Seit den Anschlägen von 9/11 wird der Fanatismus immer wieder als analytische Kategorie bemüht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem religiösen Fanatismus. Doch das Schlagwort erweist sich als vielfach deutbar – und sprengt seine eigene Definition immer wieder.

  • Andreas Kilcher

    Andreas Kilcher ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich. Er ist Mitglied des Zentrums Geschichte des Wissens an der ETH und Universität Zürich sowie Mitbegründer der European Society for the Study of Western Esotericism.

Der Fana­tismus ist wieder da. – Unüber­sehbar trat er unter jenen tenden­ziösen, dabei ebenso diffusen wie viel­deu­tigen Schlag­worten hervor, die in der Folge von 9/11 im publi­zis­ti­schen und popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Diskurs Hoch­kon­junktur hatten. Den Anschlägen von 2001 folgte eine anhal­tende Flut von sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen, histo­ri­schen und theo­lo­gi­schen Studien, die dieses Schlag­wort promi­nent führen. Die Unschärfe des Begriffs, seine Verschie­bungen und Über­tra­gungen, seine Einengungen und Gene­ra­li­sie­rungen bedürfen der Refle­xion: Was bedeutet die Konjunktur der Rede vom Fana­tismus? Und welche Semantik und Politik steckt hinter dem Begriff? 

Kurze Gebrauchs­ge­schichte

Die gera­dezu proteus­hafte Wandel­bar­keit des Schlag­worts wird vor seinem histo­ri­schen Hinter­grund beson­ders deut­lich. Die Mehr­deu­tig­keit ist schon immer charak­te­ris­tisch für seine Verwen­dung. Allein von der Refor­ma­tion bis zur Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion hatten die von fanum („Heiligtum“) abge­lei­teten Zuschrei­bungen „fana­ticus“ und „fana­tique“ eine ebenso grosse wie über­ra­schend dispa­rate Karriere hinter sich. Die euro­päi­schen Reli­gi­ons­kon­flikte des 16. und 17. Jahr­hun­derts produ­zierten „Fana­ti­cismus“ auf vielen Seiten, wobei nament­lich die Refor­ma­toren ihre Gegner mit Vorliebe als solche disqua­li­fi­zierten – so noch der aufge­klärte Luthe­raner Johann Georg Walch im Kapitel „Von den Religions-Streitigkeiten mit den Fana­ticis und Enthu­si­asten“ seiner Histo­ri­schen und theo­lo­gi­schen Einlei­tung in die Religions-Streitigkeiten (1733-1736); es verhan­delt „Papisten“, „Anaba­tisten, Quacker, Weige­lianer, Böhmisten usw“. Auch die Aufklä­rung reihte den Terminus in die Taxo­nomie ihrer Gegner ein, beispiel­haft Voltaire, dessen Reli­gi­ons­kritik im Begriff „fana­tisme“ ihren kraft­vollsten Ausdruck fand. Im Diction­n­aire philo­so­phique ou la raison par alphabet (1764) erscheint er als maxi­male Stei­ge­rungs­form des Aber­glau­bens: „Fana­tismus verhält sich zum Aber­glauben wie Fieber­wahn zum Fieber, wie der Wutan­fall zum Zorn. Wer Ekstasen hat, Erschei­nungen, wer Traum­bilder für Realität nimmt und seine Einbil­dungen für Prophe­zei­ungen, ist ein Enthu­siast, wer seinen Irrsinn durch Mord umsetzt, ein Fanatiker.“

Um 1900 hatte der Begriff eine neue Konjunktur, nun aber weniger theo­lo­gisch als poli­tisch, und – entschei­dendes Novum – nicht nur kritisch-polemisch sondern auch affirmativ-apologetisch: als Selbst­cha­rak­te­ri­sie­rung kompro­miss­lo­sester Entschie­den­heit poli­ti­scher Extre­mismen zwischen ultra­links und ganz rechts. Etwa im Kate­chismus eines Revo­lu­tio­närs (um 1870) des russi­schen Anar­chisten Sergej Netschaev, dessen erklärtes Ziel war, die Entwick­lung der „sichersten und schnellsten Methode, diese ganze verrot­tete Ordnung zu zerstören“. Oder – in unheim­li­cher Nach­bar­schaft dazu – in der Sprache des Faschismus, beispiel­haft schon in Hitlers Mein Kampf (1925): „Die Trieb­kraft zu den gewal­tigsten Umwäl­zungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherr­schenden wissen­schaft­li­chen Erkenntnis als in einem sie besee­lenden Fana­tismus.“ So findet sich das Schlag­wort denn auch in der von Victor Klem­perer unter­suchten LTI (1947), in der es zur „Über­stei­ge­rung der Begriffe tapfer, hinge­bungs­voll, beharr­lich“ mutierte.

Fana­tismus und Islamismus

Beslan 2017; Quelle: sueddeutsche.de

Wenn nun in den letzten 20 Jahren die Diagnosen des Fana­tismus wieder zuge­nommen haben, so anhand einer neuen Zuschrei­bung, die primär reli­giös ist. Ausge­hend von den Anschlägen um 2000 ist der Gegen­stand der Diagnose – um am Objekt anzu­setzen – vor allem einer: jene poli­ti­sche Ideo­lo­gi­sie­rung von Reli­gion, für die sich parallel der Begriff „isla­mi­scher Funda­men­ta­lismus“ bzw. kurz „Isla­mismus“ durch­setzte. So kommen­tierte der Leiter des in Dubai ansäs­sigen Fern­seh­sen­ders Al Arabiya, Abdel Rahman al-Rashed, im September 2004 ange­sichts eines weiteren verhee­renden Terror­an­schlags, bei dem im kauka­si­schen Beslan ein tsche­tsche­ni­sches „Märtyrer-Batallion“ unter der Leitung des Isla­misten Schamil Bass­ajew über 1100 Geiseln – Schüler, Lehrer und Eltern an einem ersten Schultag – in Gewalt nahm, was für ein Drittel von ihnen mit dem Tod endete: „It is a certain fact that not all Muslims are terro­rists, but it is equally certain, and excep­tio­nally painful, that almost all terro­rists are Muslims“. Zwar zeigt die Statistik welt­weiter Terror­an­schläge bei genauerem Hinsehen ein diffe­ren­zier­teres Bild; im Jahr 2006 hatten ,nur‘ rund 21% einen isla­mis­ti­schen Hinter­grund. Doch in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung wurde Terror inzwi­schen weit­ge­hend mit „isla­mi­schem Funda­men­ta­lismus“ iden­ti­fi­ziert und mit einem unheim­li­chen Phänomen erklärt, das es seiner­seits erst noch zu verstehen galt: Fanatismus.

„Neuer Terro­rismus“ und reli­giöser Fana­tismus (Walter Laqueur)

Die Emer­genz dieses neuen Fanatismus-Begriffs lässt sich exem­pla­risch in den Arbeiten des Zeit­his­to­ri­kers Walter Laqueur beob­achten, der als lang­jäh­riger Direktor der Wiener Library for the Study of the Holo­caust and Geno­cide in London seit den 1970er Jahren promi­nent zum Terro­rismus arbei­tete. Seine Darstel­lung Terro­rism von 1977 verwendet das Stich­wort „fana­ti­cism“ noch spär­lich. Er beschränkt sich im Wesent­li­chen auf die allge­meine Formel: „Terro­rists are fana­tical belie­vers“, ohne aber zu erklären, was „fana­tical“ bedeutet – und bemer­kens­wer­ter­weise auch weit­ge­hend ohne Bezug zum Islam. Im Zentrum der Darstel­lung standen viel­mehr dama­lige poli­tisch und natio­na­lis­tisch moti­vierte Extre­mis­ten­grup­pie­rungen, für die Laqueur mit dem Begriff „Terro­rismus“ weit­ge­hend allein auskam.

Mumbai 2018; Quelle: voanews.com

Das änderte sich jedoch um 2000, als Laqueur unter dem Eindruck der dama­ligen Anschläge eine Reihe neuer Terrorismus-Analysen vorlegte. Bezeich­nen­der­weise wählte er dafür den Begriff „neuer Terro­rismus“, den er nun gera­dezu syste­ma­tisch mit dem Begriff „Fana­tismus“ verknüpfte, so etwa The New Terro­rism. Fana­ti­cism and the Arms of Mass Destruc­tion (1999) oder No End to War. Terro­rism in the Twenty-First Century (2003). Der „neue Terro­rismus“, wie er mit 9/11 mit voller Wucht auftrat, unter­scheidet sich von dem älteren, so Laqueur, durch eine massive „bruta­liza­tion“ und „dehu­ma­ni­sa­tion“. Während „old-style terro­rists“ – ob radikal links oder radikal rechts ausge­richtet – poli­tisch moti­viert handelten und gezielt einzelne Opfer auswählten, setze der „new terro­rism“ auf Massen­tö­tung (weapons of mass destruc­tion) und nehme mit Anschlägen auf öffent­liche Orte die Tötung unschul­diger Passanten bewusst in Kauf.

Diese Bruta­li­sie­rung des Terro­rismus wird nach Laqueur wesent­lich durch eine fundamentalistisch-religiöse Begrün­dung möglich, die jegliche ethi­sche Zurück­hal­tung suspen­diert. Die reli­giöse Fundie­rung legi­ti­miert brutalste Taten: „mass killings and suicide bombings“. Für diese Stei­ge­rung der Spreng­kraft durch Reli­gion fand Laqueur die Formel: „The greater the fana­ti­cism and the madness, the greater the urge to destroy as many enemies as possible.“ Im Unter­schied zur Stra­tegie der begrün­deten und gezielten „propa­ganda by deed“ des poli­ti­schen Terro­rismus will der neue Terro­rismus niemanden über­zeugen. Viel­mehr gehe es darum, möglichst viele „Feinde“ zu töten, die reli­giös als „Ungläu­bige“ pauscha­li­siert werden.

Vom reli­giösen zum quasi-religiösen Fanatismus

Obwohl Laqueur nach 2000 im Isla­mismus das leitende Para­digma eines neuen, reli­giös poten­zierten Fana­tismus erkennt, bleibt er nicht bei dem einen Fall stehen, sondern reiht ihn ein in analoge ältere Para­digmen von den Kreuz­rit­tern bis zu Hitler, bei dem er glei­cher­maßen ein „quasi-religiöses“ Motiv erkennt. Der Histo­riker wird zum Phäno­me­no­logen des Fana­tismus. Hinter seiner Beispiel­se­quenz sieht er eine allge­meine Struktur, die in der poli­tisch nicht mehr ratio­na­li­sier­baren Rück­bin­dung des Terrors an einen abso­luten (reli­giösen oder quasi-religiös-ideologischen) Glauben besteht, einen „very strong, single-minded belief“, dessen Stärke das Mass der Gewalt­be­reit­schaft bestimmt. An der Seite extre­mis­ti­scher Ideo­lo­gien zeigt die Reli­gion ihr unmo­ra­li­sches Gesicht: sie hebt den Fana­tiker über alle menschen­ge­machten mora­li­schen Mass­stäbe, die der alles tran­szen­die­renden, einen Idee geop­fert werden. Ein über­mäch­tiger Glaube fungiert als abso­luter, durch nichts hinter­frag­barer (reli­giös, poli­tisch, ideo­lo­gisch ausdeut­barer) Zweck, der jedes Mittel, jede Gewalt heiligt.

Psycho­lo­gi­sie­rung des Fanatismus

Paris 2015; Quelle: westfalen-blatt.de

Am Rand seiner Analyse verwendet Laqueur eine psycho­lo­gi­sche Formu­lie­rung, die den Fana­tismus patho­lo­gi­siert: er spricht von „perse­cu­tion mania“. Diese für seine historisch-politische Unter­su­chung wenig passende Psycho­lo­gi­sie­rung erschliesst sich aus seinem Verweis auf die Fanatismus-Analysen des russi­schen Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen Nikolaj Berdjaev aus den 1920er Jahren, die bei genauerem Hinsehen auch das reli­giöse Motiv von Laqueurs Deutung enthält: den radi­kalen Glauben an eine einzige Idee. Aber auch die These, dass solche massive Verein­fa­chung – ob in Ortho­doxie, Anar­chismus oder Faschismus – massive psycho­pa­tho­lo­gi­sche, genau psycho­ti­sche Züge aufweise, findet sich bei Berdjaev.

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Auf ganz andere Weise geht der israe­li­sche Schrift­steller Amos Oz in seinen Tübinger Poetik-Vorlesungen von 2002, gedruckt 2004 und aktua­li­siert 2018 unter dem Titel Liebe Fana­tiker vor. Drei Plädoyers einen Weg psycho­lo­gi­scher und anthro­po­lo­gi­scher Deutung. Geprägt von einem nicht enden wollenden politisch-religiösen Konflikt in Israel (wo übri­gens auch Laqueur von 1938 bis Anfang der 1950er Jahre lebte), bezeich­nete sich Oz selbst­iro­nisch gera­dezu als „Fach­mann für verglei­chende Fana­tis­mus­for­schung“. Sein Verständnis des Fana­tismus ist dabei weniger drama­tisch: Aus dem monströs-extremistischen, absolut unmensch­li­chen, mora­lisch völlig inkom­men­sur­a­blen Verhalten von Laqueurs Fana­tismus wird bei Oz ein menschlich-allzumenschliches. Fana­tiker sind nach ihm nicht nur radi­kale Extre­misten à la Osama Bin Laden, Schamil Bass­ajew und deren blind­wü­tige Anhänger, viel­mehr steckt in uns allen ein mehr oder weniger kleiner Fana­tiker: „Der Fana­tismus ist viel älter als der Islam, das Chris­tentum und das Judentum“, so Oz. „Er ist viel älter als jede Ideo­logie auf der Welt. Fana­tismus liegt in der mensch­li­chen Natur, ist ein ‚schlechtes Gen‘“.

Dennoch geht es Oz keines­wegs um eine Baga­tel­li­sie­rung, viel­mehr aber um eine Rehu­ma­ni­sie­rung, indem er den Fana­tismus aus der Ausla­ge­rung ins un- und über­mensch­liche Jenseits der Moral, in die Sphäre des imma­nent Mensch­li­chen zurück­holt. Hier nun erscheint er, so Oz, als ein an und für sich gera­dezu banales Bedürfnis – aber mit massivem Schre­ckens­po­ten­tial (viel­leicht analog der „Bana­lität des Bösen“ von Arendts Faschis­mus­ana­lyse): das Bedürfnis nach „einfa­chen Antworten“, wie sie vorzüg­lich auto­ri­täre poli­ti­sche Ideo­lo­gien ebenso wie rigide reli­giösen Systeme zur Verfü­gung stellen. „Ein Grund für die Zunahme der Wellen des Fana­tismus ist viel­leicht die wach­sende Sehn­sucht nach einfa­chen Lösungen, nach ‚Erlö­sung auf einen Schlag‘“. Dieses Bedürfnis richtet sich offen­sicht­lich gegen die Tendenzen der Rela­ti­vie­rung und Verkom­pli­zie­rung, der Säku­la­ri­sie­rung der Reli­gionen, der Vermi­schung der Kulturen, der Entgren­zung der Nationen im Zeit­alter der Globa­li­sie­rung. Das Aggres­si­ons­po­ten­tial kündigt sich in der Gesprächs­ver­wei­ge­rung dieses simplen Erlö­sungs­mo­dells an: „ein Fana­tiker disku­tiert nicht“. Gegen alle Plura­li­sie­rungs­ten­denzen stemmt sich – mit aller Gewalt – der Wunsch nach simplen Antworten, nach klaren Iden­ti­täten, nach festen Zugehörigkeiten.

Vom neuen reli­giösen zum neuen rechten Fanatismus

Entwurf für ein Denkmal auf Utøya; Quelle: zeit.de

In diesem aller­dings wesent­li­chen Punkt stimmen mit den neuen reli­giösen Fana­ti­kern – auf den ersten Blick über­ra­schend – die neuen rechten Ideo­logen überein. Bei genauerem Hinsehen wird aber deut­lich, dass diese, ganz uniro­nisch, ein komple­men­täres Paar bilden, indem sie analog funk­tio­nieren, auch wo sie ihre Legi­ti­ma­tion jeweils mit der aggressiv ausagierten Angst vor dem je anderen propa­gieren. Tatsäch­lich schreiben daher jüngste poli­ti­sche Analysen den Begriff des Fana­tismus auch der welt­weiten neuen Rechten zu, die sich seit den jüngsten Anschlägen wie dieje­nigen in Oslo und Utøya (2012) oder Christ­church (2019) mit terro­ris­ti­scher Gewalt welt­weit bemerkbar macht. Das 1516 Seite starke Mani­fest des Osloer Atten­tä­ters Anders Breivik 2083: A Euro­pean Decla­ra­tion of Inde­pen­dence legi­ti­miert seine Gewalttat sympto­ma­tisch mit der Bedro­hung Europas durch „Marxismus“ und „Isla­mi­sie­rung“, durch „Multi­kul­tu­ra­listen, Kultur­mar­xisten und kapi­ta­lis­ti­sche Globa­listen“. Oz’ These der „Erlö­sung auf einen Schlag“ durch die Suche nach „einfa­chen Antworten“ greift im Rechts­ter­ro­rismus also glei­cher­massen wie bei seinem Gegen­part, dem Islamismus.

Grenzen der Rationalisierung

Aufmerk­same Beob­achter ihrer Zeit wie Laqueur und Oz, so wurde deut­lich, unter­nahmen es, mit einem aktua­li­sierten Fanatismus-Begriff etwas zur Sprache zu bringen, das höchsten mora­li­schen Beun­ru­hi­gungs­grad hat, und doch irgendwie verstanden und einge­holt werden muss. Es bloss – um noch­mals mit Voltaire zu spre­chen – als „Raserei im Fieber­wahn“, die „das Gehirn verpestet“, zu irra­tio­na­li­sieren, wäre zwar ein entlas­tendes Mittel radi­kaler Aufklä­rung gegen ihren radi­kalen Gegner, aller­dings aber keine analy­ti­sche Leis­tung. Doch auch Laqueurs historisch-politische sowie Oz’ psychologisch-anthropologische Ratio­na­li­sie­rungen, die das Problem auf der einen Seite in einem unmensch­li­chen ultra­re­li­giösen Abso­lu­tismus ausmacht, auf der anderen in der allzu­mensch­li­chen mensch­li­chen Natur, haben ihre Grenze – genauer zwei Grenzen: eine sach­liche (res) und eine sprach­liche (verba).

Zum einen bleiben diese Erklä­rungs­an­ge­bote gegen­über dem Gegen­stand letzt­lich begrenzt und machtlos. Sie vermögen das Inkom­men­surable, das mons­tröse Je-ne-sais-quoi des Fana­tismus nie ganz einzu­holen, ob sie es jenseits oder dies­seits des Mensch­li­chen loka­li­sieren. Diese unver­meid­liche Kapi­tu­la­tion verrät Laquers beiläu­fige Patho­lo­gi­sie­rung des Fana­tismus ebenso wie Oz’ Grund­satz, dass der Fana­tismus letzt­lich nicht diskursiv einholbar ist. Als Analy­se­ob­jekt (d.h. als Gegen­stand histo­ri­scher, theo­re­ti­scher Unter­su­chung) wird der Fana­tismus zwar versuchs­weise deutbar gemacht. Als schiere Gewalttat bleibt er jedoch immer inkom­men­su­rabel und vermag noch jede begriff­liche Ratio­na­li­sie­rung wieder aufzusprengen.

Zum zweiten wird deut­lich, dass der Fana­tismus in der diskur­siven Praxis ein Proteus-Begriff ist. Er ist ein ausneh­mender Verwand­lungs­künstler, der so ziem­lich jede, noch so gegen­sätz­liche Posi­tion einnehmen kann, wenn sie denn nur extrem genug behauptet und rück­sichtslos genug umge­setzt wird. Seine mühe­lose Migra­tion in Geschichte und Gegen­wart von Reli­gion zu Politik, von ganz links bis ganz rechts, von radi­kalem Isla­mismus zu radi­kalem Anti-Islamismus nimmt ihm die Qualität eines präzisen analy­ti­schen Instru­ments. Umso weniger kann es daher (hier) um eine Defi­ni­tion gehen. Umso wich­tiger und aufschluss­rei­cher aber ist die kriti­sche Unter­su­chung seiner diskur­siven Praxis, seiner Fremd- und Selbst­zu­schrei­bungen, seiner Über­tra­gungen und Verwand­lungen. Das heisst: seine Spreng­kraft verstehen.