Der amerikanische Publizist Thomas Frank beobachtet seit Jahren die paradoxen Dynamiken innerhalb der Republikanischen Partei. Seine Bücher und Artikel helfen zu verstehen, warum die Demokraten weiter ‚das Volk‘ an die Republikaner verlieren, obwohl deren Politik die Klassengegensätze nur verschärft.

  • Matthias Meindl

    Matthias Meindl ist Slavist und habilitiert sich an der Universität Zürich mit einer Arbeit zur sexuellen Revolution in Jugoslawien um 1968. Zuletzt hat er mit Georg Witte Kirill Medvedevs "Antifaschismus für alle" herausgegeben.

Noch während der ersten Amts­zeit von George W. Bush (2001-2004) stellte sich der Histo­riker, Publi­zist und Akti­vist Thomas Frank in einer Recherche in seinem Heimat­staat Kansas die Frage, wie es sein kann, dass dieser Prairie-Staat, „der vor hundert Jahren stets als Brut­stätte linker Reform­be­we­gungen galt“, nunmehr einen Teil der Macht­basis der Repu­bli­ka­ni­schen Partei bildet. Frank hatte einen Teil seiner Kind­heit in der Stadt Mission Hills verbracht, die heut­zu­tage zu einer der reichsten Gemeinden der USA zählt. Östlich von Mission Hills erstre­cken sich hingegen von einer verarmten Arbei­ter­klasse geprägte Landstriche.

Hier wie dort wird mitt­ler­weile repu­bli­ka­nisch gewählt. In den Villen jedoch wohnen die ‚mods‘, die gemä­ßigten Repu­bli­kaner mit wirt­schafts­li­be­ralen Ansichten, die sich eher ‚fort­schritt­lich‘ in kultu­rellen Konflikten wie Abtrei­bung, Zuwan­de­rung und Homo­se­xua­lität posi­tio­nieren. In den Sperr­holz­häu­sern, von denen die Farbe abblät­tert, wohnen hingegen die ‚cons‘, die sich radi­ka­li­sie­renden, aufrüh­re­ri­schen Repu­bli­kaner. Nicht nur in kultu­rellen Fragen stehen diese rechts der ‚mods‘, ja sie nennen diese sogar oft einfach ‚libe­rals‘ – eine Bezeich­nung, die eigent­lich für den poli­ti­schen Gegner, die Anhänger der Demo­kraten reser­viert ist.

Frank stellte nach seiner Recherche der gängigen stereo­typen Land­karte der Verei­nigten Staaten mit ihren ‚blauen‘ (demo­kra­ti­schen) Küsten­re­gionen und dem tief­roten (repu­bli­ka­ni­schen) Landes­in­neren ein anderes Mapping gegen­über. Sein Mapping konzen­trierte sich auf die soziale und räum­liche Rela­tion der aufsäs­sigen ‚cons‘ von Kansas, der ‚Nach­fahren‘ der linken Aufrührer des Prärie­staats zur konser­va­tiven Ober­schicht. Im bitter-komischen Bild eines Aufstands der relativ Unter­pri­vi­le­gierten gegen die verhasste Elite hat Frank das Para­doxe dieser Situa­tion beschrieben:

So paradox diese Situa­tion erscheinen mag, ist sie doch nicht atypisch. Die Ameri­kaner erleben seit Jahr­zehnten einen popu­lis­ti­schen Aufstand, der nur denen nützt, gegen die er sich vermeint­lich richtet. Was wir in Kansas sehen, ist nur eine extreme Ausprä­gung dieser rätsel­haften Situa­tion. Die zornigen Arbeiter, gewaltig an Zahl, marschieren unwi­der­steh­lich gegen die Arro­ganten auf. Sie drohen den Söhnen des Privi­legs mit den Fäusten. Sie lachen über das affek­tierte Gehabe der feinen Pinkel. Sie ballen sich vor den Toren von Mission Hills zusammen, hissen die schwarze Fahne der Rebel­lion, und während die Millio­näre in ihren Villen zittern, brüllen sie ihre Furcht erre­gende Forde­rungen heraus. „Wir sind hier“, schreien sie, „um eure Steuern zu senken“.

Mit der Wahl eines Chefs eines multi­na­tio­nalen Konzerns ins höchste Staatsamt, der vorgibt, Politik für die Abge­hängten zu machen, hat die große Inver­sion allen Anzei­chen nach eine neue Stufe erklommen.

Nur eine schlechte Regie­rung ist eine gute Regie­rung

Donald Trump is right but a hypo­crite“ ist der provo­zie­rende Titel eines neueren Podcasts mit Frank. Es ist absehbar, dass die ‚popular revo­lu­tion‘ die Bürger weiter enteignen und einer mühsam aufge­bauten schüt­zenden Staat­lich­keit berauben wird. Damit läge der neue Präsi­dent in der Tradi­tion repu­bli­ka­ni­schen Regie­rens seit der von Ronald Reagan 1981 einge­lei­teten konser­va­tiven Revo­lu­tion. Frank hat die Maschi­nerie der Zerstö­rung des Staats und des Vertrauens seiner Bürger in Staat­lich­keit bereits 2008 in The Wrecking Crew: How Conser­va­tives Rule analy­siert. Er zeigt etwa, wie jene staat­li­chen Behörden, die in der Erfül­lung ihrer Schutz­funk­tion (für Bürger, Konsu­menten, Arbeit­nehmer) mit Kapi­tal­in­ter­essen in Konflikt geraten müssen, kaputt­ge­spart und als Arbeits­platz für begabte Studi­en­ab­gänger unat­traktiv gemacht werden. Die Beset­zung der Chef­posten dieser Behörden mit loyalen, aber fach­lich uner­fah­renen repu­bli­ka­ni­schen Freunden oder gar mit Personen, die öffent­lich die Grund­funk­tion oder Exis­tenz­be­rech­ti­gung der jewei­ligen Behörde in Frage gestellt haben, ist eine weitere solche seit der Reagan-Ära ausge­wei­tete ‚Regie­rungs­technik‘ der Republikaner.

Trump verhielt sich genau nach diesem von Frank 2008 analy­sierten Muster, indem er den Rivalen im Vorwahl­kampf Ben Carson zum Direktor der Bundes­be­hörde für Wohnungsbau und Stadt­ent­wick­lung machte, obwohl dieser inte­gra­ti­ons­för­dernde Wohn­rechts­be­stim­mungen als ‚social engi­nee­ring‘ denun­ziert hatte. Auch der unlängst vorge­stellte Haus­halts­plan des neuen Präsi­denten sieht starke Kürzungen in fast allen Behörden bis auf Vertei­di­gung und Home Land Secu­rity vor. Die zyni­sche Logik der repu­bli­ka­ni­schen Staats­feinde ist, wie Frank schon in The Wrecking Crew ausführte, dass nur eine schlechte Regie­rung eine gute Regie­rung ist, eine gute Regie­rung hingegen das schlimmste sei, was Amerika, dessen Wohl­stand vermeint­lich auf dem unge­hin­derten Funk­tio­nieren des Markts basiere, passieren könne.

Wie konnte der Markt­glaube gestärkt aus der Finanz­krise hervorgehen?

Die ideo­lo­gi­sche Basis für diese ‚Regie­rungs­technik‘, ein radi­kaler Glaube an den freien Markt, zeigt ein fast schon über­ir­di­sches Poten­zial, sich gegen die Anfein­dungen durch die sozio­öko­no­mi­sche Realität zu behaupten. In One Market Under God (2000) rekon­stru­ierte Frank die Entste­hung eines ‚market popu­lism‘ in den 1990er Jahren, einer Welt­an­schauung, der gemäß der freie, entre­gu­lierte Markt die eigent­lich demo­kra­ti­sche Orga­ni­sa­ti­ons­form der Gesell­schaft sei, während der Staat eine ‚elitäre‘, korrupte, anachro­nis­ti­sche Form der gesell­schaft­li­chen Regu­lie­rung darstelle. Dementspre­chend voll­zogen die Demo­kraten unter Bill Clinton den Schul­ter­schluss mit Wall Street und Tech-Industrie. Und ein gutes Jahr­zehnt später, nach der parti­ellen Entmach­tung von Barack Obama in den mid-term-elections 2010, machte Frank dem Leser das unglaub­lich Irri­tie­rende der Situa­tion deut­lich: Zwei Jahre nach der schlimmsten Finanz­krise seit 1929 war es zu keiner Renais­sance ‚linker‘ Verwaltungs- und Sozi­al­staat­lich­keit, zu keinem ‚New Deal‘ gekommen. Franks funda­men­tale Kritik an Barack Obama in Pity the Millionaire (2011) war, dass er die Wut der Menschen ange­sichts der in der Krise entstan­denen riesigen Vermögens- und Chan­cen­ver­luste nicht genutzt hatte, um eine – das Wort ist posi­tiver besetzt bzw. ambi­va­lent im Ameri­ka­ni­schen – ‚popu­lis­ti­sche‘ Bewe­gung zur sozialen Erneue­rung des Landes zu schaffen. Die Macht­ver­hält­nisse wurden nach Franks Einschät­zung nicht grund­le­gend verän­dert und das Bedürfnis der Menschen nach Bestra­fung der Verant­wort­li­chen nicht befriedigt.

Viel­mehr wurden die brach­lie­genden Affekte von den Konser­va­tiven aufge­griffen, denen eine erneute irri­tie­rende Inver­sion gelang. In der Erzäh­lung der Tea Party Bewe­gung hatte sich der Staat nun gerade durch die Rettung der Banken, mehr noch aber durch die Rettung verschwen­de­ri­scher Eigenheim-Käufer am Markt vergangen. Eine beson­ders absurde ‚Umwer­tung der Werte‘ schil­derte Frank am Beispiel eines Wirt­schafts­jour­na­listen, der die Regie­rung dafür ächtete, dass sie in Bedrängnis gera­tene Eigen­heim­be­sitzer zu schützen suchte – denn damit würden ‚hart arbei­tende‘ Broker um die Früchte ihrer Arbeit gebracht.

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Lang­fristig habe sich, so Frank, bei den Konser­va­tiven die Erzäh­lung durch­ge­setzt, nicht der Finanz­sektor, sondern die Regie­rung habe Schuld an der Finanz­krise gehabt, und zwar nicht etwa, weil sie jenen nicht genug regu­liert habe, sondern weil sie immer schon, qua natura gleichsam, das harmo­ni­sche Funk­tio­nieren des Marktes störe. Äußerst erhel­lend ist hier Franks Analyse, nach der die ‚frei­heits­lie­bende‘ repu­bli­ka­ni­sche Basis sich zu einem nicht uner­heb­li­chen Teil aus selbst­stän­digen ‚kleinen Unter­neh­mern‘ rekru­tiert. Über den Formu­laren zur Einkom­mens­steuer brütend, ‚leiden‘ diese ja tatsäch­lich unter dem Staat. Den Unter­schied, den ihr Verhältnis zum Staat von jenem einer milli­ar­den­schweren Investment-Bank oder eines globalen Konzerns trennt, verkennen und beklagen sie gleich­zeitig (als vom inter­ven­tio­nis­ti­schen Staat verschuldet). Insge­samt erscheint es eher unwahr­schein­lich, dass die Repu­bli­kaner wirk­lich einen – etwa nationalistisch-protektionistischen – Ausgleich zwischen ‚market popu­lism‘ einer­seits und ande­rer­seits der von Frank im deindus­tria­li­sierten Westen vorge­fun­denen und von Trump bedienten Stim­mung gegen multi­na­tio­nale Konzerne und Frei­handel suchen werden.

Less govern­ment in busi­ness! More busi­ness in government!

Viel­leicht ist es nicht so revo­lu­tionär, dass nun ein Geschäfts­mann den Sumpf von ‚Washington‘ trocken­legen möchte? Denn ist es nicht der stets revi­ta­li­sie­rende Grund­my­thos der Repu­bli­ka­ni­schen Partei, dem System als Besatzer, als Außen­seiter gegen­über­zu­stehen? Schon gemäß Franks Analyse in The Wrecking Crew (2008) wähnt der Konser­va­tive sich nie als zu ‚Washington‘ gehörig, und er beschul­digt die Staats­be­diens­teten verschwen­de­risch und korrupt zu sein und ledig­lich Klien­tel­po­litik zu betreiben. Das Wort ‚Gemein­wohl‘, so ist sich der Konser­va­tive sicher, führten nur Trick­be­trüger im Mund. Aller­dings diagnos­ti­ziert Frank – analog zur Analyse eines Klas­si­kers der ameri­ka­ni­schen Publi­zistik, The Para­noid Style in American Poli­tics (1964) von Richard Hofstadter –, dass der Konser­va­tive an der Macht sich ironi­scher­weise in einer Art Mimikry an das von ihm imagi­nierte Bild seines Erzfeindes angleicht. Der Konser­va­tive betreibt demnach den syste­ma­ti­schen Ausver­kauf staat­li­cher Funk­tionen an den privaten Sektor, sei es im besetzten Irak oder im vom Hurri­kane verwüs­teten New Orleans. Wenn die mit den Verträgen bedachten poli­ti­schen Freunde sich dann in Form von Partei­spenden revan­chieren, dann funk­tio­niert das System ganz im konser­va­tiven Sinne: Es finan­ziert den weiteren poli­ti­schen Rechts­ruck und entzieht gleich­zeitig den ‚linken‘ Inter­essen die Mittel.

Politik ist für die Repu­bli­kaner natur­gemäß selbst ‚big busi­ness‘, und die repu­bli­ka­ni­sche Bewe­gung garan­tiert jedem halb­wegs talen­tierten Politikwissenschafts- oder Jura-Absolventen heute ein fettes Einstiegs­ge­halt, wenn er Teil der konser­va­tiven Meinungs- und Lobby­ma­schi­nerie werden möchte. Frank analy­siert die konser­va­tive Revo­lu­tion als Geschäfts- und Karrie­re­mo­dell. Idea­lismus und Gier bilden in dieser Welt keinen Wider­spruch mehr.

Eine Erneue­rung der eins­tigen „Party of the People“?

Quelle: www.adelaidefestival.com

Franks hat sich in seinem neuesten Buch Listen, Liberal (2016) der Frage gewidmet, wie die Demo­kra­ti­sche Partei ihre tradi­tio­nellen Wähler verlieren konnte. Unbarm­herzig stellt er fest, dass die Werte und Rezepte der aufge­klärten Professionellen-Klasse, die von den Demo­kraten in den USA seit der Präsi­dent­schaft Clin­tons vertreten werden, andere tradi­tio­nelle Wähler­schichten nicht errei­chen. Die eindi­men­sio­nale Beto­nung von ‚Bildung‘ als sozi­al­po­li­ti­sches Rezept reiche nicht aus, das immens gewor­dene Problem der Ungleich­heit in der US-amerikanischen Gesell­schaft, die Klas­sen­pro­ble­matik, zu adres­sieren. Und ohne ein gewisses Maß an Gleich­heit, gibt es, so Franks Über­zeu­gung, keine Demo­kratie. Frank ist auch davon über­zeugt, dass die Wert­hal­tungen der profes­sio­nellen Klasse die Demo­kra­ti­sche Partei an einem ‚popu­lis­ti­schen‘ Poli­tik­stil hindern, der Erzäh­lungen bereit­stellt, mit denen bildungs­ferne Schichten erreicht werden können. Warum? Weil ein in Nadel­streifen gewan­deter Krisen­stab aus Präsi­dent und Wall-Street-Bankern, der ganz ‚cool‘ und ‚profes­sio­nell‘ auf das Einstürzen des Finanz­sys­tems reagiert, ästhe­tisch und affektiv vor allem die gut gebil­deten ‚profes­sio­nals‘ zufrie­den­stellt, die am wenigsten von der Krise berührt sein werden. Auf die anderen, so Frank, mache dies den Eindruck von „cronyism“ (Vettern­wirt­schaft).

Viel­leicht kann man also folgende Lehre aus der Lektüre Franks ziehen: Wer an eman­zi­pa­tive Politik wirk­lich glaubt, wird auch eine Anpas­sung des ‚Poli­tik­stils‘ an die Bedürf­nisse der Abge­hängten oder Unter-Druck-Geratenen für denkbar halten. Hillary Clinton hatte Trump-Sympathisanten, und damit die Abge­hängten des deindus­tria­li­sierten Mitt­leren Westens, als ‚basket of deplo­rables‘ (‚Körbe von Erbärm­li­chen‘) verspottet und so körbe­weise Wähler an Trump verschenkt. „Trump hingegen hat wenigs­tens so getan als wäre er ein Freund der arbei­tenden Bevöl­ke­rung.“ Frank fordert nicht, man solle den Rechts­po­pu­listen nach dem Mund reden, um die Unter-Druck-Geratenen zu errei­chen. Neue linke poli­ti­sche Narra­tive sollten sie in die Lage versetzen, ihre Wut gegen die für die gesell­schaft­liche Schief­lage wirk­lich Verant­wort­li­chen zu richten.