Über die Sprache der AfD ist viel Kluges geschrieben worden. Etwa von dem Germanisten Ekkehard Felder, der einen „hypertrophen Sprachgebrauch“ erkennt: sprachlich realisierte Anmaßungen, mittels derer die Partei sich als alleiniger Vertreter des „Volkswillens“ inszeniert. Oder von dem Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, der in einer Rede vor dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken Politikern wie Alexander Gauland einen „Jargon von Gangstern“ attestiert hat. Aber was ist, wenn sich hinter der Propaganda der AfD mehr als entgleiste Rhetorik versteckt? Was, wenn das rechtspopulistische Gerede vom „Bürgerkrieg“ nicht nur eine apokalyptische Warnung, sondern ein semantisch-politisches Programm ist?
Die Warnung vor dem Bürgerkrieg
Der angeblich drohende „Bürgerkrieg“ hat es der AfD angetan. Seine Beschwörung hat sich in den letzten Jahren zu einem Kernthema rechtspopulistischer Diskurse entwickelt. Bekannt ist die Rede, die Björn Höcke im Oktober 2015 auf dem Marktplatz in Magdeburg hielt. Einer Zuschauermenge von ungefähr 1500 Personen rief er zu, „jeden Tag“ würden „zehntausend bis zwölftausend Asylsuchende nach Deutschland“ kommen, sodass schon „Ende 2016“ die „Mehrheitsverhältnisse in der für die Zukunft entscheidenden Alterskohorte“ endgültig kippen könnten. „Deutsche!“, fügte er hinzu, „unsere über die Jahrhunderte gewachsene Vertrauens- und Solidargemeinschaft ist damit in Gefahr“, und „wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen, dann prognostiziere ich einen Bürgerkrieg!“ Mit rhetorischem Geschick baute Höcke eine Drohkulisse fortpflanzungsfähiger Fremder auf, deren Nachkommen angeblich bald die Mehrheit der Bevölkerung darstellen und zur Gewaltbedrohung werden würden, sollte – und hier kommt seine Partei ins Spiel – die AfD nicht zeitnah die Wahlen gewinnen.

Quelle: sezession.de
Ähnliche Aussagen gibt es nicht nur bei dem apokalyptische und romantisierende Vokabeln besonders liebenden Höcke, sondern auch bei anderen AfD-Politikern. Der Parteichef Alexander Gauland betonte etwa im August 2018 in einem Interview mit der Volksstimme, dass „der Islam“ etwas „grundsätzlich Fremdes“ sei, gegen das „ein Staat, ein Volk“ sich „selbst behaupten“ müsse. Warnend ergänzte er: „Wir landen im Bürgerkrieg, wenn wir nicht aufpassen. Die Menschen werden sich dagegen wehren. Sie wollen nicht, dass sie von Fremden so stark dominiert werden.“ Auch hier wird eine bedrohende Macht konstruiert, gegen die man sich wehren müsse, sonst blühe dem ‚Volk‘ Gewalt und Krieg. Doch eine entscheidende Nuance hat sich hier verschoben. Die Gewaltdrohung geht hier nicht mehr nur von „den Fremden“ aus, sondern erscheint als notwendige Abwehrreaktion „der Eigenen“.
Der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild stößt in dasselbe Horn; irgendwann steuere Deutschland auf einen Bürgerkrieg zu, sagte er Anfang 2017, laut Zeit. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur spricht der „Hausphilosoph der AfD“, Marc Jongen, davon, „dass sich hier im schlimmsten Falle eine bürgerkriegsbereite Stimmung zusammenbrauen könnte, wenn es so weitergeht“.
Eine ethnische Logik des Politischen
Woher kommt das Bedürfnis, die Politik der Gegenwart in Kategorien zu zwängen, die sich angesichts des heutigen Ausmaßes der Differenzierung von Gesellschaften und der Hybridisierung von Identitäten nicht nur als wissenschaftlich unhaltbar, sondern auch als überaus wirklichkeitsfremd erweisen? Könnte, so fragt man sich, eine konservative Skepsis gegenüber liberaler Einwanderungspolitik nicht auch ohne Rückgriff auf Semantiken des Krieges auskommen?
Diese Frage lässt sich wohl prinzipiell bejahen, doch kaum für den Teil der AfD, der von den Ideen und dem Personal der Neuen Rechten durchdrungen ist. Dort ist Politik gar nicht anders denkbar. Unter Bezugnahme auf die Definition des Politischen bei Carl Schmitt als Unterscheidung zwischen Freund und Feind, schrieb der Spiritus Rector der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, in einem veröffentlichten Briefwechsel mit Armin Nassehi, dass auch ihm „manches gut erzogene Migrantenkind sympathischer“ sei als „jene anmaßenden, deutschen Rotzlöffel, denen noch nie eine äußere oder innere Not Beine machte“. Dennoch, so Kubitschek, wird sich im „Ernstfall“, jeder „sofort daran erinnern, wer ‚Wir‘ ist und wer ‚Nicht-Wir‘“. In einem Vortrag in Zagreb 2016 sprach er positiv über den Unabhängigkeitskrieg der Kroaten, der dazu geführt hätte, dass die Nation „das Eigene, die Souveränität, die relative Homogenität ihrer Völker und ihre kulturelle, juristische, mentale und ethnische Ausprägung nach Kräften“ verteidigen könne. Nur darauf komme es an.
In der geistigen Sphäre um Schnellroda sprach man schon von der „Zurüstung zum Bürgerkrieg“ (Thorsten Hinz) und der „Verteidigung des Eigenen“ (Martin Lichtmesz), bevor die AfD überhaupt gegründet wurde. Dort begann man auch mit der akribischen Sammlung vermeintlicher von Ausländern begangener Gewalttaten. Unter dem Titel Deutsche Opfer, fremde Täter veröffentlichte der neurechte Antaios-Verlag 2011 (dem Jahr in dem die NSU-Morde bekannt wurden) eine Website, die dazu dienten sollte, kartographisch anschaulich zu machen, wo im Bundesgebiet Fälle von „Alltagsaggressivität von Ausländern“ beziehungsweise „selbstbewusst vorgetragene Deutschenfeindlichkeit vor allem muslimischer Einwanderer“ zu verzeichnen seien. Die Fixierung darauf, Kriminalität von Deutschen mit Migrationshintergrund oder Ausländern auf deutschem Staatsgebiet in der Logik eines ethnischen Konflikts abzubilden, zeigte sich auch begrifflich. Die Fälle wurden als „Binnenvertreibung, Vorbürgerkrieg“ und „ethnische Landnahme“ gedeutet.
Wenn die Gegenwehr konkret wird

Quelle: Facebook
Diese begriffliche Vorarbeit der Neuen Rechten fand in Chemnitz im August letzten Jahres ihren realen Wiedergänger. Nach der Tötung eines aus Kuba stammenden Deutschen durch mutmaßlich einen jungen Iraker und einen jungen Syrer, versammelten sich dort mehrere tausend Menschen auf verschiedenen Demonstrationen, um ihrem Ärger Luft zu machen – sie folgten dabei Aufrufen von rechtsradikalen Organisationen in den sozialen Netzwerken. Bei einem Zug durch die Stadt wurden Hitlergrüße gezeigt und rassistische Parolen gebrüllt, ein Video zeigt, wie mehrere Personen zwei als „Kanacken“ beschimpfte Personen jagen.
Die Inszenierung durch rechtsextreme und rechtspopulistische Politiker und Organisationen zielte darauf ab, den an sich unpolitischen Vorfall in eine Logik ethnischer Auseinandersetzung zu zwingen, wobei die klaren Ethnien nach alter rassistischer Manier hergestellt werden. In Chemnitz, so die Propaganda der Rechten, wurde der Bürgerkrieg, vor dem sie schon immer warnten, bereits real. Dass das Opfer selbst einen Migrationshintergrund besaß und sich politische eher links positionierte, schien nicht so wichtig. Was zählte, war das vermeintliche Konkretwerden des Bürgerkriegsphantasmas. „Wenn eine solche Tötungstat passiert“, so Alexander Gauland in einem Interview mit der „Welt“, ist es „normal, dass Menschen ausrasten“. Der AfD-Abgeordnete Makus Frohnmaier twitterte, es sei „Bürgerpflicht, die todbringende ‚Messermigration‘ zu stoppen“, wenn der „Staat die Bürger nicht mehr schützen kann“. Wirkte dieses verschärfte Rhetorik, diese offene Aggression nicht abstoßend? Den Umfrageergebnissen der AfD haben „Chemnitz“ und die rechtfertigenden Worte von Gauland und Co. jedenfalls kaum geschadet.
Man muss sich vergegenwärtigen, welche Schablonen hier angelegt wurden. Ein Tötungsdelikt wird als Angriff auf „das Deutsche“ inszeniert. Nicht die Kritik an einem Vollzugsdefizit der Verwaltungsbehörden, einer der mutmaßlichen Täter hätte nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, trieb viele Menschen in Chemnitz auf die Straße, sondern die Tatsache, dass der Mord mutmaßlich von „Fremden“ begangen wurde. Die gewaltbereite Stimmung wurde als „natürliche“ Reaktion auf einen Angriff von „Außen“ verklärt. Chemnitz ist in diesem Sinne kein Einzelfall. Ähnliches ereignete sich schon Anfang 2018 in Cottbus sowie, nur wenige Tage später, in Köthen. Einen Angriff von Asylbewerbern auf Passanten in Amberg stilisierte die bayerische AfD auf Facebook zu einer „Hetzjagd auf Deutsche“.
Das Gleiten rassischer Signifikanten
Die Tatsache, dass die Bürgerkriegsbeschwörung der AfD auf kommunaler und lokaler Ebene schon bei Alltagskriminalität zu Protesten auf der Straße führt, zeigt, dass es sich um mehr als rhetorische Übertreibung handelt. Dahinter steckt der strategische Anspruch, das Politische selbst in eine Art nur noch ethnisch bestimmte Logik zu überführen. Deswegen wird Kriminalität von Migranten im rechtspopulistischen Diskurs nicht mehr in Hinblick auf gängige Risikofaktoren (Bildung, Armut, Alter, Geschlecht, eigene Gewalterfahrungen) betrachtet, sondern mithilfe ethnischer Kategorien als Kriegsakte eines latenten Bürgerkriegs eingeordnet und interpretiert. Diese Kategorien, die dann doch nicht auf Kultur, sondern auf Biologie zielen, sind in Wirklichkeit rassistische.

Quelle: Twitter
Zuschreibungen wie „der Schwarze“, „der Afrikaner“, „der Araber“ fungieren als „gleitende Signifikanten“ (Stuart Hall), mittels derer Unterschiede, wie etwa eine andere Hautfarbe, ein anderer Akzent, ein fremd klingender Name, die im Kontext von beispielsweise Alltagskriminalität beobachtet werden können, hervorgehoben, zu einem Ganzen verknüpft und als solches „dem Eigenen“ gegenübergestellt werden. So verbindet sich intuitiv die (bereits selektive) Wahrnehmung des Anderen mit Spekulationen über seinen Charakter, seine Fertigkeiten und Absichten. Rassismus – das ist eine Anspielung, die hinter jeder Person mit dem Anschein der Andersartigkeit eine Fülle vorgefertigter Wesenszüge, Triebe und Charakterdefizite vermutet, die dann wiederum als Ursachen alltäglicher Konflikte und Störungen herangezogen wird.
Für den völkischen Diskurs rechtspopulistischer Politiker heißt das, dass ihr Phantasma vom Bürgerkrieg Ausdruck einer semantischen Strategie ist, alltägliche Konflikte, aber auch politische Auseinandersetzungen in ethnisch-biologische Kategorien zu zwängen. Der Mord in der Nachbarstadt? Ein Angriff der Fremden. Klimawandel? Dagegen hilft nur ein Stopp der „Massenmigration“. Weltfrauentag? Unsinn, weil die etablierten Parteien einen „islamisierten Bundesstaat Deutschland“ hinterlassen würden. Gesundheitspolitik? Der deutsche Steuerzahler muss die Versorgung der Verletzungen durch „Nichtdeutsche“ tragen. Auch der Blick auf die Welt jenseits deutscher Grenzen wird von diesem Gegensatz strukturiert und konterkariert damit das nationale Programm. So ist der AfD-Abgeordnete Peter Bystron nach Südafrika gereist, um mit der Vereinigung „Suidlanders“ unter anderem ein Schießtraining durchzuführen. Die rechtsextreme Organisation wappnet sich für den angeblich bevorstehenden, gegen die Weißen in Südafrika gerichteten Bürgerkrieg. Der Topos des „white genocide“ in Südafrika ist schon seit einigen Jahren Teil eines Narrativs vornehmlich westlicher Rassisten, um auf die vermeintliche Unmöglichkeit friedlichen Zusammenlebens zwischen Weißen und Schwarzen hinzuweisen. Bystron selbst sagte, er sei in Südafrika gewesen, um „auf die Morde an weißen Farmern aufmerksam zu machen“.
So absurd und konstruiert diese Einlassungen teilweise klingen mögen, sie sind nicht dahergesagt, sondern folgen einer klaren Logik, deren extremste Zuspitzung die Warnung vor einem Bürgerkrieg, wenn nicht gar Weltkonflikt, und dessen Umsetzung in Akten des „Widerstands“ ist. Das Bürgerkriegsphantasma ist die Warnung vor einem Konfliktzustand, den man selbst herbeizuführen gedenkt.
Denn die Einwanderung Nicht-Deutscher oder Nicht-Europäer ist in dem Begriffssystem der Neuen Rechten und jener Teile der AfD, auf die sie massiven Einfluss ausübt, gar nicht anders als konfliktgeladen denkbar, weil die fundierende Unterscheidung aller Politik, so integriert und assimiliert Migranten sein mögen, „im Ernstfall“, wie Kubitschek zu sagen pflegt, angeblich entlang „ethnischer Linien“ verläuft. Und der Ernstfall ist immer und überall. Nicht nur bei jeder Alltagstraftat, die von Deutschen mit Migrationshintergrund begangen wird, sondern selbst bei der Reform des Gesundheitssystem oder der Bekämpfung des Klimawandels. Der Bürgerkrieg lauert an jedem Straßenzug, in jeder neu eröffneten Döner-Filiale, in der U-Bahn, wenn eine Sprache erklingt, die nicht die deutsche ist.
In diesem Sinne ist der Neuen Rechten und rechtspopulistischen Politikern an keiner wie auch immer konservativen Ausgestaltung einer sich auch durch Einwanderung wandelnden Gesellschaften gelegen. Der Multikulturalismus ist für sie gescheitert, nicht, weil dem wirklich so wäre, sondern weil für sie die bloße Anwesenheit eingewanderter Personen nur als Eskalation denkbar ist. Wo der Bürgerkrieg fortwährend angefacht wird, kümmert man sich frühzeitig um die Selbstbehauptung. Mit anderen Worten und in der manipulativen Logik dieses Weltbildes: Man schlägt zu, bevor der andere es kann.