Vor hundert Jahren erfand Karel Čapek für sein Theaterstück „R.U.R.“ das Wort „Roboter“. Ist die damalige Reflexion zum Verhältnis zwischen Mensch, Umwelt und künstlicher Intelligenz noch aktuell?

  • Svetlana Efimova

    Svetlana Efimova ist Juniorprofessorin für Slavische Literaturwissenschaft und Medien an der LMU München, sie forscht zur russischen und tschechischen Literatur und Kultur.

Roboter, das neue Wort war bereits im Titel von Karel Čapeks Stück „R.U.R.“ enthalten, das am 25. Januar 1921 in Prag urauf­ge­führt wurde: „R.U.R.“ ist ein fiktio­naler Firmen­name, der für „Rossumʾs Universal Robots“ steht. Der vom tsche­chi­schen „robota“ (,Fron­ar­beitʻ) abge­lei­tete Ausdruck „robot“ war ein glück­li­cher Einfall Josef Čapeks, als sein Bruder Karel nach einer geeig­neten Bezeich­nung für intel­li­gente Maschinen suchte. Die erste Robo­ter­ge­schichte der Welt musste zunächst defi­nieren, was bzw. wer ein Roboter ist. Auch die Frage, in welchem Verhältnis zuein­ander Roboter, Mensch und Natur stehen, musste geklärt werden. Die Erfin­dung der künst­li­chen Intel­li­genz hatte in „R.U.R.“ als eine Art Spiegel für die Frage gedient, was der Mensch sei und was ihn ausmache. Kann das 100 Jahre alte Stück auch heute zu den Debatten über die Zukunft des Menschen im Zeichen von Klima­wandel und Ressour­cen­knapp­heit beitragen?

Die Zukunft der Vergangenheit

Bühnen­bild von Bedřich Feuer­stein für das Drama „R.U.R.“ (1921), Quelle: Wikipedia

Zwei Wochen vor der „R.U.R.“-Premiere wurde Karel Čapek 31 Jahre alt und war gerade dabei, sich als Jour­na­list in der tsche­chi­schen Pres­se­land­schaft zu etablieren, nachdem er in Philo­so­phie promo­viert hatte. Auch sein neuestes Werk verband eine unver­kenn­bare philo­so­phi­sche Fundie­rung mit publi­zis­ti­scher Schärfe. „R.U.R.“ ist gleich zu einem inter­na­tio­nalen Erfolg geworden: 1922 folgte eine Broadway-Inszenierung in New York mit insge­samt 184 Auffüh­rungen. Bis 1923 wurde „R.U.R“ in dreißig Spra­chen über­setzt und hat das inter­na­tio­nale Denken über die menschen­ähn­li­chen Maschinen geprägt. Beim ersten Briti­schen Roboter Eric, der 1928 konstru­iert und 2017 als Muse­ums­exem­plar neuge­baut wurde, standen sogar die Buch­staben RUR auf der Brust.

Die Hand­lung von Čapeks Drama ist in die Zukunft verlegt und spielt auf einer abge­le­genen Insel, von der aus die R.U.R.-Fabrik die ganze Welt mit Robo­tern belie­fert. Erfunden wurden die Roboter vom Firmen­gründer Rossum, dessen Name an das tsche­chi­sche Wort „rozum“ (,Verstandʻ) erin­nert. Die Fabrik wird von Harry Domin geleitet, der mit Helena Glory verhei­ratet ist. Verstand, Domi­nanz und Ruhm umreißen bereits auf der Namen­ebene ein Bild des ratio­nalen, leis­tungs­starken Menschen, der seine Macht in der Welt etabliert. Den Robo­tern werden über­wie­gend latei­ni­sche Namen gegeben wie Radius, Marius und Sulla. Aus diesem Zusam­men­treffen von Zukunft und Antike entsteht eine Alle­gorie der euro­päi­schen Zivi­li­sa­tion vom Anfang bis zu ihrem poten­zi­ellen Ende. Ange­spielt wird wohl auch darauf, dass die Idee einer auto­ma­ti­sierten Arbeit aus der Antike (Aris­to­teles’ „Politik“) stammt.

Čapeks Roboter

Was bzw. wer sind Čapeks Roboter? Die Produk­tion der äußer­lich menschen­ähn­li­chen Maschinen geschieht durch eine Kombi­na­tion aus Biotech­no­logie und Mechanik. Mithilfe der Wirk­stoffe „Biogen“ und „Enzym Omega“ wird leben­dige Materie für Körper­teile herge­stellt, aus denen Wesen zusam­men­ge­schraubt werden, die ca. zwanzig Jahre halten und sich selbst nicht fort­pflanzen können. Somit kombi­nierte Čapek das etablierte Konzept eines Auto­maten mit der mysti­schen Tradi­tion von der Erschaf­fung bzw. Umge­stal­tung leben­diger Materie, die er in der dama­ligen Biochemie mit ihren Enzymen und Hormonen wieder­erkannte. Auf diese Weise hat er das in der Zukunft liegende Bioen­gi­nee­ring prak­tisch vorweggenommen.

Der erste Briti­sche Roboter Eric, 1928, mit den Buch­staben RUR auf der Brust. Quelle: cyberneticzoo.com

Abge­sehen von der fantas­ti­schen Produk­ti­ons­weise sind Čapeks Roboter durch drei Eigen­schaften gekenn­zeichnet: Leis­tungs­stärke, enormes Gedächtnis und „unge­heure Intel­li­genz“. Obwohl der Begriff „arti­fi­cial intel­li­gence“ in der Wissen­schaft erst 1955 geprägt wurde, verwen­dete Čapek bereits 1921 das tsche­chi­sche Wort „inte­li­gence“ für das zentrale Charak­te­ris­tikum der Roboter. Sie können große Infor­ma­ti­ons­mengen spei­chern und wieder­geben, sie beherr­schen Fremd­spra­chen und unter­stützen den inter­na­tio­nalen Bürobetrieb.

In allen drei Eigen­schaften über­treffen Roboter die mensch­li­chen Fähig­keiten, was den Fabrik­di­rektor Domin zu dem Schluss führt, dass sie „mecha­nisch gesehen voll­kom­mener als wir“ sind. In einer Gesell­schaft, die von Leis­tungs­ori­en­tie­rung und Ratio­na­lität domi­niert ist, wird der Mensch also umge­kehrt zu einem unvoll­kom­menen Roboter. Ein symbo­li­sches Gegen­bild zum Roboter stellt das Kind dar, das in einer beschleu­nigten Arbeits­welt keinen Platz hat: „Die ganze Kind­heit ist tech­nisch gesehen völliger Unsinn. Sie ist reine Zeitverschwendung“.

Entwurf einer neuen Weltwirtschaft

Wie auch heute sind die fiktio­nalen Roboter von 1921 mäch­tige Wirt­schafts­in­stru­mente: Ihre Massen­her­stel­lung in der R.U.R.-Fabrik soll die Wirt­schaft mit billiger, aber leis­tungs­starker Arbeits­kraft versorgen. Unter­nehmen ohne Robo­ter­ein­satz gehen pleite, weil die Konkur­renz dank der Robotik Produk­ti­ons­kosten senken kann. Um den Wett­be­werb zu gewinnen, setzen die Hersteller Verkaufs­preise immer stärker herab, sodass die Waren am Ende beinahe wertlos sind. Dass ein Pfund Brot nun für zwei Cent erhält­lich ist, wird von der R.U.R.-Leitung aller­dings als Anbruch einer neuen Wirt­schaftsära des unein­ge­schränkten Konsums betrachtet.

Im Drama führt diese Entwick­lung nicht nur zum Über­an­gebot an Arbeits­kraft und zur Über­pro­duk­tion, die künst­liche Intel­li­genz wird darüber hinaus auch zum Instru­ment der Gewalt. Roboter schlagen einen Aufstand zum Erhalt der Arbeits­plätze nieder und werden auch im Krieg einge­setzt. Dass künst­liche Intel­li­genz zur tödli­chen Waffe wird, hat Karel Čapek also bereits nach dem Ersten Welt­krieg vorweg­ge­nommen, der damals einen Kampf neuer Tech­no­lo­gien darstellte.

Cover der ersten Buch­aus­gabe (Herbst 1920), gestaltet von Josef Čapek, einem zentralen Vertreter des tsche­chi­schen Kubismus. Quelle: Wiki­media Commons

Nichts­des­to­trotz wird die Robo­ter­her­stel­lung in „R.U.R.“ rheto­risch mit einer großen anthro­po­lo­gi­schen Mission gerecht­fer­tigt. Während die billigen Waren den Markt über­fluten, soll der Mensch von der exis­tenz­si­chernden Arbeit befreit werden: Diese Vision erin­nert unwill­kür­lich an die aktu­ellen Initia­tiven zum bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen. In der fiktio­nalen Welt von „R.U.R.“ wird ein solcher Vorstoß kata­stro­phale Folgen nach sich ziehen. Zunächst erklären die R.U.R.-Ideologen aller­dings das Mensch­sein zum Selbst­zweck: Der Mensch soll nur für das höhere Ziel leben, „sich zu vervoll­kommnen“. Was aber bedeutet das, ein (voll­kom­mener) Mensch zu sein?

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Roboter als Spie­gel­bild des Menschen

Schon dem Begriff „künst­liche Intel­li­genz“ ist eine Projek­tion des mensch­li­chen Denk- und Wissens­sys­tems auf die Maschine einge­schrieben. Inzwi­schen können Algo­rithmen sogar Kunst schaffen, wie etwa compu­ter­ge­nerierte Texte des deut­schen Lite­ra­tur­kol­lek­tivs „0x0a“. Heute werden Roboter auch dadurch zu einem anthro­po­lo­gi­schen Spie­gel­bild, dass sie die mensch­liche Emotio­na­lität nach­ahmen. Denn die aktu­elle Forschung versucht, emotio­nale Inter­ak­tionen zwischen Mensch und Roboter zu ermög­li­chen, insbe­son­dere dort, wo die künst­liche Intel­li­genz bei sozialen Aufgaben einge­setzt wird. Auch im Laufe des Dramas „R.U.R.“ unter­nimmt der Forscher Dr. Gall Versuche, Roboter noch menschen­ähn­li­cher zu machen. Bei neuen Modellen wird die Empfind­lich­keit erhöht, damit Roboter auch Gefühle lernen.

Durch Galls Versuche erhält die künst­liche Intel­li­genz in „R.U.R.“ nicht nur Emotionen, sondern auch ihren eigenen Willen. Was jedoch ist der erste Wunsch des Robo­ters Radius, der „das größte Gehirn auf Erden“ besitzt und eine Biblio­thek betreut? – „Ich will keinen Herrn. […] Ich will Herr über andere sein“. Dabei folgt Radius der gesell­schaft­li­chen Konkur­renz­logik, nach der die Leis­tungs­stärksten eine Macht­po­si­tion über­nehmen sollen: „Sie haben nicht die Fähig­keiten wie wir Roboter. Wir machen alles“. Ausge­rechnet die intel­li­genten Maschinen bean­spru­chen für sich, voll­kom­mene Menschen zu sein. Indem die Roboter die Stelle des Menschen in der Welt einnehmen wollen, spie­geln sie die Mensch­heits­ge­schichte: „Man muss morden und herr­schen, wenn man sein will wie die Menschen“. Hinter der huma­nis­ti­schen Rhetorik von Vernunft und Vervoll­komm­nung steht ein Bild der Mensch­heits­ge­schichte, in dem der Durch­set­zungs­fä­hige und Stär­kere herrscht.

Mecha­nismus der Anti-Utopisierung

Čapeks Thea­ter­stück von 1921 stellt den Umschlag eines utopi­schen Projekts der künst­li­chen Intel­li­genz in eine Dystopie dar. „R.U.R.“ reagierte auf eine ganze Reihe von politisch-philosophischen Utopien seiner Zeit. Erkennbar sind Bezug­nahmen auf Nietz­sches Lehre vom Über­men­schen, auf die Welt­re­vo­lu­tion des Prole­ta­riats sowie auf die Vision einer Tech­ni­sie­rung aller Lebens­be­reiche, die aus dem aufklä­re­ri­schen Glauben an Fort­schritt und Moder­ni­sie­rung resultiert.

Der Roboter Eric eröffnet die „Model Engi­nee­ring Exhi­bi­tion“ (London, 1928), Quelle: cyberneticzoo.com/

Im Mittel­punkt des Thea­ter­stücks steht aller­dings ein allge­meiner Mecha­nismus der anti­uto­pi­schen Umkeh­rung, der sich im Laufe der Hand­lung mehr­mals wieder­holt. Nachdem ein Aufstand der Roboter eine Gewalt­ma­schi­nerie in Gang setzt, wird eine neue Utopie der Rück­kehr zum ursprüng­li­chen Zustand entworfen. Im Zeichen dieser zweiten Utopie vernichtet Helena Glory die Herstel­lungs­an­lei­tung für Roboter, was aller­dings zu noch schlim­meren Folgen führt. Auch der Glaube der Roboter, die Ausrot­tung der Menschen könne sie zu Welt­herr­schern machen, führt zum Gegen­teil. Denn die Roboter können sich ohne Menschen nicht repro­du­zieren und müssen aussterben.

Der Wunsch, die Welt zu verän­dern, wird in „R.U.R.“ somit zum Wesens­merkmal des Menschen, das die Roboter eben­falls über­nehmen. In mehreren Anläufen model­liert das Drama, wie dieser Wunsch zur Selbst­zer­stö­rung führen kann.

Ein Neube­ginn für die Menschheit?

Die Menschen in „R.U.R.“ sind nicht nur durch den Robo­ter­auf­stand bedroht, sie verlieren auch ihre natür­liche Fort­pflan­zungs­fä­hig­keit. Die beiden gleich­zei­tigen Unter­gangs­sze­na­rien dienen weniger der fiktio­nalen Furore, sondern schließen sich zu einer philo­so­phi­schen Alle­gorie zusammen: der Krise des tradierten Menschen­bildes. Mehrere Gespräche in „R.U.R.“ repro­du­zieren pathe­ti­sche Klischees, deren Entlee­rung immer evidenter wird: erfin­dungs­reiche Geister, Helden mit bren­nenden Seelen und Herren der Schöp­fung. Schließ­lich kommt der Fabrik­leiter Domin zu einer melan­cho­li­schen Einsicht: „Viel­leicht sind wir schon lange, lange tot und kehren zurück, nur um das aufzu­sagen, was wir schon einmal gesagt haben“.

Aller­dings endet das Thea­ter­stück nicht mit einer Nega­tion, sondern mit einem hoff­nungs­vollen Neube­ginn. Das Produk­ti­ons­ge­heimnis der Roboter ist verloren und von der mensch­li­chen Zivi­li­sa­tion mit ihren Systemen und Maschinen wird nur ein Schutt­platz bleiben. Doch stehen am Ende zwei Wesen, Primus und Helena, die als Roboter herge­stellt wurden, in sich aber die Fähig­keit entde­cken, zu träumen und zu lieben. In Abwe­sen­heit der Menschen lernt Helena Zärt­lich­keit und Kind­heit bei einer Hunde­fa­milie kennen: „Wenn du sehen könn­test, wie sie meine Hände able­cken. Und ihre Welpen, ach, Primus, es gibt wohl nichts Schö­neres. Du nimmst sie auf den Schoß und strei­chelst sie“.

Karel Čapek (links) war ein leiden­schaft­li­cher Gärtner und Hunde­lieb­haber. Mit seinem Bruder Josef (rechts). Quelle: Wiki­media Commons

„R.U.R.“ endet mit einem inneren Monolog des letzten alternden Menschen Alquist, der Primus und Helena als neue Adam und Eva begrüßt: „Das Leben geht nicht zugrunde!“. Wie sich die Menschen im Laufe des Thea­ter­stücks als Roboter entpuppen, so über­nehmen am Ende umge­kehrt zwei Roboter die Verant­wor­tung, den Fort­be­stand des mensch­li­chen Lebens auf der Erde zu sichern. Somit wird im letzten Akt ein alter­na­tives Menschen­bild entworfen: Dieser Mensch ist nicht vom Herrschafts‑ und Produk­ti­ons­wahn ergriffen, sondern lernt von anderen Lebe­wesen, zu denen er ein emotio­nales Verhältnis herstellt. Dieser Mensch ist nicht auf Leis­tung und Nutzen konzen­triert, sondern erkennt die Schön­heit und die Freude der leben­digen Welt, als deren Teil er sich erfährt.

 1921 – und heute?

Vor hundert Jahren wurde das Wort „robot“ als Warn­zei­chen und Verspre­chen erfunden. Was hat die Mensch­heit in diesen hundert Jahren daraus gemacht? Nicht nur eine Sci‑Fi‑Tradition und nicht nur eine neue Realität der künst­li­chen Intel­li­genz. Viel­mehr steht Karel Čapek am Anfang  jener Denk­tra­di­tion, die im 21. Jahr­hun­dert ein Umdenken des mensch­li­chen Selbst­ver­ständ­nisses im Zuge der Umwelt­krise fordert. In „R.U.R.“ werden die aktu­ellen Debatten über die Zerstö­rung der Umwelt durch eine selbst­be­zo­gene tech­no­gene Gesell­schaft präfi­gu­riert: der Weg in eine Kata­strophe, die Suche nach den Schul­digen, die Bemü­hungen, entweder den Schaden zu verschleiern oder alles wieder­gut­zu­ma­chen. Was am Ende die Hoff­nung bringt, ist ein neues Denken über das Mensch­sein im Zeichen der Verant­wor­tung und eines Neben­ein­an­ders mit anderen Lebewesen.

Auch hinsicht­lich der eigent­li­chen Robotik sendet Čapeks „R.U.R.“ eine Botschaft ins neue Jahr­tau­send, indem das Stück eine Ethik der künst­li­chen Intel­li­genz in den Vorder­grund rückt. Gibt es Maschi­nen­rechte und eine Maschi­nen­ethik, können Roboter schuldig werden? Die zentrale Frage der ersten Robo­ter­fik­tion ist die Frage nach der Verant­wor­tung: „Niemand hat Schuld. Die Roboter, ja. […] Aber bitte, wer ist schon für das Verhalten der Roboter verantwortlich?“