Das Schweizer Fernsehen ist seit seiner Einführung immer wieder kritisch diskutiert worden – zu Recht. Die No-Billag-Initiative befeuert die Debatte, die für die schweizerische Demokratie konstitutiv ist. Zugleich will sie die Debatte aber nicht fortführen, sondern beenden – ein Fehler.

  • Lukas Nyffenegger

    Lukas Nyffenegger ist Doktorand an der Universität Zürich und forscht zur politischen Überwachung im Kalten Krieg.

Der aktuell heftig geführte Streit um das Schweizer Fern­sehen ist nicht neu, sondern begleitet das Medium seit Sende­be­ginn 1953. Während Medien gene­rell „vorge­stellte Gemein­schaften“ konstru­ieren, stossen die visua­li­sierten „Schweizen“ des Fern­se­hens jedoch seit nunmehr über 60 Jahren auf grund­sätz­liche Kritik in allen poli­ti­schen Lagern. Früh setzte ein bis heute andau­ernder Sessel­tanz um die Kontrolle des Fern­se­hens ein. Die macht­po­li­ti­sche Frage lautete stets: Welchen Inter­essen dient das Fern­sehen und welchen soll es künftig verpflichtet sein? Das Fern­sehen war immer schon das umstrit­tenste hiesige Medium: Konser­va­tive kriti­sierten zunächst das Fern­sehen als zu „kritisch“ und zu wenig staats­tra­gend, die Rechts­po­pu­listen kriti­sieren es heute als zu unkri­tisch gegen­über der Regie­rung und verhöhnen es als „Staats­me­dium“. Linke hingegen kritisier(t)en das Fern­sehen als zu unkri­tisch und „meinungs­frei“ und zu sehr der „Nation“ verpflichtet. Die stete Kritik machte das Fern­sehen aber zugleich zu einem zentralen Ort demo­kra­ti­scher Debatte über Geschichte, Gegen­wart und Zukunft der Schweiz. Die Geschichte der Fern­seh­kritik zeigt, dass die vorlie­gende Initia­tive, über die wir bald zu befinden haben, sich radikal von dieser jahr­zehn­te­langen Ausein­an­der­set­zung unterscheidet.

Kriti­sches Fern­sehen und Kalter Krieg

War das Fern­sehen im frühen Kalten Krieg als ein staats­schüt­zendes Medium aufge­baut worden, löste es sich ab Beginn der 1960er-Jahre zöger­lich aus dem Korsett der konser­va­tiven Geis­tigen Landes­ver­tei­di­gung und schuf vermehrt Bilder einer hete­ro­genen und wider­sprüch­li­chen Schweiz. Einen ersten Marker dies­be­züg­lich setzte das Frei­tags­ma­gazin, das für den Beginn thema­ti­scher Diffe­ren­zie­rung und der Stär­kung gesell­schafts­po­li­ti­scher Diskus­sionen stand. So rüttelte etwa ein Portrait des „Prostituierten-Milieus“ im März 1961 die helve­ti­schen Stuben kräftig durch und löste eine heftige öffent­liche Debatte aus. Doch die diszi­pli­nie­rende Wirkung der Geis­tigen Landes­ver­tei­di­gung entfal­tete sich und führte 1963, nach nur drei Jahren, zur Abset­zung des Maga­zins. Geplante Beiträge über Dienst­ver­wei­ge­rung oder schwei­ze­ri­schen Anti­se­mi­tismus blieben unrealisiert.

Das „Kassensturz“-Team 1974; Quelle: blick.ch

Natür­lich nahmen solche Ausein­an­der­set­zungen im zeit­li­chen Umfeld von 68 nicht ab, sondern zu. Das Fern­sehen widmete sich verstärkt kontro­versen gesell­schaft­li­chen Themen und setzte sich immer wieder über Tabu­grenzen hinweg. Damals entstand etwa die heute bekann­teste inves­ti­ga­tive Sendung, die Rund­schau (1968). Eines der welt­weit progres­sivsten Fern­seh­for­mate, der Kassen­sturz, widmet sich seit 1974 explizit dem Konsu­men­ten­schutz. Und als sich am Ende der 1970er-Jahre im Fern­seh­studio ein wich­tiges Moment der Homo­se­xu­el­len­be­we­gung ereig­nete, führten draussen Zürcher Poli­zisten noch immer das Homosexuellen-Register.

Linke Kritik am Herrschaftsmedium

Mit der stei­genden Popu­la­rität des Mediums und der Einfüh­rung wegwei­sender Sende­for­mate erreichte auch dessen Poli­ti­sie­rung und poli­ti­sche Über­wa­chung einen Höhe­punkt. Die Sozi­al­de­mo­kraten forderten Programm­frei­heit der regio­nalen Fern­seh­re­dak­tionen und drohten, die Mono­pol­stel­lung durch einen zweiten öffent­li­chen Programm­träger zu brechen. Beson­ders heftig war ihre Kritik an der intrans­pa­renten und unde­mo­kra­ti­schen Struktur der SRG. Diese mache es auch dem Fern­sehen unmög­lich, seiner Wäch­ter­auf­gabe nach­zu­kommen und an der demo­kra­ti­schen Meinungs­bil­dung teil­zu­nehmen. Hinter dieser Kritik standen auch Macht­an­sprüche, denn die Linke bemän­gelte ihre Unter­ver­tre­tung in leitenden Gremien der SRG. Bald besetzten Sozi­al­de­mo­kraten nament­lich im Fern­sehen wich­tige Posten – sehr zum Unmut der bürger­li­chen Poli­tiker. Dazu später mehr.

Auch linke Grup­pie­rungen versuchten, die eigene poli­ti­sche Agenda dem Fern­sehen aufzu­drängen. Die Arbeits­gruppe Kriti­sche Publi­zistik (AKP) veröf­fent­liche 1973 unter dem Titel „Welt­theater für Eidge­nossen“ eine gnaden­lose Kritik an der „gouver­ne­men­talen Tages­schau“, die sie im Dienste des Kapi­tals vornehm­lich „Nach­richten aus dem Regie­rungs­lager“ über den Äther schi­cken und die bestehenden gesell­schaft­li­chen Macht­ver­hält­nisse konso­li­dieren sah.

Arbeits­gruppe Kriti­sche Publi­zistik: Welt­theater für Eidge­nossen, 1973: Quelle: LN

Nach Ansicht der Arbeits­gruppe vertrat die Tages­schau partei­lich die „Ansichten der Unter­neh­mer­seite“ und schaffte durch Über­be­to­nung der natio­nalen Einheit und natio­naler Werte ein im Namen der „herr­schenden Klasse“ unkri­ti­sches „Eidgenossen-Gefühl“. In einer sati­ri­schen Illus­tra­tion stellte die AKP die Fern­seh­zu­schaue­rInnen als verblen­dete Herde­wesen dar, die einem als Ratten­fänger gezeich­neten Kapi­ta­listen folgen.

 

Der „Hofer-Club“ und das subver­sive Fernsehen

Aber nicht nur an der Tages­schau entzün­dete sich der ideo­lo­gi­sche Streit. Konser­va­tive hatten es auf alle Programme abge­sehen, die sich kritisch gutschwei­ze­ri­schen Themen zuwandten. Die Versuche einzelner Sendungen, sich margi­na­li­sierten Problemen gegen­über zu öffnen und das Fern­sehen zu einem Ort diskur­siver Aushand­lung von Posi­tionen und Gegen­dar­stel­lung zu machen, stiessen teils auf erbit­terten Wider­stand. Der Schwei­ze­ri­schen Volks­partei SVP war zunächst die Rekru­tie­rungs­praxis des Fern­se­hens verdächtig, die „moskau­hö­rige“ Univer­si­täts­ab­sol­venten in den Fern­seh­stu­dios instal­liere und der Sowjet­union somit gleichsam einen „direkten Draht in Hirne und Herzen“ des Fern­seh­volks lege. In der Logik des Kalten Krieges verhar­rend, der gemäss „vom Osten“ Subver­sion und psycho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung ausgehe, galt es, das Schweizer Fern­sehen (und damit die Schweiz als Nation) zu schützen und diszi­pli­nieren. Das Schreck­ge­spenst des von links unter­wan­derten Fern­se­hens hatte in den 1970er-Jahren einen ersten Kulmi­na­ti­ons­punkt. Fern­seh­mit­ar­beiter wurden von privaten Staats­schutz­or­ga­ni­sa­tionen und von der Bundes­an­walt­schaft „fichiert“, unlieb­same und kriti­sche Beschäf­tigte entlassen oder unter Druck gesetzt. Die staats­schüt­ze­ri­sche Fieber­kurve gipfelte 1972 in der Forde­rung des SVP-Bundesanwalts Hans Walder, dass „die Links­extre­misten, die sich in den Massen­me­dien einzu­nisten wussten, ausge­bootet werden, und zwar auch dann, wenn es ausser­or­dent­lich schwer­fällt, ihnen ihre Verbin­dung mit staats­feind­li­chen Orga­ni­sa­tionen nachzuweisen“.

Mit parla­men­ta­ri­schen Vorstössen in National- und Stän­derat begann die SVP, sich als Grals­hü­terin der  poli­ti­schen Ausge­wo­gen­heit und Objek­ti­vität zu insze­nieren. Dem Fern­sehen attes­tierte sie einen „zu grossen Einfluss auf die öffent­liche Meinungs­bil­dung“ und beschwor mitunter die Gefahr des Fern­se­hens an sich herauf, und zwar als „Staat im Staate“. Spiritus rector dieser Vorstösse war der bekannte Berner Geschichts­pro­fessor Walther Hofer. Nur vorder­gründig ging es der Rechten um die Kritik an der schein­baren Unaus­ge­wo­gen­heit der Infor­ma­ti­ons­sen­dungen. De facto zielte sie letzt­lich auf die Durch­set­zung eines bürger­lich ausge­rich­teten Fern­se­hens. In der Folge konsti­tu­ierte sich 1974 die Schwei­ze­ri­sche Fernseh- und Radio­ver­ei­ni­gung SFRV, die schon bald den Namen „Hofer-Club“ trug.

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Diese als Konsu­men­ten­or­ga­ni­sa­tion ange­tre­tene anti­kom­mu­nis­ti­sche Verei­ni­gung kämpfte uner­müd­lich gegen die angeb­liche linke Unter­wan­de­rung des Fern­se­hens und vereinte mehrere tausend eher rechts­bür­ger­liche Mitglieder und Verbände. Selbst im bürger­li­chen Lager, bei CVP und FDP, stiess die SFRV auf die Gegen­wehr jener, die sich von ihrer aggres­siven anti­kom­mu­nis­ti­schen Rhetorik distan­zierten und dem Fern­sehen Programm­frei­heit zuge­standen. Das Fern­sehen reagierte auf die linke und rechte Kritik und setzte unter der Leitung des Zürcher Juristen Hans W. Kopp die erste medi­en­kri­ti­sche Sendung „Fern­seh­strasse 1-4“ ein, die zwischen 1974 und 1980 ausge­strahlt wurde. Die erste Ausgabe war der Frage der ideo­lo­gi­schen Ausrich­tung der Tages­schau gewidmet – Hofer-Club und AKP stritten Stuhl an Stuhl. Seither wird der für die demo­kra­ti­sche Meinungs­bil­dung zentralen Selbst­kritik gebüh­rend Sende­zeit eingeräumt.

Der Aufstieg der SVP durch das Fernsehen

Erreichte die SVP bei den Natio­nal­rats­wahlen 1975 den histo­ri­schen Tief­punkt ihres Wähler­an­teils, verhalfen ihr diese Angriffe auf das Fern­sehen zuneh­mend zu mehr Sende­zeit. Während sich die Linke insbe­son­dere insti­tu­tio­nell veran­kern konnte, eignete sich die SVP über syste­ma­ti­sche Kritik das Fern­sehen als Instru­ment zur Mach­t­er­lan­gung und -erhal­tung an und benutzte die Zürcher Fern­seh­stu­dios als poli­ti­sche Bühne. Chris­toph Blocher hat dies 1990 in einem SRF-Werbespot auf den Punkt gebracht: „Das Schweizer Fern­sehen ist für mich nicht da, um zu schauen, sondern um am Fern­sehen zu reden“.

Chris­toph Blocher kämpft im Fernseh-Studio gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR, 1991: Quelle. nzz.ch

Und reden, das tat er – als Dauer­gast in der Rund­schau oder der Arena, der heute immer noch wich­tigsten poli­ti­schen Sendung. Nach­voll­ziehbar also, dass die SVP das öffent­liche Fern­sehen lange „nur“ teil­pri­va­ti­sieren oder die Gebühren redu­zieren, nicht aber gänz­lich abschaffen wollte. Zu wichtig war ihr die poli­ti­sche Kanzel, die ihr das Fern­sehen bot. War, denn: Aus dem Grund­rau­schen ihres langen Angriffs auf das öffent­liche Medi­en­haus SRG stieg die No-Billag-Initiative empor, lanciert von der Jungen SVP und den Jung­frei­sin­nigen, sekun­diert von den Erben des Hofer-Clubs, etablierten SVP-Politikern. Nur auf den ersten Blick scheint es paradox, dass die SVP „ihr“ Medium abschaffen will. Die Initia­tive pola­ri­siert und ist zu populär, als dass sich die Partei nicht hinter sie stellt. Kommt „No-Billag“ durch, ist Sende­schluss. Die SVP-Parteileitung hat kalku­liert: Sie braucht das Fern­sehen und die SRG nicht mehr. Sie erkauft sich schlicht die mediale Macht und tauscht die res publica gegen ihre eigene Show, ihre ganz eigene imagined commu­nity Schweiz ein. Da sie diese nicht länger in der medialen Ausein­an­der­set­zung mit einem poli­ti­schen Gegen­über vertei­digen und arti­ku­lieren muss, entfernt sie sich weiter von demo­kra­ti­schen Grundprinzipien.

Streiten wir weiter!

Doch bis auf die SVP vertei­digen alle Parteien das Schweizer Fern­sehen, das aufgrund der steten Kritik zu oft noch im medialen Réduit verharrt, folk­lo­ris­ti­sche Nabel­schau sendet und sich dem leidigen Quoten­druck beugt. Doch ökono­misch und poli­tisch weit­ge­hend unab­hän­gige öffent­liche Medien sind gerade heute von staats- und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Bedeu­tung. Die welt­weit wahr­nehm­baren Angriffe der Rechts­po­pu­listen auf öffent­li­chen Medien sind bekannt – die Erfolge leider auch. Das Schweizer Fern­sehen (und Radio) steht auch den hiesigen Rechts­po­pu­listen im Weg: Es ist eine Bastion gegen Xeno­phobie, „fake News“ und Irra­tio­na­lität. Die demo­kra­ti­sche Kontrolle, der öffent­liche Streit um die SRG verhin­dert gerade, dass das Fern­sehen einem einzelnen Herrn dient.

„Tele­arena“ zur Homo­se­xua­lität, 1978: Quelle: YouTube.com

Die vorlie­gende Initia­tive fordert nun den voll­stän­digen Bruch mit dem tradi­tio­nellen Streit im und um das Fern­sehen. Diese Debat­ten­kultur, die Ausein­an­der­set­zung mit dem Gegen­über, die Aushand­lung von unter­schied­li­chen Posi­tionen, der Streit um Werte und Vorstel­lungen ist für Demo­kra­tien aber funda­mental. Das Schweizer Fern­sehen ist gerade deshalb umstritten, weil es ein poli­ti­sches, aber kein Staats­me­dium ist. Die Initia­tive zielt auf die Zerschla­gung und Priva­ti­sie­rung des öffent­li­chen Fern­se­hens und will die Lizenzen an die Meist­bie­tenden verstei­gern. Was droht, ist ein priva­ti­siertes Fern­sehen, das mehr der Logik eines Waren­hauses als dem Anspruch folgt, öffent­li­cher Ort demo­kra­ti­schen Streits zu sein. Damit fiele das Fern­sehen als ein wich­tiges poli­ti­sches Gravi­ta­ti­ons­zen­trum, das immer wieder Flucht- und Ausgangs­punkt der Ausein­an­der­set­zung über die Frage war, welche Schweiz wir wollen, unwie­der­bring­lich weg.