Als „die „aufregendste deutschsprachige Publikation des Jahres“ lobpreiste Rudolf Augstein die 1977 erschienene Dissertation des damaligen Freiburger Promovenden und Germanisten Klaus Theweleit. Das zweibändig veröffentlichte Werk, das mit seinen 1174 Seiten einen Meilenstein der noch kaum erzählten Geschichte deutscher Männlichkeit markierte, gilt noch immer als ein Gegenstand, von dem sich adäquate Umgangsweisen mit Reizwörtern wie ‚toxische Männlichkeit‘, ‚Heteronormativität‘ oder ‚#metoo‘ erhofft werden. Das collagenartige Konvolut, das zuerst bei dem kleinen Verlag Roter Stern erschien, gilt als diskursprägend: Es versprach nichts weniger als eine „Psychoanalyse des weißen Terrors“, wie es im Untertitel des zweiten Bandes hieß. Schnell zum Überraschungserfolg avanciert und vom linksstudentischen Milieu gefeiert, bot Theweleit nicht nur eine Faschismusanalyse, sondern mit dem Fokus auf soldatische Männerkörper auch einen weiteren, für das Deutschland der 1970er Jahre neuartigen Erklärungszusammenhang.

„So aktuell wie nie“ (Werbetext); Quelle: matthes-seitz-berlin.de
Doch muss sich das Buch heute die Frage gefallen lassen, ob es denn noch so zeitgemäß ist, wie es die Wiederveröffentlichung und die mediale Allpräsenz seines Autors suggerieren. Was wird sich von diesem unveränderten Werk aus den 1970er Jahren in Bezug auf gegenwärtige Geschlechterfragen versprochen? Schließlich tragen das Buch und seine Thesen die Signatur seiner Epoche. Korpsliteratur, Nachkriegs-Deutschland, Faschismus: Theweleit interessiert sich – das machen die Gegenstände, deren mentalitätsgeschichtliche Ursprünge er bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt, und die psychoanalytische Methode deutlich – für die Geburt des Faschismus aus dem Geiste männlicher Gewalt.
Die Wiederveröffentlichung ist keineswegs nur von Lob begleitet. Die Historikerin Birte Förster etwa kritisierte in der SZ den notorischen Vergleich unserer Gegenwart mit der Weimarer Republik, dem aufgrund der „Eigengeschichtlichkeit der ersten Republik“ mit Vorsicht zu begegnen sei. Zudem bereitet ihr die Frage, was das Buch heute über Feminismus auszusagen hätte, Unbehagen. Und auch Uli Krug widmete sich in der Jungle World dem Buch, hier jedoch unter dem Gesichtspunkt der in den Augen des Autors nicht mehr ganz stichhaltigen Faschismusanalyse Theweleits. Was diese Kritiken jedoch nicht erwähnt haben und was auch eine Leerstelle in der methodischen wie theoretischen Ausrichtung des Buchs darstellt, sind die strukturellen Bedingungen, unter denen ‚Geschlecht‘ und das Reden darüber sich konstituieren: Geschlechterrollen sind Erfindungen, die wandelbar und nicht zu trennen sind von anderen Faktoren wie der Klassenzugehörigkeit, der Nationalität oder dem eigenen Glaubenssystem. Damit eng verwoben ist eine weitere Auffälligkeit im Umgang mit dem Buch und seinem Autor: Die deutschsprachige Öffentlichkeit scheint sich nur dann für Männlichkeiten zu interessieren, wenn sie, wie die mediale Dauerpräsenz Theweleits dieser Tage vermuten lässt, mit dem Reden über Faschismus das Reden über Männlichkeit verdecken kann.
Diskurs denken
Die Kritik am dem Buch ließe sich polemisch auf die Arbeitshypothese bringen: Die Männerphantasien konnten „Diskurs“ nicht denken. Mit Diskurs sind regelgeleitete Aussagesysteme gemeint, die a) entstehen (Sigmund Freund etwa wäre ein solcher Diskursbegründer), b) verändert werden oder sich c) zu sogenannten Dispositiven verdichten können. Eine solche Verdichtung beobachtet Michel Foucault im späten 18. Jahrhundert etwa im Bereich der Sexualität: durch die Erfindung der bürgerlichen Kleinfamilie, die Einhegung des Sex in Institutionen (Kirchen, Schulen etc.), neue Erkenntnisse in den sich gerade formierenden Naturwissenschaften und das Entstehen einer kapitalistischen Marktlogik setzt sich das Sexualitätsdispositiv als Erfolgsmodell des Viktorianismus durch. Frauen und Männern wurden spezifische, komplementäre Rollen zugeordnet, denen eine Form der Naturhaftigkeit angedichtet wurde. Damit ist ein Einschnitt in der Wahrnehmung der Geschlechter unternommen, und eine Betrachtung der Modelle, die nunmehr abgelöst wurden, kann verraten, dass es sich bei diesen Rollen, die teils bis heute ihre Gültigkeit bewahren, um historisch wandelbare handelt.
Für Theweleit dagegen gibt es primär Konstanten, die solchen Veränderungen von Aussageweisen nicht Rechnung tragen können. Das lässt sich zunächst an der Handhabung seiner Gegenstände ablesen. Theweleit bewegt sich in einem bereits abgesteckten Feld, in dem Geschlechter-Rollen und -Positionen für ihn schlicht gegeben sind: Eine solche psychoanalytische Lesart, an der Theweleit auch aktuell noch festhält, kauft sich immer schon etwaige Urszenen und Verhältnismäßigkeiten zwischen den Geschlechtern ein, die als Kernelemente westlicher Kultur gesetzt werden und die wie mit einem Taschenspielertrick aus der ‚Urzeit’ in die Gegenwart der bürgerlichen Gesellschaft übersetzt werden, ohne auf erkenntnistheoretische und wissensgeschichtliche Veränderungen befragt zu werden.
Gender
Das bedeutet: Die Kategorie ‚Geschlecht‘ wird von Theweleit dezidiert nicht als historisch wandelbares Set von Praktiken gedacht, als die es insbesondere die Theorie sogenannter „hegemonialer Männlichkeiten“ (Raewyn Connell) denkt. Bei einer solchen Männlichkeit handelt es sich um
kein[en] starr, über Zeit und Raum unveränderliche[n] Charakter. […] Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frau gewährleistet.
Was Connell und andere Forscher*innen im Anschluss an diese Überlegungen weiter-, um- und fortgedacht haben, bezieht sich auf ein Konstrukt, das im globalen Norden etwa in Typen wie dem Versorger, dem Profi-Sportler oder dem Hollywoodstar identifiziert werden kann – und diese Typen gelten dann als hegemonial, wenn sie die „männliche Herrschaft“ (Bourdieu) sichern können. In diesem Zusammenhang haben sich vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts Formen hybrider Männlichkeiten herausgebildet, die sich durch eine hohe Flexibilität, große Anpassungs- und Aneignungsfähigkeiten auszeichnen und deren Entstehung sich mitunter neoliberaler Tendenzen ‚verdankt‘.
Theorien dieser Art sind sich einig, dass der Körper als Austragungsort diskursiver Praktiken zu verstehen ist – und das mit realweltlichen Konsequenzen. Zu behaupten, dass Frauen stets (!) nur als Teil der, so Theweleit, männlichen „Anti-Produktion“ einen Platz innerhalb gesellschaftlicher Konstrukte zugewiesen bekommen, ist aus feministischer Perspektive ebenso fragwürdig wie schlichtweg frech: Die materiellen Effekte, die diskursive Praktiken und strukturelle Unterdrückung zeitigen, sind sehr real. Ein behauptetes So-Sein von Männlichkeit und Weiblichkeit verhindert, dass etwa strukturelle Benachteiligung in ihrem kulturellen und geschichtlichen Werden gedacht werden können. Wenn, wie vermeintlich kritisch auch immer, das Weibliche bei Theweleit als ein den Mann Bedrohendes und Fließendes gesetzt wird, dann wird die strukturelle Opposition von männlich-hart vs. weiblich-weich etc. schlichtweg fortgeschrieben.
Ein Ernstnehmen der Gender Studies könnte dies sichtbar machen, da es dort sowohl um die Frage geht, auf welche Weise den Geschlechtern ein Platz im Sprach- und Zeichensystem zukommt, als auch um die realweltlichen Konsequenzen dieser Prozesse, die sich am Körper materialisieren und die sich darin einschreiben. Vorgänge dieser Art und ihre historisch-kulturelle Wandelbarkeit werden von den Essentialisierungen, die Theweleit vornimmt, einfach verschluckt – und mit der Setzung ‚der Geschlechter‘ wird dem Feminismus jede Form von agency genommen. Gerade mithilfe der Gender Studies können die diskursiven Akte sichtbar gemacht werden, durch die Körper hervorgebracht werden, sodass Geschlechterkategorien letztlich auch hinterfragt und aufgebrochen werden können.
„Körperpanzer“

Wilhelm Reich; Quelle: pinterest.com
Vor diesem Hintergrund muss auch darüber nachgedacht werden, inwiefern das Bild des „Körperpanzers“, um das das Theweleits „Männerphantasien“ kreisen, überhaupt noch tragfähig ist. Stichwortgeber dafür war der Psychoanalytiker Wilhelm Reich mit seinen sehr einflussreichen Büchern Charakteranalysen (1933) und Die Entdeckung des Orgons (1942). Für Reich war der „Charakterpanzer“ das Ergebnis eines Prozesses „der ‚Selbstdistanzierung‘, ‚Selbstkontrolle‘, ‚Selbstbeobachtung‘“ und einer „‚Dämpfung der Affekte‘, ein[es] ‚Entgegensetzen‘ von Innen und Außen, von nah und fern“. Gegen vom Mann selbst vorgenommene „Entgrenzungen“, die seit dem 11. Jahrhundert eingesetzt hätten, lege sich der Mann einen „Panzer“ gegen das fließende Außen zu, das Theweleit auch als ‚das Weibliche‘ identifiziert.
Vor dem Hintergrund einer in der Zwischenzeit vorangeschrittenen Forschung zur Körpergeschichte allerdings ist dieses Bild einer Zurichtung des männlichen Körpers für, so Theweleit, den Einsatz im „Kampf für Größe und Vaterland“ als Kulminationspunkt dieser „Panzerung“ arg verkürzt. Am Objekt des „männlichen Körpers“ lagern sich Spuren vielfältiger Wissensformationen und Erkenntnisinteressen ab (der Körper als Maschine, der Körper als Einsatzort von Psychotechniken, der Körper als Performanz, etc.). Er entsteht in enger Abhängigkeit zu anderen Formen geschichtlich wandelbarer, institutioneller Regulierungsmaßnahmen (Kirche, Schule, Gefängnis etc.). Und das heißt auch: Sofern sich Körper-imagines auf der einen Seite zusehends radikalisieren (Stichwort Körperkulte) und auf der anderen Seite zugleich in Auflösung begriffen sind (Stichwort Digitalisierung), muss diesem Spannungsverhältnis Rechnung getragen werden. Zugespitzt ließe sich behaupten: Wer sich noch immer auf den „Körperpanzer“ als alleiniges Erklärungsmodell bezieht, verfährt anachronistisch.
Die mediale Omnipräsenz Theweleits, von der sich das Feuilleton die Klärung von Modebegriffen wie etwa dem der „toxischen Männlichkeit“ erhofft, verrät etwas anderes: Es ist offenbar vielmehr so, dass sich Theweleits Kernthese und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit im Umgang mit seinen Männerphantasien analog verhalten. Die aktuelle Konjunktur des Buches hat ihren Fluchtpunkt in der Faschismusanalyse. Durch die Theweleit’sche Brille betrachtet ist der Faschismus Zielpunkt und Entladungsort männlicher Gewaltphantasien. Deutsche Männlichkeit würde dann – und eben nur dann – zu einem Problem, wenn sie als Teilhabe an den faschistischen Verbrechen verstanden wird. Durch die Linse der Männerphantasien ist der Faschismus einerseits „Ergebnis eines männlichen Körperzustands“; andererseits wird der „faschistische Mann“ als Ergebnis einer Angst vor der eigenen Körperauflösung konzipiert. Er versuche, „Herrschaft über die vermeintlich unkontrollierbaren „weiblichen“ Anteile in sich zurückzuerlangen, das Weiche, Leidenschaftliche und Lebendige zu unterjochen“.
Als Ziel- und Ausgangspunkt einer in „Jahrtausenden eingeübten Form des Ausagierens psychischer Spannungen“ zerstöre der Männerkörper sich und andere – Gewaltausübung wird in dieser Lesart zum alleinigen Motor des Zivilisationsprozesses. Und nicht zuletzt werden auch gegenwärtige Phänomene wie Donald Trump oder Anders Breivik als Ausdruck einer Gewalt- und Körpergeschichte verstanden, die im Archetyp des soldatischen Mannes „die extremste Inkarnation pathologischer, konstitutiv frauenfeindlicher Männlichkeit“ findet. Als Ursache und Wirkung von Männlichkeit wird der Faschismus zum umfassenden Erklärungsmodell des Geschlechterverhältnisses stilisiert, und weitere Erklärungen – eingedenk anderer Kategorien wie class, race, belief etc. – werden wie in diesem Interview in der NZZ schlicht abgekanzelt.
Umlenken
Wenn es (nur) der Faschismus ist, der den Entladungspunkt des gewalttätigen Verhältnisses darstellt, das das Patriarchat zwischen ‚den Geschlechtern‘ installiert hat, dann drohen in dieser Perspektive andere, latentere Phänomene auf das Abstellgleis der vermeintlichen Irrelevanz zu geraten. Zu fragen wäre nach den Bedingungen struktureller Ungleichheiten, deren Produktionsbedingungen und diskursiven Regelungen, die das Verhältnis von ‚Männlichkeit‘ und ‚Nicht-Männlichkeit‘ seit nunmehr 250 Jahren steuern. Denn zwar haben sich die Vorstellungen von dem, was Männlichkeit und Weiblichkeit ist, in den vergangenen 50 Jahren stark verändert, und auch die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern sind ins Wanken geraten: jedoch legen Gegenbewegungen etwa durch Radikalisierung (Pick-up-Artists, Incels) oder Flexibilisierung bzw. Hybridisierung (‚der Metrosexuelle‘, ‚der weiche Mann‘) noch immer Zeugnis von den Stabilisierungsversuchen der kulturellen Hegemonie von Männlichkeit ab.
Dass die Männerphantasien derlei Phänomene nicht nur nicht zu erklären in der Lage sind, sondern dass sie im öffentlichen Raum dazu instrumentalisiert werden, die Diskursivität des so wichtigen wie problematischen Gegenstands ‚Männlichkeit‘ hinter dem Schleier der Faschismuskritik zum Verschwinden zu bringen, macht sie vielmehr erkennbar als Teil einer Diskursströmung, die sich einer Form kritischer Männlichkeitsforschung verweigert und sich sogar mit Formen männlicher Hegemonie komplizenhaft zeigt. Es gibt eine Bandbreite an progressiver, neuer und aktueller Forschung, auf die sich einzulassen es allemal wert ist – das wäre die eigentliche Herausforderung angesichts der bedenklichen politischen Entwicklungen unserer Gegenwart.