Schon Dürrenmatt hat den dramatischen Niedergang von Banken beschrieben. Doch während er noch von einer Haftbarkeit der Verantwortlichen ausging, bleiben die verheerenden Folgen von Bankencrashs wie jüngst der Credit Suisse für die verantwortlichen Finanzakteure folgenlos – was die gesellschaftlichen Konsequenzen verschärft.

  • Jakob Tanner

    Jakob Tanner ist emeritierter Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich. 2015 erschien seine „Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert“.

Als Fried­rich Dürren­matt 1966 „Die letzte Gene­ral­ver­samm­lung der Eidge­nös­si­schen Bank­an­stalt“ malte, hatte er eine Vorah­nung. Die Lage im fest­li­chen Raum ist kata­stro­phal. Zehn Bank­ver­treter haben sich an den Kron­leuch­tern aufge­hängt, die Leiter steht noch an der Wand. Fünf weitere sitzen, mit Pistole an der Schläfe, am Bankett-Tisch. Einer wendet sich ab und vier liegen sturz­be­trunken auf dem Teppich. Das Desaster ist komplett.

Das Gemälde wurde verschie­dent­lich zur Illus­tra­tion des Unter­gangs der Credit Suisse (CS) verwendet. Das geht aller­dings ebenso an der Botschaft des Bildes vorbei wie die Annahme, Dürren­matt hätte sich hier einfach einen maka­bren Scherz auf den Finanz­platz erlaubt. Die düstere Parabel, die im Prunk des Raumes den Aufstieg und im kollek­tiven Selbst­mord der Bank­lei­tung den Nieder­gang der „Eidge­nös­si­schen Anstalt“ insze­niert, ist zudem anachro­nis­tisch geworden. Die Zeiten, in denen sich – wie anno 1970 im Fall der Bank Brunner in Luzern – ein bank­rotter Finanz­jon­gleur umbringt, woraufhin seine Villa zur Beglei­chung von Schulden verkauft wird, sind seit Jahr­zehnten vorbei. Die letzte Gene­ral­ver­samm­lung der CS ging am 4. April im Zürich Hallen­sta­dion denn auch ganz geordnet über die Bühne.

Näher am aktu­ellen Geschehen ist Dürren­matts Frank der Fünfte, die 1955 urauf­ge­führte „Komödie einer Privat­bank“. Proku­rist Böck­mann bringt das Aus der „Gangs­ter­bank“ auf den Punkt: „Der Staat über­nimmt die Schulden, wir haben unsere Erspar­nisse in Sicher­heit gebracht, und es kommt alles in Ordnung.“ Diese Geschäfts­moral vor Augen, können wir das Ölbild des Drama­ti­kers anders inter­pre­tieren. Es geht Dürren­matt um die schlimmst­mög­liche Wendung einer Geschichte. Damit richtet sich der Blick auf die mit der CS fusio­nierte UBS – und auf den mögli­chen Absturz dieser letzten schwei­ze­ri­schen Grossbank.

Gibt es Anzei­chen dafür, dass es mit der neuge­schaf­fenen „Mons­ter­bank“ die zumin­dest für die Schweiz schlimmst­mög­liche Wendung nehmen könnte? Im Grund­tenor herrscht Entwar­nung vor. Zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts betrug die Bilanz­summe der CS und der UBS zusammen noch mehr als das Acht­fache des jähr­li­chen Brut­to­in­land­pro­dukts der Schweiz. Für die mit der CS fusio­nierte UBS liegt diese Kenn­zahl jetzt hingegen unter dem Faktor zwei. Aus verschie­denen Gründen hat nach 2008 eine starke Redi­men­sio­nie­rung statt­ge­funden (teil­weise aller­dings wurden Bank­ak­ti­vi­täten ins Schat­ten­ban­ken­system verla­gert; in dieser Hinsicht ist die Redi­men­sio­nie­rung vorgetäuscht).

Too small to survive?

Opti­misten sehen daher auch künftig die inter­na­tio­nalen Geschäfts­grund­lagen für eine Gross­bank im Klein­staat als intakt an. In einer Welt zuneh­mender Ungleich­heit, in der immer mehr Reiche einen Teil ihres Eigen­tums ausser Land bringen wollen, scheint die Vermö­gens­ver­wal­tung in der Schweiz als sichere Sache – trotz rampo­niertem Bank­ge­heimnis. Das Vertrauen in die Alpen­re­pu­blik ist nach wie vor da, der innere Wert des nation bran­ding keines­wegs aufge­zehrt. Mit dem kultu­rellen Kapital der Swiss­ness lässt sich weiterhin Geld verdienen.

Skep­tiker werden nun hell­hörig, wenn der neue CEO der UBS, Sergio Ermotti, ankün­digt, euro­päi­sche Banken und insbe­son­dere die seine seien too small to survive. Ermotti will in der globalen Liga mitspielen. Er weiss, dass die UBS viel zu gross ist, um schei­tern zu können, er glaubt aber, dass sie immer noch zu klein ist für einen finan­zi­ellen Gross­erfolg. So will er denn Unter­neh­mens­wachstum mit robuster Diver­si­fi­zie­rung in Einklang bringen. Und die UBS betont ihre compli­ance, d.h. sie verspricht, Eigenkapitals-, Liquiditäts- sowie weitere Vorschriften einzuhalten.

Dazu bekannte sich aller­dings auch die CS, und was Eigen­ka­pital und Liqui­dität betraf, so sah es hier in den letzten Jahren besser aus als bei der UBS. Die Too-Big-To-Fail-Gesetz­ge­bung, an welcher Parla­ment, Admi­nis­tra­tion und Regie­rung seit 2008 getüf­telt und gefeilt haben, schien sich hier positiv auszu­wirken. Dass dieses Gesetz im akuten Krisen­fall nicht zur Anwen­dung kam, hing damit zusammen, dass etwas eintrat, was auf dem Gefah­ren­mo­nitor nicht auftauchte: Ein kumu­lativ sich beschleu­ni­gender und sich schliess­lich inner­halb weniger Tage über­dre­hender Vertrau­ens­ver­lust, der im ruinösen Bank-Run endet.

Nach­träg­lich tauchte das Argu­ment vom Vertrau­ens­ver­lust dann doch auf, und zwar in merk­wür­diger Verkeh­rung zur Selbst­ent­las­tung der CS-Verantwortlichen und der Bundes­be­hörden. Im Herbst 2022 hätte – so u.a. CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann – ein austra­li­scher Jour­na­list ein böses Gerücht über die CS gestreut und damit jene Unsi­cher­heit getrig­gert, die sich zu einem regel­rechten Tsunami an Vertrauens- und Einla­gen­entzug ausge­wachsen habe. Jene, welche „wahr spre­chen“, werden nach dieser Logik zu Toten­grä­bern. Deshalb glaubte der damals für die Banken­re­gu­lie­rung zustän­dige Bundesrat Ueli Maurer den vertrau­ens­stif­tenden Schutz­engel markieren zu müssen. Noch im Dezember 2022 erklärte er, es laufe alles busi­ness as usual und man müsse der CS-Crew „jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen“. Vertrauen funk­tio­niert hier im Modus seiner brüchigen Fakti­zität, die Verant­wort­li­chen wollen keinen falschen Verdacht schüren, denn der Hinweis darauf, das Vertrauen sei ange­schlagen, kann selbst­ver­stär­kend zur selfful­fil­ling prophecy werden. Dies erklärt zum ansehn­li­chen Teil die Stur­heit, mit der Bank und Behörden die Möglich­keit eines Groun­dings, die sich in der Rück­schau unver­kennbar abzeich­nete, übersahen.

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Vertrauen und Kredit

Ende der 1960er Jahre beklagte sich der Sozio­loge Niklas Luhmann über das spär­liche Schrifttum zum Phänomen des Vertrauens. In seiner Studie Vertrauen. Ein Mecha­nismus der Reduk­tion sozialer Komple­xität (1968) wies er nach, wie in einer zuneh­mend komple­xeren Welt, in der sich soziale Systeme immer weiter ausdif­fe­ren­zieren, der vertrau­ens­ba­sierten Inter­ak­tion die Rolle zukommt, alles so weit zu verein­fa­chen, dass die Gesell­schaft trotz ihrer kontin­genten Entwick­lungs­dy­namik über­sicht­lich und sozial belastbar bleibe. Der Histo­riker Rein­hart Koselleck kehrte diese These Mitte der 1970er Jahre um und konsta­tierte eine Dauer­krise, die Folge der zuneh­menden Kluft zwischen Erfah­rungs­räumen und Erwar­tungs­ho­ri­zonten ist, die wiederum das Vertrauen in den Fort­be­stand dessen, was ist, zuneh­mend unterhöhlt.

Solche theo­re­ti­schen Entwürfe wurden schon in den 1970er Jahren auf Unter­su­chungen zu modernen Gross­un­ter­nehmen ange­wendet. Banken sind Entschei­dungs­ma­schinen, die zwischen Gläu­bi­gern und Schuld­nern vermit­teln. Die soge­nannte Fris­ten­trans­for­ma­tion, das heisst die Umla­ge­rung kurz- oder mittel­fris­tiger Einlagen in lang­fris­tige Verbind­lich­keiten, bedeu­tete ein Geschäfts­ri­siko, das mit einer umsich­tigen Risi­ko­di­ver­si­fi­zie­rung kontrol­lierbar gemacht werden soll. Für den modernen Kapi­ta­lismus zentral ist zudem die Fähig­keit von Banken, Geld ex nihilo zu schöpfen Mit dieser Kapa­zität zur Kredit­ver­gabe verfügen sie über einen finan­zi­ellen Hebel, mit dem sie gleichsam über sich selbst hinaus­wachsen können. Wenn alles wie vorge­sehen läuft, winken satte Renditen.

Mit dieser gewinn­stei­gernden finan­zi­ellen Hebel­technik steigt zugleich das Kredit­ri­siko und damit die Gefahr, Verluste einzu­fahren oder gar Konkurs zu gehen. Banken sind darauf beson­ders anfällig, weil Vertrauen der Grund­stoff ihres Kern­ge­schäfts, eben der Kredi­ter­tei­lung, darstellt. Sie handeln mit Zahlungs­ver­spre­chen. Vertrauen redu­ziert die schwer durch­schau­bare Komple­xität des Kredit­sys­tems auf den einfa­chen Glauben, dass jedes dieser Verspre­chen schliess­lich einge­löst werden wird. Banken kommer­zia­li­sieren Vertrauen, indem sie ihr nicht selten seit mehr als hundert Jahren erwor­benes Vertrau­ens­ka­pital als «tradi­tio­nelle Bank» in die Zukunft proji­zieren: Ihre Kredi­bi­lität beruht auf Erwar­tungs­sta­bi­lität. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie den Kontin­genz­zu­mu­tungen moderner Gesell­schaften ausge­setzt bleiben.

Too big to jail

Martin Wolf, Chef-Kommentator der Finan­cial Times, fasste diese prekäre Diagnose unlängst prägnant zusammen: „Banken sind so gebaut, dass sie schei­tern“. Sie seien Schön­wet­ter­kon­struk­tionen und könnten nicht über­leben, „wenn es wirk­lich schlimm wird“. Es verwun­dert daher nicht, dass die Banken­ge­schichte eine Geschichte von Bank-Runs und entspre­chend reich an Dramen und Zusam­men­brü­chen ist. Doch weil Banken für die Repro­duk­tion sozialer Eliten eine unver­zicht­bare Rolle spielen, kam schon in den Jahren um 1800 die Idee einer Zentral­bank als eines Lender of last resort (Kredit­geber in letzter Instanz) auf. Und als im 20. Jahr­hun­dert klar wurde, wie wichtig die grossen Banken für die Geld­ver­sor­gung und die Zahlungs­in­fra­struktur der modernen Volks­wirt­schaften geworden waren, wurden auch in der Schweiz während der Welt­wirt­schafts­krise der 1930er strau­chelnde Banken auf Kosten des Bundes gerettet – aller­dings nur grosse und keines­wegs alle.

Seit dieser Zeit begann sich auch inter­na­tional das unaus­ge­spro­chene Verspre­chen einer impli­ziten Staats­ga­rantie zu verfes­tigen, was umge­hend und welt­weit den soge­nannten moral hazard förderte. Damit bezeichnet man einen Fehl­an­reiz, der Wirt­schafts­sub­jekt dazu moti­viert, leicht­sinnig und verant­wor­tungslos Risiken auf sich zu nehmen, weil sie damit rechnen können, dass Profite privat bleiben, während Verluste verstaat­licht werden. Auf den Teppiche­tagen der als Akti­en­ge­sell­schaften konstru­ierten Gross­banken fühlte man sich fortan auch deshalb eini­ger­massen sicher (und wichtig), weil man „system­re­le­vant“ war.

Die Erzäh­lung, früher hätten alle Unter­nehmer noch skin in the game gehabt, während heute Gier und Verant­wor­tungs­lo­sig­keit domi­nierten, stimmt indessen nicht. Schon Anfang des 18. Jahr­hun­derts war die etablierte Praxis, Konkur­siten für die Verluste haftbar zu machen und in ein Schuld­ge­fängnis zu stecken, zurück­ge­drängt worden. Während bank­rott­ge­hende arme Schlu­cker in vielen Ländern Europas noch immer einge­sperrt wurden, genossen vermö­gende Banker und einfluss­reiche Geld­ma­gier, die finan­zi­elle Karten­häuser bauten, weit­ge­hende Straf­frei­heit. Krisen wurden fortan als Effekt eines anonymen Markt­ge­sche­hens, als unver­schul­detes Unglück oder – in der Schweiz bis heute beson­ders beliebt – als Natur­er­eignis darge­stellt.

Diese Kultur der Straf­lo­sig­keit förderte, so die empi­risch gut fundierte These, die rasche Entfal­tung des Kapi­ta­lismus. Zum too big to fail gesellte sich das too big to jail. Nach einer mit dem New Deal in den USA Mitte der 1930er Jahre einset­zenden Phase, in der betrü­ge­ri­sche Finan­ciers wiederum häufiger hinter Gitter kamen, hat sich seit den 1980er Jahren erneut die Meinung durch­ge­setzt, dass Anleger selbst aufpassen müssen, wem sie ihr kost­bares Geld anver­trauen. Die Entkop­pe­lung des Risikos von der Haftung wurde zur Regel. Zum Wissen, dass im Ernst­fall der Steu­er­zahler einspringen werde, kam die Einsicht, dass gerade umtrie­bige Banker für die Wiedering­ang­set­zung der ganzen Finanz­ma­schi­nerie und somit auch für die Wieder­her­stel­lung des Vertrauens zu wichtig sind, als dass man sie in einem Gefängnis schmoren lassen könne. Gross­be­trüger wie Bernie Madoff und einige weitere müssen sich zwar weiterhin vor Gericht verant­worten, doch der Haupt­harst jener, die anfangs des 21. Jahr­hun­dert das Subprime-Desaster und damit 2007/08 eine globale Finanz­markt­krise ange­richtet hatten, wurde nie ange­klagt. Sie hatten zwar seriell treu­her­zige Kunden herein­ge­legt, im vollen Wissen darum, dass sie ihnen Schrott­pa­piere andrehten. Doch was sie taten, war, tech­nisch gesehen, legal.

Der „Kasi­no­ka­pi­ta­lismus“ als Pulverfabrik

1986 veröf­fent­lichte Susan Strange ein Buch zum „Kasi­no­ka­pi­ta­lismus“ und warnte vor der unre­gu­lierten Entfes­se­lung eines digi­ta­li­sierten Finanz­markt­ka­pi­ta­lismus. Die Politik schlug diese Warnungen in den Wind. Mit der fort­schrei­tenden Finan­zia­li­sie­rung explo­dierte das Geschäft mit „struk­tu­rierten Produkten“ gera­dezu. Der US-amerikanische Investor und Milli­ardär Warren Buffet erklärte schon 2003, er betrachte diese Deri­vate als „Zeit­bomben, sowohl für die Parteien, die mit ihnen handeln, als auch für das Wirt­schafts­system“. Es handle sich, so präzi­sierte er später, um „finan­zi­elle Massen­ver­nich­tungs­waffen“ und in ihrer Gesamt­wir­kung um eine „Welt­un­ter­gangs­ma­schine“.

Zur Krisen­an­fäl­lig­keit des Finanz­sys­tems trug auch die Share­holder value-Ideo­logie bei, die eine Reduk­tion des Eigen­ka­pi­tals von Bank­un­ter­nehmen legi­ti­mierte, so dass sie gleichsam von innen her ausge­höhlt werden konnten. Mittels Lobbyings versuchte die Finanz­branche poli­ti­sche Eingriffe zu mini­mieren. Gleich­zeitig expan­dierte das Schat­ten­ban­ken­system, das mass­geb­lich verant­wort­lich war für die Finanz­markt­krise von 2008, in den vergan­genen 15 Jahren weiter. Zu diesem shadow banking, das von der staat­li­chen Banken­re­gu­lie­rung nicht betroffen ist, gehören nicht nur Hedge­fonds wie Black­Rock und Privat­märkte, sondern auch Toch­ter­ge­sell­schaften von Banken, welche der  inter­na­tio­nalen Steu­er­op­ti­mie­rung von Konzernen dienen und die Risi­ko­struk­turen verschleiern. Dass ein solches System über­haupt noch funk­tio­nieren kann, setzt das Explizit-Werden der Staats­ga­rantie voraus, nach dem Motto „Wenn es brennt, springt die öffent­liche Hand ein“ – und dies immer häufiger mit Notrecht. Mervyn Allister King, von 2003 bis 2013 Governor der Bank of England, vermerkte tref­fend: „Die Banken leben global, sterben jedoch national“.

Die global operie­renden Banken gaben aber auch danach den Takt an. Joseph Stig­litz kriti­sierte, dass sich der Habitus des Invest­ment­ban­kers ins ganze Banken­wesen hineinfrass. Die exor­bi­tanten, von geschäft­li­chen Erfolgs­kri­te­rien entkop­pelten Saläre und Boni im oberen und Spit­zen­ma­nage­ment stellten eine struk­tu­relle Korrup­tion des Bank­ge­schäfts dar. Aus wissens­his­to­ri­scher Perspek­tive beson­ders alar­mie­rend ist zudem die Erkenntnis, dass ein hoch­gradig verschach­teltes, über enorme Hebel­wir­kungen (Lever­aging, Leverage-Effekt) funk­tio­nie­rendes Finanz­system seine eigenen Infor­ma­ti­ons­grund­lagen unter­mi­niert. Selbst die avan­cierten Finanz­ma­the­ma­tiker, welche dauernd neue Rendi­te­op­ti­mie­rungs­pro­dukte aushe­cken, können nicht mehr erklären, wie diese Dinge in concreto funk­tio­nieren. Das Wissen über das Finanz­system insge­samt erodiert und als dieses 2008 nahe an einer Kern­schmelze vorbei­schrammte, verwan­delte es sich gleichsam über Nacht in eine Blackbox, in der auch die Experten im Dunkeln tappten. Das komple­xi­täts­re­du­zie­rende Vertrauen wurde durch die Implo­sion des Wissens und den Kollaps der Kredit­be­zie­hungen pulve­ri­siert. Auch bei der aktu­ellen UBS-CS-Fusion ersetzten die Rettungs­ak­teure in vielen Berei­chen Wissen durch Vermu­tungen – was den Bund und die Natio­nal­bank zwang, die neue Gross­bank mit einem Rettungs­schirm von insge­samt 259 Milli­arden Franken gegen unbe­kannte Risiken und mögliche Über­ra­schungen zu wappnen.

In den Problemen des Finanz­sek­tors mani­fes­tieren sich also nicht einfach die für moderne Gesell­schaften konsti­tu­tive Kontin­genz. Es herr­schen hier viel­mehr spezi­fi­sche Geschäfts­be­din­gungen und Mach­ver­hält­nisse vor, welche die offene Zukunft auf das hin verengen, was Fried­rich Dürren­matt die „schlimmst­mög­liche Wendung“ genannt hat. Während des Kaltes Krieges schrieb der Drama­tiker einmal, die Welt sei „eine Pulver­fa­brik, in der das Rauchen nicht verboten ist“. Heute wird in Banken nicht mehr geraucht – doch das inter­na­tio­nale Finanz­system ist eine globale Pulver­fa­brik geblieben, nur dass die Zünd­funken nicht mehr von Feuer­zeugen, sondern von den kleinen „Zeit­bomben“ herkommen, die noch immer massen­haft gehan­delt werden. Das kann leicht schief­laufen. So bleibt der asso­zia­tive Konnex zwischen Dürren­matts „Letzter Gene­ral­ver­samm­lung“ und dem Modus operandi der UBS aktuell.