Gentests, die Einblicke in die ethnische Abstammung versprechen, sind nicht nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell geworden. Sie gelten zunehmend auch als argumentatives Rüstzeug gegen Rassismus. Anstatt jedoch Vorstellungen natürlicher Unterarten des Menschen aus der Welt zu schaffen, schreiben Ethnizitätstests diese fest.

  • Philipp Kröger

    Philipp Kröger ist Doktorand an der Universität Augsburg. In seinem Promotionsprojekt analysiert er, wie im 19. und 20. Jahrhundert mithilfe von Nationalitätenstatistiken der Versuch unternommen wurde, exaktes Wissen über nationale bzw. ethnische Gruppen zu produzieren.

Im Jahr 2016 ging ein Video viral, in dem Menschen anhand von DNA-Tests ihre „ethni­sche Abstam­mung“ erfuhren. Die Ergeb­nisse waren über­ra­schend. Einem herkunfts­stolzen Engländer etwa wurde offen­bart, dass er nur zu 30 Prozent britisch sei. Und auch das: „five percent German“ – jene natio­na­lity, die er so hasste. Der Clip war ein mit Schau­spie­lern produ­zierter Werbegag einer Online-Reisesuchmaschine und sollte (neben dem Verkauf von Reisen) Vorur­teile abbauen: Lässt sich erweisen, dass niemand eine reine Abstam­mung vorweisen kann, wird Rassismus zum Fehl­schluss – so die Idee.

„Ethni­city esti­mate“; Quelle: ancestryDNA.com

Sicher ist, dass sich mit Ethni­zi­täts­tests erfolg­reich Geld verdienen lässt. Die Anzahl der Anbieter ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, sie heißen etwa MyHe­ri­tage, iGENEA oder ancestry. Das Produkt ist recht ähnlich: Eine Spei­chel­probe wird an den Anbieter verschickt, dieser lässt sie im Labor analy­sieren, nach einiger Zeit kann das Ergebnis abge­rufen werden. Zur Basis­aus­stat­tung gehört die prozen­tuale Aufschlüs­se­lung des Erbguts nach verschie­denen Ethni­zi­täten. Bei dem Schweizer Anbieter iGENEA kann gegen Aufpreis gar die Abstam­mung von einem „Urvolk“ attes­tiert werden: „Sind Sie Jude?“

Gentests als anti­ras­sis­ti­sche Praxis?

Von ihren Anhän­gern werden die Tests nicht selten als ulti­ma­tive Waffe im Kampf gegen Rassismus ausge­wiesen. Sowohl bei den Anbie­tern als auch in der Rezep­tion der Gentests kann dasselbe Narrativ ausge­macht werden: Stete Migra­tion hätte zur ethni­schen Vermi­schung geführt, die sich im mensch­li­chen Erbgut wieder­spie­gele. Wenn dies nun Menschen bewusst würde, wären sie gegen Rassismus immun.

So hat MyHe­ri­tage eine Kampagne auf den Weg gebracht, die unter dem Slogan „we are all blended“ oder auch „wir sind alle eine bunte Mischung“ Fußball­profis mittels Spei­chel­tests in der haus­ei­genen Herkunfts­ma­trix plat­ziert. Aber auch iGENEA versuchte sich mit der Studie „Die Zusam­men­set­zung der Bevöl­ke­rung Deutsch­lands hinsicht­lich der gene­ti­schen Abstam­mung“ bereits vor längerer Zeit als Vorkämpfer in Sachen Anti­ras­sismus zu posi­tio­nieren. Ein Ergebnis war die nied­rige Quote von Menschen „germa­ni­schen Ursprungs“. Eine Mitar­bei­terin verlei­tete das zur Aussage, dass „die moderne Genetik […] den Rassismus ad absurdum“ führe. Denn: „In jedem Menschen steckt ein Mischmasch.“

Ähnli­ches zeigt sich in der künst­le­ri­schen Rezep­tion der Ethni­zi­täts­tests: So bewies die DNA-Herkunftsanalyse der Schrift­stel­lerin Emma Bras­lavsky, dass ihre Familie „vor 300 Jahren noch rein afri­ka­nisch und schwarz­häutig“ gewesen sei. An dieser zwar fiktiven, aber auf Grund­lage der Test­ergeb­nisse geschrie­benen „Ahnen­ge­schichte“ könne sie ablesen, dass die „Angst vor Über­frem­dung […] eigent­lich eine Illu­sion“ sei. Bras­lavsky denkt entspre­chend darüber nach, „Anti­ras­sis­mus­fonds“ einzu­richten, die flächen­de­ckend Herkunfts­ana­lysen ermög­li­chen sollen. Bei dem von Bras­lavsky und anderen kulti­vierten Anti­ras­sismus handelt es sich um einen biolo­gi­sierten Anti­ras­sismus, der Gefahr läuft, ein Begehren nach Abstam­mung und Diffe­renz eher zu festigen als aus der Welt zu schaffen. Kam Rassis­mus­kritik jahre­lang ohne die Annahme tatsäch­lich exis­tie­render Rassen aus, fällt der biolo­gi­sierte Anti­ras­sismus dahinter zurück: Er schreibt das kultu­relle Arte­fakt der Ethni­zität als natür­li­ches Programm in die mensch­liche DNA ein.

Einschrei­bung der Ethni­zität in die mensch­liche Natur

Rassismus als genuin moderner Exklu­si­ons­me­cha­nismus ist ein Kind der Aufklä­rung: Der Glaube an eine gott­ge­wollte Ordnung wurde von der Auto­rität des Natur­ge­setzes verdrängt. Die Natur und mit ihr der Mensch wurden zu Erkennt­nis­ge­gen­ständen, denen objek­tives Wissen abge­rungen werden konnte. Inner­halb dieses Prozesses entstand auch die Eintei­lung von Menschen in natür­lich gedachte rassi­schen Gruppen. Wissen­schaftler schufen Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­teme, die rassis­ti­sche Exklu­sion mit einem Ratio­na­li­täts­an­spruch versahen. Gentests, die verspre­chen die ethni­sche Herkunft aufzu­schlüs­seln, schreiben diesen wissen­schaft­li­chen Rassismus durchaus fort.

Im Zuge einer kriti­schen Bestands­auf­nahme rassis­ti­schen Denkens und Handelns, die beson­ders in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts einsetzte, gilt es als aner­kannt, dass wie auch immer defi­nierte Abstam­mungs­ge­mein­schaften kultu­relle Arte­fakte sind – vorge­stellte Gemein­schaften, so Bene­dict Ander­sons popu­lärer Begriff. Hat die Idee biolo­gisch begrün­deter Ethnien, Nationen oder auch Rassen zwar sehr reale und gewalt­volle Auswir­kungen, so sind sie in ihrem Kern vor allem eines: eine Fiktion. Lässt sich somit die Exis­tenz von Rassen oder auch Ethnien nicht in der Natur selbst belegen, ist ihre Nega­tion ebenso wenig dort zu finden. Rassismus verschwindet nicht als gesell­schaft­liche Realität, indem man sich auf seine Logik einlässt, sondern indem man die Prak­tiken iden­ti­fi­ziert und kriti­siert, über die Rassismen wirk­mächtig werden.

MyHe­ri­tage DNA-Test-Kit – Gene­ti­scher Herkunfts- und Ethni­zi­täts­test; Quelle: amazon.de (screen­shot)

Durch Gentests wird die Fiktion biolo­gisch begrün­deter Unter­arten des Menschen am Leben erhalten. MyHe­ri­tage etwa bestimmt als Grund­lage der Herkunfts­ana­lyse 42 „Ethni­zi­täten“, auch „Grün­der­po­pu­la­tionen“ benannt. Dafür wurden Menschen anhand genea­lo­gi­scher Daten ausge­wählt, die „über viele Gene­ra­tionen konsis­tente[ ] Abstam­mung aus derselben Region oder Ethni­zität“ aufwiesen. Es könne somit auf die „einzig­ar­tigen DNA Sequenzen“ geschlossen werden. Zusätz­lich wurde mittels einer statis­ti­schen Methode die Rein­heit dieser Gruppen garan­tiert: Es wurden „Ausreißer und Menschen, die sich bezüg­lich ihrer Herkunft geirrt hatten, […] ausge­son­dert.“ Entwi­ckelt wurde diese Methode, die Haupt­kom­po­nen­ten­ana­lyse, im Übrigen vom Mathe­ma­tiker und Rassen­theo­re­tiker Karl Pearson und leis­tete schon vor 100 Jahren ihre Dienste in der anthro­po­lo­gi­schen Forschung.

Diese 42 iden­ti­fi­zierten Ethni­zi­täten sind keine Dinge in der Welt, sondern müssen in einem aufwen­digen und komplexen Verfahren herge­stellt werden. Zudem beruht dieses Verfahren auf einem Blick auf die Natur, der von vorn­herein durch die Annahme der Exis­tenz ethni­scher Gruppen geprägt ist. Gentests schreiben Vorstel­lungen, nach denen Ethni­zität eine natür­liche Qualität des Menschen sei, fest und lösen diese nicht auf.

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Moderne Rassen­theo­rien

Das oben nach­ge­zeich­nete Narrativ, dass der Beweis einer vermischten Herkunft Rassismus verhin­dern könne, basiert auch auf dem Wissen, das durch Gentests produ­ziert wurde. Was dabei über­sehen wird: Vermi­schung, das zeigt ein kurso­ri­scher Blick auf moderne Rassen­theo­rien, war durchaus konsti­tu­tiver Bestand­teil letz­terer und defi­nierte nicht selten, was rassis­ti­sches Handeln war.

Arthur de Gobi­neau etwa, dessen vier­bän­diges Essai sur l’inégalité des races humaines als eine der wich­tigsten rassen­theo­re­ti­schen Schriften des 19. Jahr­hun­derts gilt, ging von der Exis­tenz dreier Rassen aus – schwarz, weiß und gelb. Ihre Vermi­schung war ein notwen­diger Vorgang und zentraler Bestand­teil von Gobi­neaus Theorie. Demnach war die gelbe Rasse ursprüng­lich in Europa und wurde erst durch Einwan­de­rung und Vermi­schung mit der weißen Rasse verdrängt. Wobei Vermi­schung als durchaus ambi­va­lent begriffen wurde: Sie war Movens aller Geschicht­lich­keit, und das sowohl in einer gene­ra­tiven als auch dege­ne­ra­tiven Perspek­tive. Sie war also kein Argu­ment gegen Rassismus, sondern deren Erkenntnis viel­mehr Bedin­gung, über­haupt erst rassis­tisch handeln zu können.

Ähnli­ches offe­riert der Blick auf die insbe­son­dere im Natio­nal­so­zia­lismus wirk­mäch­tige nordi­sche Rassen­lehre. Populär wurde sie durch Hans F. K. Günther, dessen Best­seller Rassen­kunde des deut­schen Volkes sich ab den 1920er Jahren hundert­tau­send­fach verkaufte. Grund­an­nahme war die Exis­tenz von sechs hier­ar­chisch gewer­teten euro­päi­schen und weiteren außer­eu­ro­päi­schen Rassen. Ein Volk war in dieser Vorstel­lung nie unver­mischt, sondern bestand aus Mischungs­ver­hält­nissen. In der Praxis funk­tio­nierte diese Theorie aus einer Kombi­na­tion von physi­scher Anthro­po­logie, also der Vermes­sung des Ist-Zustandes etwa durch Schä­del­in­dizes, und Eugenik, also der Forde­rung per bewusster sexual selec­tion dem Volk zu einem besseren Mischungs­ver­hältnis zu verhelfen. Auch hier ist also Vermi­schung nicht Argu­ment gegen rassis­ti­sche Prak­tiken und Poli­tiken, sondern brachte sie erst hervor.

Ethni­zität als Ware

Es gibt (neben vielen anderen) einen Unter­schied zwischen Rassen­theo­re­ti­kern und Ethni­zi­täts­tes­tern: Letz­tere zielen nicht darauf ab, ihre Ergeb­nisse in staat­liche Biopo­li­tiken umzu­münzen. Wie lässt sich dann das neue Begehren nach Abstam­mung erklären?

In der Ahnen­for­schung ist die DNA-Genealogie mitt­ler­weile ein beliebtes Tool geworden, das bei der Suche nach Vorfahren helfen soll. Zudem bieten die Firmen ein Genmat­ching an, das Verwandte, sofern sie eben­falls einen Test gemacht haben, iden­ti­fi­ziert. Doch ist diese Ziel­gruppe wohl zu klein, um die hohen Umsätze der Branche zu erklären.

James Watson, links, mit Francis Crick und ihrem Modell des DNA-Moleküls; Quelle: times.co.uk

Ein häufig zitierter Satz des Mole­ku­lar­bio­logen und Mitin­itia­toren des Human­ge­nom­pro­jektes, James Watson, führt auf eine andere Spur: „We used to think our fate was in our stars. Now we know, in large measure, our fate is in our genes.“ Als Zeit­dia­gnostik gewendet, lässt er eine andere Inter­pre­ta­tion zu, die von Watson nicht inten­diert war. Diese verweist auf den okkulten Charakter der Gentests für den Haus­ge­brauch. Letz­tere ermög­li­chen ähnlich des aus den Sternen gele­senen Horo­skopes einen vermeint­li­chen Blick in das, was als Schicksal verstanden wird und schließen damit an eine bereits länger einge­übte Kultur­technik an – die Astro­logie. Über die getes­tete Ethni­zität werden Eigen­schaften oder auch Wunsch­vor­stel­lungen des Ichs auf die Abstam­mung projiziert.

Wer sich durch einige Blogs und Vlogs klickt, in denen Erfah­rungen mit den Gentests geschil­dert werden, wird schnell fündig. Eine Reise­blog­gerin fragt sich etwa, ob ihre nun bewie­sene nicht­deut­sche Herkunft ihre Wurzel- und Rast­lo­sig­keit erklären könnte. Ein ehema­liger Fußball­profi versteht dank Ethni­zi­täts­tests seine Liebe zum Fisch­fang – er hat skan­di­na­vi­sche Gene. Häufig zeigt sich auch der Wunsch, körper­liche Merk­male wie Haar- oder Augen­farbe auf die Abstam­mung zurück­führen zu können. Wie der Blick in die Sterne ein kosmi­sches Programm offe­riert, entschlüs­selt Abstam­mung die Persön­lich­keit. Diese Priva­ti­sie­rung der Ethni­zität bei gleich­zei­tiger Ethni­sie­rung des Privaten erweckt jedoch – gestützt durch Werbe­kam­pa­gnen – das Begehren nach Abstam­mung und Differenz.

Gentests und Identität

Ein Ethni­zi­täts­test kann zudem auch ein Ticket sein, das den Erwerb einer anderen Iden­tität ermög­licht. Promi­nente Beispiele häufen sich insbe­son­dere in den USA. Bekannt wurde unter anderen der Fall eines Mannes, der 50 Jahre lang als Weißer lebte. Nach absol­viertem Test (90 Prozent Euro­pean, 6 Native American, 4 Black) wollte er nun auch die Vorteile dieser neuen Iden­tität genießen und ins soge­nannte mino­rity busi­ness owner-Porgramm aufge­nommen werden. Das hätte ihm gegen­über weißen Geschäfts­in­ha­bern Vorteile bei der Vergabe staat­li­cher Aufträge verschafft. Während dieser Antrag nach langem Rechts­streit schei­terte, wurde seine Geburts­ur­kunde jedoch bereits geändert.

Auch der Fall Eliza­beth Warrens, die in der Vorwahl der Demo­kraten für die Präsi­dent­schafts­kan­di­datur 2020 antritt, sorgte für Furore. Sie wollte per DNA-Test ihre schon vor längerer Zeit behaup­tete, aber umstrit­tene indi­gene Abstam­mung beweisen. Obwohl der Test mehr oder weniger im Sinne Warrens positiv ausfiel, erntete sie Kritik – im Beson­deren auch von indi­genen Inter­es­sens­gruppen. Ein Vorwurf: Sie bestärke mit ihrem Test den Glauben, dass race eine Sache des Blutes sei.

Gentests führen also weniger Rassismus ad absurdum als viel­mehr Anti­ras­sismus selbst. Letzt­lich offen­bart sich hier die Kehr­seite der sozi­al­kon­struk­ti­vis­ti­schen Erkenntnis: Gerade weil Ethnos und Rasse nie tatsäch­lich über eine biolo­gi­sche Fundie­rung wirkten, sondern diese nur annahmen, können sie auch wieder­her­ge­stellt und als wirk­mäch­tige gesell­schaft­liche Selbst- wie Fremd­be­schrei­bungen akti­viert werden. Biolo­gisch defi­nierte Vorstel­lungen von Rasse und Ethni­zität müssen als solche dechif­friert und kriti­siert werden. Das beinhaltet auch, die Prak­tiken zu analy­sieren, die diese Vorstel­lungen hervor­bringen. Dazu gehören die Ethni­zi­täts­tests, die – den Abstam­mungs­ge­danken (wieder) in die Natur des Menschen einschreiben.