Noch während der ersten Amtszeit von George W. Bush (2001-2004) stellte sich der Historiker, Publizist und Aktivist Thomas Frank in einer Recherche in seinem Heimatstaat Kansas die Frage, wie es sein kann, dass dieser Prairie-Staat, „der vor hundert Jahren stets als Brutstätte linker Reformbewegungen galt“, nunmehr einen Teil der Machtbasis der Republikanischen Partei bildet. Frank hatte einen Teil seiner Kindheit in der Stadt Mission Hills verbracht, die heutzutage zu einer der reichsten Gemeinden der USA zählt. Östlich von Mission Hills erstrecken sich hingegen von einer verarmten Arbeiterklasse geprägte Landstriche.
Hier wie dort wird mittlerweile republikanisch gewählt. In den Villen jedoch wohnen die ‚mods‘, die gemäßigten Republikaner mit wirtschaftsliberalen Ansichten, die sich eher ‚fortschrittlich‘ in kulturellen Konflikten wie Abtreibung, Zuwanderung und Homosexualität positionieren. In den Sperrholzhäusern, von denen die Farbe abblättert, wohnen hingegen die ‚cons‘, die sich radikalisierenden, aufrührerischen Republikaner. Nicht nur in kulturellen Fragen stehen diese rechts der ‚mods‘, ja sie nennen diese sogar oft einfach ‚liberals‘ – eine Bezeichnung, die eigentlich für den politischen Gegner, die Anhänger der Demokraten reserviert ist.
Frank stellte nach seiner Recherche der gängigen stereotypen Landkarte der Vereinigten Staaten mit ihren ‚blauen‘ (demokratischen) Küstenregionen und dem tiefroten (republikanischen) Landesinneren ein anderes Mapping gegenüber. Sein Mapping konzentrierte sich auf die soziale und räumliche Relation der aufsässigen ‚cons‘ von Kansas, der ‚Nachfahren‘ der linken Aufrührer des Präriestaats zur konservativen Oberschicht. Im bitter-komischen Bild eines Aufstands der relativ Unterprivilegierten gegen die verhasste Elite hat Frank das Paradoxe dieser Situation beschrieben:
So paradox diese Situation erscheinen mag, ist sie doch nicht atypisch. Die Amerikaner erleben seit Jahrzehnten einen populistischen Aufstand, der nur denen nützt, gegen die er sich vermeintlich richtet. Was wir in Kansas sehen, ist nur eine extreme Ausprägung dieser rätselhaften Situation. Die zornigen Arbeiter, gewaltig an Zahl, marschieren unwiderstehlich gegen die Arroganten auf. Sie drohen den Söhnen des Privilegs mit den Fäusten. Sie lachen über das affektierte Gehabe der feinen Pinkel. Sie ballen sich vor den Toren von Mission Hills zusammen, hissen die schwarze Fahne der Rebellion, und während die Millionäre in ihren Villen zittern, brüllen sie ihre Furcht erregende Forderungen heraus. „Wir sind hier“, schreien sie, „um eure Steuern zu senken“.
Mit der Wahl eines Chefs eines multinationalen Konzerns ins höchste Staatsamt, der vorgibt, Politik für die Abgehängten zu machen, hat die große Inversion allen Anzeichen nach eine neue Stufe erklommen.
Nur eine schlechte Regierung ist eine gute Regierung
„Donald Trump is right but a hypocrite“ ist der provozierende Titel eines neueren Podcasts mit Frank. Es ist absehbar, dass die ‚popular revolution‘ die Bürger weiter enteignen und einer mühsam aufgebauten schützenden Staatlichkeit berauben wird. Damit läge der neue Präsident in der Tradition republikanischen Regierens seit der von Ronald Reagan 1981 eingeleiteten konservativen Revolution. Frank hat die Maschinerie der Zerstörung des Staats und des Vertrauens seiner Bürger in Staatlichkeit bereits 2008 in The Wrecking Crew: How Conservatives Rule analysiert. Er zeigt etwa, wie jene staatlichen Behörden, die in der Erfüllung ihrer Schutzfunktion (für Bürger, Konsumenten, Arbeitnehmer) mit Kapitalinteressen in Konflikt geraten müssen, kaputtgespart und als Arbeitsplatz für begabte Studienabgänger unattraktiv gemacht werden. Die Besetzung der Chefposten dieser Behörden mit loyalen, aber fachlich unerfahrenen republikanischen Freunden oder gar mit Personen, die öffentlich die Grundfunktion oder Existenzberechtigung der jeweiligen Behörde in Frage gestellt haben, ist eine weitere solche seit der Reagan-Ära ausgeweitete ‚Regierungstechnik‘ der Republikaner.
Trump verhielt sich genau nach diesem von Frank 2008 analysierten Muster, indem er den Rivalen im Vorwahlkampf Ben Carson zum Direktor der Bundesbehörde für Wohnungsbau und Stadtentwicklung machte, obwohl dieser integrationsfördernde Wohnrechtsbestimmungen als ‚social engineering‘ denunziert hatte. Auch der unlängst vorgestellte Haushaltsplan des neuen Präsidenten sieht starke Kürzungen in fast allen Behörden bis auf Verteidigung und Home Land Security vor. Die zynische Logik der republikanischen Staatsfeinde ist, wie Frank schon in The Wrecking Crew ausführte, dass nur eine schlechte Regierung eine gute Regierung ist, eine gute Regierung hingegen das schlimmste sei, was Amerika, dessen Wohlstand vermeintlich auf dem ungehinderten Funktionieren des Markts basiere, passieren könne.
Wie konnte der Marktglaube gestärkt aus der Finanzkrise hervorgehen?
Die ideologische Basis für diese ‚Regierungstechnik‘, ein radikaler Glaube an den freien Markt, zeigt ein fast schon überirdisches Potenzial, sich gegen die Anfeindungen durch die sozioökonomische Realität zu behaupten. In One Market Under God (2000) rekonstruierte Frank die Entstehung eines ‚market populism‘ in den 1990er Jahren, einer Weltanschauung, der gemäß der freie, entregulierte Markt die eigentlich demokratische Organisationsform der Gesellschaft sei, während der Staat eine ‚elitäre‘, korrupte, anachronistische Form der gesellschaftlichen Regulierung darstelle. Dementsprechend vollzogen die Demokraten unter Bill Clinton den Schulterschluss mit Wall Street und Tech-Industrie. Und ein gutes Jahrzehnt später, nach der partiellen Entmachtung von Barack Obama in den mid-term-elections 2010, machte Frank dem Leser das unglaublich Irritierende der Situation deutlich: Zwei Jahre nach der schlimmsten Finanzkrise seit 1929 war es zu keiner Renaissance ‚linker‘ Verwaltungs- und Sozialstaatlichkeit, zu keinem ‚New Deal‘ gekommen. Franks fundamentale Kritik an Barack Obama in Pity the Millionaire (2011) war, dass er die Wut der Menschen angesichts der in der Krise entstandenen riesigen Vermögens- und Chancenverluste nicht genutzt hatte, um eine – das Wort ist positiver besetzt bzw. ambivalent im Amerikanischen – ‚populistische‘ Bewegung zur sozialen Erneuerung des Landes zu schaffen. Die Machtverhältnisse wurden nach Franks Einschätzung nicht grundlegend verändert und das Bedürfnis der Menschen nach Bestrafung der Verantwortlichen nicht befriedigt.
Vielmehr wurden die brachliegenden Affekte von den Konservativen aufgegriffen, denen eine erneute irritierende Inversion gelang. In der Erzählung der Tea Party Bewegung hatte sich der Staat nun gerade durch die Rettung der Banken, mehr noch aber durch die Rettung verschwenderischer Eigenheim-Käufer am Markt vergangen. Eine besonders absurde ‚Umwertung der Werte‘ schilderte Frank am Beispiel eines Wirtschaftsjournalisten, der die Regierung dafür ächtete, dass sie in Bedrängnis geratene Eigenheimbesitzer zu schützen suchte – denn damit würden ‚hart arbeitende‘ Broker um die Früchte ihrer Arbeit gebracht.
Langfristig habe sich, so Frank, bei den Konservativen die Erzählung durchgesetzt, nicht der Finanzsektor, sondern die Regierung habe Schuld an der Finanzkrise gehabt, und zwar nicht etwa, weil sie jenen nicht genug reguliert habe, sondern weil sie immer schon, qua natura gleichsam, das harmonische Funktionieren des Marktes störe. Äußerst erhellend ist hier Franks Analyse, nach der die ‚freiheitsliebende‘ republikanische Basis sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus selbstständigen ‚kleinen Unternehmern‘ rekrutiert. Über den Formularen zur Einkommenssteuer brütend, ‚leiden‘ diese ja tatsächlich unter dem Staat. Den Unterschied, den ihr Verhältnis zum Staat von jenem einer milliardenschweren Investment-Bank oder eines globalen Konzerns trennt, verkennen und beklagen sie gleichzeitig (als vom interventionistischen Staat verschuldet). Insgesamt erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die Republikaner wirklich einen – etwa nationalistisch-protektionistischen – Ausgleich zwischen ‚market populism‘ einerseits und andererseits der von Frank im deindustrialisierten Westen vorgefundenen und von Trump bedienten Stimmung gegen multinationale Konzerne und Freihandel suchen werden.
Less government in business! More business in government!
Vielleicht ist es nicht so revolutionär, dass nun ein Geschäftsmann den Sumpf von ‚Washington‘ trockenlegen möchte? Denn ist es nicht der stets revitalisierende Grundmythos der Republikanischen Partei, dem System als Besatzer, als Außenseiter gegenüberzustehen? Schon gemäß Franks Analyse in The Wrecking Crew (2008) wähnt der Konservative sich nie als zu ‚Washington‘ gehörig, und er beschuldigt die Staatsbediensteten verschwenderisch und korrupt zu sein und lediglich Klientelpolitik zu betreiben. Das Wort ‚Gemeinwohl‘, so ist sich der Konservative sicher, führten nur Trickbetrüger im Mund. Allerdings diagnostiziert Frank – analog zur Analyse eines Klassikers der amerikanischen Publizistik, The Paranoid Style in American Politics (1964) von Richard Hofstadter –, dass der Konservative an der Macht sich ironischerweise in einer Art Mimikry an das von ihm imaginierte Bild seines Erzfeindes angleicht. Der Konservative betreibt demnach den systematischen Ausverkauf staatlicher Funktionen an den privaten Sektor, sei es im besetzten Irak oder im vom Hurrikane verwüsteten New Orleans. Wenn die mit den Verträgen bedachten politischen Freunde sich dann in Form von Parteispenden revanchieren, dann funktioniert das System ganz im konservativen Sinne: Es finanziert den weiteren politischen Rechtsruck und entzieht gleichzeitig den ‚linken‘ Interessen die Mittel.
Politik ist für die Republikaner naturgemäß selbst ‚big business‘, und die republikanische Bewegung garantiert jedem halbwegs talentierten Politikwissenschafts- oder Jura-Absolventen heute ein fettes Einstiegsgehalt, wenn er Teil der konservativen Meinungs- und Lobbymaschinerie werden möchte. Frank analysiert die konservative Revolution als Geschäfts- und Karrieremodell. Idealismus und Gier bilden in dieser Welt keinen Widerspruch mehr.
Eine Erneuerung der einstigen „Party of the People“?

Quelle: www.adelaidefestival.com
Franks hat sich in seinem neuesten Buch Listen, Liberal (2016) der Frage gewidmet, wie die Demokratische Partei ihre traditionellen Wähler verlieren konnte. Unbarmherzig stellt er fest, dass die Werte und Rezepte der aufgeklärten Professionellen-Klasse, die von den Demokraten in den USA seit der Präsidentschaft Clintons vertreten werden, andere traditionelle Wählerschichten nicht erreichen. Die eindimensionale Betonung von ‚Bildung‘ als sozialpolitisches Rezept reiche nicht aus, das immens gewordene Problem der Ungleichheit in der US-amerikanischen Gesellschaft, die Klassenproblematik, zu adressieren. Und ohne ein gewisses Maß an Gleichheit, gibt es, so Franks Überzeugung, keine Demokratie. Frank ist auch davon überzeugt, dass die Werthaltungen der professionellen Klasse die Demokratische Partei an einem ‚populistischen‘ Politikstil hindern, der Erzählungen bereitstellt, mit denen bildungsferne Schichten erreicht werden können. Warum? Weil ein in Nadelstreifen gewandeter Krisenstab aus Präsident und Wall-Street-Bankern, der ganz ‚cool‘ und ‚professionell‘ auf das Einstürzen des Finanzsystems reagiert, ästhetisch und affektiv vor allem die gut gebildeten ‚professionals‘ zufriedenstellt, die am wenigsten von der Krise berührt sein werden. Auf die anderen, so Frank, mache dies den Eindruck von „cronyism“ (Vetternwirtschaft).
Vielleicht kann man also folgende Lehre aus der Lektüre Franks ziehen: Wer an emanzipative Politik wirklich glaubt, wird auch eine Anpassung des ‚Politikstils‘ an die Bedürfnisse der Abgehängten oder Unter-Druck-Geratenen für denkbar halten. Hillary Clinton hatte Trump-Sympathisanten, und damit die Abgehängten des deindustrialisierten Mittleren Westens, als ‚basket of deplorables‘ (‚Körbe von Erbärmlichen‘) verspottet und so körbeweise Wähler an Trump verschenkt. „Trump hingegen hat wenigstens so getan als wäre er ein Freund der arbeitenden Bevölkerung.“ Frank fordert nicht, man solle den Rechtspopulisten nach dem Mund reden, um die Unter-Druck-Geratenen zu erreichen. Neue linke politische Narrative sollten sie in die Lage versetzen, ihre Wut gegen die für die gesellschaftliche Schieflage wirklich Verantwortlichen zu richten.