Viele finden die Sprache von AfD und populistischer Rechte drastisch und verroht. Das Gerede vom „Bürgerkrieg“ scheint dafür das beste Beispiel. Doch hinter ihm versteckt sich mehr als entgleiste Rhetorik.

  • Oliver Weber

    Oliver Weber studiert Demokratiewissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Philosophie in Regensburg und ist als politischer Autor tätig.

Über die Sprache der AfD ist viel Kluges geschrieben worden. Etwa von dem Germa­nisten Ekke­hard Felder, der einen „hyper­tro­phen Sprach­ge­brauch“ erkennt: sprach­lich reali­sierte Anma­ßungen, mittels derer die Partei sich als allei­niger Vertreter des „Volks­wil­lens“ insze­niert. Oder von dem Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Hein­rich Dete­ring, der in einer Rede vor dem Zentral­ko­mitee der deut­schen Katho­liken Poli­ti­kern wie Alex­ander Gauland einen „Jargon von Gangs­tern“ attes­tiert hat. Aber was ist, wenn sich hinter der Propa­ganda der AfD mehr als entgleiste Rhetorik versteckt? Was, wenn das rechts­po­pu­lis­ti­sche Gerede vom „Bürger­krieg“ nicht nur eine apoka­lyp­ti­sche Warnung, sondern ein semantisch-politisches Programm ist?

Die Warnung vor dem Bürgerkrieg

Der angeb­lich drohende „Bürger­krieg“ hat es der AfD angetan. Seine Beschwö­rung hat sich in den letzten Jahren zu einem Kern­thema rechts­po­pu­lis­ti­scher Diskurse entwi­ckelt. Bekannt ist die Rede, die Björn Höcke im Oktober 2015 auf dem Markt­platz in Magde­burg hielt. Einer Zuschau­er­menge von unge­fähr 1500 Personen rief er zu, „jeden Tag“ würden „zehn­tau­send bis zwölf­tau­send Asyl­su­chende nach Deutsch­land“ kommen, sodass schon „Ende 2016“ die „Mehr­heits­ver­hält­nisse in der für die Zukunft entschei­denden Alters­ko­horte“ endgültig kippen könnten. „Deut­sche!“, fügte er hinzu, „unsere über die Jahr­hun­derte gewach­sene Vertrauens- und Soli­dar­ge­mein­schaft ist damit in Gefahr“, und „wenn wir diese Entwick­lung nicht stoppen, dann prognos­ti­ziere ich einen Bürger­krieg!“ Mit rheto­ri­schem Geschick baute Höcke eine Droh­ku­lisse fort­pflan­zungs­fä­higer Fremder auf, deren Nach­kommen angeb­lich bald die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung darstellen und zur Gewalt­be­dro­hung werden würden, sollte – und hier kommt seine Partei ins Spiel – die AfD nicht zeitnah die Wahlen gewinnen.

Quelle: sezession.de

Ähnliche Aussagen gibt es nicht nur bei dem apoka­lyp­ti­sche und roman­ti­sie­rende Voka­beln beson­ders liebenden Höcke, sondern auch bei anderen AfD-Politikern. Der Partei­chef Alex­ander Gauland betonte etwa im August 2018 in einem Inter­view mit der Volks­stimme, dass „der Islam“ etwas „grund­sätz­lich Fremdes“ sei, gegen das „ein Staat, ein Volk“ sich „selbst behaupten“ müsse. Warnend ergänzte er: „Wir landen im Bürger­krieg, wenn wir nicht aufpassen. Die Menschen werden sich dagegen wehren. Sie wollen nicht, dass sie von Fremden so stark domi­niert werden.“ Auch hier wird eine bedro­hende Macht konstru­iert, gegen die man sich wehren müsse, sonst blühe dem ‚Volk‘ Gewalt und Krieg. Doch eine entschei­dende Nuance hat sich hier verschoben. Die Gewalt­dro­hung geht hier nicht mehr nur von „den Fremden“ aus, sondern erscheint als notwen­dige Abwehr­re­ak­tion „der Eigenen“.

Der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild stößt in dasselbe Horn; irgend­wann steuere Deutsch­land auf einen Bürger­krieg zu, sagte er Anfang 2017, laut Zeit. Im Gespräch mit dem Deutsch­land­funk Kultur spricht der „Haus­phi­lo­soph der AfD“, Marc Jongen,  davon, „dass sich hier im schlimmsten Falle eine bürger­kriegs­be­reite Stim­mung zusam­men­brauen könnte, wenn es so weitergeht“.

Eine ethni­sche Logik des Politischen

Woher kommt das Bedürfnis, die Politik der Gegen­wart in Kate­go­rien zu zwängen, die sich ange­sichts des heutigen Ausmaßes der Diffe­ren­zie­rung von Gesell­schaften und der Hybri­di­sie­rung von Iden­ti­täten nicht nur als wissen­schaft­lich unhaltbar, sondern auch als überaus wirk­lich­keits­fremd erweisen? Könnte, so fragt man sich, eine konser­va­tive Skepsis gegen­über libe­raler Einwan­de­rungs­po­litik nicht auch ohne Rück­griff auf Seman­tiken des Krieges auskommen?

Diese Frage lässt sich wohl prin­zi­piell bejahen, doch kaum für den Teil der AfD, der von den Ideen und dem Personal der Neuen Rechten durch­drungen ist. Dort ist Politik gar nicht anders denkbar. Unter Bezug­nahme auf die Defi­ni­tion des Poli­ti­schen bei Carl Schmitt als Unter­schei­dung zwischen Freund und Feind, schrieb der Spiritus Rector der Neuen Rechten, Götz Kubit­schek, in einem veröf­fent­lichten Brief­wechsel mit Armin Nassehi, dass auch ihm „manches gut erzo­gene Migran­ten­kind sympa­thi­scher“ sei als „jene anma­ßenden, deut­schen Rotz­löffel, denen noch nie eine äußere oder innere Not Beine machte“. Dennoch, so Kubit­schek, wird sich im „Ernst­fall“, jeder „sofort daran erin­nern, wer ‚Wir‘ ist und wer ‚Nicht-Wir‘“. In einem Vortrag in Zagreb 2016 sprach er positiv über den Unab­hän­gig­keits­krieg der Kroaten, der dazu geführt hätte, dass die Nation „das Eigene, die Souve­rä­nität, die rela­tive Homo­ge­nität ihrer Völker und ihre kultu­relle, juris­ti­sche, mentale und ethni­sche Ausprä­gung nach Kräften“ vertei­digen könne. Nur darauf komme es an.

In der geis­tigen Sphäre um Schnell­roda sprach man schon von der „Zurüs­tung zum Bürger­krieg“ (Thorsten Hinz) und der „Vertei­di­gung des Eigenen“ (Martin Licht­mesz), bevor die AfD über­haupt gegründet wurde. Dort begann man auch mit der akri­bi­schen Samm­lung vermeint­li­cher von Auslän­dern began­gener Gewalt­taten. Unter dem Titel Deut­sche Opfer, fremde Täter veröf­fent­lichte der neurechte Antaios-Verlag 2011 (dem Jahr in dem die NSU-Morde bekannt wurden) eine Website, die dazu dienten sollte, karto­gra­phisch anschau­lich zu machen, wo im Bundes­ge­biet Fälle von „Alltags­ag­gres­si­vität von Auslän­dern“ bezie­hungs­weise „selbst­be­wusst vorge­tra­gene Deut­schen­feind­lich­keit vor allem musli­mi­scher Einwan­derer“ zu verzeichnen seien. Die Fixie­rung darauf, Krimi­na­lität von Deut­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund oder Auslän­dern auf deut­schem Staats­ge­biet in der Logik eines ethni­schen Konflikts abzu­bilden, zeigte sich auch begriff­lich. Die Fälle wurden als „Binnen­ver­trei­bung, Vorbür­ger­krieg“ und „ethni­sche Land­nahme“ gedeutet.

Wenn die Gegen­wehr konkret wird

Quelle: Face­book

Diese begriff­liche Vorar­beit der Neuen Rechten fand in Chem­nitz im August letzten Jahres ihren realen Wieder­gänger. Nach der Tötung eines aus Kuba stam­menden Deut­schen durch mutmaß­lich einen jungen Iraker und einen jungen Syrer, versam­melten sich dort mehrere tausend Menschen auf verschie­denen Demons­tra­tionen, um ihrem Ärger Luft zu machen – sie folgten dabei Aufrufen von rechts­ra­di­kalen Orga­ni­sa­tionen in den sozialen Netz­werken. Bei einem Zug durch die Stadt wurden Hitler­grüße gezeigt und rassis­ti­sche Parolen gebrüllt, ein Video zeigt, wie mehrere Personen zwei als „Kana­cken“ beschimpfte Personen jagen.

Die Insze­nie­rung durch rechts­extreme und rechts­po­pu­lis­ti­sche Poli­tiker und Orga­ni­sa­tionen zielte darauf ab, den an sich unpo­li­ti­schen Vorfall in eine Logik ethni­scher Ausein­an­der­set­zung zu zwingen, wobei die klaren Ethnien nach alter rassis­ti­scher Manier herge­stellt werden. In Chem­nitz, so die Propa­ganda der Rechten, wurde der Bürger­krieg, vor dem sie schon immer warnten, bereits real. Dass das Opfer selbst einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund besaß und sich poli­ti­sche eher links posi­tio­nierte, schien nicht so wichtig. Was zählte, war das vermeint­liche Konkret­werden des Bürger­kriegs­phan­tasmas. „Wenn eine solche Tötungstat passiert“, so Alex­ander Gauland in einem Inter­view mit der „Welt“, ist es „normal, dass Menschen ausrasten“. Der AfD-Abgeordnete Makus Frohn­maier twit­terte, es sei „Bürger­pflicht, die todbrin­gende ‚Messer­mi­gra­tion‘ zu stoppen“, wenn der „Staat die Bürger nicht mehr schützen kann“. Wirkte dieses verschärfte Rhetorik, diese offene Aggres­sion nicht absto­ßend? Den Umfra­ge­er­geb­nissen der AfD haben „Chem­nitz“ und die recht­fer­ti­genden Worte von Gauland und Co. jeden­falls kaum geschadet.

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Man muss sich verge­gen­wär­tigen, welche Scha­blonen hier ange­legt wurden. Ein Tötungs­de­likt wird als Angriff auf „das Deut­sche“ insze­niert. Nicht die Kritik an einem Voll­zugs­de­fizit der Verwal­tungs­be­hörden, einer der mutmaß­li­chen Täter hätte nach Bulga­rien abge­schoben werden sollen, trieb viele Menschen in Chem­nitz auf die Straße, sondern die Tatsache, dass der Mord mutmaß­lich von „Fremden“ begangen wurde. Die gewalt­be­reite Stim­mung wurde als „natür­liche“ Reak­tion auf einen Angriff von „Außen“ verklärt. Chem­nitz ist in diesem Sinne kein Einzel­fall. Ähnli­ches ereig­nete sich schon Anfang 2018 in Cottbus sowie, nur wenige Tage später, in Köthen. Einen Angriff von Asyl­be­wer­bern auf Passanten in Amberg stili­sierte die baye­ri­sche AfD auf Face­book zu einer „Hetz­jagd auf Deutsche“.

Das Gleiten rassi­scher Signifikanten

Die Tatsache, dass die Bürger­kriegs­be­schwö­rung der AfD auf kommu­naler und lokaler Ebene schon bei Alltags­kri­mi­na­lität zu Protesten auf der Straße führt, zeigt, dass es sich um mehr als rheto­ri­sche Über­trei­bung handelt. Dahinter steckt der stra­te­gi­sche Anspruch, das Poli­ti­sche selbst in eine Art nur noch ethnisch bestimmte Logik zu über­führen. Deswegen wird Krimi­na­lität von Migranten im rechts­po­pu­lis­ti­schen Diskurs nicht mehr in Hinblick auf gängige Risi­ko­fak­toren (Bildung, Armut, Alter, Geschlecht, eigene Gewalt­er­fah­rungen) betrachtet, sondern mithilfe ethni­scher Kate­go­rien als Kriegs­akte eines latenten Bürger­kriegs einge­ordnet und inter­pre­tiert. Diese Kate­go­rien, die dann doch nicht auf Kultur, sondern auf Biologie zielen, sind in Wirk­lich­keit rassistische.

Quelle: Twitter

Zuschrei­bungen wie „der Schwarze“, „der Afri­kaner“, „der Araber“ fungieren als „glei­tende Signi­fi­kanten“ (Stuart Hall), mittels derer Unter­schiede, wie etwa eine andere Haut­farbe, ein anderer Akzent, ein fremd klin­gender Name, die im Kontext von beispiels­weise Alltags­kri­mi­na­lität beob­achtet werden können, hervor­ge­hoben, zu einem Ganzen verknüpft und als solches „dem Eigenen“ gegen­über­ge­stellt werden. So verbindet sich intuitiv die (bereits selek­tive) Wahr­neh­mung des Anderen mit Speku­la­tionen über seinen Charakter, seine Fertig­keiten und Absichten. Rassismus – das ist eine Anspie­lung, die hinter jeder Person mit dem Anschein der Anders­ar­tig­keit eine Fülle vorge­fer­tigter Wesens­züge, Triebe und Charak­ter­de­fi­zite vermutet, die dann wiederum als Ursa­chen alltäg­li­cher Konflikte und Störungen heran­ge­zogen wird.

Für den völki­schen Diskurs rechts­po­pu­lis­ti­scher Poli­tiker heißt das, dass ihr Phan­tasma vom Bürger­krieg Ausdruck einer seman­ti­schen Stra­tegie ist, alltäg­liche Konflikte, aber auch poli­ti­sche Ausein­an­der­set­zungen in ethnisch-biologische Kate­go­rien zu zwängen. Der Mord in der Nach­bar­stadt? Ein Angriff der Fremden. Klima­wandel? Dagegen hilft nur ein Stopp der „Massen­mi­gra­tion“. Welt­frau­entag? Unsinn, weil die etablierten Parteien einen „isla­mi­sierten Bundes­staat Deutsch­land“ hinter­lassen würden. Gesund­heits­po­litik? Der deut­sche Steu­er­zahler muss die Versor­gung der Verlet­zungen durch „Nicht­deut­sche“ tragen. Auch der Blick auf die Welt jenseits deut­scher Grenzen wird von diesem Gegen­satz struk­tu­riert und konter­ka­riert damit das natio­nale Programm. So ist der AfD-Abgeordnete Peter Bystron nach Südafrika gereist, um mit der Verei­ni­gung „Suid­landers“ unter anderem ein Schieß­trai­ning durch­zu­führen. Die rechts­extreme Orga­ni­sa­tion wappnet sich für den angeb­lich bevor­ste­henden, gegen die Weißen in Südafrika gerich­teten Bürger­krieg. Der Topos des „white geno­cide“ in Südafrika ist schon seit einigen Jahren Teil eines Narra­tivs vornehm­lich west­li­cher Rassisten, um auf die vermeint­liche Unmög­lich­keit fried­li­chen Zusam­men­le­bens zwischen Weißen und Schwarzen hinzu­weisen. Bystron selbst sagte, er sei in Südafrika gewesen, um „auf die Morde an weißen Farmern aufmerksam zu machen“.

So absurd und konstru­iert diese Einlas­sungen teil­weise klingen mögen, sie sind nicht daher­ge­sagt, sondern folgen einer klaren Logik, deren extremste Zuspit­zung die Warnung vor einem Bürger­krieg, wenn nicht gar Welt­kon­flikt, und dessen Umset­zung in Akten des „Wider­stands“ ist. Das Bürger­kriegs­phan­tasma ist die Warnung vor einem Konflikt­zu­stand, den man selbst herbei­zu­führen gedenkt.

Denn die Einwan­de­rung Nicht-Deutscher oder Nicht-Europäer ist in dem Begriffs­system der Neuen Rechten und jener Teile der AfD, auf die sie massiven Einfluss ausübt, gar nicht anders als konflikt­ge­laden denkbar, weil die fundie­rende Unter­schei­dung aller Politik, so inte­griert und assi­mi­liert Migranten sein mögen, „im Ernst­fall“, wie Kubit­schek zu sagen pflegt, angeb­lich entlang „ethni­scher Linien“ verläuft. Und der Ernst­fall ist immer und überall. Nicht nur bei jeder Alltagstraftat, die von Deut­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund begangen wird, sondern selbst bei der Reform des Gesund­heits­system oder der Bekämp­fung des Klima­wan­dels. Der Bürger­krieg lauert an jedem Stra­ßenzug, in jeder neu eröff­neten Döner-Filiale, in der U-Bahn, wenn eine Sprache erklingt, die nicht die deut­sche ist.

In diesem Sinne ist der Neuen Rechten und rechts­po­pu­lis­ti­schen Poli­ti­kern an keiner wie auch immer konser­va­tiven Ausge­stal­tung einer sich auch durch Einwan­de­rung wandelnden Gesell­schaften gelegen. Der Multi­kul­tu­ra­lismus ist für sie geschei­tert, nicht, weil dem wirk­lich so wäre, sondern weil für sie die bloße Anwe­sen­heit einge­wan­derter Personen nur als Eska­la­tion denkbar ist. Wo der Bürger­krieg fort­wäh­rend ange­facht wird, kümmert man sich früh­zeitig um die Selbst­be­haup­tung. Mit anderen Worten und in der mani­pu­la­tiven Logik dieses Welt­bildes: Man schlägt zu, bevor der andere es kann.