Rassismus ist nicht nur ein Problem am rechten Rand, sondern auch ein subtiles Alltagsphänomen. Es ist notwendig, dass weisse Entscheidungsträger_innen ihre Verantwortung wahrnehmen. Zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

  • Bernhard C. Schär

    Bernhard C. Schär ist Postdoc am Lehrstuhl für die Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich und assoziiertes Mitglied am Zentrum Geschichte des Wissens der Universität und der ETH Zürich.

Vor einigen Wochen spielte Guido Cantz, Mode­rator der ARD-Sendung Verstehen Sie Spass, seinem Schweizer Kollegen Röbi Koller einen Streich. Er betrat in voller Black-Facing Montur dessen SRF-Sendung Happy Day. Die deut­sche und die Schweizer Presse kriti­sierte die Aktion scharf, worauf sich Cantz wenige Wochen später in Verstehen Sie Spass entschul­digte und fest­hielt, seine Aktion sei „in keinster Weise rassis­tisch ange­legt“ gewesen.

Struk­tu­reller Rassismus

Die Episode gibt Einblick in die Proble­matik des Rassismus im 21. Jahr­hun­derts. Es lohnt sich dabei, grob zwei Spiel­arten des Rassismus zu unter­scheiden. Die eine ist der offen­sicht­liche und mit voller Absicht ausge­übte Brachi­al­ras­sismus, der lange nur am rechten gesell­schaft­li­chen Rand gedieh, seit der Jahr­tau­send­wende durch popu­lis­ti­sche Agita­tion jedoch vermehrt in die gesell­schaft­liche Mitte rückt. Daneben gibt es aber noch den subti­leren Rassismus, der weniger in den indi­vi­du­ellen Vorur­teilen von Menschen, sondern viel­mehr in den gesell­schaft­li­chen Struk­turen und der Kultur des Zusam­men­le­bens zum Ausdruck kommt.

Diese Form des nicht-intendierten, struk­tu­rellen Rassismus durch­zieht euro­päi­sche Gesell­schaften als Ganzes und mani­fes­tiert sich nicht zuletzt in öffentlich-rechtlichen Fern­seh­an­stalten wie der ARD oder bei SRF. So reprä­sen­tiert deren ‚Prime-Time‘ am Sams­tag­abend weder einen realis­ti­schen Quer­schnitt der Gesell­schaft, noch adres­siert sie einen solchen: Sowohl in Verstehen Sie Spass als auch in Happy Day waren das Studio­pu­blikum und die einge­la­denen Gäste prak­tisch ausschliess­lich weiss. Dies, obschon Deutsch­land und die Schweiz beides post­ko­lo­niale oder post­mi­gran­ti­sche Gesell­schaften sind, ein Ausdruck aus den Sozi­al­wis­sen­schaften. Gesell­schaften also, die auch durch Jahr­hun­derte der euro­päi­schen Expan­sion nach Übersee geformt wurden und in denen seit mindes­tens drei Gene­ra­tionen Menschen mit Vorfahren aus den ehema­ligen Kolo­nien zuhause sind und nicht zuletzt auch Fern­seh­ge­bühren zahlen.

Black-Facing

Laurence Olivier spielt Othello (1965); Quelle: silverscreeningroom.com

Laurence Olivier spielt Othello (1965); Quelle: silverscreeningroom.com

Die histo­risch entstan­denen, mehr oder weniger subtilen Diskri­mi­nie­rungen dieser Menschen sind nicht nur in der Zusam­men­set­zung des Studio­pu­bli­kums und der Redak­tionen wirksam, sie zeigen sich auch in anderen Aspekten der deutsch­spra­chigen TV-Kultur. So verfolgten Cantz und sein Team zwar viel­leicht keine rassis­ti­schen Absichten, sie zeigten aber einen bemer­kens­werten Mangel an Wissen über die Geschichte ihres Berufs. So spielte Cantz seine Figur des schwarzen Mannes wie unzäh­lige weisse Enter­tainer seit dem 19. Jahr­hun­derts als dummen „Bimbo“ mit komi­schem Akzent und beharrte in der Sendung darauf, Vater einer weissen Tochter zu sein, was nach land­läu­figem Verständnis unmög­lich ist. Daneben bediente der Gag aber auch Ressen­ti­ments auf einer weiteren Ebene. Er lebte von der Hemmung, Fragen rund um Haut­farbe und kultu­relle Diffe­renz öffent­lich anzu­spre­chen. Während im Engli­schen ‚race‘ zur Bezeich­nung kultu­reller Iden­tität weiterhin Verwen­dung findet, wird das Wort im Deut­schen und Fran­zö­si­schen vermieden und statt­dessen mit ‚Ethni­zität‘ oder ‚Kultur‘ ersetzt.

So sah der ins Rotieren gera­tene Schweizer Mode­rator Röbi Koller zwar sofort, dass es sich höchst­wahr­schein­lich um keinen ‚echten‘ schwarzen Mann handelte, wie er nach Auflö­sung des Gags sagte. Er habe extrem komisch ausge­schaut. So ganz sicher war sich Koller aber doch nicht, weshalb er sich entschied, nichts zu sagen („Das chasch amene Schwarze jo ned is Gsicht säge.“). Das ‚Lustige‘ für das weisse Publikum war also, Röbi Koller dabei zu beob­achten, wie er aufgrund der Tabui­sie­rung der Rassen­pro­ble­matik nicht ausspre­chen konnte, was alle sahen und dachten. Damit lässt sich der Gag auch als Kritik an der ‚Poli­tical Correct­ness‘ lesen. Viele Wortführer_innen der weissen Mehr­heits­ge­sell­schaft sehen in der Verban­nung des Rassismus keinen Schutz der Würde und der Rechte von diskri­mi­nierten Minder­heiten. Sie sehen darin viel­mehr eine angeb­liche Beschrän­kung ihrer eigenen Rede- und Meinungs­frei­heit, die sie – wie der Koller-Witz demons­trierte – in Bedrängnis bringt.

Rassen­loser Rassismus

Black-Facing einer­seits, Sprach­lo­sig­keit ande­rer­seits – mit dieser Kombi­na­tion zeigte die Szene ziem­lich präzise die zwei Kern­merk­male des heutigen west­eu­ro­päi­schen Rassismus. In der Kultur­wis­sen­schaft spricht man mit Noémi Michel häufig von einem ‚rassen­losen Rassismus‘, der vor unge­fähr sechzig  Jahren entstand, als nach dem Ende des NS-Regimes die Beschrei­bung der Gesell­schaft in biolo­gi­schen Rassen­ka­te­go­rien mora­lisch, wissen­schaft­lich und poli­tisch zurecht diskre­di­tiert wurde. Während Rassismus offi­ziell abge­lehnt wird, leben gleich­zeitig jedoch Struk­turen, Bilder und Ausschluss­me­cha­nismen aus der Kolo­ni­al­zeit weiter.

Die meisten Länder, so auch die Schweiz, verstehen sich zwar selbst­ver­ständ­lich als anti­ras­sis­tisch und beauf­tragen Kommis­sionen oder Behörden mit der Bekämp­fung von Rassismus. Das Problem dieses behörd­li­chen Anti­ras­sismus besteht jedoch darin, dass er auf einem sehr engen Rassis­mus­be­griff beruht. Die Schweizer Rassis­mus­s­traf­norm (Art 261 bis StGB) zum Beispiel versteht unter ‚Rassen­dis­kri­mi­nie­rung‘ nur Hand­lungen, die übli­cher­weise von einer kleinen Minder­heit am rechts­ra­di­kalen Rand der Gesell­schaft ausgeübt werden: öffent­liche Aufrufe zu Hass oder die Leug­nung von Völker­mord etwa. Diese enge Defi­ni­tion taugt zwar, um offen­sicht­li­chen Brachi­al­ras­sismus zu bekämpfen. Sie ist jedoch blind für den struk­tu­rellen und häufig gedan­ken­losen Alltags­ras­sismus in der gesell­schaft­li­chen Mitte.

Mohamed Wa Baile auf dem Weg ins Bezirksgericht in Zuerich, mit "weissem" Gesicht, am Montag, 7. November 2016. Wa Baile wiedersetzte sich einer Personenkontrolle am Hauptbahnhof Zuerich, weil er sich aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert fühlte; Quelle: KEYSTONE/Ennio Leanza

Mohamed Wa Baile auf dem Weg zum Bezirks­ge­richt Zürich, Montag, 7. November 2016. Wa Baile hatte sich einer Perso­nen­kon­trolle am Haupt­bahnhof Zürich wider­setzt, weil er sich durch diese diskri­mi­niert fühlte. Am Tag des Prozesses malte er sein Gesicht weiss an, um pünkt­lich zu seinem eigenen Prozess anreisen zu können bzw. um zu verhin­dern, erneut von der Polizei ange­halten zu werden; Quelle: KEYSTONE/Ennio Leanza

In der Schweiz äussert sich dieser ‚rassen­lose Rassismus‘ etwa in gehäuften Poli­zei­kon­trollen bei Menschen mit dunkler Haut­farbe (Racial Profiling), in der klischierten Gegen­über­stel­lung von afri­ka­ni­scher Hilfs­be­dürf­tig­keit und schwei­ze­ri­scher Hilfs­be­reit­schaft bei Hilfs­werk­kam­pa­gnen (Poverty Porn), in Diskri­mi­nie­rungen auf dem Wohnungs- und Arbeits­markt, aber auch in Symbolen wie dem ‚Mohren­kopf‘, dem Mohr als Wappen­zei­chen etli­cher Schweizer Gemeinden sowie dem Wappen der Berner ‚Mohren­zunft‘. Oder eben im wieder­keh­renden ‚Black-Facing‘-Humor des Schweizer Fern­se­hens. Tatsäch­lich ist der eingangs beschrie­bene Gag kein isolierter Einzel­fall. Das SRF wurde in den vergan­genen Jahren wieder­holt für Black-Facing kriti­siert, zum Beispiel für Victor Giac­cobos Figur ‚Rajiv‘ sowie Birgit Stein­eg­gers Darstel­lung des US-amerikanischen TV-Stars Oprah Winfrey Ende 2013.

Stra­te­gien der Exotisierung

Solche Darstel­lungen sind, wie etwa Rea Brändle oder Patrick Minder gezeigt haben, ein kultu­relles Erbe aus den Anfangs­zeiten der schwei­ze­ri­schen Popu­lär­kultur und der Medi­en­branche während der Kolo­ni­al­zeit. Ein Erbe, das in der vari­ierten, aber im Kern gleich­blei­benden Erzäh­lung fort­lebt und die Ursache für Gegen­warts­pro­bleme primär in einer vermeint­lich rück­stän­digen, exoti­schen oder bedroh­li­chen Kultur der ‚Anderen‘ verortet, während die Lösungen von Problemen in der tech­no­lo­gi­schen, kultu­rellen oder wirt­schaft­li­chen Über­le­gen­heit der Weissen gesehen wird. Migran­tinnen oder nicht-weisse Menschen kommen in diesen Erzäh­lungen, wenn man sich nicht grad über sie lustig macht, meist nur als Opfer oder zu Beleh­rende vor. Ausge­blendet bleibt die jahr­hun­der­te­alte Geschichte europäisch-überseeischer Herr­schafts­be­zie­hungen und folg­lich die histo­ri­sche Mitver­ant­wor­tung Europas für die Probleme der Gegen­wart. Wie wirk­mächtig dieses kolo­niale Erzähl­muster im Schweizer Fern­sehen ist, zeigt sich beson­ders deut­lich in Sendungen, die eigent­lich wohl­wol­lend über das Leben der ‚Fremden‘ in der Schweiz berichten oder sogar Rassismus kriti­sieren wollen.

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Ein Beispiel ist die Geschichte von Rea Rabin und Babin Surenthiran. Sie wurde Mitte Oktober im Doku­men­tar­film­format ‚Reporter‘ erzählt. Das Problem des jungen Sri Lanka-schweizerischen Paares ist die Kirchen­zu­ge­hö­rig­keit der Braut. Rea Rabins Familie ist Mitglied einer tamilisch-evangelischen Frei­kirche, die sich gegen die Hoch­zeit mit Babin Surenthiran sträubt, da er aus einer Hindu-Familie kommt bzw. aus evan­ge­li­kaler Sicht ein ‚Heide‘ ist. Entschei­dend ist, dass die Probleme des Paares – entgegen der TV-Erzählung – wenig mit einer angeb­lich ‚tradi­tio­nellen‘ tami­li­schen Herkunfts­kultur zu tun haben, sondern viel­mehr mit dem Erbe einer langen kolo­nialen Bezie­hung: Die tami­li­schen Gemein­schaften Sri Lankas wurden ab den 1830er Jahren von euro­päi­schen und ameri­ka­ni­schen Missi­ons­ge­sell­schaften chris­tia­ni­siert. Etliche tami­li­sche Flücht­linge kamen in den 1980er Jahren daher als evan­ge­li­kale Christen in die Schweiz, wo sie zuweilen ins Visier radi­kaler evan­ge­li­kaler Frei­kir­chen gerieten. Die reak­tio­näre Haltung des Evan­ge­li­ka­lismus ist folg­lich keines­falls ein typi­sches tami­li­sches Phänomen; auch unzäh­lige weisse Schweizer Evan­ge­li­kale machen dieselben Erfah­rungen, wenn sie sich ausser­halb ihrer Frei­kirche verlieben.

Dessen unge­achtet verknüpft die Doku das Schicksal des Paares immer wieder mit ihrer angeb­lich ‚fremden‘ Herkunfts­kultur. Auf der SRF-Website heisst es etwa: „Diese Geschichte spielte sich nicht irgendwo weit weg von uns ab, sondern mitten in der Schweiz.“ Unter­stellt wird, dass solche Probleme norma­ler­weise nicht zu ‚uns‘ gehören, sondern durch die Einwan­de­rung impor­tiert werden. Weiter erör­tert der Film ausführ­lich das Thema der ‚arran­gierten Ehen‘ in der tami­li­schen Diaspora, obwohl dies im konkreten Fall völlig irrele­vant ist. Die Ehe zwischen Rea Rabin und Babin Surenthiran ist gerade keine arran­gierte Ehe. Das Schicksal der beiden wird also nicht nüch­tern analy­siert, sondern exoti­siert. Dies erlaubt es, den für die weisse Schweiz unan­ge­nehmen Kern der Proble­matik – die Folgen christlich-europäischer Missio­nie­rung und Into­le­ranz – zu verschleiern.

White man’s burden

Eva Wannemacher und Angélique Wälchi, Kulturplatz; Quelle: srf.ch

Eva Wannen­ma­cher und Angé­lique Wälchli, Kultur­platz; Quelle: srf.ch

In der Sendung ‚Kultur­platz‘, ein weiteres Beispiel, ging es jüngst um ‚Schwarzen Protest‘. Rassismus in den USA, aber auch in der Schweiz, sollten klar benannt werden, doch selbst hier zeigt sich die Wirk­weise des ‚Rassismus ohne Rasse‘. Die Mode­ra­torin Eva Wannen­ma­cher fragt ihre Kollegin Angé­lique Wälchli, ob sie ihre dunkle Haut­farbe jemals als ‚Handicap‘ erlebe. Umge­kehrt fragte Wälchli aller­dings nicht, ob Wannen­ma­cher ihre weisse Haut als Privileg erlebe. Wälchli reprä­sen­tierte damit die parti­ku­lare Erfah­rung der Betrof­fenen, während Wannen­ma­cher für eine vermeint­lich neutrale Posi­tion ausser­halb von Geschichte und Herr­schafts­be­zie­hungen stand. Dies entspricht dem Selbst­ver­ständnis der weissen Mehr­heits­ge­sell­schaft, die ihre eigene Lebens­weise und Kultur so gut wie nie als ‚impe­riale Divi­dende‘, also als Ausdruck von geerbten Privi­le­gien aus der Kolo­ni­al­zeit versteht und thema­ti­siert. Das Muster prägte die ganze Sendung: weisse Haut stand für Exper­tentum und Univer­sa­lität; dunkle Haut für Betrof­fen­heit und Partikularität.

Kurzum: Rassismus im 21. Jahr­hun­dert sollte nicht mehr länger auf ein margi­nales Rechts­aus­sen­pro­blem redu­ziert werden. Rassismus hat auch eine gesamt­ge­sell­schaft­liche und struk­tu­relle Dimen­sion im Alltag, die sich einer­seits im Ausschluss der nicht-weissen Bevöl­ke­rung aus den wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und jour­na­lis­ti­schen Schalt­zen­tralen euro­päi­scher Gesell­schaften mani­fes­tiert (Ausnahmen bestä­tigen die Regel). Und ande­rer­seits auch in einer massen­me­dial vermit­telten Kultur des Schwei­gens über weisse Mitver­ant­wor­tung und Kompli­zen­schaft sowie über weisses Profi­tieren von der Geschichte und Gegen­wart strukturell-rassistischer Ausschluss­me­cha­nismen. Dies zu ändern liegt nicht in der Macht der betrof­fenen Minder­heiten. Es liegt in der Verant­wor­tung der Insti­tu­tionen der weissen Mehr­heits­ge­sell­schaft – darunter den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.

Am Montag, den 5. Dezember, spre­chen Bern­hard Schär, Kijan Espa­h­an­gizi und Noémi Michel im Cabaret Voltaire (Zürich) über die Geschichte des Rassismus in der Schweiz.