Die Felder verbrannten diesen Sommer unter der Glut, und die Bauern hatten so etwas wie ein Wahrnehmungsproblem. Sie wussten nicht, ob sie die Risse auf den Feldern und die schrumpelnden Äpfel an den Bäumen als eine vorübergehende Laune der Natur deuten wollten oder als Folge des menschengemachten Klimawandels. Der Schweizerische Bauernverband, der ihre Interessen vertritt, betont zwar, dass „die Schadensbekämpfung gegen die Folgen des Klimawandels“ ein „wichtiges Thema“ sei; aber bei den Massnahmen hört das Engagement dann auf. Treibhausgase sollen nur „freiwillig“ reduziert werden, und in Sachen Klimaschutz soll der „Sonderrolle“ der Landwirtschaft als Nahrungsproduzentin Rechnung getragen werden.
In der klimapolitischen Parallelwelt
So ambivalent argumentieren alle. Der Autoimporteurverband auto-schweiz „bekennt sich zum Umweltschutz“, tut sich aber schwer mit einschneidenden Senkungen von CO2 im Verkehr, während die Schweizerische Erdölvereinigung „die Notwendigkeit anerkennt, Massnahmen zur Reduktion des globalen CO2-Ausstosses zu ergreifen“, aber die Verschärfung des CO2-Gesetzes vehement bekämpft.

Wärmekarte, Januar 2018; Quelle: noaa.gov
Immerhin: Die Interessensvertreter der Wirtschaft inklusive die Dachverbände economiesuisse und Gewerbeverband anerkennen die menschengemachte Klimaerwärmung als ein Faktum; sie unterscheiden sich darin deutlich von den rechten Ideologen der Schweizerischen Volkspartei, die in ihrem Positionspapier zur Klimapolitik noch immer schreiben, man könne beim Weltklima „keineswegs von einem kontinuierlichen, starken Anstieg der Temperaturen sprechen“. Dennoch beharren die Wirtschaftsvertreter auf einer gruppenegoistischen Position, die aus neoliberal gespeistem Denken die Freiheit verteidigt, weiterhin den Pfad des Wachstums zu gehen, was gleichbedeutend ist mit dem freien Zugang zu fossilen Brennstoffen, ohne die Kosten für Umwelt und Klima internalisieren zu müssen.
Das alles lässt sich die Lobby von Industrie, Gewerbe und Energieproduzenten einiges kosten. Allein die Fossilindustrie gab für Lobbyarbeit im Jahr 2013 in der Europäischen Union 44 Millionen Euro aus, in den USA waren es 150 Millionen Dollar. In der Schweiz erreichte dieselbe Lobby im Parlament eine Verwässerung der Klimaziele, mit der Folge, dass die jetzige Vorlage des CO2-Gesetzes vor allem auf eines setzt: auf Freiwilligkeit. Wie der Journalist und Umweltexperte Marcel Hänggi treffend bemerkt hat, besteht die Freiheit darin, sich weiterhin in einer klimapolitischen „Parallelwelt“ bewegen zu können. Sie wird allerdings nicht nur von der Lobby marktliberaler Kräfte verteidigt, sondern auch in Leser-Kommentarspalten. In einem Sample von 355 Kommentaren unter einem Beitrag zur Klimafrage im online-Portal der populären Gratiszeitung 20 Minuten dominieren Aussagen, die wechselweise dem „Rindvieh“, den „Autofahrern“, den „Politikern“ oder den „Chinesen“ die Schuld am Klimawandel geben, also immer den „anderen“. Eine Haltung, die „Butch“ mit der Bemerkung „Länder wie Indien, Russland, China, Thailand, etc. sollten einmal an ihrem CO2 Ausstoss arbeiten!“ (31 Likes) auf den Punkt brachte. Am meisten Zustimmung aber erhielt mit 232 Likes „Orest Shvadchak“ mit seinem Kommentar „Weniger Babys machen … dann regeneriert sich der Planet von selbst“.
UPDATE November 2019: Dann aber, mit dem „Schulstreik fürs Klima“, trat eine fünfzehnjährige schwedische Schülerin auf den Plan, setzte sich vor das schwedische Parlament und hielt der Welt einen Spiegel vor; die Politik, so die Botschaft, tue zu wenig für den Schutz des Klimas, deshalb müssten sie, die Kinder, die Jugendlichen, aktiv werden. Die Bewegung, die daraus entstand, umfasst Millionen Menschen weltweit, die nun unter dem Titel „Fridays für Climate“ oder „Klimastreik“ auf die Strasse gehen und ihrerseits Politik und Wirtschaft den Spiegel vorhalten.
Eine Ideologie der gefährdeten Eliten

Wärmebild der Erde, Sommer 2018, Bild: NASA; Quelle: mashable.com
Das klimapolitische Schwarzpeterspiel ist kohärent mit der Ideologie einer westlichen, europäischen und amerikanischen Hegemonie über den Planeten und der scheinbar selbstverständlichen Verfügungsmacht über dessen Ressourcen, wie sie neoliberale Eliten (und ihr populistisches Fussvolk) zurzeit an vielen Fronten verteidigen. Sie müssen sich wehren gegen die Infragestellung ihrer wirtschaftlichen Machtposition, weil „andere“ – aufstrebende, konkurrierende benachbarte Nationen oder besser qualifizierte Migrant_innen und Fachkräfte aus anderen Weltregionen – sie in ihrer technologisch-finanziellen Potenz bedrängen. Sie müssen aber auch ihre Verfügungsmacht über fossile Brennstoffe verteidigen, eine strategische Position, die ihnen zu billiger Energie verhilft und ihnen erlaubt, die verursachten Kosten zu externalisieren, also „anderen“ aufzubürden, während sie ihre monopolistische Marktsituation gegen erneuerbare Energien absichern in Kartellen, Versorgungsketten, Abhängigkeiten. Diese Verteidigung fossiler Brennstoffe verrät eine geradezu libidinöse Objektbesetzung; und dieses begehrte Objekt widersteht deshalb so erfolgreich aller rationalen Kritik, weil es in den mannigfachen Artefakten unseres täglichen Lebens inkorporiert ist: im schnittigen Automobil und im Handy, im verlockenden Flugticket nach Süden und in der Salatschüssel aus Kunststoff. Ein alltäglich gewordenes, medial fortgeschriebenes Narrativ, das die (falsche) Gewissheit zementiert, dass fossile Brennstoffe, Wohlstand und Glück untrennbar zusammengehören.

Temperaturabweichungen von den Durchschnittswerten 1979-2000, Juni 2018; Quelle: carbonbrief.org
Derweilen aber steigen die Temperaturen. Mit rund 3 ppm war der jährliche Zuwachs an CO2 noch nie grösser als in den letzten beiden Jahren. Die Tundra taut auf und setzt Unmengen an Methan frei, der Meeresspiegel steigt schneller als vom Weltklimarat IPCC vorausgesagt, ganze Inseln im amerikanischen Louisiana verschwinden. Nathaniel Rich hat in einer brillanten Recherche im Magazin der New York Times gezeigt, wie Klimaforscher, Nichtregierungsorganisationen und vorausschauende Politiker seit 1979 mahnen, dass ohne „drastische und schnelle Massnahmen“ die Erde auf einen Klimakollaps zusteuere. Seither sind die Prognosen mit jeder Klimakonferenz düsterer geworden, und heute sagen Klimaforscher wie Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung unverblümt, das Erreichen von 1,5 Grad globaler Erwärmung sei „fast schon utopisch“.
Aber konsistentes Wissen vermag die Fixierung auf das Fossile nicht zu bremsen, im Gegenteil. Die rechtsextremen und rechten Parteien, die in ihren Programmen (wie die SVP) die Klimaüberhitzung leugnen („Die Aussagen des Weltklimarats, dass Klimaänderungen weitgehend menschengemacht seien, sind wissenschaftlich nicht gesichert“, schreibt die AfD), dienen als Sammelbecken für alle, die sich bei der notwendigen, radikalen Dekarbonisierung als Verlierer wähnen. Sie fürchten den Verlust ihres getunten Lügendiesels, stimmen unbesehen in den Kanon der Lobbyisten ein, wonach Projekte wie die Energiewende nur etwas zur Folge hätten: neue Steuern. Und sie sind es, die Potentaten vom Schlage Putins, Erdogans oder Trumps bewundern, postfaktische Autokraten, die den Fortbestand einer Welt mit Erdöl, Kohle und Gas versprechen, das stete Klopfen von Verbrennungsmotoren auf alle Zeit hinaus.
Und die Gegenbewegung?
Eine weltweite Klimabewegung, die mit der Friedensbewegung, mit der Anti-Atom-Bewegung zu vergleichen wäre, existiert nur in ersten Ansätzen. Es gab Besetzungen von Kohlegruben in Deutschland, die Sioux blockierten den Bau der Dakota-Pipeline, und Organisationen wie gofossilfree.org oder auch Greenpeace engagieren sich dafür, dass Finanzinstitute nicht mehr in Firmen investieren, die fossile Brennstoffe fördern. Erste Erfolge sind da – Versicherungskonzerne wie AXA Winterthur, MunichRe oder die SwissRe haben angekündigt, keine Unternehmen mehr zu versichern, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes auf Kohle setzen; bei Pensionskassen und Nationalbanken hingegen stösst die „Divest“-Bewegung noch auf sehr viel Widerstand. Da und dort gibt es Bürgerinitiativen, und in der Schweiz soll mit der „Gletscher-Initiative“, die nächstes Jahr lanciert wird, bis 2050 ein klarer Absenkpfad für Erdölimporte auf Null festgelegt werden; ein Signal auch für andere Länder. Zudem – weltweit nimmt die Zahl der Klagen gegen Regierungen und Konzerne wegen Nichteinhaltung der in Paris 2015 festgelegten Klimaziele zu; wegweisend sind in der Schweiz die Klimaseniorinnen, die vor Bundesverwaltungsgericht die Eidgenossenschaft eingeklagt haben.
Aber die langsam sich formierende Bewegung steht vor der immensen Aufgabe, eine Weltgemeinschaft, die am Tropf fossiler Brennstoffe hängt, von einem radikalen Entzug überzeugen zu müssen. Dazu genügt auch das gesicherte Wissen nicht, dass der Ersatz fossiler Energieträger möglich ist, dass es technische, effizienzsteigernde und auch suffiziente Ansätze gibt, um Erdöl, Gas und Kohle zu ersetzen; und bisher haben Vorstellungen davon, wie unter anderen Prämissen eine Gesellschaft gerechter, sozialer, dezentraler und nachhaltiger mit Energie versorgt werden kann, nicht wirklich Gehör gefunden. Die hegemoniale Bastion von Regierungen, Konzernen, Politikern und Lobbyisten, die mit dem Narrativ des fossil betriebenen Fortschritts noch immer Milliarden Menschen beflügelt, zu knacken, ist nicht einfach. Um so weniger, als es ohne weitgehende politische Veränderungen nicht gehen wird, wie Naomi Klein mit ihrer umfassenden Studie Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima (2014, dt. 2015) dargelegt hat.
Neue Konsensfindungen
So sind denn auch die Aussichten auf der Ebene der Politik überaus düster. Die Debatten rund um das CO2-Gesetz in der Schweiz zeigen, dass bürgerliche Positionen zunehmend eine rechtsbürgerliche Koloratur annehmen, während Grüne und Linke sich nicht in der Lage sehen, mit einer gesellschaftlichen Perspektive einer dekarbonisierten Welt zu überzeugen; stattdessen wird die heisse Kartoffel „Klima“ hin und her geschoben. Will man diese Entwicklung stoppen, braucht es einen minimalen Konsens, der ideologische Gräben überwindet. Solche Momente des Konsenses – oder zumindest: der klaren Mehrheiten – hat es gegeben, zu seltenen historischen Momenten, in denen es gelang, eine tragfähige, konsistente, weitherum abgestützte und umsetzbare Entscheidung über die Grundlage zukünftiger Klimapolitik zu finden. Dazu gehört das Klimaabkommen von Paris 2015 kaum, denn bisher blieben die konkreten Ergebnisse weitgehend aus. Und auch die vorangegangenen Konferenzen, das Kyoto-Protokoll, die Umweltkonferenz von Rio 1992, waren folgenlos, haben weder die Klimaerwärmung noch das Artensterben verhindert.

Visualiserung von Ozon-Messungen, 2008-2017; Quelle: dlr.de
Aber es gibt Gegenbeispiele: Eines war der Abschluss des Montreal-Abkommens zum Schutz der Ozonschicht, das 1987 unter dem Eindruck eines bedrohlichen Ozonlochs angenommen und zu einer effektiven Reduktion der ozonschädigenden Fluorkohlenwasserstoffe geführt hat, indem diese schädigenden Chemikalien rasch und mit relativ geringen Kosten ersetzt werden konnten. Ein anderes Beispiel sind die seit dem 15. Jahrhundert in Europa erlassenen Forstgesetze, die festgeschrieben wurden, weil Holz angesichts weitläufiger Rodungen knapp wurde; mit einer „nachhaltigen Forstwirtschaft“ sollte ein Ausgleich zwischen gerodetem und genutztem Wald geschaffen werden.
Gemeinsam ist den beiden Regelwerken, dass sie erstens aus einer zeitlichen Dringlichkeit heraus entstanden, also aus Not; zweitens waren in beiden Fällen wirtschaftlich tragbare Technologien vorhanden, die rasch einsetzbar waren – hier die Aufforstung, da der Ersatz ozonschädigender Stoffe, womit die finanziellen Risiken klein blieben. Entscheidend aber war bei beiden Momenten drittens, dass es ein klar definiertes Ziel gab, das von allen Involvierten geteilt werden konnte: einerseits der Schutz der Wälder und der (zunächst wirtschaftlichen, später auch ästhetischen) Nutzung derselben, andererseits der Fortbestand der Ozonschicht und des Schutzes vor der tödlichen UV-Strahlung.
Oder es ist zu spät
Aber keines der drei Elemente ist gegeben, um in der heutigen Zeit in Klimafragen rasch zu einem tragfähigen, minimalen Konsens über die Strategien zur Dekarbonisierung zu kommen.
Die wirtschaftlich tragbaren, neuen und nachhaltigen Technologien sind zwar vorhanden; die Studien, die belegen, dass eine fossilfreie Energieversorgung industrialisierter Länder möglich ist, füllen Regale. Und selbst im Flug- und Schiffsverkehr bahnen sich Lösungen an, die Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe ersetzen. Aber die Politik hat es bisher verpasst, der Wirtschaft so harte Auflagen zu machen, dass der Schritt hin zu den neuen Technologien auch rasch und effektiv getan wird, und aus eigenen, kurzfristigen Rentabilitätsüberlegungen bewegt sich die Wirtschaft nicht; die neuen erneuerbaren Energiequellen gelten noch immer als exotisch; effiziente und effektive Technologien haben den Durchbruch noch immer nicht geschafft.
Nach wie vor ist die Wirtschaft fossil fixiert, selbst wenn sie weiss, was der Stern-Bericht bereits 2006 vorgerechnet hat – dass die Folgen des Klimawandels bis Ende des Jahrhunderts bis zu 20 Prozent des Bruttoinhaltprodukts kosten werden, dass also die eigenen, primären Interessen nach wirtschaftlichem Gewinn längerfristig auf dem Spiel stehen. Das Schutzziel, das sich leicht durch eine Anlehnung an die Nachhaltigkeitsdiskussion in der Forstwirtschaft anschaulich definieren liesse, indem ein Konsens darüber hergestellt wird, dass man der Atmosphäre nicht mehr CO2 zuführen will, als sie aufnehmen und transformieren kann – dieses Schutzziel ist nicht konsensfähig, nicht einmal mehrheitsfähig; denn es würde die Anerkennung einer globalen 2000-Watt-Gesellschaft oder der Ein-Tonnen-CO2-Gesellschaft beinhalten.
Und die Not? Die Not wird beim Klimaproblem nicht anschaulich, nicht sichtbar und fassbar wie beim Wald oder beim Ozonloch, weil sich das Klima dynamisch verhält. Selbst ein heisser Sommer beunruhigt nur temporär, CO2 ist unsichtbar, und die Schäden sind in den reichen Ländern des Nordens reparierbar. Not entsteht offenbar auch nicht durch gesicherte wissenschaftliche Prognosen, wonach das Klima „kippen“ kann, dass also unkontrollierbare Kettenreaktionen, Reboundeffekte und gegenseitige Verstärkungen ausgelöst werden können. Not wird wohl erst dann spürbar, wenn entfesselte Waldbrände, überflutete Küsten, tödliche Dürren den Planeten überziehen.
Aber dann ist es zu spät.
Erstveröffentlichung: 16. September 2018
Christoph Keller, Benzin aus Luft. Eine Reise in die Klimazukunft, Reportagen und Essays, Zürich: rotpunkt 2019