereinfallen.