Die rechtspopulistischen Parteien betonen ihren Nationalismus, inszenieren sich aber in den Medien als "europäische" Kraft. Das ist paradox - und dient dazu, ihre Stärke zu überschätzen. Dabei sind seit 1951 alle Bündnisversuche der Rechten in Europa gescheitert.

Der Medi­en­rummel war gross. So gross, dass FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky der eitlen Versu­chung nicht wider­stehen konnte, erst einmal mit dem eigenen Smart­phone den mit Jour­na­listen gefüllten Saal abzu­filmen, bevor er die Pres­se­kon­fe­renz eröff­nete. Erschienen waren rechts­po­pu­lis­ti­sche Poli­tiker aus sieben euro­päi­schen Ländern, die auf Einla­dung des FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache am 16. Juni 2016 in Wien zusam­men­ge­kommen waren, um anläss­lich des einjäh­rigen Bestehens der Frak­tion „Europa der Nationen und der Frei­heit“ im Euro­päi­schen Parla­ment ihre Vision „eines Europas der Nationen, der Frei­heit und der Prospe­rität“ medi­en­wirksam vorzu­stellen. Einen „Patrio­ti­schen Früh­ling gegen den tiefen EU-Winter“ verkün­dete das Treffen und seine Teil­nehmer zeigten sich äusserst selbst­be­wusst. „Ein neuer Wind“ wehe „auf unserem euro­päi­schen Konti­nent“, jubelte die eben­falls erschie­nene Front National-Chefin Marine Le Pen. Ein „Früh­ling der Völker“, die sich unter der „Vormund­schaft“ der EU-Eliten „ernied­rigt“ fühlten, stehe bevor. Für sie hätte das Partei­en­bündnis „eine andere Vision von Europa“ zu bieten, ein Europa, das „den Willen des Volkes“ respektiere.

Nicht nur bei dem Treffen in Wien: Europas Rechte sieht sich im Aufwind. Und nicht nur die zahl­reich in Wien erschie­nenen Jour­na­listen geben ihr darin Recht. Viele poli­ti­sche Beob­achter erkennen für Europa derzeit einen zuneh­mend stärker werdenden Gegner, der sich über den gesamten Konti­nent ausge­breitet hat. Der „Aufstieg der Rechts­po­pu­listen und Natio­na­listen“ gilt manchem gar als Zeichen einer Zeiten­wende, an der das bereits ange­schla­gene euro­päi­sche Projekt voll­ends zu schei­tern drohe.

Das Europa der Rechten: ein altes Projekt

Ange­sichts dessen ist es viel­leicht hilf­reich daran zu erin­nern, dass das Inter­esse der Rechten an Europa alles andere als neu ist. Es begleitet den euro­päi­schen Eini­gungs­pro­zess viel­mehr von Beginn an. Als 1951 Frank­reich, Italien, die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land und die Benelux-Staaten die Euro­päi­sche Gemein­schaft für Kohle und Stahl (EGKS) ins Leben riefen und damit den ersten Vorläufer der heutigen Euro­päi­schen Union grün­deten, trafen schon einmal rechts­extreme Parteien medi­en­wirksam zu einem Kongress zusammen. Vier Wochen nach der Unter­zeich­nung der EGKS-Verträge kamen im schwe­di­schen Malmö etwa 100 Partei­en­ver­treter aus zahl­rei­chen euro­päi­schen Länder zusammen und grün­deten die Euro­päi­sche Soziale Bewe­gung, die sie selbst­be­wusst als „Oppo­si­ti­ons­be­we­gung der natio­nalen Kräfte Europas gegen­über den Strass­burger Resteuropa-Plänen“ präsentierten.

Damals Gastgeber der europäischen Rechten, heute fast niemanden mehr bekannt: Per Engdahl, der Organisator der Malmö Konferenz 1951; Quelle: polimasaren.se

Damals Gast­geber der euro­päi­schen Rechten, heute fast niemandem mehr bekannt: Per Engdahl, der Orga­ni­sator der Malmö Konfe­renz 1951; Quelle: polimasaren.se

Unter den Teil­neh­mern war die dama­lige Promi­nenz des Nach­kriegs­fa­schismus: Per Engdahl (Schweden), Ernesto Masi (Italien), Maurice Bardèche (Frank­reich) und Karl-Heinz Priester (Deutsch­land). Der briti­sche Faschis­ten­führer Oswald Mosley, der mit seinem Buch The Alter­na­tive bereits wenige Jahre zuvor die Idee einer nicht­de­mo­kra­ti­schen „Nation Europa“ in der Rechten verbreitet hatte, war wegen interner Strei­tig­keiten nicht anwe­send. Aber auch er arbei­tete in den folgenden Jahren wie die in Malmö gegrün­dete Orga­ni­sa­tion mit ihren natio­nalen Able­gern in sieben euro­päi­schen Ländern an der Reali­sie­rung eines rechts­extrem geeinten Europas.

Die „Hoff­nung von Malmö“ geis­terte in den 1950er Jahren in zahl­rei­chen Köpfen rechts­extremer Poli­tiker, die sich mit euro­päi­schen Treffen, trans­na­tional geführten Debatten um die eigenen Vorstel­lungen eines geeinten Europas und öffent­li­chen Aktionen bemühten, Einfluss auf den Inte­gra­ti­ons­pro­zess zu nehmen. Ihnen ging es nicht darum, das noch in den Start­schuhen stehende Eini­gungs­pro­jekt zu verhin­dern, sondern es in die Rich­tung eines euro­päi­schen Einheits­staates voran­zu­treiben, in dem ein starker „Führer“ dem Konti­nent seinen bedrohten Platz in der Welt sichern und ihn vom Einfluss „fremder Rassen“ und Mächte befreien sollte.

Das geeinte Europa als neues Feind­bild der Rechten

Mobilisierung der SVP gegen den EWR-Beitritt der Schweiz, 1992; Quelle: stadtwanderer.net

Mobi­li­sie­rung der SVP gegen den EWR-Beitritt der Schweiz, 1992; Quelle: stadtwanderer.net

Zum Feind­bild der Rechten wurde ein geeintes Europa erst in den späten 1980er Jahren, als der Inte­gra­ti­ons­pro­zess tatsäch­lich Fahrt aufnahm und sich die wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit endgültig zur poli­ti­schen Union auswei­tete. Nun entstand jene uns vertraute poli­ti­sche Konstel­la­tion, in der die Rechte die Grund­satz­kritik an Europa als poli­ti­sches Thema für sich entdeckte: Die Über­tra­gung natio­naler Kompe­tenzen auf die euro­päi­sche Ebene findet seitdem die scharfe bis schrille Ableh­nung, die aus den aktu­ellen Debatten bekannt ist. Und auch deren Schlag­wörter stammen aus dieser Zeit: das „Europa der Vater­länder“, das „Diktat der Brüs­seler Zentral­bü­ro­kratie“, der „Souve­rä­ni­täts­ver­lust“. Zudem begannen rechte Parteien zu reali­sieren, dass sich mit der Kritik am euro­päi­schen Projekt Wahl­er­folge erzielen liessen. Die Euro­pa­ab­leh­nung eröff­nete das Kampagn­en­thema Globa­li­sie­rung, das in den 1990er Jahren in den Mittel­punkt der Rechten rückte und entschei­denden Anteil daran hatte, dass der zuvor am poli­ti­schen Rand veror­teten Rechten der Sprung in jenes Feld zwischen poli­ti­scher Mitte und Extre­mismus gelang, welches der Begriff des Rechts­po­pu­lismus beschreibt.

Das Inter­esse der Rechten an Europa ist nicht neu, und auch die Befürch­tungen, die es weckt, sind es nicht. Schon der Kongress 1951 produ­zierte ein grosses Medi­en­echo auf dem gesamten Konti­nent, und poli­ti­sche Beob­achter sahen sich unter Über­schriften wie „Strass­burg oder Malmö“ zur Warnung aufge­for­dert, dass der notwen­dige „Zusam­men­schluss der nicht kommu­nis­ti­schen Kräfte Europas […] in Malmö geschehen könnte, wenn es nicht recht­zeitig in Strass­burg geschieht“. Nicht anders war es in den 1980er Jahren, als das Euro­päi­sche Parla­ment auf die Bildung der ersten rechts­extremen Frak­tion 1984 mit der Einset­zung eines Unter­su­chungs­aus­schusses zum „Wieder­auf­leben des Faschismus und Rassismus in Europa“ reagierte und Poli­tik­wis­sen­schaftler vor der „Rück­kehr der Führer“ in Europa warnten.

Die para­doxe Euro­pa­po­litik der Rechten

Was neu ist, ist der Zuspruch, den rechte Parteien derzeit mit ihrem Anti-Europakurs mobi­li­sieren können. Das hat ohne Frage viele Gründe, liegt aber nicht zuletzt auch am Fort­schritt des Inte­gra­ti­ons­pro­zesses selbst. Der Rechten der 1950er Jahre konnte die Mobi­li­sie­rung von Unter­stüt­zung für ihre euro­pa­po­li­ti­schen Pläne auch deshalb nicht gelingen, weil der Eini­gungs­pro­zess die Menschen kaum berührte. Erst mit der Auswei­tung der Brüs­seler Kompe­tenzen seit Ende der 1980er Jahre, der breiten Diskus­sionen um den 1992 verab­schie­deten Vertrag von Maas­tricht und vor allem der Einfüh­rung des Euro zehn Jahre später ist auch das Bewusst­sein für die Rele­vanz der euro­päi­schen Insti­tu­tionen und die Unzu­frie­den­heit mit diesen gewachsen, welche die Rechte heute poli­tisch so überaus erfolg­reich ausschlachtet. Doch die Fort­schritte im Inte­gra­ti­ons­pro­zess bilden nicht nur das Thema, das die Rechts­po­pu­listen zur Profi­lie­rung als natio­na­lis­ti­sche Alter­na­tive nutzen. So sehr sie sich derzeit als Gegen­satz zum Eini­gungs­pro­jekt insze­nieren, so sehr gründet ihr Erfolg auf ihrer öffent­li­chen Wahr­neh­mung als einheit­liche euro­päi­sche Kraft.

Anders als in den 1990er Jahren tut die popu­lis­ti­sche Rechte derzeit einiges hierfür, um in para­doxer Weise als euro­pä­isch orga­ni­sierte Anti-Europakraft zu erscheinen. Mit der Frak­tion Europa der Nationen und der Frei­heit, die bei dem Wiener Treffen ihren ersten Geburtstag feierte, ist seit über zehn Jahren mal wieder eine halb­wegs stabile rechte Frak­tion im Euro­päi­schen Parla­ment geschaffen worden. Und auch die mit ihr verbun­dene, im Nach­gang der letzten Euro­pa­wahl gegrün­dete Euro­pa­partei Bewe­gung für ein Europa der Nationen und der Frei­heit dient diesem Ziel. Der verstärkten trans­na­tio­nalen Zusam­men­ar­beit kann man mit Blick auf die neuge­schaf­fene Euro­päi­sche Partei­en­fi­nan­zie­rung sicher auch finan­zi­elle Motive unter­stellen. Doch die Insze­nie­rung als euro­päi­sche Kraft ist auch Teil einer medialen poli­ti­schen Strategie.

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Eilmel­dung auf Spiegel online, 4.9.2016; Quelle: spiegel.de

So natio­na­lis­tisch sie sich geben und so viele Wahl­er­folge FPÖ, Front National, AfD und andere Parteien in ihren Ländern aufweisen können: Sie haben verstanden, dass sie als Teil einer euro­päi­schen Bewe­gung noch grösser und mäch­tiger erscheinen. Entspre­chend wichtig ist dies in der öffent­li­chen Selbst­dar­stel­lung. Das Wiener Treffen bildete hier nur eine unter anderen Veran­stal­tungen, bei denen Zusam­men­künfte von Poli­ti­kern aus verschie­denen Ländern gezielt zu Medi­en­er­eig­nissen gemacht werden. Auch das Treffen von Strache mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry wenige Wochen zuvor, bei dem eben­falls die Bünde­lung der „EU-kritischen Kräfte“ ange­kün­digt wurde, war bild­be­wusst auf der Zugspitze veran­staltet worden. Führende Poli­tiker der popu­lis­ti­schen Rechten drängen auch in Nach­bar­län­dern in die Talk­shows. Und auch die regel­mäs­sigen Beglück­wün­schungen und eigenen Pres­se­kon­fe­renzen zu rechts­po­pu­lis­ti­schen Erfolgen in anderen Ländern wie jüngst bei der Land­tags­wahl in Mecklenburg-Vorpommern sind der bewusste Versuch, von der Aufre­gung zu profi­tieren, die diese zu Recht erzeugen.

Die „euro­päi­sche Rechte“ als Medienphänomen

Quelle: Handelszeitung.ch

„Europa rückt nach rechts“: Karte von 2015; Quelle: Handelszeitung.ch

Erfolg­reich kann diese Selbst­in­sze­nie­rung jedoch nur sein, weil Medien der popu­lis­ti­schen Rechten immer wieder den Gefallen tun, sie als euro­päi­sches Phänomen zu behan­deln: mit der bangen Frage, ob solche Erfolge wie in Öster­reich oder Gross­bri­tan­nien auch bei uns möglich wären; mit der beson­deren Aufmerk­sam­keit, die die „rechte Inter­na­tio­nale“ medial erfährt; mit Talkshow- und Inter­view­ein­la­dungen an Provo­ka­teure und Popu­listen aus den Nach­bar­län­dern; mit Schau­bil­dern und Über­blicks­ar­ti­keln zur Lage des Rechts­po­pu­lismus in Europa. Diese Darstel­lung ist natür­lich nicht falsch. Es gibt gute Gründe für das Narrativ vom „Aufstieg des Rechts­po­pu­lismus in Europa“ und die Gefahren, die aus den Erfolgen rechts­po­pu­lis­ti­scher Parteien in zahl­rei­chen euro­päi­schen Ländern erwachsen, sind gross.

Quelle: welt.de

„Rechts­po­pu­listen in Europa“: Karte 2016; Quelle: welt.de

Aber das Bild der „euro­päi­schen Rechten“ verzerrt den Blick. Was mit ihm etwa verloren geht, ist das Bewusst­sein für die Unter­schiede zwischen den rechts­po­pu­lis­ti­schen Parteien in Europa. Mit Blick auf die Wiener Zusam­men­kunft etwa stellten Medien das „Treffen der beiden Stars der Rechts­po­pu­listen in Europa“, Heinz-Christian Strache und Marine Le Pen, heraus und spra­chen ansonsten von „Vertre­tern von Rechtsaussen-Parteien aus neun euro­päi­schen Ländern“, die nach Wien gekommen seien. Dass es sich bei diesen „Vertre­tern“ nicht um die Partei­chefs, sondern schlicht um die Euro­pa­ab­ge­ord­neten der eigenen Frak­tion des euro­päi­schen Parla­ments handelte, die in Wien ihr einjäh­riges Bestehen feierte, dass diese als Abge­ord­nete und nicht als legi­ti­mierte „Vertreter“ ihrer Parteien ange­reist waren, dass die briti­sche „Vertre­terin“ für über­haupt keine Partei sprach und ihr rumä­ni­scher Kollege derzeit noch dabei ist, eine Partei zu gründen – dies alles ging in zahl­rei­chen Pres­se­ar­ti­keln unter. Europas popu­lis­ti­sche Rechte bildet keinen einheit­li­chen Block, sondern eine sehr hete­ro­gene Gruppe unter­schied­li­cher Orga­ni­sa­tionen, Parteien und Poli­tiker. Daran zu erin­nern und über­haupt darauf zu verweisen, dass rechte Euro­pa­po­litik den Eini­gungs­pro­zess schon immer begleitet hat, könnte dazu beitragen, die rechts­po­pu­lis­ti­sche Insze­nie­rung nicht einfach unbe­wusst fortzuschreiben.

Vor allem aber ist das Bild einer „euro­päi­schen Rechten“ verzer­rend, weil es den Blick auf das tatsäch­liche poli­ti­sche Kräf­te­ver­hältnis in Europa erschwert. Mit ihm erscheint die popu­lis­ti­sche Rechte stets in weitaus grös­serem Masse als einheit­li­cher euro­päi­scher Akteur als ihre Gegner. Die Debatte um den Umgang mit den vor Kriegs­ge­walt und Armut Flüch­tenden etwa wird kaum im euro­päi­schen Mass­stab geführt. In den stark natio­nalen Diskus­sionen um das „Flücht­lings­pro­blem“ besitzt die popu­lis­ti­sche Rechte derzeit eine Bühne, auf der sie als euro­pä­isch orga­ni­sierte Kraft im jewei­ligen natio­nalen Gewand auftreten kann. Dies prägt falsche Vorstel­lungen von der gesell­schaft­li­chen Stim­mung in den Nach­bar­län­dern, worüber sich der SP-Nationalrat Cédric Wermuth vor ein paar Wochen zurecht bei ARD und ZDF beschwert hat. Und es führt dazu, dass die popu­lis­ti­sche Kritik an Europa in wie gesagt para­doxer Weise stärker als euro­päi­sche Stimme erscheint als die ihrer Vertei­diger. So frisst das Zusam­men­wachsen Europas seine eigenen Kinder. Sich dieser Konstel­la­tion bewusster zu sein, kann viel­leicht dabei helfen, dass wir uns an das Wiener Treffen in einigen Jahren nicht als ein Zeichen einer „Epochen­wende“ erin­nern, sondern dass es uns so erscheint wie jene Zusam­men­kunft in Malmö 1951 heute: als bedeutungslos.