Es gibt wohl kaum ein anderes Wort, das man in jüngster Zeit so derart zu ruinieren versucht hat wie das Wort ‚Alternative‘: alternative Fakten, alternative Medien, Alternative für Deutschland, Junge Alternative, Alt-Right.
Vor kurzem waren die Alternativen noch ein paar langhaarige Hippies oder demonstrierende linke Aktivisten oder Reformökosozialisten der DDR, die sich für andere Lebens- und Wirtschaftsmodelle engagierten. Sie gründeten 1978 die Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), gaben alternative Medien heraus, meist im Eigenverlag und auf schlechtem Papier, kämpften für alternative Energien und machten alternative Musik. Aus diesem Grund wurden sie auch selbst die Alternativen genannt. Jetzt dient das Wort als Tarnung für diejenigen, die genau diese alternativen Lebensformen abgrundtief hassen und wieder rückgängig machen wollen, um sie gegen das einzutauschen, wogegen die alten Alternativen einst kämpften: Heteronormativität, Nationalismus, autoritäre Politik im Namen des Volkes, Umweltverschmutzung, Sozialdarwinismus, Rassismus, Misogynie etc.
Müssen wir also künftig zwischen alten Alternativen und neuen Alternativen unterscheiden? Oder zwischen ‚richtigen‘ Alternativen und ‚falschen‘ – Fake-Alternativen? Und warum wird das Wort überhaupt wieder so eifrig verwendet? Und seit wann?
Alternative und Alternative
Wenn ‚Alternative‘ bedeutet, entweder die Möglichkeit zu haben, zwischen zwei Optionen entscheiden zu können, oder einfach eine andere Möglichkeit zu sehen als die bisher bekannte, dann ist es absurd, z.B. Nationalismus, Heteronormativität und Rassismus als Alternative zu denken. Es ist widersinnig, etwas als Alternative zu denken, das etwas anderes (alter lat. das Andere) programmatisch ausschließt. Das ließe die Bedeutung von Alternative regelrecht implodieren. Im Übrigen ist es geradezu ein Kriterium von Demokratie, Alternativen zu haben und Alternativen aufrechtzuerhalten, so wie es ein Kennzeichen von autoritären Systemen ist, dafür zu sorgen, dass Alternativen eingeschränkt werden. Warum also, muss man sich fragen, haben Rechtspopulisten und Rassisten ein so großes Interesse am Wort ‚Alternative‘?

Quelle: facebook
Dass das Wort Alternative nach den 70er und 80er Jahren wieder zu einem politischen Begriff geworden ist, hat vor allem mit der amerikanischen Alt-Right-Bewegung und der Alternative für Deutschland (AfD) zu tun. Warum sie sich ‚Alternative‘ nennen, hat sicherlich mehrere Gründe. Der banalste ist: der Begriff ist harmlos, er weckt positive demokratische Assoziationen und tarnt die eigentlichen Interessen. Denn Alt-Right steht für offenen kulturellen Rassismus, gemeint ist damit die kulturelle „Reinhaltung“ von Staaten und Gesellschaften nach „Ethnien“, Antiuniversalismus und das Erklären von Feminismus, Political Correctness und Multikulturalismus zu politischen Feindbildern bzw. – wie es in Russland heißt – zum „Liberalfaschismus“.
Es war der US-amerikanische Identitäre Richard B. Spencer, der den Begriff ‚Alternative‘ schon 2010 verwendete, als er zusammen mit dem Rechtspopulisten Collin Liddell den Blog alternativeright.com gründete und ab 2012 das Magazin Radix Journal herausgab. Alt-Right ist also nicht, wie sich die Bewegung gerne bezeichnet, eine ‚Alternative‘ zum Mainstream-Konservatismus, sondern dessen Hinführung zu einem Extremismus, der sich den Anschein einer jungen subversiven Szenebewegung im Netz gibt. Taktierend wird ‚Alt-Right‘ mitunter auch ‚Dissident-Right‘ genannt. So verkauft es auch der Ex-Breitbart-Blogger Milo Yiannopoulos, der Alt-Right als eine subversive Gegenkultur zur Diktatur der Linken versteht. Es sei eine Bewegung von Rebellen, die Spaß an der verbalen Grenzüberschreitung hätten und soziale Normen einfach ignorierten. Yiannopoulos ist ein Meister der Umkehrungsrhetorik von Alt-Right.
Dazu schreibt Gregory Hood im Radix Journal selbstentblößend: „Was auch immer ‚far Right‘ genannt wird, ist einfach eine energische Verteidigung des Normalen. Was Linke ‚Faschismus‘ nennen, ist ‚Freiheit‘ für die meisten Menschen, und was sie ‚Freiheit‘ nennen, ist ‚Faschismus‘ für die meisten von uns.“ Was Hood zunächst noch vorführt, die Umkehrung, wird anschließend als Strategie beschrieben: „Alt-Right ist ironisch, subversiv und zynisch. Es geht darum, die Taktik der Linken gegen sie selbst zu richten, die Tropen und Narrative zu dekonstruieren, die sie uns aufgezwungen haben“. Zuallererst geschieht dies mit dem Begriff der ‚Alternative‘ selbst.
Alt-Right und die Alternative für Deutschland sind nicht nur eine Negation des Begriffs ‚Alternative‘, sondern ein gezielter Angriff auf dessen bisherige Verwendung. Sie vollziehen durch die Aneignung auch in keiner Weise eine Dekonstruktion von Begriffen; vielmehr gehört die Verwendung des Wortes ‚Dekonstruktion‘ ebenfalls zum verbalen unfriendly takeover der Rechtspopulisten (Bannon verwendet deconstruction mittlerweile offensiv). Nur zur Erinnerung: Dekonstruktion ist ein Verfahren, das lesbar macht, wie Begriffe und Wissen konstruiert werden, sie zeigt gerade, wie Geschlechter, Ethnien, Kulturen und Nationen nicht ontologisch, sondern diskursiv verfasst sind. An einem solchen Verfahren haben Rechtspopulisten keinerlei Interesse.
Staatsmedien als alternative Medien
Eine zweite Kuriosität der Verwendung des Begriffs ‚Alternative‘ zeigt sich bei den Medien, die sich selbst als ‚alternative Medien‘ bezeichnen. Dazu gehören neuerdings vor allem rechtspopulistische und rechtsextremistische Blogs und Online-Zeitschriften. Aber nicht nur: Wortführend bei den neuen ‚alternativen Medien‘ ist ausgerechnet ein Staatssender: RT (ehemals Russia Today). Da er das Wort ‚alternativ‘ im eigenen Land, also als Staatssender in Russland, schlecht verwenden kann, hat er sich das Wort ‚alternativ‘ für die Auslandsredaktionen reserviert. Dadurch wird die Bedeutung von ‚alternativ‘ einfach zu: ‚Perspektive der russischen Regierung‘. Oder noch pointierter: Russland erfindet sich selbst als Alternative zum westlichen Politikmainstream.

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Ganz in diesem Sinne heißt es in der Selbstpropaganda von RT: „Im Zuge von nur elf Jahren der Arbeit von RT hat sich der Kanal weltweit als eine alternative Nachrichtenquelle etabliert.“ Oder: „Der Kampfbegriff Fake News fällt dem Mainstream mit voller Wucht auf die Füße. Sollten damit zunächst alternative Medienangebote diskreditiert werden, wird immer deutlicher, dass die Etablierten selbst eifrig Fakes verbreiten.“ RT erzählt die Geschichte eines ‚alternativen‘ Mediums, das gegen das Establishment und dessen einheitliche Propaganda kämpft. Wenn alle Medien das Gleiche berichten, ist das nicht etwa die Wahrheit, sondern wird zum Motiv einer Verschwörungsgeschichte der Gleichschaltung. Marija Sacharova, die russische Außenamtssprecherin, unterstrich ganz in diesem Sinne: „Das, was RT macht, ist ein Durchbruch in dem Sinne, dass auf dem globalen Informationsfeld eine alternative Quelle für alternative Informationen aufgetaucht ist.“
Alternative Parteien arbeiten mit alternativen Medien, die alternative Quellen verwenden, die alternative Informationen ermöglichen. Das ist der perfekte Zusammenschluss zweier Bedeutungsverschiebungen von ‚alternativ‘: ‚alternativ‘ als Perspektive einer Autokratie und ‚alternativ‘ als Perspektive von Identitären und Rassisten.
Alternative Fakten
Von den „alternativen Medien“ mit ihren „alternativen Informationen“ ist es nur ein winziger Schritt zu den „alternativen Fakten“, wie Kellyanne Conway die Lügen des Pressesprechers des Weissen Hauses bezeichnete. Conway hat den neuen ‚Alternativen‘ einen Bärendienst erwiesen. Sie hat den Gebrauch des Wortes ‚alternativ‘ zum Gag des Jahres gemacht. Dass sie das selbst merkte – sie konnte sich das Lächeln, als sie „alternative facts“ aussprach, nicht verkneifen – war beinahe unfreiwillig autosubversiv.

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Was also machen mit dieser Aneignung von ‚alternativ‘? Alles nochmal umdrehen, wie vor kurzem auf Facebook der ukrainische Politologe und Rechtsextremismusforscher Anton Shekhovtsov ‚vorschlug‘: „Wir sollten die postfaktische Politik als neue normale Politik deklarieren. Alternative Fakten sind die neue Hegemonie. Fake news das neue faulende Establishment. Postmodernisten die neuen Paläokonservativen. Und dann rebellieren wir. Wir machen Fakten zur einem hippen revolutionären Konzept. Wir formieren eine gegenkulturelle, transgressive Bewegung gegen postfaktische Tyrannen.“ Shechovtsovs ‚Vorschlag‘ ist natürlich kein ernst gemeinter Vorschlag, sondern in der Tat eine Entblößung der Umkehrungslogik.
Eine nochmalige Umkehrung ist auch gar nicht nötig. Die Selbstentblößung der Rechtspopulisten und jener, die mit Rassisten und Nationalisten aus Karrieregründen kokettieren, ist in vollem Gange. Die einen offenbaren (AfD, FPÖ, Front National u.a.), dass ihre ‚subversive‘, ‚hyperdissidente‘ Strategie von Putins Autokratie kofinanziert wird. Die anderen Rechten (USA) sind schon an der Macht und haben Probleme, ihre ‚subversiven‘ Gesten als Machtstrategien zu etablieren, ohne gegen sich selbst, das Establishment, zu sein. Und die dritten befinden sich in einer Art Schockstarre (SVP), weil nun klar ist, dass ihre ‚subversiven‘ Klischees (‚Diktatur der EU‘, ‚Diktatur der Richter‘, ‚das linke Establishment gegen das Volk‘ etc.) auch von jenen verwendet werden, wenn nicht gar erfunden worden sind – Putin und Trump –, die sich vermutlich nicht als Stimmenfänger in der Schweizer Provinz eignen.
Eines ist zumindest klar: Diejenigen, die jetzt das Wort ‚Alternative‘ für sich reklamieren, sind nicht daran interessiert, die angeblich lahme Konsensdemokratie wieder in Schwung zu bringen und zum politischen Streit zurückzuführen. Sie sind die Alternative, die vorhat, die Alternativen abzuschaffen. Oder aus einer alternativen Perspektive: Alternative für Deutschland oder Alt-Right ist politisch inkorrekt. Politisch korrekt müsste es heissen: „Reaktionäre für Deutschland“ oder „Identitäre Rechte“.