Die Weltraummission Inspiration4 wird als Aufbruch in eine neue Ära der Raumfahrt inszeniert, die für die ganze Menschheit eine bessere Zukunft einläuten soll. Das Marketing der Mission greift auf utopische Narrative zurück, reiht sich aber faktisch in eine koloniale Tradition ohne jedes Interesse für soziale und ökologische Anliegen ein.

  • Jens Temmen

    Jens Temmen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Institut für Amerikanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In seiner Forschung setzt er sich mit verschiedensten Erzählungen der Marskolonisation in Wissenschaft und Kultur auseinander und untersucht deren Rolle in der aktuellen Klimadebatte.

Kürz­lich star­tete eine Rakete des Welt­raum­un­ter­neh­mens SpaceX im Rahmen der Welt­raum­mis­sion Inspiration4 unter großer medialer Beob­ach­tung erfolg­reich ins All. Der spek­ta­ku­läre Start wurde nur noch von der über­bor­denden multi­me­dialen Selbst­ver­mark­tung der gesamten Mission über­trumpft: Neben einer eigenen Netflix-Dokumentation und einem Netz­werk aus sozialen Medien und Accounts sorgten beson­ders die Twitter-Interventionen des SpaceX Grün­ders und selbst­er­klärten Welt­raum­pio­niers und Mars-Eroberers Elon Musk für erhöhte Aufmerk­sam­keit. Zentrales und wieder­keh­rendes Motiv der Vermark­tung der Mission war dabei, dass es sich um die erste voll­kommen zivile und touris­ti­sche Welt­raum­mis­sion handelte.

An Bord der Raum­kapsel Dragon befanden sich neben dem US-amerikanischen Unter­nehmer und Milli­ardär Jared Isaacman, der den Flug gechar­tert und finan­ziert hatte, nur drei weitere Zivilistin:innen, von denen keine:r als Astronaut:in ausge­bildet worden war (die Raum­kapsel steu­erte sich zum größten Teil auto­ma­ti­siert). Trotzdem erscheint der Welt­raum­tou­rismus in der Erzäh­lung, die Musk und SpaceX um die Inspiration4-Missionen spinnen, explizit nicht als Aben­teuer für Super­reiche oder als Publi­city Stunt eines privaten Welt­raum­un­ter­neh­mens. Statt­dessen stili­siert SpaceX die Mission einer­seits als logi­sche Fort­set­zung der Tradi­tion ameri­ka­ni­scher Welt­raum­for­schung, die mit den Apollo-Missionen ihren Höhe­punkt erreichte, und präsen­tiert Inspiration4 zugleich als Aufbruch in eine neue Ära der Raum­fahrt. Der Welt­raum­tou­rismus, so die Erzäh­lung, macht unser Sonnen­system endlich einem größeren Teil der Welt­be­völ­ke­rung zugäng­lich und dient indi­rekt auch der gesamten Mensch­heit als eine Art Sprung­brett in eine nicht genauer defi­nierte, aber dennoch bessere Zukunft.

Jedi-Ritter der Zukunft

Um diese utopi­sche Vision für alle Beobachter:innen glas­klar zu machen, umgibt sich die Mission offensiv mit phil­an­thro­pi­schen Motiven und Narra­tiven. So ist ein Spen­den­aufruf für das „St. Jude Children’s Rese­arch Hospital“ in Tennessee, das sich der Krebs­be­kämp­fung bei Kindern verschrieben hat, neben der Erfor­schung des mensch­li­chen Körpers im All als Teil der offi­zi­ellen Missi­ons­ziele gelistet. Zusätz­lich wurden weitere Plätze an Bord der Dragon-Kapsel, neben dem des Haupt­ak­teurs Isaacman, an eine ehema­lige Pati­entin und nun Mitar­bei­terin des St. Jude Hospital, sowie an einen Spender desselben Kran­ken­hauses vergeben. Der vierte Platz ging an eine Kundin von Isaac­mans E-Commerce Platt­form „Shift4 Payments“, mit der er zum Milli­ardär aufge­stiegen ist.

Die Lebens­ge­schichten der Crew werden erzäh­le­risch mit den Zielen der Mission verwoben und laden diese letzt­lich mora­lisch auf: Aufbruch, Zuver­sicht, Mensch­lich­keit, ja das Leben selbst stehen im Mittel­punkt von Inspiration4. Aus dem Profil der vierten Teil­neh­merin, Dr. Sian Proctor, wird dabei abge­leitet, zu welcher Art von Zukunft für die Mensch­heit die Mission beitragen möchte. In ihrem Crew-Profil schreibt Proctor, sie hoffe mit ihrer Teil­nahme an der Mission „to encou­rage conver­sa­tions about crea­ting a JEDI Space, or a space envi­ron­ment that is Just, Equi­table, Diverse and Inclu­sive“. Die Mission von Inspiration4 und der Welt­raum­tou­rismus, den sie einleitet, soll also den Welt­raum zu einem progres­siven Ort machen, an dem Fragen von Diver­sität, Inklu­sion und Gerech­tig­keit der Platz einge­räumt wird, den sie in terres­tri­schen Kontexten leider selten erhalten.

Die Bildung des Akro­nyms „JEDI“ aus diesen Leit­be­griffen ist sicher kein Zufall, sondern eine popkul­tu­relle Refe­renz auf die Jedi-Ritter aus der Star Wars Film­saga. Im Kampf zwischen Licht und Dunkel­heit stehen sie für das Licht und das ulti­ma­tive Gute ein. Diese (und weitere) Gesten der Verbun­den­heit mit hyper­po­pu­lärer Science-Fiction-Folklore ist nichts Neues in der Raum­fahrt und der Welt­raum­for­schung. Der berühmte US-amerikanische Wissen­schaftler und Publi­zist Carl Sagan beschrieb einst die Bezie­hung von Wissen­schaft und Science-Fiction als „deli­cate dance“ und meinte damit auch, dass die Grenzen zwischen Science-Fiction und Wissen­schaft flie­ßend seien und man sich gegen­seitig als Inspi­ra­tion diene. Im Kontext der Welt­raum­for­schung und der Raum­fahrt ist es dabei beson­ders die beliebte Geschichte der Erfor­schung und Kolo­ni­sa­tion des Welt­raums als für die Mensch­heit trans­for­ma­tive und einende Erfah­rung, auf den gerne Bezug genommen wird.

Auch die Inspiration4-Mission wird gezielt in dieser Vision veran­kert und unter­streicht nun – und das ist neu – dass allein die kommer­zi­elle Raum­fahrt den Weg in diese utopi­sche Zukunft bereiten kann. Und SpaceX ist mit dieser Perspek­tive nicht allein. Auch Jeff Bezos und Richard Branson, zwei weitere Milli­ar­däre mit Unter­nehmen, die sich dem Welt­raum­tou­rismus und der privaten Welt­raum­in­dus­trie verschrieben haben, umgeben ihre Projekte mit einer Aura des Progres­siven, des Utopi­schen, und dem Verspre­chen einer grund­le­gend trans­for­ma­to­ri­schen Erfah­rung für die gesamte Menschheit.

Kolo­niale Wurzeln des Weltraumtourismus

Dass gerade der Welt­raum­tou­rismus als Vehikel für eine gerechte, inklu­sive und diverse Zukunft dienen soll, ist mit Blick auf die kolo­nialen Wurzeln des modernen terres­tri­schen Tourismus mehr als frag­würdig. So wird beson­ders, aber nicht ausschließ­lich, der im US-amerikanischen Kontext vom zügel­losen Kapi­ta­lismus und Vorstel­lungen kultu­reller Hege­monie geprägte Tourismus als Fort­set­zung kolo­nialer Struk­turen mit anderen Mitteln verstanden. Beson­ders in kari­bi­schen und pazi­fi­schen Kontexten setzen sich Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen mit der Frage ausein­ander, wie der moderne Tourismus lokale Kulturen und Gemein­schaften in eindi­men­sio­nale und konsu­mier­bare Stereo­type zwängt, während sich die soziale Schere zwischen den privi­le­gierten weißen Tourist:innen und der indi­genen und/oder nicht-weißen lokalen Bevöl­ke­rung drama­tisch verbreitert.

Visions Of The Future: Poster­serie für Welt­raum­reisen von der NASA (2016): „Besu­chen Sie den schönen südli­chen / Ence­ladus / Mehr als 100 aktive Geysire! / Die Heimat des ‹Cold Faithful› / Jetzt Touren buchen“, Quelle: Wiki

Gerecht­fer­tigt wird diese ausbeu­te­ri­sche Praxis mit kolo­nialen Stereo­typen voller toxi­scher Masku­li­nität und Kultur­im­pe­ria­lismus: die Urlaubs­ziele werden als utopisch-paradiesische Rück­zugs­orte beschrieben, als jung­fräu­liche Länder („virgin land“) unbe­rührt und fernab west­li­cher Zivi­li­sa­tion, in denen eben­falls unbe­rührte Bevöl­ke­rungen (und beson­ders Frauen) die Touristen mit offenen Armen will­kommen heißen. Zu mehr Frei­heit, Diver­sität, und Inklu­sion führt das alles nicht, ganz im Gegen­teil. Zuletzt führte in der Corona-Krise in den USA eine Art COVID-Tourismus auf die Hawai­ia­ni­schen Inseln zu einem drama­ti­schen Anstieg der Fall­zahlen. Ameri­ka­ni­sche Tourist:innen machten sich dabei in Scharen auf den Weg nach Hawaiʻi, ange­lockt von eben dieser Vorstel­lung eines Insel­pa­ra­dieses fernab der Probleme der Zivi­li­sa­tion, auf dem sich die COVID-Krise aussitzen lässt. Unter den einge­schleppten neuen COVID-Fällen litt oft in erster Linie die sozial schwä­chere indi­gene und nicht-weiße Bevöl­ke­rung der Inseln.

Pan Am-Poster (1959), Quelle: allposters.com

Nun mag man zurecht fest­halten, dass sich pazi­fi­sche Inseln und ein Touris­mus­ziel auf dem Mond nicht direkt verglei­chen lassen. Auffal­lend ist jedoch, dass die private Welt­raum­in­dus­trie dennoch exakt diese altbe­währten Tourismus-Diskurse bedient, um ihre Missionen mora­lisch aufzu­laden. So produ­zierte die NASA eine Werbeposter-Serie mit dem Namen „Visions of the Future“, die verschie­dene Orte in unserem Sonnen­system als zukünf­tige Urlaubs­orte imagi­nierte. In Ästhetik und Format lehnen sie sich an die Poster der US Tourismus-Agenturen der 1950-1970er-Jahre an, also an jene Zeit, in der Orte wie Hawaiʻi oder Kuba als erreich­bare Urlaubs­pa­ra­diese beworben wurden.

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Cowboys im Weltraum

Auch die anderen Welt­raum­mil­li­ar­däre wie Richard Branson und Jeff Bezos bedienen sich dieser Diskurse. Als Branson im Juli dieses Jahres zu seinem ersten Flug ins All aufbrach, markierten die Worte „Today space is Virgin terri­tory“ den Eintritt seines Glei­ters in den Suborbit. Das Zitat ist dabei auch ein Wort­spiel mit dem Namen seines Unter­neh­mens „Virgin Galactic“ und bedient sich der bereits beschrie­benen Logik von unbe­rührtem Land und von Menschen, die es zu erobern gilt. Amazon-Gründer Jeff Bezos wiederum flog nur wenige Tage nach Branson zum ersten Mal ins All und verließ nach der Landung seine Raum­kapsel mit einem Cowboyhut auf dem Kopf. Die wenig subtile Botschaft: mit dem Ritt auf der Rakete hat sich hier ein echter Kerl den Welt­raum untertan gemacht.

Dieser Rück­griff auf kolo­niale Logiken und Erzäh­lungen ist nicht unschuldig oder harmlos, sondern stra­te­gisch. Alle am Wett­rennen um den priva­ti­sierten Welt­raum betei­ligten Milli­ar­däre verfolgen mit ihren Unter­nehmen klar kapi­ta­lis­ti­sche und eigen­nüt­zige Ziele. Beide konkur­rieren um Verträge mit der NASA, die den Bau von Träger­ra­keten und die Ausstat­tung ganzer NASA-Missionen (z.B. zum Mond) beinhalten. Lang­fristig wollen alle eine komplette Priva­ti­sie­rung der Welt­raum­in­dus­trie und des Welt­raums errei­chen. Gleich­zeitig gibt der medial wirk­same und mora­lisch aufge­wer­tete Welt­raum­tou­rismus den oft wenig sozial oder ökolo­gisch orien­tierten Geschäfts­mo­dellen der CEOs von Virgin, Amazon und Tesla einen progres­siven Anstrich – „astro-washing“, sozu­sagen. Mit Diver­sität, Inklu­sion oder gar der Trans­for­ma­tion der Mensch­heit hat das alles also wenig zu tun. Viel­mehr geht es Musk und Co., die als reichste Männer der Welt für die Verbrei­tung des zügel- und maßlosen Neoli­be­ra­lismus stehen, darum die Kolo­ni­sa­tion des Welt­raums in derselben Logik zu verfolgen.

Wer das nun alles für wenig dring­liche Zukunfts­musik hält, unter­schätzt, wie wirkungs­mächtig Erzäh­lungen wie die des Welt­raum­tou­rismus à la Musk und Co. sein können. Mit Hilfe ihrer großen medialen Aufmerk­sam­keit prägen Sie nicht nur maßgeb­lich unsere Vorstel­lung von der mensch­li­chen Zukunft im All, sondern nehmen parallel wesent­li­chen Einfluss auf sehr terres­tri­sche Fragen sozialer und ökolo­gi­scher Gerech­tig­keit im Hier und Jetzt.

Wer die Erfor­schung des Welt­raums auch weiterhin als Chance hin zu mehr gesell­schaft­li­cher Verän­de­rung verstehen will, muss auch zwin­gend einen kriti­schen Blick hinter die Kulissen des perfekt insze­nierten neuen Welt­raum­tou­rismus werfen.