Der aktuell heftig geführte Streit um das Schweizer Fernsehen ist nicht neu, sondern begleitet das Medium seit Sendebeginn 1953. Während Medien generell „vorgestellte Gemeinschaften“ konstruieren, stossen die visualisierten „Schweizen“ des Fernsehens jedoch seit nunmehr über 60 Jahren auf grundsätzliche Kritik in allen politischen Lagern. Früh setzte ein bis heute andauernder Sesseltanz um die Kontrolle des Fernsehens ein. Die machtpolitische Frage lautete stets: Welchen Interessen dient das Fernsehen und welchen soll es künftig verpflichtet sein? Das Fernsehen war immer schon das umstrittenste hiesige Medium: Konservative kritisierten zunächst das Fernsehen als zu „kritisch“ und zu wenig staatstragend, die Rechtspopulisten kritisieren es heute als zu unkritisch gegenüber der Regierung und verhöhnen es als „Staatsmedium“. Linke hingegen kritisier(t)en das Fernsehen als zu unkritisch und „meinungsfrei“ und zu sehr der „Nation“ verpflichtet. Die stete Kritik machte das Fernsehen aber zugleich zu einem zentralen Ort demokratischer Debatte über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Schweiz. Die Geschichte der Fernsehkritik zeigt, dass die vorliegende Initiative, über die wir bald zu befinden haben, sich radikal von dieser jahrzehntelangen Auseinandersetzung unterscheidet.
Kritisches Fernsehen und Kalter Krieg
War das Fernsehen im frühen Kalten Krieg als ein staatsschützendes Medium aufgebaut worden, löste es sich ab Beginn der 1960er-Jahre zögerlich aus dem Korsett der konservativen Geistigen Landesverteidigung und schuf vermehrt Bilder einer heterogenen und widersprüchlichen Schweiz. Einen ersten Marker diesbezüglich setzte das Freitagsmagazin, das für den Beginn thematischer Differenzierung und der Stärkung gesellschaftspolitischer Diskussionen stand. So rüttelte etwa ein Portrait des „Prostituierten-Milieus“ im März 1961 die helvetischen Stuben kräftig durch und löste eine heftige öffentliche Debatte aus. Doch die disziplinierende Wirkung der Geistigen Landesverteidigung entfaltete sich und führte 1963, nach nur drei Jahren, zur Absetzung des Magazins. Geplante Beiträge über Dienstverweigerung oder schweizerischen Antisemitismus blieben unrealisiert.

Das „Kassensturz“-Team 1974; Quelle: blick.ch
Natürlich nahmen solche Auseinandersetzungen im zeitlichen Umfeld von 68 nicht ab, sondern zu. Das Fernsehen widmete sich verstärkt kontroversen gesellschaftlichen Themen und setzte sich immer wieder über Tabugrenzen hinweg. Damals entstand etwa die heute bekannteste investigative Sendung, die Rundschau (1968). Eines der weltweit progressivsten Fernsehformate, der Kassensturz, widmet sich seit 1974 explizit dem Konsumentenschutz. Und als sich am Ende der 1970er-Jahre im Fernsehstudio ein wichtiges Moment der Homosexuellenbewegung ereignete, führten draussen Zürcher Polizisten noch immer das Homosexuellen-Register.
Linke Kritik am Herrschaftsmedium
Mit der steigenden Popularität des Mediums und der Einführung wegweisender Sendeformate erreichte auch dessen Politisierung und politische Überwachung einen Höhepunkt. Die Sozialdemokraten forderten Programmfreiheit der regionalen Fernsehredaktionen und drohten, die Monopolstellung durch einen zweiten öffentlichen Programmträger zu brechen. Besonders heftig war ihre Kritik an der intransparenten und undemokratischen Struktur der SRG. Diese mache es auch dem Fernsehen unmöglich, seiner Wächteraufgabe nachzukommen und an der demokratischen Meinungsbildung teilzunehmen. Hinter dieser Kritik standen auch Machtansprüche, denn die Linke bemängelte ihre Untervertretung in leitenden Gremien der SRG. Bald besetzten Sozialdemokraten namentlich im Fernsehen wichtige Posten – sehr zum Unmut der bürgerlichen Politiker. Dazu später mehr.
Auch linke Gruppierungen versuchten, die eigene politische Agenda dem Fernsehen aufzudrängen. Die Arbeitsgruppe Kritische Publizistik (AKP) veröffentliche 1973 unter dem Titel „Welttheater für Eidgenossen“ eine gnadenlose Kritik an der „gouvernementalen Tagesschau“, die sie im Dienste des Kapitals vornehmlich „Nachrichten aus dem Regierungslager“ über den Äther schicken und die bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse konsolidieren sah.

Arbeitsgruppe Kritische Publizistik: Welttheater für Eidgenossen, 1973: Quelle: LN
Nach Ansicht der Arbeitsgruppe vertrat die Tagesschau parteilich die „Ansichten der Unternehmerseite“ und schaffte durch Überbetonung der nationalen Einheit und nationaler Werte ein im Namen der „herrschenden Klasse“ unkritisches „Eidgenossen-Gefühl“. In einer satirischen Illustration stellte die AKP die FernsehzuschauerInnen als verblendete Herdewesen dar, die einem als Rattenfänger gezeichneten Kapitalisten folgen.
Der „Hofer-Club“ und das subversive Fernsehen
Aber nicht nur an der Tagesschau entzündete sich der ideologische Streit. Konservative hatten es auf alle Programme abgesehen, die sich kritisch gutschweizerischen Themen zuwandten. Die Versuche einzelner Sendungen, sich marginalisierten Problemen gegenüber zu öffnen und das Fernsehen zu einem Ort diskursiver Aushandlung von Positionen und Gegendarstellung zu machen, stiessen teils auf erbitterten Widerstand. Der Schweizerischen Volkspartei SVP war zunächst die Rekrutierungspraxis des Fernsehens verdächtig, die „moskauhörige“ Universitätsabsolventen in den Fernsehstudios installiere und der Sowjetunion somit gleichsam einen „direkten Draht in Hirne und Herzen“ des Fernsehvolks lege. In der Logik des Kalten Krieges verharrend, der gemäss „vom Osten“ Subversion und psychologische Kriegsführung ausgehe, galt es, das Schweizer Fernsehen (und damit die Schweiz als Nation) zu schützen und disziplinieren. Das Schreckgespenst des von links unterwanderten Fernsehens hatte in den 1970er-Jahren einen ersten Kulminationspunkt. Fernsehmitarbeiter wurden von privaten Staatsschutzorganisationen und von der Bundesanwaltschaft „fichiert“, unliebsame und kritische Beschäftigte entlassen oder unter Druck gesetzt. Die staatsschützerische Fieberkurve gipfelte 1972 in der Forderung des SVP-Bundesanwalts Hans Walder, dass „die Linksextremisten, die sich in den Massenmedien einzunisten wussten, ausgebootet werden, und zwar auch dann, wenn es ausserordentlich schwerfällt, ihnen ihre Verbindung mit staatsfeindlichen Organisationen nachzuweisen“.
Mit parlamentarischen Vorstössen in National- und Ständerat begann die SVP, sich als Gralshüterin der politischen Ausgewogenheit und Objektivität zu inszenieren. Dem Fernsehen attestierte sie einen „zu grossen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung“ und beschwor mitunter die Gefahr des Fernsehens an sich herauf, und zwar als „Staat im Staate“. Spiritus rector dieser Vorstösse war der bekannte Berner Geschichtsprofessor Walther Hofer. Nur vordergründig ging es der Rechten um die Kritik an der scheinbaren Unausgewogenheit der Informationssendungen. De facto zielte sie letztlich auf die Durchsetzung eines bürgerlich ausgerichteten Fernsehens. In der Folge konstituierte sich 1974 die Schweizerische Fernseh- und Radiovereinigung SFRV, die schon bald den Namen „Hofer-Club“ trug.
Diese als Konsumentenorganisation angetretene antikommunistische Vereinigung kämpfte unermüdlich gegen die angebliche linke Unterwanderung des Fernsehens und vereinte mehrere tausend eher rechtsbürgerliche Mitglieder und Verbände. Selbst im bürgerlichen Lager, bei CVP und FDP, stiess die SFRV auf die Gegenwehr jener, die sich von ihrer aggressiven antikommunistischen Rhetorik distanzierten und dem Fernsehen Programmfreiheit zugestanden. Das Fernsehen reagierte auf die linke und rechte Kritik und setzte unter der Leitung des Zürcher Juristen Hans W. Kopp die erste medienkritische Sendung „Fernsehstrasse 1-4“ ein, die zwischen 1974 und 1980 ausgestrahlt wurde. Die erste Ausgabe war der Frage der ideologischen Ausrichtung der Tagesschau gewidmet – Hofer-Club und AKP stritten Stuhl an Stuhl. Seither wird der für die demokratische Meinungsbildung zentralen Selbstkritik gebührend Sendezeit eingeräumt.
Der Aufstieg der SVP durch das Fernsehen
Erreichte die SVP bei den Nationalratswahlen 1975 den historischen Tiefpunkt ihres Wähleranteils, verhalfen ihr diese Angriffe auf das Fernsehen zunehmend zu mehr Sendezeit. Während sich die Linke insbesondere institutionell verankern konnte, eignete sich die SVP über systematische Kritik das Fernsehen als Instrument zur Machterlangung und -erhaltung an und benutzte die Zürcher Fernsehstudios als politische Bühne. Christoph Blocher hat dies 1990 in einem SRF-Werbespot auf den Punkt gebracht: „Das Schweizer Fernsehen ist für mich nicht da, um zu schauen, sondern um am Fernsehen zu reden“.

Christoph Blocher kämpft im Fernseh-Studio gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR, 1991: Quelle. nzz.ch
Und reden, das tat er – als Dauergast in der Rundschau oder der Arena, der heute immer noch wichtigsten politischen Sendung. Nachvollziehbar also, dass die SVP das öffentliche Fernsehen lange „nur“ teilprivatisieren oder die Gebühren reduzieren, nicht aber gänzlich abschaffen wollte. Zu wichtig war ihr die politische Kanzel, die ihr das Fernsehen bot. War, denn: Aus dem Grundrauschen ihres langen Angriffs auf das öffentliche Medienhaus SRG stieg die No-Billag-Initiative empor, lanciert von der Jungen SVP und den Jungfreisinnigen, sekundiert von den Erben des Hofer-Clubs, etablierten SVP-Politikern. Nur auf den ersten Blick scheint es paradox, dass die SVP „ihr“ Medium abschaffen will. Die Initiative polarisiert und ist zu populär, als dass sich die Partei nicht hinter sie stellt. Kommt „No-Billag“ durch, ist Sendeschluss. Die SVP-Parteileitung hat kalkuliert: Sie braucht das Fernsehen und die SRG nicht mehr. Sie erkauft sich schlicht die mediale Macht und tauscht die res publica gegen ihre eigene Show, ihre ganz eigene imagined community Schweiz ein. Da sie diese nicht länger in der medialen Auseinandersetzung mit einem politischen Gegenüber verteidigen und artikulieren muss, entfernt sie sich weiter von demokratischen Grundprinzipien.
Streiten wir weiter!
Doch bis auf die SVP verteidigen alle Parteien das Schweizer Fernsehen, das aufgrund der steten Kritik zu oft noch im medialen Réduit verharrt, folkloristische Nabelschau sendet und sich dem leidigen Quotendruck beugt. Doch ökonomisch und politisch weitgehend unabhängige öffentliche Medien sind gerade heute von staats- und demokratiepolitischer Bedeutung. Die weltweit wahrnehmbaren Angriffe der Rechtspopulisten auf öffentlichen Medien sind bekannt – die Erfolge leider auch. Das Schweizer Fernsehen (und Radio) steht auch den hiesigen Rechtspopulisten im Weg: Es ist eine Bastion gegen Xenophobie, „fake News“ und Irrationalität. Die demokratische Kontrolle, der öffentliche Streit um die SRG verhindert gerade, dass das Fernsehen einem einzelnen Herrn dient.

„Telearena“ zur Homosexualität, 1978: Quelle: YouTube.com
Die vorliegende Initiative fordert nun den vollständigen Bruch mit dem traditionellen Streit im und um das Fernsehen. Diese Debattenkultur, die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, die Aushandlung von unterschiedlichen Positionen, der Streit um Werte und Vorstellungen ist für Demokratien aber fundamental. Das Schweizer Fernsehen ist gerade deshalb umstritten, weil es ein politisches, aber kein Staatsmedium ist. Die Initiative zielt auf die Zerschlagung und Privatisierung des öffentlichen Fernsehens und will die Lizenzen an die Meistbietenden versteigern. Was droht, ist ein privatisiertes Fernsehen, das mehr der Logik eines Warenhauses als dem Anspruch folgt, öffentlicher Ort demokratischen Streits zu sein. Damit fiele das Fernsehen als ein wichtiges politisches Gravitationszentrum, das immer wieder Flucht- und Ausgangspunkt der Auseinandersetzung über die Frage war, welche Schweiz wir wollen, unwiederbringlich weg.