Könige haben zwei Körper: einen öffentlichen und einen privaten. Bei Präsidenten unterscheidet man, analog dazu, zwischen der Würde des Amtes und den Schwächen des Amtsträgers. Donald Trump, von vielen schon als „King“ imaginiert, hat dafür nur Verachtung übrig: „I don’t give a shit.“

  • Wolfgang Fach

    Wolfgang Fach, geb. 1944, war bis 2011 Professor für politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Leipzig und dort als Prorektor zuletzt mit „Bologna“ beschäftigt.
King Trump; Quelle: wsj.com

King Trump; Quelle: wsj.com

Donald Trump, the man who would be king: Diese Impres­sion war der Stoff für allerlei Kari­ka­turen. Sie zeigen Trump in seiner könig­li­chen Karosse, im Gewand Hein­richs VIII., mit einer selbst­ge­machten Krone auf dem Haupt oder als König, der sich selber krönt. Kari­ka­turen haben einen wahren Kern, sonst sind sie keine. Was könnte dieser Kern sein?

Dagegen spricht zunächst einmal das ganz und gar unkö­nig­liche Betragen des Kandi­daten. Zwischen „King Trump“ (Weekly Stan­dard) und Queen Eliza­beth (zum Beispiel) klaffen Welten. Sie ist über alle Zweifel erhaben, er gibt einen „rüpel­haften Multi­mil­li­ardär mit schlechten Manieren und einem Hang zur Scha­den­freude.“ Trump „provo­ziert und belei­digt, ist sexis­tisch, rassis­tisch und schert sich nicht um ‚poli­tical correct­ness‘.“ Damit wäre eigent­lich schon alles gesagt – gäbe die Mess­latte Amts­würde nicht einige Rätsel auf.

Worin besteht diese Würde? Und wer darf sie rekla­mieren oder muss mit ihr rechnen? Dem Philo­so­phen Adolph Helf­fe­rich (1813–1894) verdanken wir einen hilf­rei­chen Finger­zeig. Jeder Amts­träger, darin allen anderen Berufs­tä­tigen gleich, besitze seine spezi­fi­sche „Ehre“. Aller­dings habe es sich, beob­achtet Helf­fe­rich, gerade unter Beamten einge­bür­gert, eine höhere „Würde“ einzu­for­dern und diese auf ihr beson­deres Amt zurück­zu­führen. Genauer besehen hätten sie den „sakralen Charakter der Kirchen­diener“ annek­tiert, würden also still­schwei­gend eine beson­dere Nähe zu Gott bean­spru­chen. Unter allen Staats­die­nern stand dieses Privileg aber nur dem ersten zu – exklusiv: „by birth­right and lineal descent“ war der König „a little GOD“ (James I). Niemand sonst konnte das von sich behaupten.

König im Kopf

Donald Trump als König Henry VIII. Quelle: newyorker.com

Donald Trump als König Henry VIII. Quelle: newyorker.com

Bei Gele­gen­heit hat sich Donald Trump, so als ob er in diese illustre Reihe gehörte, damit gebrüstet, seine „Bezie­hung zu Gott“ sei ganz groß­artig („great“). Darum geht es selbst­re­dend nicht. Sondern um die Frage: Können moderne Staats­vor­steher, qua Amt und mit Aussicht auf Erfolg, eine „hete­ro­gene“ (Jean Baudril­lard) Qualität rekla­mieren, die sie – früheren Monar­chen gleich – anders erscheinen lässt als alle anderen? Michel Foucault war davon über­zeugt: „Im poli­ti­schen Denken und in der poli­ti­schen Analyse ist der Kopf des Königs noch immer nicht gerollt“ (Der Wille zum Wissen, 1976). Dass wir heute immer noch im „Schatten des Königs“ (Philip Manow) leben, hat sich inzwi­schen herum­ge­spro­chen. Warum das so ist – darüber gehen die Ansichten ausein­ander, ohne dass sie einander ausschlössen. Einige Beob­achter meinen, es liege an der Funk­tion. Souve­rä­nität sei, wenigs­tens symbo­lisch, auf eine höchste Instanz über­par­tei­li­chen Charak­ters ange­wiesen. Andere stellen fest, dass bestimmte Regime, wie das ameri­ka­ni­sche, eine bestimmte Posi­tion mit nach­ge­rade royaler Macht­fülle ausstatten. Wieder andere halten es mit der Emotion – ihrer Meinung nach verschaffen Königs­fi­guren dem anonymen Macht­ap­part ein vertrautes Gesicht. Immer ist es jedoch eine amtliche Ange­le­gen­heit. Niemand lebt „im Schatten“ privater Personen, heißen sie nun Gauck oder Obama oder Hollande.

Aller­dings könnte es ein „König Trump“ dahin bringen, dass diese Welt aus den Fugen gerät und (s)eine Person das Amt demon­tiert. Der Augen­schein spricht dafür. Doch er allein genügt nicht, denn mit diesem Risiko haben schon frühere Epochen umgehen müssen, weshalb seit jeher zwei Königs­pro­bleme zu lösen sind: Ein gewöhn­li­cher Mensch muss sakra­li­siert und seine Gewöhn­lich­keit neutra­li­siert werden.

Regie und Reinfall

Präsi­denten können Königen nach­ge­bildet werden. Der König dagegen ist ein Kunst­stück, keine Kopie. Man muss ihn erfinden, und darum hat sich die (hohe) Geist­lich­keit verdient gemacht. Sie war, nicht zuletzt im eigenen Inter­esse, darauf aus, ein impo­santes Ritual zu entwi­ckeln, das mit Gottes helfender Hand im Krönungsakt „Exzel­lenz“ produ­ziert. Virtuosen dieses Spiels, wie Englands Zere­mo­nien­meister, boten dem Volk eine gran­diose Prozes­sion, die den Verwand­lungsakt vom gewöhn­li­chen Menschen zum „kleinen Gott“ nach­ge­rade hand­greif­lich vorführt. Roy Strong (Coro­na­tion: A History of King­ship and the British Monarchy, 2005) hat sie beschrieben: „Jene, die sich entlang der Straße aufge­reiht hatten, konnten ihren zukünf­tigen Herr­scher sehen, barhäuptig, ganz ohne Ornat und keine Schuhe an den Füßen, geleitet von einem Bischof an jeder Hand.“ Dann, einige Stunden später, „konnten sie denselben Menschen in verwan­delter Gestalt wieder auftau­chen sehen, in präch­tiger Amts­tracht, wie er nicht mehr von anderen geführt wird, sondern trium­phie­rend dahin schreitet, Szepter und Reichs­apfel in seinen Händen, und auf dem Haupt eine goldene Krone voller Juwelen. In einer Zeit, da das Denken noch vom Bild und nicht dem Wort bestimmt worden ist, muss der Eindruck über­wäl­ti­gend gewesen sein.“ Im Kirchen­raum war offenbar ein Wunder passiert. God was there.

Heraus­ge­kommen sind Würden­träger, keine Gutmen­schen oder Meis­ter­denker. Falls der Quali­täts­sprung tatsäch­lich einmal statt­findet, wie in Shake­speares Hein­rich VI., wird diese Trans­for­ma­tion selbst von Kirchen­oberen nicht IHM zugute geschrieben, sondern dem Zufall. Doch ob Gott oder Glück – beide Königs­ma­cher waren unsi­chere Kanto­nisten. Häufig genug sollte sich zeigen, dass der Verstand dem Amt nicht gewachsen und das Verhalten dessen Würde abträg­lich war. So gesehen könnte Donald Trump einen wirk­li­chen König abgeben.

Fiktion und Funktion

Zu verhin­dern war, dass der normale Fall – Kron­prinzen mit ruppigen Instinkten oder rampo­nierter Intel­li­genz – die kost­bare Insti­tu­tion in Mitlei­den­schaft zieht. Um die Scha­dens­be­gren­zung haben sich, soweit sie in ihrer Macht stand, vor allem Englands Juristen verdient gemacht. William Blackstones Commen­ta­ries on the Law of England (1791) halten dazu fest:

The mass of Mankind will be apt to grow inso­lent and refrac­tory, if taught to consider their prince as a man of no greater perfec­tion than them­selves. The law ther­e­fore ascribes to the king, in his high poli­tical character, not only large powers and emolu­ments, which form his prero­ga­tive and revenue, but like­wise certain attri­butes of a great and tran­s­cen­dent nature; by which the people are led to consider him in the light of a supe­rior being, and to pay him that awful respect, which may enable him with greater ease to carry on the busi­ness of govern­ment. –William Blackstone, 1791

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So sei „royal dignity“ zu verstehen:  Das Recht verleiht dem Amt eine Würde, die den kleinen Mann vergessen lässt, dass es mit der Person nicht so weit her ist. Zu diesem Zweck hat eine erfin­de­ri­sche Recht­spre­chung den Souverän grund­sätz­lich doppelt kodiert, sprich: ihm einen zweiten Körper verpasst. Er ist als Mensch (body natural) voller Mängel, wie wir alle, doch, wie sonst niemand, fehlerlos im Amt (body politic). Gewiss, dagegen, dass sich Monar­chen ihren Ruf mit Mätressen ruinieren, ließ sich juris­tisch nichts machen. Schlim­meres aber konnte per Dezi­sion verhin­dert werden: „The King can do no wrong“. Und da das Kalkül, mani­fest geworden, irri­tieren könnte, wurde es vorsichts­halber als Konse­quenz ausge­geben: Des Königs „poli­ti­scher Körper“, hieß es, umhülle gewis­ser­maßen seinen natür­li­chen (nach­zu­lesen in Ernst H. Kanto­ro­wiczs Die zwei Körper des Königs von 1957).

George Hayter: Coronation of Queen Victoria, 28. Juni 1838; Quelle: wikipedia.com

George Hayter: Coro­na­tion of Queen Victoria, 28. Juni 1838; Quelle: wikipedia.com

Trump und die Tradition

Nach den alten Rechts­quellen würde heute wohl kein Hahn mehr krähen, hätten sie nicht nicht eine idée fixe unserem Denken einge­pflanzt: die Doppel­co­die­rung des Souve­räns. Aller­dings, seitdem an Gottes Stelle das Volk den „König“ instal­liert, hat sich auch mit dem Körper­zauber etwas getan. Wer bei Shake­speare nach­schlägt, findet, dass jener Hein­rich ein Tunichtgut war, bevor er seine Regent­schaft antrat, und den dritten Richard selbst eine mörde­risch verkrüp­pelte Psyche nicht an der Karriere gehin­dert hat.  Mit so viel Tole­ranz darf heute niemand mehr rechnen, Donald Trump einge­schlossen. Denn seitdem statt dynas­ti­sche Erbfolgen demo­kra­ti­sche Wahlen Anwärter auf den Thron resp. ins Amt hieven, wollen die Regierten wissen, wer künftig ihr Leben mal mehr (Amerika), mal weniger (Deutsch­land) beein­flusst. Darum verlangen sie den Kandi­daten die Würde des Auftritts, „that presi­dental look“ (Washington Post), als Taug­lich­keits­nach­weis ab. „The dignity of a presi­den­tial candi­date“ (FoxNews) wird umso wich­tiger, je weniger und je mehr ein Bewerber später zu sagen hat. Endet er als Galli­ons­figur (Deutsch­land), ist der Habitus fast alles; hängen später einmal Schick­sale an seiner Amts­füh­rung (Amerika), dann ist das Wie – die poli­ti­schen Umgangs­formen – noch wich­tiger als das Was, die poli­ti­schen Absichtserklärungen.

So oder so – Trump hat fürs Dekorum nichts als Verach­tung übrig und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: „I don’t give a shit.“ Haltungs­noten lassen ihn kalt, er leistet sich Eska­paden nach alter Prin­zen­sitte, looking presi­den­tial ist ihm gerade mal eine Parodie wert. Dennoch oder besser: genau deshalb beju­belt halb Amerika den Lametta-Rebellen. Wieso? Weil Trumps Gefolg­schaft die spek­ta­ku­läre Perfor­mance als Beleg für ein spek­ta­ku­läres Programm nimmt und nichts weniger erhofft: „We need some­body spec­ta­cular“. Ginge es dabei um gewöhn­li­chen Popu­lismus, viel­leicht von unge­wöhn­li­cher Machart, könnte das Ganze sein Bewenden haben. Aber mehr steht wohl auf dem Spiel – fatale Dauer­schäden drohen: „Repu­bli­cans and Demo­crats, in Washington and beyond, fear that the after­math of the 2016 elec­tion will create a feste­ring infec­tion in the already deep and lasting wound that the campaign is leaving on America.”

Ein ungutes Gefühl, das sich noch einmal dras­tisch verstärkt hat, seitdem Trump deut­lich macht, dass er die wich­tigste Regel des demo­kra­ti­schen Macht­spiels verletzen will: eine Nieder­lage klaglos hinzu­nehmen. Für ihn (und sein Publikum) ist nichts anderes legal, geschweige denn legitim, als der Sieg: “I would like to promise and pledge, to all of my voters and supporters and to all of the people of the United States, that I will totally accept the results of this great and historic presi­den­tial elec­tion – if I win”. Was den Verdacht verstärkt, dass da struk­tu­rell etwas passiert: ein Tradi­ti­ons­bruch, der sich zum Kultur-, ja Regime­wandel aufschau­keln könnte.

Der Schiffs­führer

Im Körper­jargon formu­liert, insze­niert Trump einen body­s­witch. Zunächst steht das Wahl­system am Pranger: „I’m afraid the election’s going to be rigged“, womög­lich „totally rigged“ oder gar „totally rigged and corrupt“. Ein Betrugs­ma­növer läuft an oder schon ab, ganz so, als ob früher im Innern von West­minster Abbey gemo­gelt worden wäre, um dem arglosen Publikum falsche Könige aufzu­ti­schen. Selbst wenn so etwas vorge­kommen wäre – man stelle sich einen frus­trierten Granden vor, der nach voll­brachter (Misse-)Tat vor die wartende Menge tritt und mit bebender Stimme verkündet, seine Stan­des­brüder seien Ross­täu­scher. Undenkbar.

Trump-tweet mit Mussolini-Zitat; Quelle: bbc.com

Trump-retweet mit Mussolini-Zitat; Quelle: bbc.com

Donald Trump kennt selbst diese Hemmung nicht. Er schätzt seine Person (im Amt) höher ein als das Amt (auf dem Papier), weil die Zeiten für ihn vorbei sind, da Würde noch einen Wert hatte. Amerikas Schicksal stehe auf dem Spiel, und da Unheil drohe, habe das Volk ein Anrecht auf den, der das Heil bringt – natür­lich ihn: „I alone can fix it.“ Trumps Offerte lautet: Einer („I“) für alles „(it“), alle für einen. Wer sie annimmt, lebt bereits in seinem Schatten.

So weicht die verfasste Würde (body politic) dem verkör­perten Willen (body na­tural). Und wo ein Wille ist, da ist auch ein Wort: „Man­neskraft am Steu­er­ruder leitet in den sichern Port“ (Carl Weis­flog, 1826). Sollte, was nicht wenige vermuten, dem ‚Schiffs­führer’ die Zukunft gehören, dann hätte Trump den Kopf des Königs tatsäch­lich ins Rollen gebracht. Seine Kari­ka­tu­risten aller­dings verpassen diese Pointe…