Die EU und die USA haben sich auf ein neues Datenschutzabkommen geeinigt: das „Data Privacy Framework“. Doch solange die US-Regierung die Daten ihrer eigenen Bürgerinnen nicht ausreichend schützt, bleiben auch die Daten der europäischen Bürger gefährdet.

  • Benedikt Neuroth

    Benedikt Neuroth ist Historiker und arbeitet freiberuflich als Autor und Lektor. Sein Buch „Das Private in der Sicherheitsgesellschaft“ ist 2023 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.

Die EU-Kommission hat am 10. Juli 2023 ein „EU-US Data Privacy Frame­work“ zwischen der EU und den USA imple­men­tiert. Dieses Abkommen soll gewähr­leisten, dass die Verar­bei­tung von EU-Bürger:innen betref­fenden Daten bestimmten Regeln unter­liegt, welche die Privat­sphäre achten sollen. Kommis­si­ons­prä­si­dentin Ursula von der Leyen sagte: „Today we take an important step to provide trust to citi­zens that their data is safe, to deepen our economic ties between the EU and the US, and at the same time to reaf­firm our shared values“. Die Kommis­sion glaubt, dass die Regu­lie­rungen in den USA nun mit dem EU-Recht, also der Datenschutz-Grundverordnung, harmo­nieren. Erst im vergan­genen Oktober hatte US-Präsident Joe Biden dazu das Dekret „Enhan­cing Safe­guards for United States Signals Intel­li­gence Acti­vi­ties“ unter­zeichnet. Mit dieser Regu­lie­rung von geheim­dienst­li­cher Daten­über­wa­chung reagierten die USA auf Vorgaben des Euro­päi­sche Gerichtshofs.

Denn die beiden voran­ge­gan­genen Abkommen hatte der EuGH gekippt. Zur Erin­ne­rung: Im Jahr 1995 trat eine EU-Direktive zum Daten­schutz in Kraft. Das Abkommen „Safe Harbor“ aus dem Jahr 2000 regu­lierte den trans­at­lan­ti­schen Daten­ver­kehr, bis der Jurist Maxi­mi­lian Schrems mit einer Klage vor den EuGH ging und im Oktober 2015 Recht bekam. Hinter­grund waren die Enthül­lungen von US-Geheimdienstprogrammen durch Edward Snowden in 2013. Als Nach­folger beschlossen EU und USA im glei­chen Jahr ein „Privacy Shield“, das die Kommis­sion 2016 aner­kannte. In der Zwischen­zeit trat 2018 die DSGVO der EU von 2016 in Kraft. Im Juli 2020 erklärte der EuGH dann auf eine weitere Klage von Schrems hin auch das Daten­schutz­schild für nichtig, da es eben keinen hinrei­chenden Schutz der EU-Bürger:innen vor Über­wa­chung biete.

Es bleibt abzu­warten, ob das „Data Privacy Frame­work“ ein ähnli­ches Schicksal wie seine Vorgänger ereilt. Schon unken Kritiker, ob es sich bei dem neuen Abkommen nicht wieder um einen zahn­losen Papier­tiger handele. Um das Abkommen in trockene Tücher zu bringen, wurden diesmal eigene Stellen geschaffen: Ein spezi­eller US-Beamter, ein „Civil Liber­ties Protec­tion Officer“, und ein spezi­elles US-Gericht, ein „Data Protec­tion Review Court“, sollen nun Rechts­hilfe gegen­über den US-Geheimdiensten leisten. Verwaltet wird das Abkommen vom US-Handelsministerium, während die ameri­ka­ni­sche Federal Trade Commis­sion die Einhal­tung seitens der Firmen gewähr­leisten soll. Zahl­reiche US-Regierungsmitglieder und Beamt:innen haben Bekennt­nisse an die EU-Kommission adres­siert, darunter US-Verkehrsminister Pete Butt­i­gieg, der der einen oder dem anderen noch aus den letzten Vorwahlen bekannt sein dürfte. Doch all dies kann nicht darüber hinweg­täu­schen, dass in den USA keine zustän­dige Datenschutz-Behörde exis­tiert – eine Bundes­da­ten­schutz­be­auf­tragte gibt es nicht. Der Daten­schutz für EU-Bürger:innen bleibt also prekär, solange die USA keine effek­tiven Mecha­nismen für ihre eigenen Bürger schaffen.

Anfänge des Daten­schutzes in den USA

Mangelnde Regu­lie­rung und Aufsicht haben histo­ri­sche Gründe. Die gesetz­li­chen Weichen wurden in den 1960er und 1970er Jahren gestellt. In dieser Zeit entwi­ckelten die USA ein starkes Bewusst­sein dafür, dass ein Erheben, Spei­chern, Verar­beiten und Weiter­geben von Daten zu recht­li­chen Problemen führen und einen Eingriff in die Privat­sphäre bedeuten könnten. Bereits 1967 gab der Rechts­experte Alan Westin in seinem Buch Privacy and Freedom folgende Defi­ni­tion: „Privacy is the claim of indi­vi­duals, groups, or insti­tu­tions to deter­mine for them­selves when, how, and to what extent infor­ma­tion about them is commu­ni­cated to others“. Westin war damit einer der Vordenker eines Rechts auf infor­ma­tio­nelle Selbstbestimmung.

Infor­ma­tion bezeich­nete auch maschi­nen­les­bare Daten, die damals auf Loch­karten oder auf Magnet­band gespei­chert wurden. Solche Daten konnten auch der Über­wa­chung dienen. Das promi­nen­teste Beispiel für solche Befürch­tungen war ein Vorhaben, Daten aus Minis­te­rien und Behörden zu zentra­li­sieren. In den Jahren 1966 und 1967 debat­tierten Ausschüsse im Kongress Vorschläge für ein „National Data Center“. Die Presse schlug Alarm: „A Govern­ment Watch On 200 Million Ameri­cans?“, titelte etwa U.S. News & World Report im Mai 1966. Befür­worter der Vorschläge hofften, mit Hilfe von statis­ti­schen Daten die Programme der Johnson-Regierung effi­zient gestalten zu können. Das Projekt kam nie zustande, die Sorge um Privat­sphäre blieb.

Bald rich­tete sich die Aufmerk­sam­keit auf konkrete Fälle, in denen die Regie­rung Computer einsetzte, um Menschen zu über­wa­chen. So kam 1970 an die Öffent­lich­keit, dass die US-Armee landes­weit poli­ti­sche Demons­tra­tionen und Protest beob­ach­tete und geheim­dienst­liche Berichte zum Teil in elek­tro­ni­schen Daten­banken spei­cherte. Ziel waren vor allem Gegner des Viet­nam­kriegs und Mitglieder der Bürger­rechts­be­we­gung. Die US-Armeebehörde (Depart­ment of the Army) berief sich darauf, dass sie sich auf Einsätze bei schweren Unruhen vorbe­reiten müsse, wie sie etwa im Juli 1967 die Stadt Detroit betrafen. Unter anderem versuchten Geheim­dienste, mit Hilfe von statis­ti­schen Daten Unruhen zu prognos­ti­zieren. Während der Senat das Programm als geset­zes­widrig einstufte, wies der Oberste Gerichtshof der USA eine Klage dagegen ab.

Lücken­hafte US-Gesetzgebung

Der Gesetz­geber war gefragt, um die Verar­bei­tung von perso­nen­be­zo­genen Daten zu regu­lieren. Den Anfang machte die Nixon-Regierung mit dem „Fair Credit Reporting Act“, einem Gesetz, das Regeln zum Handel mit Reporten über die Kredit­wür­dig­keit von Person einführte. Solche Reporte enthielten oft pikante Details, waren aber manchmal fehler­be­haftet. Auf der Höhe der Watergate-Affäre debat­tierte der Kongress ein Bundes­da­ten­schutz­ge­setz, den „Privacy Act“. Die Geset­zes­vor­lage aus dem Senat war weit­rei­chend, während das Reprä­sen­tan­ten­haus eine abge­schwächte Version vorschlug, die auch der neue Präsi­dent Gerald Ford unter­stützte. Schließ­lich einigten sich die beiden Kammern auf einen verwäs­serten Kompromiss.

Der „Privacy Act“ von 1974 betraf ledig­lich Bundes­be­hörden, enthielt aber zahl­reiche Ausnahmen für Geheim­dienste. Der gesamte Privat­sektor blieb ausge­spart. Ein Aufsichts­gre­mium, ein „Federal Privacy Board“, wie es der Senat gefor­dert hatte, kam nicht zustande. Dafür sollte eine Studi­en­kom­mis­sion, eine „Privacy Protec­tion Study Commis­sion“, unter­su­chen, wie das Gesetz weiter­ent­wi­ckelt werden könne. In ihrem Bericht empfahl die Kommis­sion unter anderem, ein „Federal Privacy Board“ einzu­setzen. Die Empfeh­lungen blieben aber weit­ge­hend folgenlos. Es folgten eine Reihe von Einzel­normen, wie etwa ein „Video Privacy Protec­tion Act“. Das Gesetz war entstanden, da ein Jour­na­list recher­chiert hatte, welche Filme sich ein Kandidat für den Obersten Gerichtshof ausge­liehen hatte.

Schwache inter­na­tio­nale Abkommen

Dieser lücken­hafte Daten­schutz, der weit­ge­hend unre­gu­lierte Privat­sektor und eine schwache Aufsicht sind mithin Ursa­chen für die heutigen Probleme im Austausch mit der EU. Aber auf inter­na­tio­naler Ebene sind verbind­liche Abkommen zum Daten­schutz Mangel­ware. Die wich­tigsten Abkommen sind Richt­li­nien der Orga­ni­sa­tion für Wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung von 1980 bzw. 2013 und eine Konven­tion des Euro­pa­rats. Darüber hinaus gibt es Richt­li­nien der Vereinten Nationen von 1990, und 2015 wurde ein UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privat­sphäre ernannt. Seit dem Menschen­rechts­jahr 1968 befassten sich die UN mit den Folgen von tech­ni­schem und wissen­schaft­li­chem Fort­schritt für Menschen­rechte, unter anderem in Hinblick auf Privatsphäre.

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Die UdSSR brachte 1974 eine entspre­chende Dekla­ra­tion ein, die aber stark auf soziale und wirt­schaft­liche Rechte ausge­richtet war und Ideale wie Frieden und Fort­schritt anstrebte. West­liche Staaten ergänzten die Dekla­ra­tion um den Schutz indi­vi­du­eller und poli­ti­scher Rechte. So brachten die USA unter anderem den Vorschlag ein, den Text um den Schutz von „the rights of the indi­vi­dual or of the group, parti­cu­larly with regard to respect for privacy“ zu ergänzen. Nachdem der Vorschlag zuerst abge­lehnt wurde, setzte die US-Delegation die Passage in einer Sitzung per Kampf­ab­stim­mung doch noch durch. Im zeit­li­chen Kontext von Water­gate und dem Privacy Act war hiermit außer dem Schutz vor elek­tro­ni­scher Über­wa­chung wohl auch Daten­schutz gemeint.

Wenn Ursula von der Leyen von „gemein­samen Werten“ von EU und USA in Hinblick auf Daten­schutz spricht, ist das nicht aus der Luft gegriffen. In den USA besteht eine lange Tradi­tion eines Schutzes der Privat­sphäre, und das Land hat sich auf UN-Ebene explizit dafür einge­setzt. Trotzdem handelt es sich beim „Data Privacy Frame­work“ bloß um einen „wich­tigen Schritt“, um das Vertrauen der Bürge­rinnen zu gewinnen, wie die Kommis­si­ons­prä­si­dentin ausführte. Denn die USA selbst haben eine bruch­stück­hafte Daten­schutz­ge­setz­ge­bung, und sie hatten in den 1970er Jahren auf eine eigen­stän­dige Aufsicht verzichtet. Es bleibt abzu­warten, ob unter diesen Voraus­set­zungen ein effek­tiver Schutz von EU-Daten gelingen kann.

Die Schweiz hat übri­gens ihr Daten­schutz­ni­veau auf das der euro­päi­schen DSGVO ange­hoben. Ab September entscheidet hier der Bundesrat darüber, ob andere Staaten dieses Schutz­ni­veau einhalten. Dies­be­züg­lich verhan­delt die Schweiz derzeit mit den USA über ein geson­dertes Rahmenwerk.

Verbind­liche Normen und Kontrollen gefragt. Das Beispiel TikTok

Dass Mecha­nismen für einen inter­na­tio­nalen Daten­schutz wichtig sind, zeigt indes der Konflikt der USA um die Appli­ka­tion TikTok, da befürchtet wird, dass Nutzer­daten über die Eigen­tü­mer­firma Byte­Dance nach China abfließen könnten. Außerdem wird befürchtet, dass die chine­si­sche Regie­rung das Programm für Propa­ganda nutzen könnte. Dass mäch­tige Committee on Foreign Invest­ment in the United States (CFIUS) fordert einen Verkauf der chine­si­schen Anteile. Auch wenn Experten keine Hinweise für spezi­elle Spio­na­ge­pro­gramme sehen und die Funk­tionen mit anderen Social-Media-Plattformen vergleichbar seien, ist die Fülle an Infor­ma­tionen, die solche Programme verar­beiten, beacht­lich und reichen vom geogra­fi­schen Standort über indi­vi­du­elle Vorlieben bis hin zu Finanz­daten. TikTok bestreitet indes, dass Infor­ma­tionen an die chine­si­sche Regie­rung weiter­ge­reicht würden, und sagt, dass Daten in einer Cloud auf ameri­ka­ni­schem Terri­to­rium verwaltet würden. Allge­mein erscheint die Sorge vor Spio­nage aller­dings berech­tigt. Erst im Februar hat das US-Militär einen chine­si­schen, mutmaß­li­chen Spio­na­ge­ballon über US-Gebiet abge­schossen –  einfa­cher ist jedoch der grenz­über­schrei­tende Weg über das Internet, den chine­si­sche Hacker häufig beschreiten.

Zwar sind die USA kein auto­ri­täres Regime, doch schei­terten wie gezeigt bishe­rige trans­at­lan­ti­sche Daten­schutz­ab­kommen an der Befürch­tung, dass sich US-Sicherheitsbehörden einen weit­rei­chenden Zugriff auf euro­päi­sche Nutzer­daten von Inter­net­kon­zernen sichern könnten. Die Frage steht in Zusam­men­hang mit einer Reihe von Fällen, die der Jurist Andrew Keane Woods unter dem Begriff „Data Sove­reignty“ subsum­miert. Wenn Mecha­nismen fehlen, um grenz­über­schrei­tende Rechts­an­sprüche zu mode­rieren, so argu­men­tiert Woods, könnten Staaten geneigt sein, die Infra­struktur des Inter­nets unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Frei­heit des Inter­nets stünde so auf dem Spiel.