Kürzlich startete eine Rakete des Weltraumunternehmens SpaceX im Rahmen der Weltraummission Inspiration4 unter großer medialer Beobachtung erfolgreich ins All. Der spektakuläre Start wurde nur noch von der überbordenden multimedialen Selbstvermarktung der gesamten Mission übertrumpft: Neben einer eigenen Netflix-Dokumentation und einem Netzwerk aus sozialen Medien und Accounts sorgten besonders die Twitter-Interventionen des SpaceX Gründers und selbsterklärten Weltraumpioniers und Mars-Eroberers Elon Musk für erhöhte Aufmerksamkeit. Zentrales und wiederkehrendes Motiv der Vermarktung der Mission war dabei, dass es sich um die erste vollkommen zivile und touristische Weltraummission handelte.
An Bord der Raumkapsel Dragon befanden sich neben dem US-amerikanischen Unternehmer und Milliardär Jared Isaacman, der den Flug gechartert und finanziert hatte, nur drei weitere Zivilistin:innen, von denen keine:r als Astronaut:in ausgebildet worden war (die Raumkapsel steuerte sich zum größten Teil automatisiert). Trotzdem erscheint der Weltraumtourismus in der Erzählung, die Musk und SpaceX um die Inspiration4-Missionen spinnen, explizit nicht als Abenteuer für Superreiche oder als Publicity Stunt eines privaten Weltraumunternehmens. Stattdessen stilisiert SpaceX die Mission einerseits als logische Fortsetzung der Tradition amerikanischer Weltraumforschung, die mit den Apollo-Missionen ihren Höhepunkt erreichte, und präsentiert Inspiration4 zugleich als Aufbruch in eine neue Ära der Raumfahrt. Der Weltraumtourismus, so die Erzählung, macht unser Sonnensystem endlich einem größeren Teil der Weltbevölkerung zugänglich und dient indirekt auch der gesamten Menschheit als eine Art Sprungbrett in eine nicht genauer definierte, aber dennoch bessere Zukunft.
Jedi-Ritter der Zukunft
Um diese utopische Vision für alle Beobachter:innen glasklar zu machen, umgibt sich die Mission offensiv mit philanthropischen Motiven und Narrativen. So ist ein Spendenaufruf für das „St. Jude Children’s Research Hospital“ in Tennessee, das sich der Krebsbekämpfung bei Kindern verschrieben hat, neben der Erforschung des menschlichen Körpers im All als Teil der offiziellen Missionsziele gelistet. Zusätzlich wurden weitere Plätze an Bord der Dragon-Kapsel, neben dem des Hauptakteurs Isaacman, an eine ehemalige Patientin und nun Mitarbeiterin des St. Jude Hospital, sowie an einen Spender desselben Krankenhauses vergeben. Der vierte Platz ging an eine Kundin von Isaacmans E-Commerce Plattform „Shift4 Payments“, mit der er zum Milliardär aufgestiegen ist.
Die Lebensgeschichten der Crew werden erzählerisch mit den Zielen der Mission verwoben und laden diese letztlich moralisch auf: Aufbruch, Zuversicht, Menschlichkeit, ja das Leben selbst stehen im Mittelpunkt von Inspiration4. Aus dem Profil der vierten Teilnehmerin, Dr. Sian Proctor, wird dabei abgeleitet, zu welcher Art von Zukunft für die Menschheit die Mission beitragen möchte. In ihrem Crew-Profil schreibt Proctor, sie hoffe mit ihrer Teilnahme an der Mission „to encourage conversations about creating a JEDI Space, or a space environment that is Just, Equitable, Diverse and Inclusive“. Die Mission von Inspiration4 und der Weltraumtourismus, den sie einleitet, soll also den Weltraum zu einem progressiven Ort machen, an dem Fragen von Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit der Platz eingeräumt wird, den sie in terrestrischen Kontexten leider selten erhalten.
Die Bildung des Akronyms „JEDI“ aus diesen Leitbegriffen ist sicher kein Zufall, sondern eine popkulturelle Referenz auf die Jedi-Ritter aus der Star Wars Filmsaga. Im Kampf zwischen Licht und Dunkelheit stehen sie für das Licht und das ultimative Gute ein. Diese (und weitere) Gesten der Verbundenheit mit hyperpopulärer Science-Fiction-Folklore ist nichts Neues in der Raumfahrt und der Weltraumforschung. Der berühmte US-amerikanische Wissenschaftler und Publizist Carl Sagan beschrieb einst die Beziehung von Wissenschaft und Science-Fiction als „delicate dance“ und meinte damit auch, dass die Grenzen zwischen Science-Fiction und Wissenschaft fließend seien und man sich gegenseitig als Inspiration diene. Im Kontext der Weltraumforschung und der Raumfahrt ist es dabei besonders die beliebte Geschichte der Erforschung und Kolonisation des Weltraums als für die Menschheit transformative und einende Erfahrung, auf den gerne Bezug genommen wird.
Auch die Inspiration4-Mission wird gezielt in dieser Vision verankert und unterstreicht nun – und das ist neu – dass allein die kommerzielle Raumfahrt den Weg in diese utopische Zukunft bereiten kann. Und SpaceX ist mit dieser Perspektive nicht allein. Auch Jeff Bezos und Richard Branson, zwei weitere Milliardäre mit Unternehmen, die sich dem Weltraumtourismus und der privaten Weltraumindustrie verschrieben haben, umgeben ihre Projekte mit einer Aura des Progressiven, des Utopischen, und dem Versprechen einer grundlegend transformatorischen Erfahrung für die gesamte Menschheit.
Koloniale Wurzeln des Weltraumtourismus
Dass gerade der Weltraumtourismus als Vehikel für eine gerechte, inklusive und diverse Zukunft dienen soll, ist mit Blick auf die kolonialen Wurzeln des modernen terrestrischen Tourismus mehr als fragwürdig. So wird besonders, aber nicht ausschließlich, der im US-amerikanischen Kontext vom zügellosen Kapitalismus und Vorstellungen kultureller Hegemonie geprägte Tourismus als Fortsetzung kolonialer Strukturen mit anderen Mitteln verstanden. Besonders in karibischen und pazifischen Kontexten setzen sich Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen mit der Frage auseinander, wie der moderne Tourismus lokale Kulturen und Gemeinschaften in eindimensionale und konsumierbare Stereotype zwängt, während sich die soziale Schere zwischen den privilegierten weißen Tourist:innen und der indigenen und/oder nicht-weißen lokalen Bevölkerung dramatisch verbreitert.

Visions Of The Future: Posterserie für Weltraumreisen von der NASA (2016): „Besuchen Sie den schönen südlichen / Enceladus / Mehr als 100 aktive Geysire! / Die Heimat des ‹Cold Faithful› / Jetzt Touren buchen“, Quelle: Wiki
Gerechtfertigt wird diese ausbeuterische Praxis mit kolonialen Stereotypen voller toxischer Maskulinität und Kulturimperialismus: die Urlaubsziele werden als utopisch-paradiesische Rückzugsorte beschrieben, als jungfräuliche Länder („virgin land“) unberührt und fernab westlicher Zivilisation, in denen ebenfalls unberührte Bevölkerungen (und besonders Frauen) die Touristen mit offenen Armen willkommen heißen. Zu mehr Freiheit, Diversität, und Inklusion führt das alles nicht, ganz im Gegenteil. Zuletzt führte in der Corona-Krise in den USA eine Art COVID-Tourismus auf die Hawaiianischen Inseln zu einem dramatischen Anstieg der Fallzahlen. Amerikanische Tourist:innen machten sich dabei in Scharen auf den Weg nach Hawaiʻi, angelockt von eben dieser Vorstellung eines Inselparadieses fernab der Probleme der Zivilisation, auf dem sich die COVID-Krise aussitzen lässt. Unter den eingeschleppten neuen COVID-Fällen litt oft in erster Linie die sozial schwächere indigene und nicht-weiße Bevölkerung der Inseln.

Pan Am-Poster (1959), Quelle: allposters.com
Nun mag man zurecht festhalten, dass sich pazifische Inseln und ein Tourismusziel auf dem Mond nicht direkt vergleichen lassen. Auffallend ist jedoch, dass die private Weltraumindustrie dennoch exakt diese altbewährten Tourismus-Diskurse bedient, um ihre Missionen moralisch aufzuladen. So produzierte die NASA eine Werbeposter-Serie mit dem Namen „Visions of the Future“, die verschiedene Orte in unserem Sonnensystem als zukünftige Urlaubsorte imaginierte. In Ästhetik und Format lehnen sie sich an die Poster der US Tourismus-Agenturen der 1950-1970er-Jahre an, also an jene Zeit, in der Orte wie Hawaiʻi oder Kuba als erreichbare Urlaubsparadiese beworben wurden.
Cowboys im Weltraum
Auch die anderen Weltraummilliardäre wie Richard Branson und Jeff Bezos bedienen sich dieser Diskurse. Als Branson im Juli dieses Jahres zu seinem ersten Flug ins All aufbrach, markierten die Worte „Today space is Virgin territory“ den Eintritt seines Gleiters in den Suborbit. Das Zitat ist dabei auch ein Wortspiel mit dem Namen seines Unternehmens „Virgin Galactic“ und bedient sich der bereits beschriebenen Logik von unberührtem Land und von Menschen, die es zu erobern gilt. Amazon-Gründer Jeff Bezos wiederum flog nur wenige Tage nach Branson zum ersten Mal ins All und verließ nach der Landung seine Raumkapsel mit einem Cowboyhut auf dem Kopf. Die wenig subtile Botschaft: mit dem Ritt auf der Rakete hat sich hier ein echter Kerl den Weltraum untertan gemacht.
Dieser Rückgriff auf koloniale Logiken und Erzählungen ist nicht unschuldig oder harmlos, sondern strategisch. Alle am Wettrennen um den privatisierten Weltraum beteiligten Milliardäre verfolgen mit ihren Unternehmen klar kapitalistische und eigennützige Ziele. Beide konkurrieren um Verträge mit der NASA, die den Bau von Trägerraketen und die Ausstattung ganzer NASA-Missionen (z.B. zum Mond) beinhalten. Langfristig wollen alle eine komplette Privatisierung der Weltraumindustrie und des Weltraums erreichen. Gleichzeitig gibt der medial wirksame und moralisch aufgewertete Weltraumtourismus den oft wenig sozial oder ökologisch orientierten Geschäftsmodellen der CEOs von Virgin, Amazon und Tesla einen progressiven Anstrich – „astro-washing“, sozusagen. Mit Diversität, Inklusion oder gar der Transformation der Menschheit hat das alles also wenig zu tun. Vielmehr geht es Musk und Co., die als reichste Männer der Welt für die Verbreitung des zügel- und maßlosen Neoliberalismus stehen, darum die Kolonisation des Weltraums in derselben Logik zu verfolgen.
Wer das nun alles für wenig dringliche Zukunftsmusik hält, unterschätzt, wie wirkungsmächtig Erzählungen wie die des Weltraumtourismus à la Musk und Co. sein können. Mit Hilfe ihrer großen medialen Aufmerksamkeit prägen Sie nicht nur maßgeblich unsere Vorstellung von der menschlichen Zukunft im All, sondern nehmen parallel wesentlichen Einfluss auf sehr terrestrische Fragen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit im Hier und Jetzt.
Wer die Erforschung des Weltraums auch weiterhin als Chance hin zu mehr gesellschaftlicher Veränderung verstehen will, muss auch zwingend einen kritischen Blick hinter die Kulissen des perfekt inszenierten neuen Weltraumtourismus werfen.