Die Neuausrichtung der Außenpolitik an feministischen Wertmaßstäben führte zu Irritationen im Feuilleton, aber auch zu Begeisterung. Beginnt nun eine Ära friedlicherer internationaler Beziehungen, eine global gerechtere Machtverteilung zwischen den Geschlechtern? Oder handelt es sich gar um die Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen?

  • Birgit Sauer

    Birgit Sauer ist Politikwissenschaftlerin i.R. an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritäre Rechte und Geschlecht sowie Politik und Affekt. Jüngste Publikation: Birgit Sauer/Otto Penz 2023: Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2023.

Am 1. März 2023 stellte die bundes­deut­sche Außen­mi­nis­terin Anna­lena Baer­bock (Grüne) die Leit­li­nien einer „Femi­nis­ti­schen Außen­po­litik“ und die Minis­terin für Wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung, Svenja Schulze (SPD), das Papier „Femi­nis­ti­sche Entwick­lungs­po­litik – für gerechte und starke Gesell­schaften welt­weit“ der Presse vor. Beide Papiere verspre­chen, die außen- bzw. entwick­lungs­po­li­ti­schen Bezie­hungen der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land an femi­nis­ti­schen Werten der Gleich­stel­lung von Männern und Frauen, der gerech­teren Macht- und Ressour­cen­ver­tei­lung und der Gewalt­frei­heit zu orientieren.

Außen­po­litik gilt unter Geschlechterforscher*innen als beson­ders masku­li­nis­tisch, weil sie auf Wett­be­werb, Domi­nanz und Herr­schaft zwischen Staaten basiert, also auf einer „realis­ti­schen Macht­po­litik“, die die globale Unord­nung der Staa­ten­welt unter­stellt. Dies lasse Koope­ra­tion, Ausgleich und Gerech­tig­keit zwischen Staaten kaum zu. Kurz: Patri­ar­chale, masku­li­nis­ti­sche Werte domi­nieren das außen­po­li­ti­sche Geschehen – schon gar in Kriegszeiten.

Vorge­schichte femi­nis­ti­scher Außenpolitik

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik hat inter­na­tional wie auch national eine längere Geschichte. Die UNO nahm die masku­li­nis­ti­sche und sexis­ti­sche Schief­lage krie­ge­ri­scher Ausein­an­der­set­zungen ins Visier, und der Sicher­heitsrat verab­schie­dete im Oktober 2000 die Reso­lu­tion 1325 für „Frauen, Frieden und Sicher­heit“. Auf dieser Grund­lage entwi­ckelten manche UN-Mitgliedstaaten natio­nale Akti­ons­pläne, Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik ist Element davon.

Schweden war das erste euro­päi­sche Land, das Femi­nismus im Jahr 2014 als Prinzip der Außen­po­litik veran­kerte, gefolgt von Frank­reich 2018, Luxem­burg 2019 und Spanien im Jahr 2021. Kanada hatte Femi­nismus im Jahr 2017 zur Grund­lage seiner Außen­po­litik gemacht. Die rechts-autoritären Schwe­den­de­mo­kraten besei­tigten im Jahr 2022 das femi­nis­ti­sche Prinzip der schwe­di­schen Außen­po­litik, weil sie in ihrem Kampf um kultu­relle Hege­monie Femi­nismus in allen gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Berei­chen diskreditieren.

Auch in Deutsch­land hat das Konzept eine Vorge­schichte. Im Februar 2019 brachte die Frak­tion der Grünen, damals in der Oppo­si­tion, den Antrag „Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik konse­quent umsetzen – Gewalt und Diskri­mi­nie­rung über­winden, Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit und Menschen­rechte welt­weit verwirk­li­chen“ in den Bundestag ein. 2020 stellte die Frak­tion der Linken zwei Anträge im Bundestag zur Abstim­mung, im März den Antrag „Für eine fried­liche femi­nis­ti­sche Außen­po­litik“ und dann im Oktober einen weiteren Antrag „Auf Gewalt in inter­na­tio­nalen Konflikten verzichten – UN-Resolution 1325 ,Frauen, Frieden und Sicher­heit‘ umfas­send veran­kern“. Die AfD konterte diese Vorschläge noch im selben Monat mit dem Antrag „Deut­sche Außen­po­litik unab­hängig von Geschlechts­zu­ge­hö­rig­keit betreiben – Werteim­pe­ria­lismus beenden“, in dem die Partei „das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker“ respek­tiert wissen will. Die Anträge der Grünen und der Linken wurden vom Bundestag abge­lehnt, jener der AfD zunächst in den Auswär­tigen Ausschuss verwiesen.

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik im Ampel-Koalitionsvertrag

Die bundes­deut­sche Ampel-Koalition öffnete ein neues Gele­gen­heits­fenster, um femi­nis­ti­sche Außen­po­litik zu veran­kern. Das Prinzip fand Eingang in den Koali­ti­ons­ver­trag, es soll, wie es darin heißt, „Rechte, Ressourcen und Reprä­sen­tanz von Frauen und Mädchen welt­weit stärken und gesell­schaft­liche Diver­sität fördern“. „Eine femi­nis­ti­sche Außen­po­litik zielt so auf die Gleich­stel­lung von Frauen und Mädchen weltweit.“

Die Leit­li­nien zur femi­nis­ti­schen Außen­po­litik der Bundes­re­gie­rung entstanden schließ­lich in einem einjäh­rigen „Dialog­pro­zess“ von „Expert*innen aus Bundestag und Verwal­tung, Think Tanks und Zivil­ge­sell­schaft“. Das in Groß­bri­tan­nien im Jahr 2016 gegrün­dete inter­na­tio­nale „Center for Femi­nist Foreign Policy“, das inzwi­schen mit Kris­tina Lunz als Co-CEO des Think Tanks in Deutsch­land behei­matet ist, ist bei der Entwick­lung und Propa­gie­rung einer femi­nis­ti­schen Sicht auf Außen­po­litik höchst engagiert.

Während Gleich­stel­lungs­po­litik lange auf die quan­ti­ta­tive Reprä­sen­ta­tion von Frauen abzielte, also auf ihre Präsenz in poli­ti­schen Entschei­dungs­po­si­tionen, geht femi­nis­ti­sche Außen­po­litik darüber hinaus: Sie will die Rolle von Frauen in Entschei­dungs­pro­zessen als „agents of change“ stärken, aber auch ein Instru­ment der femi­nis­ti­schen Trans­for­ma­tion von Poli­tik­in­halten sein. Außen­po­litik soll sich an femi­nis­ti­schen Werten orien­tieren und Frauen somit auch „quali­tativ repräsentieren“.

Das Konzept­pa­pier umfasst zehn Leit­li­nien, die auf eine inhalt­liche Re-Orientierung der Außen­po­litik, u.a. im Bereich der Sicher­heits­po­litik, hier insbe­son­dere die Bekämp­fung von sexu­eller Gewalt in Kriegs­si­tua­tionen, fokus­sieren. Insge­samt soll in der Außen­po­litik ein „femi­nis­ti­scher Reflex“ ausge­bildet werden, z.B. durch das Instru­ment Gender Budge­ting in allen Projekten . Doch auch die Reprä­sen­ta­tion von Frauen im Auswär­tigen Dienst soll erhöht werden: Er soll ein „weib­li­cheres Gesicht“ bekommen .

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Kritik an femi­nis­ti­scher Außenpolitik

Das Konzept wurde rasch und viel­fach kriti­siert: Konser­va­tiven Kräften und auto­ri­tären Rechtspopulist*innen miss­fiel das Prädikat „femi­nis­tisch“ als bloß auf Frauen fokus­siert und nicht auf alle Menschen. Queerfeminist*innen und deko­lo­niale Feminist*innen bemän­gelten einen Fokus auf cis-Frauen und die Repro­duk­tion kolo­nialer Bina­ri­täten. Frei­lich: Papier ist geduldig, die Leit­li­nien sind hehr – aber ob sie wirk­lich umge­setzt werden, steht in den Sternen. Die Imple­men­tie­rung sowie deren mögliche Wirkungen können bislang nicht beur­teilt werden.

Warum ist eine Ausein­an­der­set­zung mit dem Konzept dennoch wichtig? Es wirft Fragen auf, die Rück­schlüsse auf die welt­po­li­ti­sche Situa­tion erlauben: Was bewegt Länder des Globalen Nordens jetzt, zu diesem Zeit­punkt, ihre Außen­po­litik an den Inter­essen von Frauen, Mädchen und margi­na­li­sierten Personen auszu­richten? Welche Kontexte, welche Kräf­te­kon­stel­la­tionen und Inter­essen mögen eine Rolle dafür spielen, dass das Projekt femi­nis­ti­sche Außen­po­litik gerade heute so promi­nent auf die Agenda gesetzt wird? Auf all diese Fragen lässt sich keine abschlie­ßende Antwort geben, indessen lassen sich einige Bedenken skiz­zieren, um die Chancen, aber auch Ambi­va­lenzen und Probleme femi­nis­ti­scher Außen­po­litik abzu­schätzen.  

Den theo­re­ti­schen Hinter­grund bildet ein materialistisch-feministischer Ansatz, der Verän­de­rungen in der staat­li­chen Arena – und eine solche Verän­de­rung ist femi­nis­ti­sche Außen­po­litik – unter Rück­bezug auf ökono­mi­sche und gesell­schaft­liche Verhält­nisse, also Klassen-, Geschlechter- und Sexua­li­täts­ver­hält­nisse sowie rassia­li­sierte Konstel­la­tionen analy­siert und zu erklären versucht. Soziale Gruppen ringen in der staat­li­chen Mehr-Ebenen-Arena, also auf natio­naler, regio­naler und inter­na­tio­naler Ebene darum, ihre Inter­essen best­mög­lich durch­zu­setzen, insbe­son­dere aber auch ihr Wissen und ihre Deutungen gesell­schaft­li­cher Verhält­nisse in staat­li­chen Insti­tu­tionen zu veran­kern. Ein solch weiter Staats­be­griff sieht staat­liche Normen und Poli­tiken als Ergeb­nisse von Ausein­an­der­set­zungen um Macht und Herr­schaft, begründet in der Stärke, der Macht oder den Inter­essen von gesell­schaft­li­chen Grup­pie­rungen. Ressour­cen­starke Akteur*innen haben es zwar leichter, ihre Inter­essen und Deutungen durch­zu­setzen, doch sind auch sie zu Kompro­missen gezwungen, um ihre Sicht­weisen als common sense zu verankern.

Vor diesem Hinter­grund werden Akteur*innen und deren Inter­essen sowie neue Kräf­te­kon­stel­la­tionen umrissen, die den Kompro­miss für eine femi­nis­ti­sche Außen­po­litik ermöglichten.

Rolle von Akteur*innen im inter­na­tio­nalen staat­li­chen Feld

Ganz ohne Zweifel haben Frau­en­be­we­gungen auf der ganzen Welt, auch Femokrat*innen, also Femi­nis­tinnen inner­halb der bundes­deut­schen Regie­rungs­par­teien und der Verwal­tung, gemeinsam mit NGOs und Wissenschaftler*innen diese femi­nis­ti­sche Agenda voran­ge­trieben. Es wäre frei­lich naiv anzu­nehmen, dass sich auf dem natio­nalen und inter­na­tio­nalen staat­li­chen Terrain Feminist*innen mit ihrem Wunsch, das außen­po­li­ti­sche Patri­ar­chat abzu­schaffen, einfach so durch­setzen konnten. Das staat­liche Feld der Außen­po­litik ist viel­fältig: Neben Natio­nal­staaten mit je spezi­fi­schen Inter­essen sind hier große natio­nale und multi­na­tio­nale Unter­nehmen, Lobby­gruppen z.B. der Waffen­pro­duk­tion, aber auch global agie­rende NGOs an den Ausein­an­der­set­zungen betei­ligt. Da alle diese Kräfte auf Kompro­misse ange­wiesen sind, ist davon auszu­gehen, dass femi­nis­ti­sche Vorstel­lungen in einen staat­li­chen Kompro­miss einge­bunden wurden, weil dies für mäch­tige gesell­schaft­liche Gruppen von Vorteil war, ihre eigenen Inter­essen und Deutungen hege­mo­nial werden zu lassen. Wenn Außen­po­litik Teil von Ausein­an­der­set­zungen und Kämpfen auf dem Staats­ter­rain ist, dann stellt sich die Frage, welche gesell­schaft­li­chen Kräfte ihre je unter­schied­li­chen Inter­essen durch die Akzep­tanz von Femi­nismus in der Außen­po­litik durch­zu­setzen suchen. Und dafür spielen die Verän­de­rungen auf globaler Ebene eine wesent­liche Rolle.

Die UN-Resolution 1325 wie auch femi­nis­ti­sche Außen­po­litik sind Reak­tionen auf eine sich verän­dernde inter­na­tio­nale Welt­ord­nung nach dem Ende des Staats­so­zia­lismus, auf die Entste­hung einer neuen globalen Macht, nämlich China, und damit einer mögli­chen neuen Kalte-Kriegskonstellation sowie auf Migra­tion nach Europa. Ein weiterer inter­na­tio­naler Kontext ist die stei­gende Krisen­an­fäl­lig­keit des neoli­be­ralen Kapi­ta­lismus, die mit der Finanz­krise 2008 erst­mals deut­lich wurde. Die Covid 19-Pandemie, stei­gende Ener­gie­preise durch Russ­lands Krieg in der Ukraine, die Infla­tion sowie die Klima­ka­ta­strophe weisen darauf hin, dass neoli­be­rale Globa­li­sie­rung, d.h. die Durch­ka­pi­ta­li­sie­rung der Welt nicht mehr wie seit den 1990er Jahren funk­tio­niert, sondern neuer Stra­te­gien der Profit­ge­ne­rie­rung und staat­li­chen Regu­la­tion bedarf. In dieser Re-Orientierung ist femi­nis­ti­sche Außen­po­litik zu verorten.

Such­be­we­gungen post-neoliberaler globaler Re-Organisation

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik kann als Such­be­we­gung einer post-neoliberalen Re-Organisation gesehen werden, so wie der neoli­be­ralen Neuor­ga­ni­sa­tion eine bedeu­tende Rolle zukam, die Forde­rungen von Frau­en­be­we­gungen des Globalen Nordens seit den 1990er Jahren anzu­er­kennen: Das männ­liche Familienernährer-Modell erodierte, und Frauen wurden – auch in höheren Etagen der Wirt­schaft – in Erwerbs­ar­beit inte­griert, was sie unab­hän­giger von einem ehemänn­li­chen Einkommen machte. Karenz­re­ge­lungen zielen darauf ab, auch Väter zur Kinder­be­treuung zu moti­vieren und damit das „Erwerbs­ri­siko Kind“ für Mütter zu redu­zieren. In manchen Staaten wurde Kinder­er­zie­hung für die Rente aner­kannt, um Nach­teile, die Sorge­ar­beit mit sich bringt, abzu­mil­dern. Auch die Gleich­stel­lung von Homo­se­xu­ellen weist in eine egali­täre Rich­tung, ebenso wie Bemü­hungen, trans*geschlechtlichen Personen ein Recht auf Selbst­be­stim­mung zu gewähren.

Diese Gleich­stel­lungs­fort­schritte wären ohne soziale Bewe­gungen nicht möglich gewesen. Und doch waren auch neoli­be­rale ökono­mi­sche Bedin­gungen wichtig. Christa Wich­te­rich spricht daher von der Ambi­va­lenz „neoli­be­raler Gleich­stel­lung“ – nämlich die Inte­gra­tion „der Anderen“ unter den Bedin­gungen neoli­be­raler Domi­nanz der Ökonomie, also ihrer In-Wert-Setzung.

Ich selbst sehe acht proble­ma­ti­sche Dimen­sionen der Leit­li­nien zur femi­nis­ti­schen Außen­po­litik: die In-Wert-Setzung von Frauen, die Vernach­läs­si­gung von Sorge­ar­beit, die liberal-feministische Inte­gra­ti­ons­per­spek­tive, der „Green New Deal“, das Migra­ti­ons­ma­nage­ment, post-koloniale Ungleich­heit, globale Diszi­pli­nie­rung und die femo­na­tio­na­lis­ti­sche Perspektive.

Der Kampf gegen das globale Patri­ar­chat durch femi­nis­ti­sche Außen­po­litik kann einer ähnli­chen Logik folgen wie die Geschlech­ter­ver­hält­nisse im Neoli­be­ra­lismus. Es gibt sicher Kräfte, die die In-Wert-Setzung von Frauen im Globalen Süden weiter beför­dern, Frauen in kapi­ta­lis­ti­sche Markt­ver­hält­nisse inte­grieren und weib­liche Arbeits­kräfte mobi­li­sieren wollen. Dem würden patri­ar­chale Konstel­la­tionen im Weg stehen. Dass die Leit­li­nien dies ermög­li­chen können, zeigt die Schwer­punkt­le­gung der „Projekt­för­de­rung“ und der „huma­ni­tären Hilfe“ auf gleich­be­rech­tigten Zugang von Frauen zur Erwerbs­ar­beit durch einen entspre­chenden Rechts­rahmen. Auch die Unter­stüt­zung von „Netz­werken von Unternehmer*innen“ deutet auf die verstärkte Markt­in­te­gra­tion von Frauen hin.

Zwar wird immer wieder betont, dass „histo­risch gewach­sene Macht­struk­turen“ über­wunden werden sollen doch bleibt vage, was diese sind. Die Auslas­sung von Sorge(-arbeit) in den gesamten Leit­li­nien sprich eher dafür, dass die „struk­tu­relle Sorg­lo­sig­keit“ des Kapi­ta­lismus, wie Brigitte Aulen­ba­cher und Maria Dammayr schreiben, in den Ländern des Globalen Südens gefes­tigt wird, anstatt sie zu über­winden. In diese Rich­tung weist auch folgende Beob­ach­tung: Eine Kritik globaler Macht- und vor allem ökono­mi­scher Herr­schafts­struk­turen fehlt in den Leit­li­nien, die ungleiche und unge­rechte Welt­wirt­schafts­ord­nung findet keine Erwäh­nung. Einge­for­dert werden aller­dings geschlech­ter­sen­sible Elemente in Bezug auf Lieferketten.

Insge­samt sind die Leit­li­nien liberal-feministisch, d.h. sie wollen Frauen besser in bestehende Struk­turen inte­grieren: Ziel ist die Reprä­sen­ta­tion von Frauen in Entschei­dungs­pro­zessen, z.B. bei Frie­dens­pro­zessen, oder ihr besserer Zugang zur Erwerbs­ar­beit. Diese Stra­te­gien gefährden – wie wir bei der neoli­be­ralen Gleich­stel­lungs­ent­wick­lung in Europa gesehen haben – nicht die Stra­te­gien kapi­ta­lis­ti­scher Akku­mu­la­tion und schon gar nicht patri­ar­chale Sorge­ver­hält­nisse. An einer weiteren kapi­ta­lis­ti­schen Erschlie­ßung der Welt inter­es­sierte Kräfte können mit einer solchen femi­nis­ti­schen Außen­po­litik gut leben.

Ein weiteres Indiz dafür, dass femi­nis­ti­sche Außen­po­litik für globale kapi­ta­lis­ti­sche Akku­mu­la­tion genutzt werden kann, ist die Beto­nung des Green New Deals, also die Umstel­lung auf eine grüne, umwelt­freund­li­chere oder nach­hal­ti­gere Ökonomie. Femi­nismus kann dieser neuen Politik der Profit­ma­xi­mie­rung Legi­ti­ma­tion verschaffen ebenso wie die weitere Finan­zia­li­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung der Welt­wirt­schaft voran­treiben. Das „globale Wachstum“, die „Bewäl­ti­gung der Klima­krise“ und „die Errei­chung der Nach­hal­tig­keits­ziele“ können nur durch die Betei­li­gung von Frauen gelingen, heißt es in den Leit­li­nien (2023: 9).

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik ist schließ­lich für sicher­heits­po­li­ti­sche Akteur*innen inter­es­sant, um die EU vor Migrant*innen aus dem Globalen Süden abzu­rie­geln, also Migra­tion zu managen. Wirt­schafts­wachstum durch Frau­en­er­werbs­tä­tig­keit oder die Reduk­tion von Klima­schäden sollen Flucht und Migra­tion besser steuern, und auch hier erhalten Frauen eine wich­tige Rolle: „Frauen sind entschei­dende Akteur*innen gegen die Klimakrise“.

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik reagiert schließ­lich auch auf deko­lo­niale Bewe­gungen in den Ländern des Globalen Nordens und gleicht – über­spitz gesagt – einer Ersatz­hand­lung. Statt deko­lo­nialen Forde­rungen in den Ländern des Globalen Nordens ihren berech­tigten Raum zu geben, wird das Terrain gewech­selt. Zwar will bundes­deut­sche femi­nis­ti­sche Außen­po­litik zurecht die eigene Geschichte und „post-koloniale Reali­täten reflek­tieren“. Aller­dings bleiben durch Stipen­dien für Wissenschaftler*innen aus ehema­ligen deut­schen Kolo­ni­al­re­gionen und durch Maßnahmen gegen diskri­mi­nie­rende Sprache die ausbeu­te­ri­sche inter­na­tio­nale, auch geschlechts­spe­zi­fi­sche Arbeits­tei­lung, also rassia­li­sierte Nied­rig­lohn­be­reiche in der Welt wie auch in Deutsch­land unangetastet.

Darüber hinaus gibt es Akteur*innen, die die disziplinierend-symbolische Keule der Frau­en­rechte schwingen wollen. Dass Geschlecht in der Außen­po­litik eine Rolle spielt, wissen wir, seit US-Präsident George W. Bush im Jahr 2001 den Krieg gegen Afgha­ni­stan mit der Wahrung von Frau­en­rechten legi­ti­mierte. Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik kann dafür instru­men­ta­li­siert werden, um Länder im Globalen Süden zu diszi­pli­nieren, wenn es um die Durch­set­zung der Inter­essen von Akteur*innen aus dem Globalen Norden geht. Die Leit­li­nien iden­ti­fi­zieren bereits „Staaten und inter­na­tional vernetzte Inter­es­sen­gruppen“, die erreichte „Stan­dards (der Rechte von Frauen, LGBTIQ*-Rechte, repro­duk­tive Gesund­heit) zu verwäs­sern“ suchen und sich von inter­na­tio­nalen Normen wie der Istanbul-Konvention verab­schieden. Um dem zu begegnen, soll femi­nis­ti­sche Außen­po­litik „auf sexu­elle und repro­duk­tive Gesund­heit und Rechte“ fokus­sieren. Das ist enorm wichtig, aber auch ambi­va­lent, denn femi­nis­ti­sche Außen­po­litik kann macht­po­li­tisch miss­braucht werden.

Auch libe­rale Feminist*innen können in femo­na­tio­na­lis­ti­schem Stil argu­men­tieren, also die gleich­stel­lungs­po­li­ti­schen Errun­gen­schaften west­li­cher Staaten und ihre eigenen Erfolge gegen­über „anderen“ Staaten hervor­heben. Zwar wird in den Leit­li­nien auch auf Gleich­stel­lungs­lü­cken in Deutsch­land verwiesen, doch die Defi­zit­bei­spiele beziehen sich in den gesamten Leit­li­nien auf Länder des Globalen Südens.

Stär­kung femi­nis­ti­scher Akteur*innen? Ein Fazit

Femi­nis­ti­sche Außen­po­litik, so mein Fazit, ist ein staat­li­cher Kompro­miss, der den Inter­essen kapitalistisch-heteropatriarchaler Akteur*innen kaum schadet. Im Gegen­teil, sie legi­ti­miert aktuell nötige Such­be­we­gungen nach neuen Formen kapi­ta­lis­ti­scher Produk­tion unter Beibe­hal­tung hete­ro­pa­tri­ar­chaler Konstel­la­tionen ebenso wie Macht­kämpfe um eine neue Weltordnung.

Trotz dieser kriti­schen Sicht auf das Konzept femi­nis­ti­scher Außen­po­litik ist zu betonen, dass die Leit­li­nien natio­nalen und inter­na­tio­nalen femi­nis­ti­schen Akteur*innen ein Instru­ment an die Hand geben, um weiter um Rechte und gegen den patri­ar­chalen Kapi­ta­lismus zu kämpfen. Denn auch diese Akteur*innen sind auf allen Ebenen an zukünf­tigen Ausein­an­der­set­zungen um neue staat­liche Kompro­misse beteiligt.