Der Film Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings führt einen chinesischen Superhelden ins Marvel-Universum ein. Aber Shang-Chi hat den Diskurs der Gelben Gefahr im Gepäck.

  • Ruth Mayer

    Ruth Mayer ist Professorin für Amerikanistik an der Leibniz Universität Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien.
Geschichte der Gegenwart
Geschichte der Gegenwart 
Dad und die Gelbe Gefahr
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Shang-Chi ist der neuste Super­star am Himmel des Marvel Cine­matic Universe (MCU): eine weitere der vielen Comic­fi­guren, die im Blockbuster-Kino wieder­ent­deckt, neu insze­niert und seriell einge­bunden werden in immer komplexer verzweigte narra­tive Welten und die trans­me­dial ange­legten Verweis­sys­teme der Post-Cinema-Ära.

Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings lief in der ersten Septem­ber­woche welt­weit mit riesigem Erfolg an, und parallel wurde die Erklär-Maschinerie ange­worfen, in der Fans die Signale und Anspie­lungen des Films zu deuten versu­chen. Vor allem geht es um Speku­la­tionen über mögliche Fort­set­zungen und Quer­ver­bin­dungen. Sollte Shang-Chi zum elemen­taren Bestand­teil des Marvel-Universums werden, würde das bedeuten, dass nach T’Challa aus Black Panther (2018) nun ein weiterer zentraler Super­held of color zur Riege der Aven­gers stößt. Aber wie T’Challa bringt Shang-Chi einiges an Gepäck mit sich. Die Figur verweist natür­lich zurück auf die klas­si­schen Superhelden-Comics des letzten Jahr­hun­derts, aber sie ist darüber hinaus in einem sehr viel brei­teren Diskurs veran­kert: der Ideo­logie der Gelben Gefahr mit ihrem ganz eigenen Figureninventar. 

In den Comic­er­zäh­lungen aus den 1970er Jahren, die Shang-Chi aller­erst ins Leben riefen, wird der Figur nämlich explizit eine lange und höchst proble­ma­ti­sche Fami­li­en­ge­schichte zuge­schrieben. Shang-Chis Vater ist niemand anderes als Fu Manchu. Heute ist Fu Manchu vergessen, aber im 20. Jahr­hun­dert fungierte er als der Inbe­griff des chine­si­schen Super­schurken. Ist er nun ein weiteres Mal zurück? Kann er sein böses Image über­winden? Und was ist eigent­lich die Gelbe Gefahr? Lesen Sie weiter.

Shang-Chis erste Erschei­nung im Comic: Marvel Special Edition #15: The Hands of Shang-Chi, Master of Kung Fu (1973). Quelle: www.inverse.com

Prequel 1: Die Gelbe Gefahr

Anti-asiatische Ressen­ti­ments und Ausgren­zungen haben eine lange Geschichte, aber der Diskurs um die Gelbe Gefahr entfal­tete sich Ende des 19. Jahr­hun­derts als eine spezi­fi­sche Reak­tion auf trans­na­tio­nale Migra­ti­ons­be­we­gungen im Zuge eines globalen Finanz­ka­pi­ta­lismus, der mit impe­ria­lis­ti­scher Expan­sion einher ging. Der Begriff kam zunächst in Europa auf, lässt sich in seinem Ursprung aber nicht genau verorten. Die Gelbe Gefahr machte sich ursprüng­lich an China fest, über­trug sich dann aber auf alle mögli­chen asia­ti­schen Subjekte und Kontexte. In Deutsch­land und Groß­bri­tan­nien deutete das Gespenst der Gelben Gefahr auf impe­riale und ökono­mi­sche Ängste, in den USA mani­fes­tierte es sich eher in Debatten um Immi­gra­ti­ons­po­litik und Arbeits­mi­gra­tion – überall aber ging es grund­sätz­lich um die Frage nach einem weißen natio­nalen Selbstverständnis.

Der Topos der Gelben Gefahr, der sich in der Folge in der trans­na­tio­nalen Popu­lär­kultur als Narrativ und Bild­lich­keit etablierte, rekur­riert wesent­lich auf zwei Unter­stel­lungen, nämlich (1), dass Asiat*innen unfähig und unwillig sind, sich in fremde Ordnungen einzu­glie­dern, fremde Struk­turen aber geschickt unter­wan­dern und verein­nahmen, und (2), dass Asiat*innen sich im Westen in Form einer ‚robo­ti­schen‘ Inva­sion ausbreiten – stetig, hart­nä­ckig, resi­lient und perfekt synchro­ni­siert. Dass dieser Diskurs noch immer floriert, führt die Covid-Pandemie eindrucks­voll vor Augen: Die Rede vom ‚China-Virus‘ ruft das rheto­ri­sche Arsenal der Gelben Gefahr unge­bro­chen auf – und wie so oft zuvor mündet die Rhetorik in konkreten Aktionen – verbale und physi­sche Über­griffe auf asia­ti­sche Amerikaner*innen, über die in den letzten Wochen und Monaten viel zu lesen war.

Das Reper­toire an Ängsten und Über­zeu­gungen, das hier aufge­rufen wird, mag stabil erscheinen. Aber wie alle Ideo­lo­gien ist auch die der Gelben Gefahr höchst wandel­haft: Sie sugge­riert Zeit­lo­sig­keit und Allge­mein­gül­tig­keit, verän­dert aber ständig ihren Fokus und ihre Stoß­rich­tung. Das ist das Prinzip des Seri­ellen – in der Popu­lär­kultur wie in der Politik – Wieder­ho­lung und Varia­tion greifen inein­ander und das Vertraute gewinnt durch seri­elle Schleifen unver­mit­telt eine neue Bedeutung.

Für die Gelbe Gefahr verkör­pert die Figur Fu Manchu exem­pla­risch die Wirk­macht des Seri­ellen, wie ich in meinem Buch Serial Fu Manchu ausführe. Fu Manchu, so lesen wir schon bei seinem aller­ersten lite­ra­ri­schen Auftritt 1912, ist „the yellow peril incar­nate in one man“. Von seinem ersten Erscheinen an bis zu seinem Nieder­gang am Ende des Jahr­hun­derts chan­gierte er vom wahn­sin­nigen Wissen­schaftler zum Demagogen, vom campigen Verführer zum kalten Krieger – in ewiger Wieder­kehr („the world shall hear from me again“), lautete der berühmte letzte Satz in den Chris­to­pher Lee-Fu Manchu-Filmen der 1960er und 70er Jahre).

In seiner Flach­heit und Wieder­erkenn­bar­keit glich er anderen seri­ellen Figuren der Popu­lär­kultur – Fran­ken­steins Monster, Dracula, Tarzan – die so oft hybride Konstel­la­tionen markieren: zwischen Mensch und Maschine, zwischen Leben und Tod, zwischen Mann und Affe. Durch Fu Manchu wurde die Konstel­la­tion ‚chinesisch‘/‚westlich‘ essen­zia­li­siert und drama­ti­siert. Und wie andere seri­elle Figuren taugte auch Fu Manchu nicht nur zur Zemen­tie­rung von Vorbe­halten und Phobien, sondern wurde ebenso zum Ausgangs­punkt für Neuver­hand­lungen und Verän­de­rungen. Bestes Beispiel ist die viel-kritisierte Inter­pre­ta­tion der Figur durch Boris Karloff, die mit dem Stereotyp der asia­ti­schen Deka­denz und einer mangelnden Männ­lich­keit operierte – und unver­se­hens zum Bezugs­punkt für queere Lesarten wurde.

Prequel 2: Fu Manchu

Boris Karloff als Fu Manchu in „The Mask of Fu Manchu“ (1932), Quelle: disneyandmore.blogspot.com

Fu Manchu betrat die Bühne der popu­lär­kul­tu­rellen Imagi­na­tion in einer Geschichte des briti­schen Autors Arthur Henry Ward, der unter dem Pseud­onym Sax Rohmer publi­zierte. Die Geschichte wurde zum Roman seria­li­siert, aus dem Roman wurde eine Roman­serie, schnell kamen Film Serials, Holly­wood­filme, Radio- und TV-Serien, Comics und viele Merchandize-Produkte dazu: Fu Manchu brei­tete sich expo­nen­tiell aus. Sax Rohmer versuchte verzwei­felt, die Kontrolle über die Figur zu behalten, aber Fu Manchu entwi­ckelte ein trans­me­diales Eigen­leben, das von Copyright-Bestimmungen nicht aufzu­halten war. Schon in den 1930er Jahren wimmelte es in der Unter­hal­tungs­li­te­ratur von skru­pel­losen asia­ti­schen Genies, die Wu Fang, Chu Lung oder Dr. Yen Sing hießen. Und in den folgenden Jahren kamen neben Dr. No (James Bond) und Ming the Merci­less (Flash Gordon) Comic­fi­guren wie Ra’s al Ghul, Yellow Claw oder der Mandarin dazu, die eben­falls Fu Manchu meinten, auch wenn sie ihn nicht benannten. 1932 gewann die Figur ihre ikoni­sche Gestalt in der Perfor­mance von Boris Karloff, kurz nachdem dieser Fran­ken­steins Monster seine charak­te­ris­ti­sche Form verliehen hatte.

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Chris­to­pher Lee als Fu Manchu in „The Face of Fu Manchu“ (1965), Quelle: irishnews.com

Damals wurde der Goatee (der im englisch­spra­chigen Raum lange als ‚a Fu Manchu‘ bezeichnet wurde) zum Wieder­erken­nungs­merkmal. Auch in der Folge wurde die Rolle immer von weißen Schau­spie­lern mit stili­siert ‚asia­ti­schem‘ Makeup (yellow­face) gespielt. 1980 drehte Peter Sellers die flache Parodie The Fien­dish Plot of Fu Manchu und bald danach war es dann endgültig aus mit der Figur. Das Asian American Move­ment  und andere akti­vis­ti­sche asia­ti­sche Bewe­gungen hatten davor schon dafür gesorgt, dass die Erfolgs­ge­schichte stagnierte. Heute kennt fast keiner mehr Fu Manchu – nun ist es wirk­lich vorbei mit ihm. Möchte man meinen.

Ethnisch diffus: Liam Neeson als Ra’s al Gul in „Batman Begins“ (2005), Quelle: ign.com

Ethnisch markierte Meis­ter­ver­bre­cher sind gene­rell aus der Mode geraten – zumin­dest in popu­lär­kul­tu­rellen Insze­nie­rungen, die auf ein globales Massen­pu­blikum zielen. In Holly­wood wurde aus dem Fu Manchu-Verschnitt Ra’s al Gul in Chris­to­pher Nolans düsterer Batman-Trilogie von 2005 bis 2012 eine ethnisch diffuse Figur, von Liam Neeson gespielt, in Iron Man 3 stellte sich der Mandarin als Fake heraus, der von einem schlechten Schau­spieler perso­ni­fi­ziert wird (darge­stellt von dem ziem­lich guten Schau­spieler Ben Kingsley).

Persi­flage: Ben King­sley als der Mandarin in „Iron Man 3“ (2013), Quelle: digitalspy.com

Die Filme greifen die alte Geschichte vom asia­ti­schen Super­schurken nur auf, um sie als bloße Geschichte(n) abzutun. Aber während die bösen Asiaten verschwanden – zusammen mit ihren Schnurr­bärten, ihren asia­ti­schen Gewän­dern und den über­langen Finger­nä­geln, die Fu Manchu-Figuren so lange eindeutig zu iden­ti­fi­zieren erlaubten – blieb die Gelbe Gefahr zurück. In Batman Begins (2005) geht das Böse von einem nicht-personifizierten Netz aus, einem kalten Kapi­ta­lismus, der auf Asien proji­ziert wird (und die USA im Gegenzug als Ort eines ‚guten‘ klein­bür­ger­li­chen und fami­lialen Kapi­ta­lismus markiert). Die Gelbe Gefahr ist hier wie in vielen Hollywood-Erzählungen der Gegen­wart keine Person mehr, sondern eine amorphe Masse, ein Konglo­merat an Akteuren, die durch Fu Manchu-Figuren nur dann und wann zwei­fel­hafte Konturen gewinnen.

Enter Shang-Chi

Als die Comic-Künstler Steve Engle­hart und Jim Starlin 1973 Shang-Chi erfanden, wollten sie den Erfolg der Fern­seh­serie Kung Fu in die Comics über­tragen. Fu Manchu sollte als Bonus dazu kommen – und die älteren Leser binden, denen man keinen Sinn für den ange­sagten Kampfsport-Trend zutraute. 1982 verlor Marvel die Rechte an der Figur und Fu Manchu wurde verab­schiedet, indem ihn sein Sohn ins Jenseits beför­derte. Zu der Zeit war es ohnehin vorbei mit der Popu­la­rität des Ethno-Schurken, so dass die Welt erst einmal nichts mehr von ihm hören sollte. Später gab der Mandarin einmal ein Gast­spiel, aber erst 2021, mit der aktu­ellen Verfil­mung, werden die alte Ikone der inkar­nierten Gelben Gefahr und die neue Ikone des Kung Fu-Fighters wieder zusam­men­ge­führt. In diesem Film ist China ein mythi­scher Fantasy-Space, diesmal stark aus den Wuxia-Martial Arts-Filmen des Hongkong-Kinos entlehnt. Doch nun tritt der Vater-Sohn-Konflikt in den Vorder­grund der Hand­lung. „At the center of the legend of the rings is always one man,“ verkündet ein Erzähler zu Beginn des Films – und meint damit nicht Shang-Chi, sondern den Mandarin, oder viel­mehr: Xu Wenwu, wie die Figur offenbar mit bürger­li­chem Namen heißt.

Tony Leung Chiu Wai als Mandarin in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ (2021), Quelle: msn.com

In einer Schlüs­sel­szene des Films erläu­tert Wenwu selbst das Iden­ti­täts­pro­blem: „I have had many names over the years,“ erzählt er Katy, der chinesisch-amerikanischen Freundin seines entfrem­deten Sohnes. Den Namen Fu Manchu nennt er erst gar nicht explizit und den Mandarin tut er verächt­lich ab: „the name of a chicken dish.“ Aller­dings fällt auch der Name Xu Wenwu kaum. Haupt­säch­lich firmiert die von Tony Leung Chiu Wai gespielte Figur des Super­schurken in Shang-Chi als ‚Dad‘. Die Inkar­na­tion der Gelben Gefahr wird hier zum Unter­nehmer, dem seine frag­würde Geschäfts­moral vor der Fami­li­en­grün­dung zum Verhängnis wird. Der Mann trägt nicht mal einen Bart und sein weißer Designer-Anzug mit dezent chine­sisch anmu­tendem Steh­kragen ist meilen­weit von Fu Manchus Roben entfernt. Seine Bezie­hung zur jüngeren Gene­ra­tion ist proble­ma­tisch, aber nicht pervers, sein Gemüts­zu­stand melan­cho­lisch eher denn mega­loman und seine Männ­lich­keit steht völlig außer Zweifel. In Inter­view nach Inter­view besteht Tony Leung auf der psycho­lo­gi­schen Tiefe seiner Figur und dieser Anspruch wird durch den Umstand noch unter­stri­chen, dass ihm der Fake-Mandarin aus Iron Man 3 zur Seite steht, den Ben King­sley mit großer Freude an der Über­zeich­nung spielt.

Shang-Chi ist in jeder Hinsicht bemüht, alles richtig zu machen. Die New York Times berich­tete, dass die asiatisch-amerikanischen Produ­zenten eine Liste der gängigen Asien-Klischees und Vorur­teile führten, die es zu vermeiden galt – und sie waren zwei­fellos gründ­lich. Kein yellow­face (auf dass sich so viele Holly­wood­pro­duk­tionen der letzten Jahre immer noch verließen), keine gesichts­losen asia­ti­schen Massen, keine Yakuza oder Samurai-Krieger und nur der Hauch einer Dragon-Lady in Gestalt von Shang-Chis Schwester, gespielt von Meng ‚er Zhang. Aber die action-orientierte Hand­lungs­logik des Super­hel­den­films eignet sich nur bedingt für psycho­lo­gi­sche Portraits mit Tiefen­schärfe, so dass der Super­schurke hier letzt­lich erstarrt oder entleert wirkt – er macht so recht keinen Sinn mehr ohne das Narrativ der Gelben Gefahr und wird nun zur etwas banalen Kritik an der Eigen­dy­namik toxi­scher Männlichkeit.

Superhelden-Geeks: Katy und Shaun in „Shang-Chi and the Seven Rings“, Quelle: screenrant.com

Der asiatisch-amerikanische Hand­lungs­strang ist da deut­lich entspannter. Die Szenen um Shaun (Simu Liu), wie Shang-Chi sich in San Fran­cisco nennt, und seine Freundin Katy (Awkwafina/Nora Lum) deuten an, dass Superheld*innen einiges mit verschro­benen Geeks gemein haben. Shang-Chis Super­hel­den­kräfte werden jeden­falls nicht als magisch ausge­wiesen, sondern erweisen sich als syste­ma­tisch antrai­niert – hier wurde der jugend­liche Super­held durch den verbis­senen Über­vater gene­riert, nicht durch ein mili­tä­ri­sches Serum oder einen Fleder­maus­biss. Der eigent­liche Wider­stand gegen das väter­liche Regime mani­fes­tiert sich dann auch nicht, wenn Shang-Chi den Kampf in China aufnimmt, sondern wenn er zu Beginn und Ende des Films mit Katy in Karaoke-Bars feiert.

Die Begeis­te­rung vieler asia­ti­scher Zuschauer*innen über den syste­ma­ti­schen Bruch mit China-Klischees ist ange­sichts von yellow­face-Entglei­sungen und orien­ta­lis­ti­schen Klischees im Gegen­warts­kino nach­voll­ziehbar. Dennoch wünschte ich mir ange­sichts der noblen Tragik und hyper­dis­zi­pli­nierten Männ­lich­keit des Mandarin-Dads dann und wann den queeren Camp-Appeal von Boris Karl­offs Fu Manchu zurück, der weder psycho­lo­gi­sche Tiefe noch trau­ma­ti­sche Verlet­zungen kannte. Aber man kann natür­lich nicht alles haben. In jedem Fall steht zu hoffen, dass Shang-Chi und Katy nicht zu sehr gleich­ge­schaltet werden, sollten sie nun im MCU auf Dauer gestellt werden. Seria­lität ist schließ­lich nicht immer ein Segen.