
Shang-Chi ist der neuste Superstar am Himmel des Marvel Cinematic Universe (MCU): eine weitere der vielen Comicfiguren, die im Blockbuster-Kino wiederentdeckt, neu inszeniert und seriell eingebunden werden in immer komplexer verzweigte narrative Welten und die transmedial angelegten Verweissysteme der Post-Cinema-Ära.
Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings lief in der ersten Septemberwoche weltweit mit riesigem Erfolg an, und parallel wurde die Erklär-Maschinerie angeworfen, in der Fans die Signale und Anspielungen des Films zu deuten versuchen. Vor allem geht es um Spekulationen über mögliche Fortsetzungen und Querverbindungen. Sollte Shang-Chi zum elementaren Bestandteil des Marvel-Universums werden, würde das bedeuten, dass nach T’Challa aus Black Panther (2018) nun ein weiterer zentraler Superheld of color zur Riege der Avengers stößt. Aber wie T’Challa bringt Shang-Chi einiges an Gepäck mit sich. Die Figur verweist natürlich zurück auf die klassischen Superhelden-Comics des letzten Jahrhunderts, aber sie ist darüber hinaus in einem sehr viel breiteren Diskurs verankert: der Ideologie der Gelben Gefahr mit ihrem ganz eigenen Figureninventar.
In den Comicerzählungen aus den 1970er Jahren, die Shang-Chi allererst ins Leben riefen, wird der Figur nämlich explizit eine lange und höchst problematische Familiengeschichte zugeschrieben. Shang-Chis Vater ist niemand anderes als Fu Manchu. Heute ist Fu Manchu vergessen, aber im 20. Jahrhundert fungierte er als der Inbegriff des chinesischen Superschurken. Ist er nun ein weiteres Mal zurück? Kann er sein böses Image überwinden? Und was ist eigentlich die Gelbe Gefahr? Lesen Sie weiter.

Shang-Chis erste Erscheinung im Comic: Marvel Special Edition #15: The Hands of Shang-Chi, Master of Kung Fu (1973). Quelle: www.inverse.com
Prequel 1: Die Gelbe Gefahr
Anti-asiatische Ressentiments und Ausgrenzungen haben eine lange Geschichte, aber der Diskurs um die Gelbe Gefahr entfaltete sich Ende des 19. Jahrhunderts als eine spezifische Reaktion auf transnationale Migrationsbewegungen im Zuge eines globalen Finanzkapitalismus, der mit imperialistischer Expansion einher ging. Der Begriff kam zunächst in Europa auf, lässt sich in seinem Ursprung aber nicht genau verorten. Die Gelbe Gefahr machte sich ursprünglich an China fest, übertrug sich dann aber auf alle möglichen asiatischen Subjekte und Kontexte. In Deutschland und Großbritannien deutete das Gespenst der Gelben Gefahr auf imperiale und ökonomische Ängste, in den USA manifestierte es sich eher in Debatten um Immigrationspolitik und Arbeitsmigration – überall aber ging es grundsätzlich um die Frage nach einem weißen nationalen Selbstverständnis.
Der Topos der Gelben Gefahr, der sich in der Folge in der transnationalen Populärkultur als Narrativ und Bildlichkeit etablierte, rekurriert wesentlich auf zwei Unterstellungen, nämlich (1), dass Asiat*innen unfähig und unwillig sind, sich in fremde Ordnungen einzugliedern, fremde Strukturen aber geschickt unterwandern und vereinnahmen, und (2), dass Asiat*innen sich im Westen in Form einer ‚robotischen‘ Invasion ausbreiten – stetig, hartnäckig, resilient und perfekt synchronisiert. Dass dieser Diskurs noch immer floriert, führt die Covid-Pandemie eindrucksvoll vor Augen: Die Rede vom ‚China-Virus‘ ruft das rhetorische Arsenal der Gelben Gefahr ungebrochen auf – und wie so oft zuvor mündet die Rhetorik in konkreten Aktionen – verbale und physische Übergriffe auf asiatische Amerikaner*innen, über die in den letzten Wochen und Monaten viel zu lesen war.
Das Repertoire an Ängsten und Überzeugungen, das hier aufgerufen wird, mag stabil erscheinen. Aber wie alle Ideologien ist auch die der Gelben Gefahr höchst wandelhaft: Sie suggeriert Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit, verändert aber ständig ihren Fokus und ihre Stoßrichtung. Das ist das Prinzip des Seriellen – in der Populärkultur wie in der Politik – Wiederholung und Variation greifen ineinander und das Vertraute gewinnt durch serielle Schleifen unvermittelt eine neue Bedeutung.
Für die Gelbe Gefahr verkörpert die Figur Fu Manchu exemplarisch die Wirkmacht des Seriellen, wie ich in meinem Buch Serial Fu Manchu ausführe. Fu Manchu, so lesen wir schon bei seinem allerersten literarischen Auftritt 1912, ist „the yellow peril incarnate in one man“. Von seinem ersten Erscheinen an bis zu seinem Niedergang am Ende des Jahrhunderts changierte er vom wahnsinnigen Wissenschaftler zum Demagogen, vom campigen Verführer zum kalten Krieger – in ewiger Wiederkehr („the world shall hear from me again“), lautete der berühmte letzte Satz in den Christopher Lee-Fu Manchu-Filmen der 1960er und 70er Jahre).
In seiner Flachheit und Wiedererkennbarkeit glich er anderen seriellen Figuren der Populärkultur – Frankensteins Monster, Dracula, Tarzan – die so oft hybride Konstellationen markieren: zwischen Mensch und Maschine, zwischen Leben und Tod, zwischen Mann und Affe. Durch Fu Manchu wurde die Konstellation ‚chinesisch‘/‚westlich‘ essenzialisiert und dramatisiert. Und wie andere serielle Figuren taugte auch Fu Manchu nicht nur zur Zementierung von Vorbehalten und Phobien, sondern wurde ebenso zum Ausgangspunkt für Neuverhandlungen und Veränderungen. Bestes Beispiel ist die viel-kritisierte Interpretation der Figur durch Boris Karloff, die mit dem Stereotyp der asiatischen Dekadenz und einer mangelnden Männlichkeit operierte – und unversehens zum Bezugspunkt für queere Lesarten wurde.
Prequel 2: Fu Manchu

Boris Karloff als Fu Manchu in „The Mask of Fu Manchu“ (1932), Quelle: disneyandmore.blogspot.com
Fu Manchu betrat die Bühne der populärkulturellen Imagination in einer Geschichte des britischen Autors Arthur Henry Ward, der unter dem Pseudonym Sax Rohmer publizierte. Die Geschichte wurde zum Roman serialisiert, aus dem Roman wurde eine Romanserie, schnell kamen Film Serials, Hollywoodfilme, Radio- und TV-Serien, Comics und viele Merchandize-Produkte dazu: Fu Manchu breitete sich exponentiell aus. Sax Rohmer versuchte verzweifelt, die Kontrolle über die Figur zu behalten, aber Fu Manchu entwickelte ein transmediales Eigenleben, das von Copyright-Bestimmungen nicht aufzuhalten war. Schon in den 1930er Jahren wimmelte es in der Unterhaltungsliteratur von skrupellosen asiatischen Genies, die Wu Fang, Chu Lung oder Dr. Yen Sing hießen. Und in den folgenden Jahren kamen neben Dr. No (James Bond) und Ming the Merciless (Flash Gordon) Comicfiguren wie Ra’s al Ghul, Yellow Claw oder der Mandarin dazu, die ebenfalls Fu Manchu meinten, auch wenn sie ihn nicht benannten. 1932 gewann die Figur ihre ikonische Gestalt in der Performance von Boris Karloff, kurz nachdem dieser Frankensteins Monster seine charakteristische Form verliehen hatte.

Christopher Lee als Fu Manchu in „The Face of Fu Manchu“ (1965), Quelle: irishnews.com
Damals wurde der Goatee (der im englischsprachigen Raum lange als ‚a Fu Manchu‘ bezeichnet wurde) zum Wiedererkennungsmerkmal. Auch in der Folge wurde die Rolle immer von weißen Schauspielern mit stilisiert ‚asiatischem‘ Makeup (yellowface) gespielt. 1980 drehte Peter Sellers die flache Parodie The Fiendish Plot of Fu Manchu und bald danach war es dann endgültig aus mit der Figur. Das Asian American Movement und andere aktivistische asiatische Bewegungen hatten davor schon dafür gesorgt, dass die Erfolgsgeschichte stagnierte. Heute kennt fast keiner mehr Fu Manchu – nun ist es wirklich vorbei mit ihm. Möchte man meinen.

Ethnisch diffus: Liam Neeson als Ra’s al Gul in „Batman Begins“ (2005), Quelle: ign.com
Ethnisch markierte Meisterverbrecher sind generell aus der Mode geraten – zumindest in populärkulturellen Inszenierungen, die auf ein globales Massenpublikum zielen. In Hollywood wurde aus dem Fu Manchu-Verschnitt Ra’s al Gul in Christopher Nolans düsterer Batman-Trilogie von 2005 bis 2012 eine ethnisch diffuse Figur, von Liam Neeson gespielt, in Iron Man 3 stellte sich der Mandarin als Fake heraus, der von einem schlechten Schauspieler personifiziert wird (dargestellt von dem ziemlich guten Schauspieler Ben Kingsley).

Persiflage: Ben Kingsley als der Mandarin in „Iron Man 3“ (2013), Quelle: digitalspy.com
Die Filme greifen die alte Geschichte vom asiatischen Superschurken nur auf, um sie als bloße Geschichte(n) abzutun. Aber während die bösen Asiaten verschwanden – zusammen mit ihren Schnurrbärten, ihren asiatischen Gewändern und den überlangen Fingernägeln, die Fu Manchu-Figuren so lange eindeutig zu identifizieren erlaubten – blieb die Gelbe Gefahr zurück. In Batman Begins (2005) geht das Böse von einem nicht-personifizierten Netz aus, einem kalten Kapitalismus, der auf Asien projiziert wird (und die USA im Gegenzug als Ort eines ‚guten‘ kleinbürgerlichen und familialen Kapitalismus markiert). Die Gelbe Gefahr ist hier wie in vielen Hollywood-Erzählungen der Gegenwart keine Person mehr, sondern eine amorphe Masse, ein Konglomerat an Akteuren, die durch Fu Manchu-Figuren nur dann und wann zweifelhafte Konturen gewinnen.
Enter Shang-Chi
Als die Comic-Künstler Steve Englehart und Jim Starlin 1973 Shang-Chi erfanden, wollten sie den Erfolg der Fernsehserie Kung Fu in die Comics übertragen. Fu Manchu sollte als Bonus dazu kommen – und die älteren Leser binden, denen man keinen Sinn für den angesagten Kampfsport-Trend zutraute. 1982 verlor Marvel die Rechte an der Figur und Fu Manchu wurde verabschiedet, indem ihn sein Sohn ins Jenseits beförderte. Zu der Zeit war es ohnehin vorbei mit der Popularität des Ethno-Schurken, so dass die Welt erst einmal nichts mehr von ihm hören sollte. Später gab der Mandarin einmal ein Gastspiel, aber erst 2021, mit der aktuellen Verfilmung, werden die alte Ikone der inkarnierten Gelben Gefahr und die neue Ikone des Kung Fu-Fighters wieder zusammengeführt. In diesem Film ist China ein mythischer Fantasy-Space, diesmal stark aus den Wuxia-Martial Arts-Filmen des Hongkong-Kinos entlehnt. Doch nun tritt der Vater-Sohn-Konflikt in den Vordergrund der Handlung. „At the center of the legend of the rings is always one man,“ verkündet ein Erzähler zu Beginn des Films – und meint damit nicht Shang-Chi, sondern den Mandarin, oder vielmehr: Xu Wenwu, wie die Figur offenbar mit bürgerlichem Namen heißt.

Tony Leung Chiu Wai als Mandarin in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ (2021), Quelle: msn.com
In einer Schlüsselszene des Films erläutert Wenwu selbst das Identitätsproblem: „I have had many names over the years,“ erzählt er Katy, der chinesisch-amerikanischen Freundin seines entfremdeten Sohnes. Den Namen Fu Manchu nennt er erst gar nicht explizit und den Mandarin tut er verächtlich ab: „the name of a chicken dish.“ Allerdings fällt auch der Name Xu Wenwu kaum. Hauptsächlich firmiert die von Tony Leung Chiu Wai gespielte Figur des Superschurken in Shang-Chi als ‚Dad‘. Die Inkarnation der Gelben Gefahr wird hier zum Unternehmer, dem seine fragwürde Geschäftsmoral vor der Familiengründung zum Verhängnis wird. Der Mann trägt nicht mal einen Bart und sein weißer Designer-Anzug mit dezent chinesisch anmutendem Stehkragen ist meilenweit von Fu Manchus Roben entfernt. Seine Beziehung zur jüngeren Generation ist problematisch, aber nicht pervers, sein Gemütszustand melancholisch eher denn megaloman und seine Männlichkeit steht völlig außer Zweifel. In Interview nach Interview besteht Tony Leung auf der psychologischen Tiefe seiner Figur und dieser Anspruch wird durch den Umstand noch unterstrichen, dass ihm der Fake-Mandarin aus Iron Man 3 zur Seite steht, den Ben Kingsley mit großer Freude an der Überzeichnung spielt.
Shang-Chi ist in jeder Hinsicht bemüht, alles richtig zu machen. Die New York Times berichtete, dass die asiatisch-amerikanischen Produzenten eine Liste der gängigen Asien-Klischees und Vorurteile führten, die es zu vermeiden galt – und sie waren zweifellos gründlich. Kein yellowface (auf dass sich so viele Hollywoodproduktionen der letzten Jahre immer noch verließen), keine gesichtslosen asiatischen Massen, keine Yakuza oder Samurai-Krieger und nur der Hauch einer Dragon-Lady in Gestalt von Shang-Chis Schwester, gespielt von Meng ‚er Zhang. Aber die action-orientierte Handlungslogik des Superheldenfilms eignet sich nur bedingt für psychologische Portraits mit Tiefenschärfe, so dass der Superschurke hier letztlich erstarrt oder entleert wirkt – er macht so recht keinen Sinn mehr ohne das Narrativ der Gelben Gefahr und wird nun zur etwas banalen Kritik an der Eigendynamik toxischer Männlichkeit.

Superhelden-Geeks: Katy und Shaun in „Shang-Chi and the Seven Rings“, Quelle: screenrant.com
Der asiatisch-amerikanische Handlungsstrang ist da deutlich entspannter. Die Szenen um Shaun (Simu Liu), wie Shang-Chi sich in San Francisco nennt, und seine Freundin Katy (Awkwafina/Nora Lum) deuten an, dass Superheld*innen einiges mit verschrobenen Geeks gemein haben. Shang-Chis Superheldenkräfte werden jedenfalls nicht als magisch ausgewiesen, sondern erweisen sich als systematisch antrainiert – hier wurde der jugendliche Superheld durch den verbissenen Übervater generiert, nicht durch ein militärisches Serum oder einen Fledermausbiss. Der eigentliche Widerstand gegen das väterliche Regime manifestiert sich dann auch nicht, wenn Shang-Chi den Kampf in China aufnimmt, sondern wenn er zu Beginn und Ende des Films mit Katy in Karaoke-Bars feiert.
Die Begeisterung vieler asiatischer Zuschauer*innen über den systematischen Bruch mit China-Klischees ist angesichts von yellowface-Entgleisungen und orientalistischen Klischees im Gegenwartskino nachvollziehbar. Dennoch wünschte ich mir angesichts der noblen Tragik und hyperdisziplinierten Männlichkeit des Mandarin-Dads dann und wann den queeren Camp-Appeal von Boris Karloffs Fu Manchu zurück, der weder psychologische Tiefe noch traumatische Verletzungen kannte. Aber man kann natürlich nicht alles haben. In jedem Fall steht zu hoffen, dass Shang-Chi und Katy nicht zu sehr gleichgeschaltet werden, sollten sie nun im MCU auf Dauer gestellt werden. Serialität ist schließlich nicht immer ein Segen.