Grenzen haben sich geöffnet, Gesellschaften haben sich internationalisiert, die sozialen Schichten aber schotten sich neuerdings rigoros voneinander ab. Bi-kulturelle Paare werfen da die Frage nach Gleichheit und Ungleichheit, nach Zugehörigkeit auf. Ihr Verdienst: Sie verweigern den Eindeutigkeitszwang aller Identitätsforderungen.

  • Michael Jeismann

    Michael Jeismann ist Journalist, apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, arbeitet für das Goethe-Institut. Er hat zu Nationalismus, Kriegerdenkmälern sowie zur internationalen Vergangenheitspolitik und jüngst zur Geschichte der „gemischten Paare“ publiziert.

In der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land hat sich die Zahl der „gemischten Paare“ im Zeit­raum von 1996 bis 2018 von 723.000 auf 1,5 Millionen mehr als verdop­pelt. Das ist die Einwoh­ner­zahl einer Stadt wie München. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die deut­sche Gesell­schaft sich nach­haltig inter­na­tio­na­li­siert hat. Die Zunahme solcher „gemischter Paare“ ist welt­weit zu beob­achten, in den Verei­nigten Staaten ebenso wie in China. Hinter den Zahlen spielt sich eine große, bewe­gende Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte ab: Alterität, die – aus Inti­mität geboren – öffent­lich verhan­delt wird. Wer darf dazu­ge­hören, wer nicht und aus welchen Gründen?

In die rich­tige Tradi­tion einheiraten

Mixed Couple, Gross­bri­tan­nien, um 1900; Quelle: pinterest.com

Es war kein Gerin­gerer als Alexis de Tocque­ville, der im fünften Buch seines Werks Der alte Staat und die Revo­lu­tion fest­stellte, dass nichts so gut Aufschluss über die Schich­tungen und Aspi­ra­tionen einer Gesell­schaft gebe wie die Zusam­men­set­zung der Ehen. So beob­ach­tete er, dass auch Jahr­zehnte nach der Großen Revo­lu­tion die Nach­kommen der alten vorre­vo­lu­tio­nären Eliten sorg­fältig darauf bedacht waren, nicht in jene Fami­lien einzu­hei­raten, die erst nach der Revo­lu­tion zu Macht, Vermögen und Ansehen gekommen waren. Das Heirats­ver­halten war also ein genauer Indi­kator gesell­schaft­li­cher Normen, zugleich auch ein höchst wirk­samer Faktor, indem es gesell­schaft­liche Trenn­li­nien in Gegen­wart und Zukunft fort­schrieb – oder aber gerade im Gegen­teil mit herge­brachten Einstel­lungen brach und damit ein Signal an ganze Gesell­schaften aussandte. Die Auflö­sung der stän­di­schen Heirats­ord­nungen im Verlauf des neun­zehnten Jahr­hun­derts legt Zeugnis davon ab.

Da es hier um Gleich­heit und Diffe­renz im Innersten einer Gesell­schaft geht, ist beson­ders die Demo­kratie durch die „gemischten Paare“ heraus­ge­for­dert. Einer teilt, so der Verdacht, nicht die funda­men­talen Loya­li­täten seines Part­ners und verfolgt fremde Inter­essen, bleibt also seiner Herkunft verhaftet. Man denke nur an die Debatten über Paral­lel­ge­sell­schaften und Ehren­morde. Dieser Verdacht war schon in der Antike ein Leit­motiv, als Peri­kles mit seinem Bürger­schafts­ge­setz im Jahr 450/51 die lokale Abstam­mung als entschei­dendes Krite­rium für die Zuge­hö­rig­keit zur Bürger­schaft Athens einführte: Nur wenn beide Eltern gebo­rene Athener waren, sollten ihre Kinder auch als voll­wer­tige Bürger Athens aner­kannt werden. Die (Nach-)wirkungen waren unge­heuer, nicht zuletzt weil das Gesetz die wirt­schaft­lich vorteil­haften Heirats­al­li­anzen nach Klein­asien und übers Schwarze Meer für die begü­terten Adels­ge­schlechter poli­tisch unin­ter­es­sant machte. Regio­nale Abstam­mung ist seit dieser Zeit ein formelles Krite­rium für Zuge­hö­rig­keit – und wird immer wieder zum Ausschluss ganzer Gruppen oder Einzelner benutzt.

Uran und Menschenrechte

Unmit­telbar nach dem Zweiten Welt­krieg mussten die Englän­derin Ruth Williams und Seretse Khama schmerz­lich erfahren, wie eine Mischung aus rassis­ti­schen Vorbe­halten und poli­ti­schen Oppor­tu­ni­täts­mo­tiven ihre Verbin­dung fast verhin­dert hätte. Sie war Tochter eines pensio­nierten Kolo­ni­al­be­amten und Ange­stellte bei der Versi­che­rungs­ge­sell­schaft Lloyds, er stammte aus dem afri­ka­ni­schen Adel, studierte Rechts­wis­sen­schaften in London und wurde später erster Präsi­dent der Repu­blik Bots­wana. In einem aben­teu­er­li­chen Wett­lauf gegen die Zeit gelang es ihnen, im Jahr 1948 in London stan­des­amt­lich zu heiraten, obwohl das briti­sche Außen­mi­nis­te­rium und auch die angli­ka­ni­sche Kirche alles in Bewe­gung gesetzt hatten, dass es nicht zu dieser Trauung kam. Dabei hatte im selben Jahr auch Groß­bri­tan­nien die von den Vereinten Nationen verkün­dete Allge­meine Erklä­rung der Menschen­rechte unter­zeichnet und somit die freie Wahl des Ehepart­ners, unab­hängig von Herkunft und sozialem Status, zu schützen versprochen.

Die massiven Schi­kanen, die die beiden durch die briti­sche Regie­rung zu erdulden hatten, führten dazu, dass sich inter­na­tional zahl­reiche Unter­stüt­zungs­ko­mi­tees bildeten und es zu einer welt­weiten Mobi­li­sie­rung gegen Rassismus kam. Der Protest vor allem in den Commonwealth-Ländern, aber auch in den USA gegen die Verban­nung Seretses aus seinem Heimat­land und gegen die Behand­lung von Ruth und Seretse durch die briti­sche Politik markierte den Beginn einer neuen Ära. Zwar gab es in Groß­bri­tan­nien und im ganzen Common­wealth keine gesetz­li­chen Beschrän­kungen von „gemischten Paaren“; aber man meinte, in diesem Fall aus politisch-taktischen Gründen Rück­sicht auf das Apart­heid­re­gime in Südafrika nehmen zu müssen, das über große Uran­vor­kommen verfügte und damit für die briti­sche Atom­be­waff­nung zu Beginn des Kalten Krieges ein wich­tiger Rohstoff­lie­fe­rant war.

The Wind of Change

Ruth Williams und Seretse Khama, 1956; Quelle: telegraph.co.uk

Zugleich aber wuchs bei der briti­schen Regie­rung ange­sichts der einset­zenden Unab­hän­gig­keits­be­we­gungen in den eins­tigen Kolo­nien die Sorge um die propa­gan­dis­ti­schen Effekte ihrer eigenen Politik. Vor allem wollte man der Sowjet­union keine Gele­gen­heit für Nega­tiv­pro­pa­ganda liefern. Denn nun standen solche Staaten in der Kritik, die von Vermi­schung nichts wissen wollten und aus welchen Gründen auch immer „gemischte Paare“ nicht tole­rierten. Das machte auch in London beim neuen Premier Anthony Eden Eindruck. Und so wurde Seretse und Ruth im Jahr 1956 schließ­lich die Rück­kehr nach Betschua­na­land erlaubt, das als Repu­blik Bots­wana in den folgenden Jahr­zehnten eine afri­ka­ni­sche Erfolgs­ge­schichte schrieb. Diese neue Haltung verwies schon auf eine neue Politik, wie sie Premier­mi­nister Harold Macmillan in seiner Rede im Jahr 1960 in Kapstadt ankündigte.

Bis zum Ende der sech­ziger Jahre gab es dann in weiten Teilen der Welt tatsäch­lich keine offi­zi­elle Gesetz­ge­bung mehr gegen „gemischte Paare“ – in reli­giös geprägten Staaten wird aller­dings nach wie vor rigoros die Konver­sion des ‚fremden‘ Part­ners gefor­dert. In den Verei­nigten Staaten sorgte ein Urteil des Obersten Gerichts­hofs im Fall Loving vs. Virginia im Jahr 1968 dafür, dass Ehen zwischen Weißen und Schwarzen, über­haupt alle „gemischten Ehen“ im ganzen Land erlaubt wurden. Der Tag des Urteils­spruchs, der 12. Juni, wird heute als loving day auch von der LGBTQ-Szene gefeiert, die unter Beru­fung auf das Urteil von 1968 schließ­lich im Juni 2015 das Recht zur gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe erstritt.

Eine tragisch geschei­terte Eman­zi­pa­ti­ons­be­zie­hung wie die zwischen der deut­schen Jüdin Ottilie Davida Assing, einer enga­gierten Jour­na­listin und Schrift­stel­lerin, die mit den Varn­ha­gens verwandt war, und dem promi­nenten afro-amerikanischen Bürger­rechtler Frede­rick Douglass zeigt aber auch, wie voraus­set­zungs­reich die gemein­same Über­win­dung solcher Margi­na­li­sie­rung war. Respek­ta­bi­lität war für Frede­rick Douglass ein wich­tiger Gesichts­punkt als führender schwarzer Aboli­tio­nist und so verließ er seine Frau nicht, um mit Ottilie zusam­men­zu­leben. Für Ottilie aber zählte eine ganz andere Haltung: Gerade ihr Außen­sei­tertum befeu­erte ihren Elan, ihren Enthu­si­asmus und ihre Krea­ti­vität. Aus diesem Grund verletzte sie die Konven­tio­na­lität von Frede­rick Douglass abgrund­tief: Er hätte sie nach dem Tod seiner Frau heiraten können, zog statt­dessen aber eine jüngere weiße Bürger­recht­lerin vor. Ottilie verließ die USA, zog nach Paris, wo sie schließ­lich Selbst­mord beging.

Die neuen Zyklopen

Dennoch ist das „Für-sich“ und „Unter-Sich-Bleiben“ von einst heute wieder eine gängige soziale Haltung, taucht aller­dings in neuer Form zwei­fach auf. Diese neue Abschot­tung ist nicht gesetz­lich bestimmt, sondern gesell­schaft­lich: Sie richtet sich einer­seits gegen Menschen, die von außer­halb kommen, Geflüch­tete in der Regel – und gegen alle, die sie aufzu­nehmen bereit sind. Diese aggres­sive Abschot­tung mitsamt ihren ethni­schen und sozialen Rein­heits­vor­stel­lungen sugge­riert, dass so etwas wie Zivi­li­sa­tion ohne kultu­rellen Austausch und ohne „Vermi­schung“ möglich sei, dass man prin­zi­piell die anderen nicht brauche, ja, ohne sie besser zurecht­komme. Es ist offen­sicht­lich, dass davon keine Rede sein kann, weder heute noch früher. Solche Haltung, die an die Selbst­iso­lie­rung der Zyklopen in der Odyssee erin­nert, ist ein sozial-psychologischer Abwehr­re­flex ange­sichts einer Realität, die durch starke Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Gesell­schaften welt­weit gekenn­zeichnet ist.

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Abschot­tung findet aber auch mehr und mehr inner­halb der sozialen Schichten statt: Ein closing, das nach Jahr­zehnten einer Politik der Öffnung und geför­derter Chan­cen­ge­rech­tig­keit merk­würdig anmutet. Man heiratet seit mehr als zwanzig Jahren sozial gesehen in der Regel unter Glei­chen – und das ganz ohne Vorschriften: Geld zu Geld und auch Bildung und Besitz finden zuein­ander. Das liegt vor allem daran, dass Frauen in den vergan­genen Jahr­zehnten trotz aller fort­be­stehender Diskri­mi­nie­rung auf bestimmten Feldern des Arbeits­marktes sowie bei Bildung und Besitz aufge­holt haben – und sich damit die Chancen des Zusam­men­tref­fens auf Augen­höhe inner­halb ein und derselben Schicht dras­tisch erhöhen.

Die Frage ist, was unter diesen Umständen die wach­sende Zahl „gemischter Paare“ poli­tisch und kultu­rell eigent­lich bedeutet – und ob sie über­haupt etwas bedeutet ange­sichts der beiden oben benannten Tendenzen zur parti­ellen gesell­schaft­li­chen Abschlie­ßung. Ist die wach­sende Zahl der „gemischten Paare“ ein Anzei­chen für wach­sende Tole­ranz und größere Selbst­ver­ständ­lich­keit des Multikulturellen?

Die letzten Helden?

Es soll nicht das Binnen­ver­hältnis dieser Paare beleuchtet werden, wie von Seiten der Ethno­logie sowie der Sozi­al­psy­cho­logie viel­fach geschehen, mit Fragen nach der Verein­bar­keit unter­schied­li­cher kultu­reller Prägungen im weitesten Sinn. Statt­dessen drehen wir uns um und richten den Blick auf die Gesell­schaften selbst. Bislang gab es keine Gleich­heit, auch nicht unter Paaren, ohne dass gesagt worden wäre, wer – aus welchen Gründen auch immer – nicht gleich sei, nicht gleich sein könne und auch nicht dürfe. Wenn es offen­sicht­lich Unter­schiede gibt, Unter­schiede, die durch Zuwan­de­rung heute mehr denn je so präsent sind, dann ist die Frage, die sich lange hinter dem Gleich­heits­pos­tulat stumm versteckt hielt, wieder sehr deut­lich vernehmbar: Wie lässt sich mit diesen Unter­schieden so umgehen, dass sie nicht als Bedro­hung empfunden werden müssen, sondern als Chance für die Gesell­schaft gesehen werden? Und was ist die Gleich­heit der einen gegen die Ungleich­heit der anderen, die von Fall zu Fall bestimmt wird?

The Royal family, mixed; Quelle: dearly.com

In dieser Lage sind die „gemischten Paare“ eine Probe auf die Möglich­keiten im Innersten der Gesell­schaften. In einer Zeit, die viel Radi­ka­lismus aller Art hervor­bringt, in der Hass und Dumm­heit sich rabiat Gehör verschaffen, prak­ti­zieren die „gemischten Paare“ den sanften Radi­ka­lismus der Liebe. Es wirkt auf den ersten Blick wie schlechter Roman­ti­zismus, tatsäch­lich aber scheinen die „gemischten Paare“ noch am ehesten der Logik der sozialen Homo­gamie und der Iden­ti­täts­po­litik zu entkommen, weil sie am Ende doch das Risiko des Unbe­kannten, Anderen eingehen – selbst bei schein­barer sozialer und sons­tiger Gleich­heit. Die Paare, die alle büro­kra­ti­schen Hürden gemeinsam über­winden, die Miss­ver­ständ­nisse unter­ein­ander und die Ableh­nung anderer aushalten, sehen sich oft zwischen allen Stühlen, wenn sie ihre ‚eigent­liche‘ Zuge­hö­rig­keit, ihre Loya­lität zur „Mehr­heits­ge­sell­schaft“ zu erkennen geben sollen. Wenn sie inte­grativ wirken, dann durch ihr sicht­bares Beisam­men­sein, durch ihre eigene Selbst­ver­ständ­lich­keit. Und durch ihre Kinder, in denen vereint ist, was als unver­einbar betrachtet wurde.

 

Im letzten Jahr erschien von Michael Jeis­mann „Die Frei­heit der Liebe. Paare zwischen zwei Kulturen. Eine Welt­ge­schichte“ (C. Hanser Verlag, München).