Als Friedrich Dürrenmatt 1966 „Die letzte Generalversammlung der Eidgenössischen Bankanstalt“ malte, hatte er eine Vorahnung. Die Lage im festlichen Raum ist katastrophal. Zehn Bankvertreter haben sich an den Kronleuchtern aufgehängt, die Leiter steht noch an der Wand. Fünf weitere sitzen, mit Pistole an der Schläfe, am Bankett-Tisch. Einer wendet sich ab und vier liegen sturzbetrunken auf dem Teppich. Das Desaster ist komplett.
Das Gemälde wurde verschiedentlich zur Illustration des Untergangs der Credit Suisse (CS) verwendet. Das geht allerdings ebenso an der Botschaft des Bildes vorbei wie die Annahme, Dürrenmatt hätte sich hier einfach einen makabren Scherz auf den Finanzplatz erlaubt. Die düstere Parabel, die im Prunk des Raumes den Aufstieg und im kollektiven Selbstmord der Bankleitung den Niedergang der „Eidgenössischen Anstalt“ inszeniert, ist zudem anachronistisch geworden. Die Zeiten, in denen sich – wie anno 1970 im Fall der Bank Brunner in Luzern – ein bankrotter Finanzjongleur umbringt, woraufhin seine Villa zur Begleichung von Schulden verkauft wird, sind seit Jahrzehnten vorbei. Die letzte Generalversammlung der CS ging am 4. April im Zürich Hallenstadion denn auch ganz geordnet über die Bühne.
Näher am aktuellen Geschehen ist Dürrenmatts Frank der Fünfte, die 1955 uraufgeführte „Komödie einer Privatbank“. Prokurist Böckmann bringt das Aus der „Gangsterbank“ auf den Punkt: „Der Staat übernimmt die Schulden, wir haben unsere Ersparnisse in Sicherheit gebracht, und es kommt alles in Ordnung.“ Diese Geschäftsmoral vor Augen, können wir das Ölbild des Dramatikers anders interpretieren. Es geht Dürrenmatt um die schlimmstmögliche Wendung einer Geschichte. Damit richtet sich der Blick auf die mit der CS fusionierte UBS – und auf den möglichen Absturz dieser letzten schweizerischen Grossbank.
Gibt es Anzeichen dafür, dass es mit der neugeschaffenen „Monsterbank“ die zumindest für die Schweiz schlimmstmögliche Wendung nehmen könnte? Im Grundtenor herrscht Entwarnung vor. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrug die Bilanzsumme der CS und der UBS zusammen noch mehr als das Achtfache des jährlichen Bruttoinlandprodukts der Schweiz. Für die mit der CS fusionierte UBS liegt diese Kennzahl jetzt hingegen unter dem Faktor zwei. Aus verschiedenen Gründen hat nach 2008 eine starke Redimensionierung stattgefunden (teilweise allerdings wurden Bankaktivitäten ins Schattenbankensystem verlagert; in dieser Hinsicht ist die Redimensionierung vorgetäuscht).
Too small to survive?
Optimisten sehen daher auch künftig die internationalen Geschäftsgrundlagen für eine Grossbank im Kleinstaat als intakt an. In einer Welt zunehmender Ungleichheit, in der immer mehr Reiche einen Teil ihres Eigentums ausser Land bringen wollen, scheint die Vermögensverwaltung in der Schweiz als sichere Sache – trotz ramponiertem Bankgeheimnis. Das Vertrauen in die Alpenrepublik ist nach wie vor da, der innere Wert des nation branding keineswegs aufgezehrt. Mit dem kulturellen Kapital der Swissness lässt sich weiterhin Geld verdienen.
Skeptiker werden nun hellhörig, wenn der neue CEO der UBS, Sergio Ermotti, ankündigt, europäische Banken und insbesondere die seine seien too small to survive. Ermotti will in der globalen Liga mitspielen. Er weiss, dass die UBS viel zu gross ist, um scheitern zu können, er glaubt aber, dass sie immer noch zu klein ist für einen finanziellen Grosserfolg. So will er denn Unternehmenswachstum mit robuster Diversifizierung in Einklang bringen. Und die UBS betont ihre compliance, d.h. sie verspricht, Eigenkapitals-, Liquiditäts- sowie weitere Vorschriften einzuhalten.
Dazu bekannte sich allerdings auch die CS, und was Eigenkapital und Liquidität betraf, so sah es hier in den letzten Jahren besser aus als bei der UBS. Die Too-Big-To-Fail-Gesetzgebung, an welcher Parlament, Administration und Regierung seit 2008 getüftelt und gefeilt haben, schien sich hier positiv auszuwirken. Dass dieses Gesetz im akuten Krisenfall nicht zur Anwendung kam, hing damit zusammen, dass etwas eintrat, was auf dem Gefahrenmonitor nicht auftauchte: Ein kumulativ sich beschleunigender und sich schliesslich innerhalb weniger Tage überdrehender Vertrauensverlust, der im ruinösen Bank-Run endet.
Nachträglich tauchte das Argument vom Vertrauensverlust dann doch auf, und zwar in merkwürdiger Verkehrung zur Selbstentlastung der CS-Verantwortlichen und der Bundesbehörden. Im Herbst 2022 hätte – so u.a. CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann – ein australischer Journalist ein böses Gerücht über die CS gestreut und damit jene Unsicherheit getriggert, die sich zu einem regelrechten Tsunami an Vertrauens- und Einlagenentzug ausgewachsen habe. Jene, welche „wahr sprechen“, werden nach dieser Logik zu Totengräbern. Deshalb glaubte der damals für die Bankenregulierung zuständige Bundesrat Ueli Maurer den vertrauensstiftenden Schutzengel markieren zu müssen. Noch im Dezember 2022 erklärte er, es laufe alles business as usual und man müsse der CS-Crew „jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen“. Vertrauen funktioniert hier im Modus seiner brüchigen Faktizität, die Verantwortlichen wollen keinen falschen Verdacht schüren, denn der Hinweis darauf, das Vertrauen sei angeschlagen, kann selbstverstärkend zur selffulfilling prophecy werden. Dies erklärt zum ansehnlichen Teil die Sturheit, mit der Bank und Behörden die Möglichkeit eines Groundings, die sich in der Rückschau unverkennbar abzeichnete, übersahen.
Vertrauen und Kredit
Ende der 1960er Jahre beklagte sich der Soziologe Niklas Luhmann über das spärliche Schrifttum zum Phänomen des Vertrauens. In seiner Studie Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität (1968) wies er nach, wie in einer zunehmend komplexeren Welt, in der sich soziale Systeme immer weiter ausdifferenzieren, der vertrauensbasierten Interaktion die Rolle zukommt, alles so weit zu vereinfachen, dass die Gesellschaft trotz ihrer kontingenten Entwicklungsdynamik übersichtlich und sozial belastbar bleibe. Der Historiker Reinhart Koselleck kehrte diese These Mitte der 1970er Jahre um und konstatierte eine Dauerkrise, die Folge der zunehmenden Kluft zwischen Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten ist, die wiederum das Vertrauen in den Fortbestand dessen, was ist, zunehmend unterhöhlt.
Solche theoretischen Entwürfe wurden schon in den 1970er Jahren auf Untersuchungen zu modernen Grossunternehmen angewendet. Banken sind Entscheidungsmaschinen, die zwischen Gläubigern und Schuldnern vermitteln. Die sogenannte Fristentransformation, das heisst die Umlagerung kurz- oder mittelfristiger Einlagen in langfristige Verbindlichkeiten, bedeutete ein Geschäftsrisiko, das mit einer umsichtigen Risikodiversifizierung kontrollierbar gemacht werden soll. Für den modernen Kapitalismus zentral ist zudem die Fähigkeit von Banken, Geld ex nihilo zu schöpfen Mit dieser Kapazität zur Kreditvergabe verfügen sie über einen finanziellen Hebel, mit dem sie gleichsam über sich selbst hinauswachsen können. Wenn alles wie vorgesehen läuft, winken satte Renditen.
Mit dieser gewinnsteigernden finanziellen Hebeltechnik steigt zugleich das Kreditrisiko und damit die Gefahr, Verluste einzufahren oder gar Konkurs zu gehen. Banken sind darauf besonders anfällig, weil Vertrauen der Grundstoff ihres Kerngeschäfts, eben der Krediterteilung, darstellt. Sie handeln mit Zahlungsversprechen. Vertrauen reduziert die schwer durchschaubare Komplexität des Kreditsystems auf den einfachen Glauben, dass jedes dieser Versprechen schliesslich eingelöst werden wird. Banken kommerzialisieren Vertrauen, indem sie ihr nicht selten seit mehr als hundert Jahren erworbenes Vertrauenskapital als «traditionelle Bank» in die Zukunft projizieren: Ihre Kredibilität beruht auf Erwartungsstabilität. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie den Kontingenzzumutungen moderner Gesellschaften ausgesetzt bleiben.
Too big to jail
Martin Wolf, Chef-Kommentator der Financial Times, fasste diese prekäre Diagnose unlängst prägnant zusammen: „Banken sind so gebaut, dass sie scheitern“. Sie seien Schönwetterkonstruktionen und könnten nicht überleben, „wenn es wirklich schlimm wird“. Es verwundert daher nicht, dass die Bankengeschichte eine Geschichte von Bank-Runs und entsprechend reich an Dramen und Zusammenbrüchen ist. Doch weil Banken für die Reproduktion sozialer Eliten eine unverzichtbare Rolle spielen, kam schon in den Jahren um 1800 die Idee einer Zentralbank als eines Lender of last resort (Kreditgeber in letzter Instanz) auf. Und als im 20. Jahrhundert klar wurde, wie wichtig die grossen Banken für die Geldversorgung und die Zahlungsinfrastruktur der modernen Volkswirtschaften geworden waren, wurden auch in der Schweiz während der Weltwirtschaftskrise der 1930er strauchelnde Banken auf Kosten des Bundes gerettet – allerdings nur grosse und keineswegs alle.
Seit dieser Zeit begann sich auch international das unausgesprochene Versprechen einer impliziten Staatsgarantie zu verfestigen, was umgehend und weltweit den sogenannten moral hazard förderte. Damit bezeichnet man einen Fehlanreiz, der Wirtschaftssubjekt dazu motiviert, leichtsinnig und verantwortungslos Risiken auf sich zu nehmen, weil sie damit rechnen können, dass Profite privat bleiben, während Verluste verstaatlicht werden. Auf den Teppichetagen der als Aktiengesellschaften konstruierten Grossbanken fühlte man sich fortan auch deshalb einigermassen sicher (und wichtig), weil man „systemrelevant“ war.
Die Erzählung, früher hätten alle Unternehmer noch skin in the game gehabt, während heute Gier und Verantwortungslosigkeit dominierten, stimmt indessen nicht. Schon Anfang des 18. Jahrhunderts war die etablierte Praxis, Konkursiten für die Verluste haftbar zu machen und in ein Schuldgefängnis zu stecken, zurückgedrängt worden. Während bankrottgehende arme Schlucker in vielen Ländern Europas noch immer eingesperrt wurden, genossen vermögende Banker und einflussreiche Geldmagier, die finanzielle Kartenhäuser bauten, weitgehende Straffreiheit. Krisen wurden fortan als Effekt eines anonymen Marktgeschehens, als unverschuldetes Unglück oder – in der Schweiz bis heute besonders beliebt – als Naturereignis dargestellt.
Diese Kultur der Straflosigkeit förderte, so die empirisch gut fundierte These, die rasche Entfaltung des Kapitalismus. Zum too big to fail gesellte sich das too big to jail. Nach einer mit dem New Deal in den USA Mitte der 1930er Jahre einsetzenden Phase, in der betrügerische Financiers wiederum häufiger hinter Gitter kamen, hat sich seit den 1980er Jahren erneut die Meinung durchgesetzt, dass Anleger selbst aufpassen müssen, wem sie ihr kostbares Geld anvertrauen. Die Entkoppelung des Risikos von der Haftung wurde zur Regel. Zum Wissen, dass im Ernstfall der Steuerzahler einspringen werde, kam die Einsicht, dass gerade umtriebige Banker für die Wiederingangsetzung der ganzen Finanzmaschinerie und somit auch für die Wiederherstellung des Vertrauens zu wichtig sind, als dass man sie in einem Gefängnis schmoren lassen könne. Grossbetrüger wie Bernie Madoff und einige weitere müssen sich zwar weiterhin vor Gericht verantworten, doch der Hauptharst jener, die anfangs des 21. Jahrhundert das Subprime-Desaster und damit 2007/08 eine globale Finanzmarktkrise angerichtet hatten, wurde nie angeklagt. Sie hatten zwar seriell treuherzige Kunden hereingelegt, im vollen Wissen darum, dass sie ihnen Schrottpapiere andrehten. Doch was sie taten, war, technisch gesehen, legal.
Der „Kasinokapitalismus“ als Pulverfabrik
1986 veröffentlichte Susan Strange ein Buch zum „Kasinokapitalismus“ und warnte vor der unregulierten Entfesselung eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus. Die Politik schlug diese Warnungen in den Wind. Mit der fortschreitenden Finanzialisierung explodierte das Geschäft mit „strukturierten Produkten“ geradezu. Der US-amerikanische Investor und Milliardär Warren Buffet erklärte schon 2003, er betrachte diese Derivate als „Zeitbomben, sowohl für die Parteien, die mit ihnen handeln, als auch für das Wirtschaftssystem“. Es handle sich, so präzisierte er später, um „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ und in ihrer Gesamtwirkung um eine „Weltuntergangsmaschine“.
Zur Krisenanfälligkeit des Finanzsystems trug auch die Shareholder value-Ideologie bei, die eine Reduktion des Eigenkapitals von Bankunternehmen legitimierte, so dass sie gleichsam von innen her ausgehöhlt werden konnten. Mittels Lobbyings versuchte die Finanzbranche politische Eingriffe zu minimieren. Gleichzeitig expandierte das Schattenbankensystem, das massgeblich verantwortlich war für die Finanzmarktkrise von 2008, in den vergangenen 15 Jahren weiter. Zu diesem shadow banking, das von der staatlichen Bankenregulierung nicht betroffen ist, gehören nicht nur Hedgefonds wie BlackRock und Privatmärkte, sondern auch Tochtergesellschaften von Banken, welche der internationalen Steueroptimierung von Konzernen dienen und die Risikostrukturen verschleiern. Dass ein solches System überhaupt noch funktionieren kann, setzt das Explizit-Werden der Staatsgarantie voraus, nach dem Motto „Wenn es brennt, springt die öffentliche Hand ein“ – und dies immer häufiger mit Notrecht. Mervyn Allister King, von 2003 bis 2013 Governor der Bank of England, vermerkte treffend: „Die Banken leben global, sterben jedoch national“.
Die global operierenden Banken gaben aber auch danach den Takt an. Joseph Stiglitz kritisierte, dass sich der Habitus des Investmentbankers ins ganze Bankenwesen hineinfrass. Die exorbitanten, von geschäftlichen Erfolgskriterien entkoppelten Saläre und Boni im oberen und Spitzenmanagement stellten eine strukturelle Korruption des Bankgeschäfts dar. Aus wissenshistorischer Perspektive besonders alarmierend ist zudem die Erkenntnis, dass ein hochgradig verschachteltes, über enorme Hebelwirkungen (Leveraging, Leverage-Effekt) funktionierendes Finanzsystem seine eigenen Informationsgrundlagen unterminiert. Selbst die avancierten Finanzmathematiker, welche dauernd neue Renditeoptimierungsprodukte aushecken, können nicht mehr erklären, wie diese Dinge in concreto funktionieren. Das Wissen über das Finanzsystem insgesamt erodiert und als dieses 2008 nahe an einer Kernschmelze vorbeischrammte, verwandelte es sich gleichsam über Nacht in eine Blackbox, in der auch die Experten im Dunkeln tappten. Das komplexitätsreduzierende Vertrauen wurde durch die Implosion des Wissens und den Kollaps der Kreditbeziehungen pulverisiert. Auch bei der aktuellen UBS-CS-Fusion ersetzten die Rettungsakteure in vielen Bereichen Wissen durch Vermutungen – was den Bund und die Nationalbank zwang, die neue Grossbank mit einem Rettungsschirm von insgesamt 259 Milliarden Franken gegen unbekannte Risiken und mögliche Überraschungen zu wappnen.
In den Problemen des Finanzsektors manifestieren sich also nicht einfach die für moderne Gesellschaften konstitutive Kontingenz. Es herrschen hier vielmehr spezifische Geschäftsbedingungen und Machverhältnisse vor, welche die offene Zukunft auf das hin verengen, was Friedrich Dürrenmatt die „schlimmstmögliche Wendung“ genannt hat. Während des Kaltes Krieges schrieb der Dramatiker einmal, die Welt sei „eine Pulverfabrik, in der das Rauchen nicht verboten ist“. Heute wird in Banken nicht mehr geraucht – doch das internationale Finanzsystem ist eine globale Pulverfabrik geblieben, nur dass die Zündfunken nicht mehr von Feuerzeugen, sondern von den kleinen „Zeitbomben“ herkommen, die noch immer massenhaft gehandelt werden. Das kann leicht schieflaufen. So bleibt der assoziative Konnex zwischen Dürrenmatts „Letzter Generalversammlung“ und dem Modus operandi der UBS aktuell.