Deutschland ist zu einem Land der Erb:innen geworden, doch die weitergegebenen Vermögen sind höchst ungleich verteilt. Ist dies für eine Demokratie gefährlich? Und welche Rolle spielt die Erbschaftsteuer in Gegenwart und Vergangenheit?

  • Marc Buggeln

    Marc Buggeln ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin und Historiker des modernen Europas. Er publizierte im Herbst 2022 seine Habilitationsschrift zu Steuerpolitik und sozialer Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute. Zuvor forschte er zur Geschichte der Konzentrationslager.

Honoré de Balzac hat im Frank­reich des 19. Jahr­hun­derts seine Roman­figur Vautrin ausspre­chen lassen, dass es zu der Zeit wesent­lich wahr­schein­li­cher war, durch die Einheirat in eine wohl­ha­bende Familie als durch Arbeit und Erfin­dungs­geist reich zu werden. Thomas Piketty hat im Anschluss an Balzac darauf hinge­wiesen, dass es zu den konsti­tu­tiven Verspre­chen der Demo­kratie gehört, dass die soziale Ungleich­heit auf Arbeit und Verdienst und nicht auf Glück oder Unglück der Geburt beruht. In den Jahren vom Ersten Welt­krieg bis in die 1970er-Jahre war dies auch stärker gegeben und viele neue Unter­nehmer stiegen beispiels­weise in die Spit­zen­po­si­tionen von Reichen­listen vor. Doch zumin­dest in den letzten dreißig Jahren domi­nieren dort in Deutsch­land die immer glei­chen Namen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Erbschaften und ihre geringe Besteuerung.

Jähr­lich wird in Deutsch­land seit einigen Jahren eine Summe vererbt, die in etwa der Höhe des Staats­haus­halts entspricht. Doch die Erbschaften sind höchst ungleich verteilt. Die großen Vermögen erben zumeist west­deut­sche Männer, weit seltener west­deut­sche Frauen und fast nie Ostdeut­sche. Etwa die Hälfte der Deut­schen erbt nichts oder sogar Schulden. Und unter den Erben erhält die Spit­zen­gruppe der oberen 10 % etwa die Hälfte des geerbten Vermö­gens. Dies hat dazu beigetragen, dass Deutsch­land heute mit einem Gini-Wert – dem am weitesten verbrei­teten Maßstab zur Ungleich­heits­mes­sung – von 0,83 die Demo­kratie mit der höchsten Vermö­gens­un­gleich­heit in der Welt ist.

Ausnah­me­re­ge­lungen durch­lö­chern die Erbschaftsteuer

Eine Möglich­keit, die enorme Vermö­gens­un­gleich­heit zu redu­zieren, wäre eine schär­fere Besteue­rung großer Erbschaften. Doch nachdem die deut­sche Politik unter der Kanz­ler­schaft von Angela Merkel zwei Verbes­se­rungs­auf­trägen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts eher zur Verschlimm­bes­se­rung der Geset­zes­lage genutzt hat, gehört die Erbschaft­steuer inzwi­schen zu den unge­rech­testen Bestand­teilen des deut­schen Steu­er­sys­tems. Während jemand, der ein Haus in einer Spit­zen­lage in einer deut­schen Groß­stadt erbt, mit einer hohen Erbschaft­steuer rechnen muss, kann ein Erbe eines Immo­bi­li­en­kon­zern mit drei­hun­dert Häusern ohne Erbschaft­steu­er­zah­lung davon­kommen, weil Konzern­ver­mögen durch Ausnah­me­re­ge­lungen von der Erbschaft­steuer weit­ge­hend befreit sind. Von 2009 bis 2020 wurden 429 Milli­arden Euro aufgrund der Unter­neh­mens­pri­vi­le­gien steu­er­frei gestellt. Jähr­lich gehen mit dieser größten Subven­tion im Bundes­haus­halt etwa fünf bis zehn Milli­arden an Steu­er­ein­nahmen verloren. Dies hat auch dazu geführt, dass bei den vierzig größten Erbschaften in Deutsch­land 2019 ein Steu­er­satz von 1,9 Prozent fällig wurde, während einfache Millio­näre durch­schnitt­lich einen Satz von acht Prozent zahlen mussten. Mit herkömm­li­chen Vorstel­lungen von Gerech­tig­keit lässt sich diese Praxis ebenso wenig verein­baren wie mit der Recht­spre­chung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Erst diese nicht zu recht­fer­ti­gende Unge­rech­tig­keit hat dazu geführt, dass es jüngst zu zivil­ge­sell­schaft­li­chen Aufrufen – etwa von Erb:innen, die sich zu gering besteuert fühlten oder einer Ungleich­heits­for­scherin – gegen  die Steu­er­be­frei­ungen bei der Erbschaft­steuer kam.

Bis dato stand die Erbschaft­steuer dagegen eher selten im Blick­punkt. Die großen Steu­er­de­batten in Deutsch­land drehten sich meis­tens um die Einkommens- oder die Körper­schaft­steuer, während die Erbschaft­steuer in Wahl­kämpfen nur selten eine größere Rolle spielte. Über­ra­schend ist auch, dass häufig behauptet wird, dass in Deutsch­land Reichtum verpönt wäre und Reiche ihr Vermögen nicht öffent­lich darstellen dürften, aber in der Praxis der Reichtum trotz der behaup­teten öffent­li­chen Skepsis gering besteuert wird. Demge­gen­über gilt die USA als Land der öffent­li­chen Darstel­lung von Reichtum, aber dieses wurde und wird im Vergleich zur Bundes­re­pu­blik im Erbschafts­fall tenden­ziell höher besteuert. Wie lässt sich dieser Unter­schied erklären und handelt es sich um eine über einen längeren Zeit­raum einge­schlif­fene Praxis?

Eine verglei­chende Geschichte der Erbschaftsbesteuerung

Zwar gab es Ansätze einer Erbschaft­steuer schon im Römi­schen Kaiser­reich, aber letzt­lich ist die Erbschaft­steuer wie der gesamte Steu­er­staat eine moderne Entwick­lung. Im Falle der Erbschaft­steuer und damit des Erbrechts ist diese grund­le­gende Verän­de­rung an die Auflö­sung des Verbands der Haus­ge­mein­schaft gekop­pelt, die zuvor als unsterb­liche Einheit ange­sehen wurde. Insbe­son­dere land­wirt­schaft­li­cher Besitz war in das Lehens­recht einge­bunden und konnte nicht an Menschen außer­halb der Haus­ge­mein­schaft verkauft werden. In Frank­reich wurde der Boden mit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion zum privaten Eigentum des Fami­li­en­ober­haupts, das diesen Besitz verkaufen konnte. Doch dieser indi­vi­dua­li­sierte Eigen­tums­an­spruch führte keines­wegs zu einer unge­bremsten Indi­vi­dua­li­sie­rung und zur Auflö­sung fami­liärer Bezüge, sondern über das Erbrecht und die Erbschaft­steuer wurden fami­liäre und gesell­schaft­liche Ansprüche an den indi­vi­du­ellen Besitz verhandelt.

Eine dauer­hafte Erbschaft­steuer führte zuerst die Habs­burger Monar­chie Mitte des 18. Jahr­hun­derts ein. Um die Wende vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert folgte diesem Beispiel eine Reihe euro­päi­scher und nord­ame­ri­ka­ni­scher Länder(Däne­mark, Frank­reich, Groß­bri­tan­nien, Nieder­lande, Schweden und die USA). In Preußen wurden Erbschaften dagegen im 19. Jahr­hun­dert lange Zeit im Rahmen einer Stem­pel­steuer belastet. Erst 1873 verab­schie­dete Preußen ein modernes Erbschaft­steu­er­ge­setz, welches dann zum Vorbild für andere deut­sche Staaten wurde. 1906 ging die Erbschaft­steuer ans Reich über, wobei das Reich aber in den folgenden Jahren noch einen Teil der Einnahmen an die Bundes­staaten über­weisen musste. Im Gegen­satz zu Groß­bri­tan­nien oder auch Frank­reich blieben in Deutsch­land aber Kinder und Ehegatten von der Steuer befreit. Eine Rege­lung, die im Wesent­li­chen vom deut­schen Adel durch­ge­setzt worden war, um die Erhal­tung des eigenen Land­be­sitzes über Gene­ra­tionen sichern zu können. Deswegen blieben die Erbschaft­steu­er­ein­nahmen in Deutsch­land vergleichs­weise gering. Während die Erbschaft­steuer in Groß­bri­tan­nien vor dem Ersten Welt­krieg etwa 15 Prozent der Staats­ein­nahmen ausmachte, waren dies in Deutsch­land nur etwa 1,5 Prozent.

Dies lag auch an der unter­schied­lich geführten Diskus­sion. Seit John Stuart Mill galten hohe Erbschaften unter briti­schen Libe­ralen in der Tendenz als Gefahr für die Demo­kratie, die eine auf dem Prinzip der Konkur­renz beru­hende gesell­schaft­liche Dynamik eher verhin­dere. Mill wollte deswegen Erbschaften, die er als unver­dientes Einkommen bezeich­nete, hoch besteuern und am besten das gesamte Steu­er­system auf Erbschafts­be­steue­rung umstellen, während verdientes Einkommen weit­ge­hend steu­er­frei bleiben sollte. Ähnlich verstand sich die USA, in der es keinen altein­ge­ses­senen Adel gab, als Leis­tungs­ge­sell­schaft, in der jeder durch eigene Arbeit und nicht allein aufgrund des Erfolgs vorhe­riger Gene­ra­tionen an die Spitze gelangen sollte. Dementspre­chend wurden auch hier Erbschaften stärker als in Deutsch­land als unver­dientes Einkommen betrachtet.

Nicht nur die Höhe der Steuer, sondern auch die Einfüh­rung der Progres­sion bei den direkten Steuern zeigt den Unter­schied. In den USA, Groß­bri­tan­nien oder Frank­reich wurde zunächst eine Erbschaft­steuer mit progres­siven Sätzen einge­führt, während die progres­sive Einkom­men­steuer dort erst kurz vor Kriegs­be­ginn durch­ge­setzt werden konnte. In Deutsch­land führte dagegen erst 1899 Sachsen als erster Bundes­staat eine Erbschaft­steuer ein, die die Steu­er­sätze nach der Höhe des Erbes diffe­ren­zierte. Demge­gen­über hatte es in Sachsen schon seit 1874 eine progres­sive Einkom­men­steuer gegeben. Auch in Preußen kam es zuerst zu einer progres­siven Einkom­men­steuer und dann zu einer progres­siven Erbschaft­steuer. Deutsch­land war 1913 schließ­lich das einzige Indus­trie­land von Rang, in dem ein allein erbendes Kind unab­hängig von der Höhe seiner Erbschaft keine Erbschaft­steuer zahlen musste.

Scharfe Besteue­rung zu Beginn der Republik

Erst als Deutsch­land zur Repu­blik wurde, änderte sich dies. Die Steu­er­re­form unter Finanz­mi­nister Mathias Erzberger, die 1919 und 1920 statt­fand, baute das deut­sche Steu­er­system grund­le­gend um. Die Macht verschob sich von der Ebene der Bundes­staaten auf das Reich. Die liberal-sozialdemokratische Regie­rung bat die Wohl­ha­benden nun deut­lich stärker zur Kasse, aber auch die unteren Schichten belas­tete die Regie­rung durch die Notwen­dig­keit der Beglei­chung von Kriegs- und Repa­ra­ti­ons­kosten mehr als zuvor. Zur Erbschaft­steuer zog man erst­malig auch Ehegatten und Kinder heran, wobei der Höchst­satz für diese 75 Prozent errei­chen konnte. Aller­dings hatte dieser hohe Satz nur kurze Zeit Bestand. Er wurde 1922 auf 35 Prozent und 1924 schließ­lich auf 10 Prozent abge­senkt. 1925 erhöhte die Regie­rung den Satz zwar auf 15 Prozent, aller­dings wurde er jetzt erst bei einem Vermögen von zehn Millionen Reichs­mark fällig, während der Höchst­satz zuvor schon bei einer Million Reichs­mark zum Ansatz kam.

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Dieser Höchst­satz blieb bis 1945 konstant. Dies zeigt, dass die von Götz Aly erho­bene These, dass das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regime die Reichen beson­ders scharf besteuert hätte, nicht haltbar ist. Denn wenn man die Wohl­ha­benden beson­ders stark hätte belasten wollen, dann wäre gerade die Erbschaft­steuer ein geeig­netes Instru­ment gewesen. Doch in Deutsch­land kam es zu keiner Steu­er­erhö­hung für direkte Ange­hö­rige im Zweiten Welt­krieg, während der Satz in den USA auf 77 Prozent und in Groß­bri­tan­nien auf 65 Prozent stieg.

Erbschaft­steuern nach 1945

Die Alli­ierten erhöhten 1946 den Erbschaft­steu­er­spit­zen­satz für direkte Ange­hö­rige in Deutsch­land auf 60 Prozent, weil sie zum einen das deut­sche Steu­er­system für sozial unge­recht hielten, zum anderen aber auch der eigenen Bevöl­ke­rung zeigen wollten, dass die Deut­schen, die den Krieg vom Zaun gebro­chen hatten, einen ebenso hohen Beitrag leisten mussten wie Briten und Ameri­kaner. Doch die deut­sche Bundes­re­gie­rung senkte den Höchst­satz schon 1949 auf 38 Prozent und 1955 schließ­lich auf 15 Prozent ab, womit der deut­sche Satz unter dem Durch­schnitts­satz der OECD-Staaten fiel.

Der Histo­riker Ronny Grundig hat gezeigt, dass die sozi­al­li­be­rale Koali­tion 1974 die einzige Satz­er­hö­hung bei der Erbschafts­be­steue­rung in der Geschichte der Bundes­re­pu­blik vornahm. Der Höchst­satz für direkte Ange­hö­rige stieg auf 35 Prozent. Fällig wurde er dabei nur noch für große Vermögen ab 100 Millionen DM, während er zuvor schon ab zehn Millionen DM griff. Da zudem ein erheb­li­cher Zuschlag auf die völlig veral­teten Einheits­werte bei Immo­bi­lien fest­ge­legt wurde, stiegen die Erbschaft­steu­er­ein­nahmen in den folgenden Jahren deut­lich an, ohne aber viel daran zu ändern, dass die Erbschaft­steuer im Gesamt­steu­er­system eine kleine Steuer blieb. Nichts­des­to­trotz hatte zumin­dest die Vermö­gens­un­gleich­heit im Gefolge der beiden Welt­kriege und durch die Vermögens- und Erbschafts­be­steue­rung gegen­über dem späten Kaiser­reich moderat abgenommen.

Mit der neoli­be­ralen Wende unter That­cher und Reagan wurde auch in den anglo­ame­ri­ka­ni­schen Ländern die umver­tei­lende Wirkung der Erbschaft­steuer deut­lich beschnitten. Insbe­son­dere been­dete Margaret That­cher 1986 die etwa hundert­jäh­rige Tradi­tion einer progres­siven Erbschaft­steuer und führte einen Einheits­satz ein. In Deutsch­land begann 1996 die Tendenz, die Unter­neh­mens­ver­mögen fast gänz­lich von der Erbschaft­steuer zu befreien. Die Folge ist, dass sich die Zahl der Rentiers, die ohne arbeiten zu müssen von ihrem Vermögen leben können, von 2010 bis heute von 400.000 auf 800.000 verdop­pelt hat. Unter ihnen sind mehr als 200.000 Personen im Alter von unter 45 Jahren. Selbst unter ökono­mi­schen Gesichts­punkten gibt es berech­tigte Zweifel an der Frei­stel­lung von Unternehmenserb:innen, doch bedroh­li­cher scheinen die Folgen für die demo­kra­ti­sche Staats­form zu sein. Thomas Piketty kam zu dem Ergebnis, dass in den meisten reichen Ländern die Tendenz wieder zuge­nommen hat, dass man eher durch ein Erbe als durch Arbeit reich wird. Die USA hält er unter anderem deswegen bereits für eine hyper­pa­tri­mo­niale Gesell­schaft und auch einige west­eu­ro­päi­sche Länder sieht er auf dem Weg dahin. Unter Ökonom:innen mehren sich die Zweifel, ob die Verla­ge­rung der Besteue­rung weg von Vermögen und Erbschaften hin zu Arbeit und Konsum mit ihren Folgen für die zuneh­mende Einkommens- und Vermö­gens­si­tua­tion dauer­haft tragbar ist. Jüngst hat Joseph Stig­litz die Einfüh­rung einer Vermö­gen­steuer mit einem Höchst­satz von drei Prozent gefor­dert. Für Deutsch­land hat der DIW-Ökonom Stefan Bach detail­lierte Vorschläge vorge­legt, wie die Erbschaft­steuer gerechter gestaltet werden könnte. Doch gegen­wärtig zeichnet sich weder in Deutsch­land noch in anderen führenden OECD-Nationen eine Koali­tion ab, die solche Forde­rungen umsetzen würde. Die Frage, wie eine weitere Olig­ar­chi­sie­rung mit ihrer unver­meid­li­chen Infra­ge­stel­lung demo­kra­ti­scher Errun­gen­schaften zu verhin­dern sein kann, dürfte deshalb neben dem Umgang mit dem Klima­wandel eines der bedeu­tendsten poli­ti­schen Probleme der nächsten Jahre bleiben.