Wenn in den letzten Jahren von Daten und Datenbesitz die Rede war, ging es vor allem um den Schutz persönlicher Daten im Internet. Was wissen IT-Konzerne über uns? Wo sind diese Daten gespeichert, wie werden sie genutzt? Wie kann es sein, dass trotz aller Sicherheitsbeteuerungen immer wieder Namen, Passwörter und Kreditkartendaten aus den angeblich so sicheren Datentresoren der IT-Konzerne in die Weiten des Internet hinausgeschwemmt werden?
Der Kampf der Internet-NutzerInnen und ihrer Interessenverbände – Klagen gegen Facebook, Kampagnen gegen Vorratsdatenspeicherung und für richtige Privacy-Einstellungen – ist in vollem Gange und von größter Wichtigkeit. Darüber vergessen wir allerdings einen anderen, ähnlich gelagerten Kampf, dessen Fronten jedoch viel verschwommener sind und bei dem die Einteilung in die „Guten“ und „Bösen“ viel uneindeutiger ist. Dieser Kampf ist älter als die Geschichte der sozialen Medien und des World Wide Web. Nachdem er über 30 Jahre lang die Öffentlichkeit immer wieder aufgewühlt hatte, ist er nun, weitgehend unbemerkt, beendet worden, und zwar zu Ungunsten der NutzerInnen: Der Kampf um die Digitalkopie.
Der Heimcomputer und die „identische Kopie“
Die Auseinandersetzungen über die technische Reproduktion von Medieninhalten sind so alt wie die Geschichte der technischen Reproduktionsmedien selbst. Von Phonogrammwalzen über Tonbänder bis hin zum Fotokopierer: immer wieder provozierte die Einführung eines neuen Reproduktionsmediums Debatten, in denen Urheberrechte auf Verbraucheransprüche prallten.

Commodore 64 Heimcomputer mit Diskettenlaufwerk, Quelle: wikimedia.com
Mit der Markteinführung von Heimcomputern in den späten 1970er Jahren änderten sich die Bedingungen der technischen Reproduktion grundlegend. Der Computer im Wohnzimmer war in vielerlei Hinsicht revolutionär, die medientheoretisch vielleicht bahnbrechendste Eigenschaft war jedoch die Fähigkeit zur verlustfreien Datenkopie. Während bei analogen Medien der Kopiervorgang zwangsläufig mit Qualitätsverlust verbunden war – man denke an die Kopie einer Kopie einer Audiokassette –, sind digitale Daten beim Kopieren keinerlei Verschleiß unterworfen. Der Computer ermöglichte erstmals für eine breite Nutzerschicht das, was die Internet-Theoretikerin Mercedes Bunz als „identische Kopie“ bezeichnet hat. Die klassische Kopie, so Bunz, „war als Nachbildung immer auf einen Ausgangspunkt, auf das Original ausgerichtet.“ Die identische Kopie hingegen stellt „Differenz allein durch die Wiederholung identischer Daten her.“
Mehr noch: der digitale Kopiervorgang machte keinen Unterschied zwischen den zu vervielfältigenden Daten. Eine getippte Einkaufsliste wird genauso widerspruchslos kopiert wie ein kommerzielles Büroprogramm oder Computerspiel. Diese Kopierperfektion und gleichzeitige Gleichgültigkeit des Computers gegenüber den zu kopierenden Daten machte das Kopieren in den 1980er Jahren zu einer der am meisten diskutierten und skandalisierten Praktiken des Heimcomputergebrauchs.

Still aus dem Anti-Piraterie-Werbespot der Software Publishers
Association, ‚Don’t Copy That Floppy‘, 1992, Quelle: youtube.com
Der Medienphilosoph Hillel Schwartz schrieb über die Kulturtechnik des Kopierens: „Ein nicht kopiertes Objekt steht unter ständiger Beobachtung; sein Wert entspringt weniger ihm selbst als dem Kampf, der verhindern soll, dass es kopiert wird.“ Genau so verhielt es sich mit kommerziell vermarkteten digitalen Inhalten. Die Softwareindustrie konnte sich mit der medientechnischen Tatsache der identischen Kopie nicht abfinden, ohne ihr eigenes Geschäftsmodell in Frage zu stellen. So wurde die verschwundene Differenz zwischen Kopie und Original künstlich wiederhergestellt, indem der virtuelle Inhalt an den physischen Datenträger gebunden wurde. Kommerzielle Programme sollten nun ausschließlich von der Original-Diskette aus lauffähig sein. Sichergestellt wurde dies durch den um 1980 eingeführten Kopierschutz: Spezielle Algorithmen verhinderten das Kopieren der Software auf andere Datenträger. Die Urform des „Digital Rights Management“ war geboren.
KonsumentInnen und das Recht auf die Kopie
Diese Praxis rief jedoch sofort die NutzerInnen auf den Plan. Sie wehrten sich gegen das, was sie als Bevormundung seitens der Softwarefirmen empfanden. Als „gute Konsumenten“ sahen sie sich pauschal unter Piraterieverdacht gestellt. Jemand, der Software käuflich erworben hatte, sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden, von welchen Datenträgern er sie abspiele. Zudem wurde das Kosten-Argument ins Feld geführt: Der hohe Preis der Software stand in keinem Verhältnis zur Fragilität der Datenträger, die den Namen „floppy disks“ zu Recht trugen. Die labbrigen 5,25-Zoll-Disketten waren äußeren Einflüssen nahezu schutzlos ausgeliefert, und die Konsumenten waren nicht gewillt, die teuer erworbenen Original-Datenträger dem täglichen Gebrauch auszusetzen.

Werbung für das Kopierprogramm DISKBUSTERS, 1980er Jahre, Quelle: pinterest.ch
Dabei hatten die KonsumentInnen eigentlich das Gesetz auf ihrer Seite: Der Computer Software Copyright Act von 1980 gestand den NutzerInnen in den USA das Recht auf eine Sicherheitskopie erworbener Software zu, ähnliche Regelungen waren auch in anderen westlichen Industriegesellschaften in Kraft. Dass Kopierschutzmechanismen die Herstellung dieser gesetzlich verbrieften Backup-Kopien verunmöglichten, bereitete nicht nur der Softwareindustrie Kopfzerbrechen, sondern regte die Heimcomputer-Fachpresse – weit davon entfernt, bloß ein Sprachrohr der Industrie zu sein – dazu an, sich auf die Seite der KonsumentInnen zu stellen und für ein selbstbestimmtes Kopieren von Software zum Privatgebrauch einzutreten.
Auch der Software-Markt reagierte auf das Kopierbedürfnis. Es entstand eine ganze Unterbranche, die sogenannte Kopierprogramme anbot: Tools, die nicht nur den Vorgang des Diskettenkopierens beschleunigten, sondern auch Kopierschutzmechanismen außer Kraft zu setzen vermochten. In den Anleitungen wiesen die Hersteller stets darauf hin, dass diese Programme ausschließlich für Sicherheitskopien eingesetzt werden dürften, doch war allen Beteiligten klar, dass die Programme sich nicht bloß deswegen großer Beliebtheit erfreuten. Nicht zuletzt wurden die Kopierprogramme selbst massenhaft illegal kopiert.
Doch ob mit oder ohne Kopierprogramme, das ständige Pochen der UserInnen auf ihr Recht auf Backup-Kopie (sei es an den Kundenhotlines der Softwarefirmen, sei es in LeserInnenbriefen an die Fachpresse) führte dazu, dass die Softwareindustrie gegen Ende des Jahrzehnts dazu überging, immer öfter auf Kopierschutz zu verzichten – außer bei Computerspielen, dem beliebtesten und schnelllebigsten Software-Gut.
Kopier-Subkultur
Die primären Nutzer dieser Spiele, überwiegend männliche Jugendliche in den westlichen Industrienationen, kämpften ebenfalls für das Recht auf die freie Verfügung über Software – allerdings, ohne sich ins Gewand des „guten Konsumenten“ zu kleiden. Die Verlockung der „identischen Kopie“ verschmolz mit der Tatsache, dass die Preise für Computerspiele in keinem Verhältnis zum durchschnittlichen Taschengeld dieser Jugendlichen standen. So wurden Spiele zu begehrten Tauschgütern in einer Reihe mit Briefmarken oder Panini-Bildchen. Die technisch versiertesten unter diesen Jugendlichen lernten, die Spiele forensisch „auseinanderzunehmen“, um aus dem Programmcode die Kopierschutzmechanismen herauszuschälen. So blieben die Programme auch als Kopien lauffähig. Die Manipulateure versahen die Spiele mit ihren Pseudonymen, bevor diese hunderttausendfach über Schulhöfe und durch Kinderzimmer zirkulierten – und wurden so zu Helden der ersten Generation der „Digital Natives“. Mitte der 1980er Jahre entstand daraus eine neuartige Subkultur, die gänzlich um die Softwarekopie kreiste: Die „Cracker-Szene“.
Die Cracker waren, nachträglicher Verklärung zum Trotz, weder besorgte Konsumentenschützer noch selbstlose Robin Hoods. Den Feldzug gegen den Kopierschutz führten sie aus purer Lust am Wettkampf – gegen die Industrie wie auch gegeneinander. Dass die „geknackten“ Spiele auch zu den außerhalb der Subkultur stehenden NutzerInnen durchsickerten, war nur ein nicht-intendierter Nebeneffekt: Die Cracker waren in ihrer Selbstwahrnehmung ein elitärer Zirkel. Doch gerade dieses elitäre Gehabe war für gewöhnliche SpielerInnen so faszinierend.

Eine „Copy-Party“ der Cracker-Szene in Schweden, 1989
Quelle: slengpung.com
Währenddessen hatten die Softwarefirmen wie auch die „erwachsene“ Öffentlichkeit Schwierigkeiten, die Vorstellung durchzusetzen, dass virtuelle Dinge der Marktlogik unterworfene Waren sein könnten. Wenn etwa DIE ZEIT im Jahr 1988 jugendliche Softwarepiraten als „Diebe und Räuber“ anprangerte, untergrub sie ihr eigenes Argument, indem sie feststellte, die inkriminierten „Freaks“ würden „raubkopierte Programme wie gestempelte Briefmarken“ sammeln. Ein dermaßen harm- und wertloser Gegenstand taugte kaum zur Illustration der von der Industrielobby erkorenen, mit massiven Gewaltkonnotationen aufgeladenen Bezeichnung „Raubkopie“.
Der Kampf der KonsumentInnen um das Recht auf die Sicherheitskopie und das anarchische Tun der Cracker (von denen viele im Erwachsenenalter ohnehin die Seiten wechselten, um in der Spieleindustrie mitzuwirken) haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Im Kern hatten sie jedoch das gleiche Anliegen: Verfügungsfreiheit über Daten. Sie dachten die Logik der Industrie nur konsequent zu Ende: Wenn Computerprogramme schon zum Konsumgegenstand erklärt werden, sollte man auch nach Belieben darüber verfügen können – wie etwa über ein Buch, wenn es sich erst einmal in der eigenen Wohnung befindet: lesen, weitergeben oder zu Origami verarbeiten.
Die Download-Panik
All diese Auseinandersetzungen spielten sich zu einer Zeit ab, in der Datentransfers über lange Distanzen keine nennenswerte Rolle spielten. Die Übertragungsraten über Telefonleitung waren bis in die späten 1980er Jahre dermaßen niedrig, dass es schneller und günstiger war, Disketten persönlich oder per Post zu tauschen. Folglich ging es bei den umkämpften proprietären Inhalten fast ausschließlich um Softwareprogramme. Andere Medieninhalte, etwa Filme oder Musik, passten nicht auf eine Diskette – abgesehen davon, dass die Hardware nicht leistungsfähig genug war, solche Inhalte abzuspielen, geschweige denn sie überhaupt zu digitalisieren.
Dies änderte sich auch nicht mit der Öffnung des Internet für die Massennutzung in den frühen 1990er Jahren. Erst mit leistungsstarken PCs und vor allem preisgünstigen Breitband-Anschlüssen, die um die Jahrtausendwende aufkamen, waren die Schranken für die Zirkulation von allen nur denkbaren Medieninhalten gefallen. Filme, Fernsehserien, Musik, Bücher – von all dem konnten nun „identische Kopien“ hergestellt werden. In jener Zeit zwischen den ersten erschwinglichen Breitband-Internetanschlüssen und dem Aufkommen der Streaming-Technologie (YouTube etwa wurde erst 2005 lanciert) konnten digitale Medieninhalte nur konsumiert werden, wenn man sie besaß – als Dateien auf der eigenen Festplatte.

MP3-Sammlung auf CD-ROMs, 2000er Jahre, Quelle: privat
Mit der Filesharing-Technologie, mit der NutzerInnen vermittels virtueller Tauschbörsen Dateien austauschen konnten, entstand gewissermaßen „von unten“ die entsprechende Infrastruktur, um digitalisierte Medieninhalte zirkulieren zu lassen. Das Herunterladen von Filmen und Musik erlaubte einen Umgang mit Inhalten, der sie auch „offline“ zu wenngleich virtuellen, jedoch konkreten Objekten werden ließ, etwa wenn CD-ROMs mit MP3- oder Filmdateien unter Freunden getauscht wurden. Digitale Medieninhalte wurden so – wie schon die Computerspiele in den 1980er Jahren – zum Gegenstand von Tausch und Gabe.
Die Industrie hatte auf diese Herausforderung zunächst keine Antwort. Versuche, digitale Downloads zu verkaufen, fruchteten nicht. Entsprechend panisch griffen die Industrieverbände zu Abschreckungsmaßnahmen: Privatermittler wurden in Tauschbörsen geschleust, NutzerInnen massenhaft abgemahnt. In der öffentlichen Diskussion wurde zugleich der „Download“, also der bloße technische Prozess des Herunterladens von Daten, immer wieder mit dem Stigma des Illegalen belegt.
Streaming als leise Enteignung
Es sollte bloß noch ein Jahrzehnt dauern, bis Content-Anbieter aufatmen konnten. Dank neuer technischer Voraussetzungen (schnelle Endgeräte, Breitband-Geschwindigkeiten auch im Mobilfunknetz) wurde mit dem Streaming ein Modell gefunden, das dem Verlangen der KonsumentInnen nach unkomplizierter Verfügbarkeit von digitalen Medieninhalten Rechnung trug. Spotify, Netflix und ähnliche Anbieter erlauben für eine Monatsgebühr Zugriff auf große Mengen digitaler Video- und Audio-Inhalte, wobei es für die KonsumentInnen dank der modernen Technik keinen Unterschied mehr macht, dass die Inhalte in Echtzeit über die Internet-Leitung übertragen werden und nicht auf der heimischen Festplatte liegen. Ende gut, alles gut, so scheint es – die NutzerInnen haben legalen Zugriff auf digitale Inhalte, und die Industrie hat ein finanziell tragfähiges Modell.

Deutsche Kampagne gegen ‚Raubkopierer‘, 2003, Quelle: flickr.com
Mit dem Wechsel zum Streaming ist jedoch ein bedeutender Umbruch in der digitalen Medienökonomie vonstatten gegangen: eine Umstellung von Verkauf auf Verleih. Der Datenträger wandert nicht mehr über die Ladentheke ins Haus des Konsumenten, die Datei nicht mehr über die Leitung auf die heimische Festplatte, sondern es wird nur der Konsum auf Abruf offeriert. Der unregulierten Aneignung von Medieninhalten wird so der Riegel vorgeschoben. Zugleich wird aber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem nicht mehr ein konkretes Produkt erworben werden kann, sondern nur noch der Zugang dazu. Und über die Ausgestaltung dieses Zugangs entscheidet stets der Anbieter – sei es, wenn bestimmte Inhalte plötzlich nicht mehr Teil des Pakets sind, sei es, wenn „unpopuläre“ Inhalte gar nicht erst aufgenommen werden, oder auch wenn bestimmte Inhalte basierend auf dem von Anbietersystemen aufgezeichneten Nutzerverhalten bevorzugt angeboten werden.
Die Folgen des Streaming-Modells liegen nicht bloß darin, dass digitale Medieninhalte aufhören, Objekte zu sein, die man sammeln, anordnen und tauschen kann; und auch nicht bloß darin, dass Medieninhalte nur noch konsumiert werden können, wenn die Internet-Verbindung steht. Viel zentraler ist, dass NutzerInnen dabei auch verlernen – und hier schließt sich der Kreis zur Diskussion über „persönliche Daten“ –, dass sie für den Schutz der eigenen Daten verantwortlich sind. Dass es uns genauso wenig stört, dass unsere Musiksammlungen nunmehr nicht aus MP3-Dateien auf der eigenen Festplatte bestehen, sondern aus Playlists bei einem Streaming-Anbieter, wie dass unsere Arbeitsmaterialien in einer Cloud liegen, ist Teil ein und desselben Wahrnehmungsproblems. Spätestens wenn der Streaming-Anbieter pleite geht oder auch nur seine Nutzungsbedingungen umstellt, oder wenn ein ungeschickter Mitautor die wichtigen Materialien auf einem gemeinsam genutzten Netzlaufwerk unwiederbringlich gelöscht hat, wünscht man sich in eine Zeit zurück, als Dateien noch wenngleich virtuelle, so doch handfeste Objekte waren, über die wir volle Verfügungsfreiheit hatten. Und fast mit Wehmut erinnert man sich an die Auseinandersetzungen der letzten drei Jahrzehnte, in denen es darum ging, diese Verfügungsfreiheit sicherzustellen – sei es auf legalem oder auf illegalem Wege.