Kaffee verkörpert das 21. Jahrhundert wie kein anderes Getränk – nüchtern und „to go“. Doch Kaffee galt auch als Getränk des 18. Jahrhunderts – als Getränk der bürgerlich-nüchternen Aufklärung – und später als Getränk der industriellen Revolution. Seit dem 18. Jahrhundert jedenfalls wuchs der weltweite Kaffeekonsum stetig an, im 20. Jahrhundert wurde er dann durch neue technische Errungenschaften wie die Patentierung der ersten Espressomaschine und durch die Verbreitung von Instantkaffee endgültig demokratisiert. Kaffee eroberte die letzten ehemals nicht koffeinierten Ecken der Welt; heute werden weltweit jeden Tag mehr als zwei Milliarden Tassen Kaffee getrunken.
Ist der Kaffee ein grosser Gleichmacher? Wenn man über die verwirrende Vielfalt der Zubereitungsarten und Konsumformen hinweg sieht, zweifellos. Damit gerät allerdings aus dem Blick, dass die weltweite Kaffeeproduktion – konkret die Anbaubedingungen und die Lieferkette – immer noch deutlich von den Nachwirkungen des Kolonialismus geprägt ist. Und es ist auch noch nicht lange her, dass die Bilder der Kaffeewerbung regelmässig koloniale Stereotypen transportiert haben (nach dem Muster: dunkle Haut, schöne Augen und schwarzer Kaffee). Wenn der Eindruck nicht täuscht, sind solche Formen der rassistischen Exotisierung in der Kaffeewerbung heute zwar weitgehend verschwunden (stattdessen lächelt der über jeden Verdacht erhabene George Clooney hinter der Nespresso-Tasse). Man kann nur hoffen, dass das so bleibt – und sich zum Beispiel mit einem Blick ins koloniale Algerien des 19. Jahrhunderts vor Augen führen, dass in Europa auch schon ganz anders über Kaffee und die „Anderen“ gesprochen wurde.
Denn an diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie eng der Konsum von Kaffee und das Sprechen über seine unterschiedlichen physischen und mentalen Auswirkungen mit Theorien über Rassen- und Geschlechterunterschiede verbunden war. Die Beschreibungen der unterschiedlichen physischen und intellektuellen Folgen des Kaffeekonsums bei Franzosen und Muslimen einerseits und bei Kaffeetrinkerinnen und Kaffeetrinkern andererseits passte sowohl zu den zeitgenössischen Vorstellungen tiefgreifender Unterschiede zwischen den Geschlechtern als auch zu den Theorien des biologischen Rassismus, die damals vorherrschten. Kaffee „bewies“, dass männliche und weibliche Körper verschiedener „Rassen“ unterschiedlich genug waren, um „anders“ auf äussere Faktoren wie Klima, natürliche Umwelt oder eben auch Nahrungs- und Genussmittel zu reagieren. In den Köpfen der französischen Kolonialärzte bedeutete dieses „anders“ gewöhnlich „minderwertig“, und die angeblich unterschiedlichen „Erfahrungen“ mit Kaffee rechtfertigten für diese Ärzte daher auch die unterschiedliche Behandlung von Kolonisierten und Frauen.
Das Getränk von Kolonialsoldaten und Siedlern

Intellektuellentreffpunkt: Das Café de Flore in Paris, 1920er Jahre; Quelle: pinterest.com
In der französischen Kolonie Algerien hatte sich das Getränk der Aufklärung frühzeitig etabliert, und war daher ebenso Teil der Kultur der Kolonisierten wie der Kolonisierenden. Die Beschreibungen in kolonialen medizinischen Handbüchern, Zeitungsartikeln und Reiseberichten von kaffeetrinkenden europäischen Siedlern und kolonisierten Muslimen einerseits und von Frauen und Männern andererseits unterschieden sich jedoch stark. Während Kaffee, ein Getränk, das ursprünglich aus Äthiopien und dem Jemen stammte, im 19. Jahrhundert in Europa zum Träger von Vernunft, Industrialisierung und Zivilisation, ja zum „intellektuellen Getränk“ schlechthin wurde, zeigten sich diese positiven Eigenschaften in den Augen der Europäer ausserhalb von Europa jedoch nicht oder nur unzureichend.
Seit dem Beginn seiner Verbreitung im 17. Jahrhundert hatten Ärzte in Europa diskutiert, ob Kaffee nun „hygienisch“ oder vielmehr „gefährlich“ war. Im 19. Jahrhundert erreichten die medizinischen Kreise einen Konsens: Kaffee galt als eines der wenigen gesunden Getränke. Der französische Marinearzt Pierre-Just Navarre erklärte 1895, Kaffee sei ein „hygienisches“ Getränk auf der ganzen Welt, „aber das hygienischste [Getränk], das es in den Tropen gibt.“
Während der militärischen Eroberung und anschliessenden Kolonialisierung Algeriens im 19. Jahrhundert fühlten sich die Franzosen einem feindlichen Klima ausgesetzt und suchten nach Möglichkeiten, diesen Nachteil auszugleichen. In diesem Kontext wurde Kaffee als Heilgetränk entdeckt und galt sogar als Schutz vor Malaria. Da Kaffeepulver leicht zu transportieren war, konnten französische Siedler und Soldaten selbst in den abgeschiedensten Ecken Algeriens Kaffee trinken. Später kauften französische Soldaten und Zivilisten gemahlenen Kaffee von europäischen Kaufleuten und von lokalen algerischen Händlern und tranken Kaffee in den französischen Cafés, die die Ausbreitung der Armee begleiteten.
Als regierende Minderheit in Algerien, umgegeben von einer unterdrückten Mehrheit, fürchteten sich die französischen Siedler davor, ihre Herrschaft zu verlieren. Sie tranken Kaffee, weil sie davon ausgingen, dass Kaffee sie vor Krankheiten schützte und ihren Körper und Geist mit Energie versorgte. All dies führte dazu, dass Kaffee regelmässig als wichtiger Bestandteil der Kolonisierung der Region eingestuft wurde. So erklärte der berühmte französische Arzt Apollinaire Bouchardat im Jahr 1887 ohne einen Hauch von Ironie: „Ohne Kaffee wären einige Teile unseres Algeriens für europäische Siedler unbewohnbar gewesen.“
Die Trägheit in den Cafés

Kaffeehaus in Algir, ca. 1899; Quelle: wdl.org
Im Algerien des 19. Jahrhunderts kombinierten französische Autoren allerdings den noch relativ neuen Konsens über die gesundheitlichen Vorteile von Kaffee mit zeitgenössischen Rassentheorien. Kaffee wurde für sie zu einem Symbol für exotische Trägheit und Zeitlosigkeit, wenn er von Muslimen konsumiert wurde. Die physischen und intellektuellen Vorteile, die sich französische Soldaten und Siedler vom Konsum von Kaffee erhofften, fehlten völlig in Beschreibungen von muslimischen Kaffeetrinkern. Ihr Kaffeekonsum wurde im Gegenteil als bedenklicher Verlust für Frankreich beschrieben, da sie ihre Zeit produktiv in den Fabriken, Bauernhöfen und Haushalten der Franzosen hätten verbringen können, während sie den ganzen Tag sorglos plaudernd, Kaffee trinkend und rauchend in Cafés verbringen würden. In Beschreibungen von traditionellen muslimischen Kaffeehäusern vermischten sich orientalistische Fantasien, rassistische Vorurteile und wirtschaftliche Ängste.
Der französische Arzt Adolphe Armand etwa beschrieb im Jahr 1859 arabische Männer, die den ganzen Tag ihr „Lieblingsgetränk“ im Café zu sich nahmen und behauptete, „der müssige Maure, und das ist er oft, verbringt 4/5 seines Traumlebens“ damit, Kaffee zu trinken und zu rauchen – eine gewaltige Zeit- und Produktivitätsverschwendung. Der offensichtlichste Effekt, den Kaffee demnach auf algerische Muslime hatte, war die Steigerung einer Tendenz zur Untätigkeit, von der viele Kolonialbeamte und Mediziner ohnehin vermuteten, dass sie ein allgemeines „Rassemerkmal“ sei.
Kaffee und weibliche Körper
Während Kaffee in Algerien allen europäischen Männern empfohlen wurde, galt diese Empfehlung nicht für europäische Frauen. Das „Getränk der Vernunft“ galt als besser geeignet für Männer als für Frauen, da angenommen wurde, dass Frauenkörper anders auf die Substanz reagierten. So argumentierten Mediziner, dass Frauen leichter kaffeesüchtig würden als Männer. Während französische Männer die zusätzliche Stimulation durch Kaffee im feindlichen Klima und Kontext von Algerien benötigten, galt für französische Frauen Zurückhaltung beim Kaffeekonsum. Dies lag nicht daran, dass französische Frauen gemäss den damaligen medizinischen Auffassungen keine zusätzliche Energie benötigten, sondern daran, dass ihre Beteiligung an der Aufrechterhaltung der französischen Kolonialmacht – sowie allgemeiner in der Politik und Geistesarbeit – als weniger bedeutend angesehen wurde. Kein Grund also, sie der Suchtgefahr auszusetzen.
Vergleichbar mit den Unterschieden der Beschreibung von kaffeetrinkenden europäischen und muslimischen Männern, hing die Beschreibung des Kaffeekonsums von Frauen ebenfalls davon ab, ob die Trinkende den Kolonisierten oder den Kolonisierenden angehörte. Analog zu den Beschreibungen französischer Frauen nahmen Ärzte an, dass muslimische Frauen „anders“ Kaffee konsumierten als Männer und dass ihre Körper anders auf den Konsum reagierten. Das Kaffeetrinken muslimischer Frauen war den französischen Beobachtern während der gesamten Kolonialzeit Algeriens grösstenteils verborgen, was sie jedoch nicht davon abhielt, sich den Konsum vorzustellen und ihn sogar abzubilden und zu beschreiben. In der kolonialen Weltsicht waren nicht nur Algerien, sondern die ganze muslimische Welt mit Frauen bevölkert, die in Harems sassen und Kaffee tranken. Auch hier war der Kaffee, mit anderen Worten, ein Symbol für Trägheit, aber für eine begehrenswerte und prickelnde Form der Trägheit, die europäische Beobachter faszinierte.
Anderer Kaffee, „andere“ Menschen

Albert Guillaume, Caféine du Yémen, moulue. Café de santé, ca. 1890; Quelle: bnf.fr
Diese Faszination mit muslimischen Kaffeekonsumentinnen ist auch in französischen Werbungen der damaligen Zeit zu beobachten. Verschiedene Kaffeeprodukte illustrierten Darstellungen von exotisierten muslimischen Frauen, die Kaffee zubereiteten, servierten oder tranken. Französinnen und Franzosen, die in Frankreich selbst ihren Kaffee tranken, für den mit solchen orientalistischen Fantasien geworben worden war, kannten die medizinischen Theorien höchst wahrscheinlich nicht, die vor den Folgen des Kaffeekonsums in Algerien und vor allem für Algerierinnen warnten. Für sie verband sich mit dem Morgenkaffee zwar das Bild eines begehrenswerten Orients, die Gefahren des kolonialen weiblichen Kaffeekonsums wichen hier jedoch wieder seinen rationalen und belebenden Aspekten.
Die Trinkgewohnheiten von algerischen Männern und Frauen wurden von französischen Autoren über die ganze Kolonialzeit hinweg als „anders“ dokumentiert: Die Kolonisierten tranken zu anderen Tageszeiten und an anderen Orten als Franzosen und ihre Körper reagierten anders auf die Substanz. Kaffee führte zu Trägheit und mangelnder Produktivität, anstatt, wie bei Franzosen, zu Gesundheit und Energie. Oft aber wurden nicht nur die Konsumenten, sondern auch der konsumierte Kaffee selbst als zutiefst unterschiedlich beschrieben. Während Franzosen gemahlenen Kaffee zu gekochtem Wasser gaben, erhitzten die Algerier Wasser und Kaffeepulver zusammen. Anstatt dem Getränk eine kleine Menge Zucker, Milch und oft auch Alkohol zuzufügen – wie die zivilisierten Franzosen –, wurde den Algeriern regelmässig entrüstet vorgeworfen, ihrem Getränk unzumutbare Mengen Zucker und manchmal sogar Gewürze beizufügen, was das sonst so vertraute Getränk den französischen Beobachtern zugleich fremd und verdächtig erscheinen liess. Diese Exotisierung eines im Wesentlichen vertrauten Produkts erscheint damit als der letzte Schritt der kolonialen Anstrengung, einen künstlichen Abstand in einer ansonsten geteilten Gewohnheit zwischen den Kolonisierenden und Kolonisierten zu schaffen.
Aus den heutigen Diskursen über „kulturelle“ Differenz und die „Anderen“ ist der Kaffee längst herausgerutscht. Aber die Schilderungen von muslimischen Männern als faul und masslos und von muslimischen Frauen als mysteriös, sinnlich und träge sind geblieben – als Echos medizinischer Kolonialdiskurse. Auch wenn heute kein Rassist noch länger über Kaffee spricht und die Kaffeewerbung nicht mehr das schwarze Getränk metaphorisch mit People of Color in Zusammenhang bringt, sollte man die langfristige Wirkmächtigkeit solche Bilder und Vorstellungen nicht unterschätzen. Kaffee war schliesslich nur ein Beispiel.