Der britische Popmusiker und globale Superstar David Bowie, der am 10. Januar dieses Jahres verstarb, war zweifellos einer der innovativsten und einflussreichsten Künstler im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, und er blieb bis zu seinem letzten, kurz vor dem Tod veröffentlichten Album Black Star kreativ und überraschend. Die wichtigsten Jahre seiner Karriere als Musiker und vielschichtiger Darsteller seiner eigenen Kunstfiguren aber waren die 1970er Jahre. Diese Zeit steht im Mittelpunkt von Peter Doggetts staunenswert kenntnisreichem und schier unerschöpflichem Buch The Man Who Sold the World. David Bowie and the 1970s: Biografie, Werkverzeichnis, Musik- und Kulturgeschichte der 1970er Jahre in einem.
Der junge David Jones, wie Bowie mit bürgerlichem Namen hiess, hatte zwar schon seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre im ‚swinging London‘, das von Moden, Trends und Ideen vibrierte, in verschiedenen Musikformationen und Stilen versucht, ein ‚Star‘ zu werden, aber er blieb bestenfalls eine Hoffnung seiner wechselnden Plattenfirmen. Zwar brachte ihn „Space Oddity“, sein lakonisch-melancholischer Abgesang auf die durch die Mondlandung im Juli 1969 geweckten weltweiten Raumfahrtträume, 1970 auf die vorderen Plätze der Single-Charts und zu ersten TV-Auftritten. Aber noch war er ein blondgelockter Jüngling mit schulterlangem Haar wie viele andere Popmusiker auch, seine nachfolgenden Plattenaufnahmen unterschieden ihn vorerst ebenfalls noch nicht besonders von seinen Konkurrenten.
Was Bowie hingegen bald über alle anderen herausheben sollte, war sein radikaler Bruch mit dem Kult der ‚Authentizität‘, der in der Jugend-, Protest- und Alternativkultur der 1960er und 1970er Jahre zum Synonym für ‚Wahrheit‘ und – so die eher ‚dylaneske‘ ländliche Variante ab dem Ende der 1960er Jahre – ‚gutes Leben‘ wurde. Bowie hingegen wollte keine Wahrheit und schon gar nicht sein ‚wahres Ich‘ zum Ausdruck bringen. Bowie wollte ein Superstar sein, und er hatte viel früher als andere begriffen, was das bedeutete. Der ehemalige Werbegrafik- und Marketinglehrling begann sich als Bühnenfigur zu erfinden – am erfolgreichsten ab 1972 als ‚Ziggy Stardust‘: ein androgyner Alien mit seiner Band, den Spiders from Mars, ein atemberaubend geschminktes Wesen, weder Mann noch Frau, weder Rockstar noch Pierrot, und doch alles gleichzeitig, erotisch und unnahbar, in immer neuen Kostümen, mit rotgefärbten und gestärkten Haaren und einer stilsicheren Stimme.

Peter Doggett, The man who sold the world. David Bowie and the 1970s, Buchcover, Quelle, www.bookdepository.com
Für ein solches Konzept gab es zu Beginn der 1970er Jahre nur ein Vorbild: Andy Warhol. Bowie widmete ihm 1971 einen Song und lernte ihn (sowie Lou Reed) kurz danach in New York kennen. Wie für Warhols, so galt auch für Bowies Kunst: sie existiert nur an der Oberfläche, sie ist nur ihre eigene Oberfläche. Doch noch radikaler als bei Warhol ist es bei Bowie in den frühen 1970er Jahren nichts weniger als der eigene Körper, das eigene Leben, das auf diese Weise zum Kunstwerk wird. „Aus seinem Leben ein Kunstwerk machen“: als Michel Foucault 1980 von einer solchen „Ästhetik der Existenz“ sprach, hatte er nur in Worte gefasst, was die Popmusik schon zehn Jahre zuvor begriffen hatte.
Was allerdings (nicht nur) Bowie betrifft, so erwies sich dieses ‚Kunstwerk-Sein‘ als ziemlich anstrengend. Sein unablässiger Kokainkonsum, der ihn – real fassbar in der Kunstfigur des ‚Thin White Duke‘ (1974/175, mit faschistoiden Anklängen) – ziemlich ausbleichte, sein exzessives Leben in Los Angeles in der Mitte der 1970er Jahre und der selbstauferlegte Zwang, immer wieder ein anderer zu sein, trieben ihn 1977 zur Flucht nach West-Berlin. Die graue, isolierte Stadt war für ihn der ideale Ort, um sich wiederum neu zu erfinden – diesmal im Kostüm des Normalgekleideten und kaum noch Geschminkten, der seine Postmoderne schon hinter sich hatte. Aber Bowie blieb auf der Höhe der Zeit: „We can be heroes“ wurde zur Hymne einer Jugend, die die politischen Hoffnungen der Revolutionsjahre längst aufgegeben hatte und eher verzweifelt das private Glück zu suchen begann.
Was nun die Bowie-Monografie von Peter Doggett betrifft, bleibt nur eine Frage: Ist das eine gute Ferienlektüre? Unbedingt! Das Buch beginnt mit einer flüssig geschriebenen biografischen Skizze der frühen Jahre bis 1970, um dann – detailliert – Song für Song zu analysieren. Das tönt zwar abschreckend, ist aber eine wahre Fundgrube voller brillanter kleiner Analysen und detailreicher Geschichten, ergänzt alle paar Seiten durch kurze Essays zu übergreifenden Themen, die die Karriere Bowies mit der Kulturgeschichte der 1970er Jahren verknüpfen. Das alles muss man nicht am Stück lesen, sondern eher Stück für Stück, vielleicht auch gerade in der Reihenfolge, wie man sich Bowies Musik aufs Handy streamen lässt. Danach wissen Sie Vieles, darunter viel wirklich Relevantes über Bowie – und auch viel über die 1970er Jahre: dieses merkwürdige Jahrzehnt, als Kunstfiguren wie David Bowie die Moderne zur Explosion brachten.