„The Eyes of all Future Generations are upon you.” – Als Greta Thunberg im vergangenen Herbst auf dem UN Climate Summit in New York den anwesenden Staatsmännern und -frauen ihre politische Verantwortung ins Bewusstsein rief, griff sie einen Argumentationstopos auf, der in den vergangenen Jahren enorm an Deutungsmacht gewonnen hat. Egal ob in Debatten über die Zukunft des Sozialstaats und des Rentensystems, in Erziehungs- und Bildungsdebatten oder aktuell in den Forderungen nach einer wirksamen Klimapolitik: Die Vorstellung, dass politische Entscheidungen nicht allein die gegenwärtige Wählerschaft, sondern auch die Interessen nachfolgender Generationen einbeziehen müssen, ist zur Kernforderung einer „nachhaltigen“ Politik geworden.
Our Children’s Trust: Die Rechte zukünftiger Generationen
Unter Konzepten der „Zukunftsethik“ und der „Generationengerechtigkeit“ wird aktuell diskutiert, wie sich diese Interessen politisch integrieren ließen. In vielen Ländern sind zivilgesellschaftliche Organisationen und Lobbygruppen entstanden, die sich diesem Ziel verschrieben haben, in Deutschland beispielsweise die „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“. Vor allem im Kontext der Klimadebatten gibt es darüber hinaus in mehreren Ländern Versuche, den Interessen „zukünftiger Generationen“ einen eigenständigen juristischen Status zu verleihen und Regierungen auf diese Weise zu verbindlichen Maßnahmen in der Klimapolitik zu verpflichten. Ende vergangenen Jahres fällte das oberste Gericht der Niederlande ein Grundsatzurteil, mit dem die Regierung zu einer Reduktion der CO2-Emmissionen um 25% verpflichtet wurde. Noch größere Aufmerksamkeit erhält zurzeit der von der Stiftung „Our Children’s Trust“ initiierte Prozess „Juliana vs. United States“, in dem 21 Kinder und Jugendliche die USA im Namen „zukünftiger Generationen“ auf eine wirksame Reduktion des CO2-Ausstoßes verpflichten wollen. Anders als in den Niederlanden hat das zuständige Gericht in Oregon die Klage zuletzt vorläufig abgewiesen. Zwar stimmte das Richtergremium den inhaltlichen Ausführungen der KlägerInnen in weiten Teilen zu, argumentierte jedoch, dass die Verabschiedung einer nachhaltigen Klimapolitik nicht Aufgabe gerichtlicher Institutionen sei, sondern der Verantwortung der Regierung obliege – eine für die USA momentan nicht eben vielversprechende Perspektive.

Inzwischen ein beliebtes Postkartenmotiv: Die berühmte Frage von Jonas Salk; Quelle: quotefancy.com
Es überrascht nicht, dass der Verweis auf die Rechte „zukünftiger Generationen“ politisch und juristisch umstritten ist. Schließlich werden hiermit in der Tat zentrale Vorstellungen politischer Verantwortung und demokratischer Entscheidungsfindung auf die Probe gestellt. Ähnlich wie Forderungen einer globalen Ethik die räumlichen Grenzen moralischer Verantwortung in Frage stellen, so geschieht hier dasselbe in zeitlicher Perspektive – mit bislang kaum geklärten Folgen für Fragen nach politischer Partizipation und Repräsentation, juristischer Implementierung und individueller moralischer Verantwortung. Umso interessanter ist, dass diese Diskussionen in einem Zeitraum an Bedeutung gewannen, in dem der Zukunftsbezug westlicher Gesellschaften ambivalenter wurde. In einer Zeit, in der sich Politik vermeintlich immer stärker auf eine „breite Gegenwart“ (Hans Ulrich Gumbrecht) zu fokussieren schien, entwickelte sich der Verweis auf „zukünftige Generationen“ zu einer wirkungsvollen Pathosformel, um politische Entscheidungsträger auf eine Zukunftsverantwortung der eigenen Politik festzulegen. Seitdem ist die von Jonas Salk geprägte Frage zu einer Leitvokabel politischer und moralischer Debatten geworden: „Are we being good ancestors?“
Zukunft als Krisenszenario
In Wirklichkeit ist diese Frage nicht neu. Doch stand sie lange Zeit eher im Kontext eines geschichtsphilosophischen Fortschrittsglaubens, der dementsprechend andere Akzente setzte. So beschäftigte sich schon Immanuel Kant in seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (1784) mit der Rolle „zukünftiger Generationen“. Für ihn lag die Herausforderung jedoch gerade in den Folgen seines teleologischen Geschichtsbildes, nach dem letztlich nur ein kleiner Teil der Menschheit – nämlich eben jene „zukünftigen Generationen“ – in den vollen Genuss der bürgerlichen Weltgesellschaft kommen würden. Für Kant stellte sich die Frage, wie sich der menschliche Fortschritt gegenüber jenen Menschen rechtfertigen ließe, die zu früh geboren waren, um in den vollen Genuss seiner Früchte zu kommen.

Plakat von Klaus Staeck, 1998; Quelle: kunsthalle-kuehlungsborn.de
Wenigstens dieses Problem scheint uns heute weniger Sorgen zu bereiten. Kants Fortschrittsoptimismus ist einer Krisendiagnose gewichen, die mit dem Verweis auf „zukünftige Generationen“ vor allem den Vorwurf verbindet, dass die Gegenwart in signifikanter Weise auf Kosten der Zukunft leben würde. Zwar fanden sich solche Krisenszenarien auch schon früher, beispielsweise in den apokalyptischen Diskursen der Bevölkerungswissenschaft und den rassistisch-eugenischen Dekadenznarrativen der langen Jahrhundertwende. Besonders virulent wurde diese politische Metaphorik jedoch in den 1970er Jahren.
Eine Kippfigur war in diesem Zusammenhang John Rawls und dessen 1971 erschienenes Buch „A Theory of Justice“. Rawls war einer der ersten, der in seine Gerechtigkeitstheorie explizit eine generationenübergreifende Dimension integrierte. Sein berühmtes Modell eines „Schleiers des Nichtwissens“, hinter dem Akteure einen gemeinsamen Gesellschaftsvertrag aushandeln sollten, beinhaltete in letzter Konsequenz auch das Unwissen darüber, welcher Generation man angehören würden. Dies war ein radikales Gedankenexperiment und stellt bis heute eine fruchtbare Herausforderung für Fragen intergenerationeller Gerechtigkeit dar. Rawls Antwort hierauf war jedoch alles andere als überzeugend und verblieb weitgehend in den Bahnen etablierter Fortschrittsnarrative, nach denen es nachfolgenden Generationen im Durchschnitt besser gehen würde als ihren Vorläufern, weshalb sich eine Gerechtigkeitstheorie auf Verteilungsfragen innerhalb einzelner Generationen konzentrieren könnte.
Diese Prämisse verlor jedoch beinahe zeitgleich mit der Veröffentlichung des Buches an Plausibilität. Mit dem Aufstieg der Umweltbewegung und der Veröffentlichung der „Limits to Growth“ (1972) gerieten zentrale Pfeiler des westlichen Wachstumsmodells in die Kritik. Die beiden Ölkrisen und die hieran anschließenden Wirtschaftsreformen der 1970er Jahre markierten einen Einschnitt in dem Modell expansiver Sozialstaatspolitik. Die Vorstellung, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen würde, verlor sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene an Selbstverständlichkeit.
„Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“
In diesem Kontext entwickelte sich der Verweis auf „zukünftige Generationen“ zu einer politischen Leitvokabel, mit der sich ganz unterschiedliche politische Positionen rechtfertigen ließen. Das galt insbesondere für die Umweltbewegung und andere Diskurse, die sich kritisch mit den negativen Folgen der Industriegesellschaft auseinandersetzten, sei es in Hans Jonas‘ „Prinzip Verantwortung“ (1979), Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ (1986) oder der Nachhaltigkeitsdefinition der von der UN eingesetzten Brundtland-Kommission (1987). Dass wir die Erde „nur von unseren Kindern geborgt“ hätten, gehörte seit den 1970er Jahren zum Kernbestand ökologischen Wissens und zierte als Kalenderspruch T-Shirts und WG-Küchen ebenso wie die Wahlplakate der Grünen in ihrem ersten Bundestagswahlkampf im Jahr 1983.

Wahlplakat „Die Grünen“, 1983; Quelle: blatzheim-roegler.de
Parallel dazu löste die Konjunktur des Deutungsmusters jedoch auch eine intensive philosophische Diskussion aus. Viele der diskutierten Probleme sind bis heute aktuell: Können Personen, die noch gar nicht existieren, überhaupt Rechte besitzen? In welcher Weise kann man davon sprechen, dass heute lebende Menschen moralische Verpflichtungen gegenüber Personen besitzen, denen sie nie begegnen können? Und wenn wir solche Rechte und Verpflichtungen zugestehen, wie lässt sich etwas Sinnvolles darüber aussagen, welche konkreten Interessen und Bedürfnisse diese zukünftigen Personen für sich in Anspruch nehmen werden? Die zentrale Herausforderung, die in der Philosophie der 1970er Jahren herausgearbeitet wurde, war eine, die auch für die Geschichts- und Kulturwissenschaften Relevanz besitzt: Eine sinnvolle Aussage darüber, welche konkreten Rechte „zukünftige Generationen“ für sich reklamieren werden, scheint nur möglich, wenn man zumindest einen Kernbestand menschlicher Eigenschaften als anthropologisch konstant und unabhängig von den technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der (fernen) Zukunft ansieht – eine Vorstellung, die in genau demselben Zeitraum in Zweifel gezogen wurde, in dem die Debatten über die Rechte „zukünftiger Generationen“ an Bedeutung gewannen.
Tücken der Generationenrhetorik
Auf den ersten Blick mögen solche Einwände bloß als theoretische Spekulationen erscheinen: Dass auch „zukünftige Generationen“ ein Interesse an sauberer Luft und einem halbwegs konstant bleibenden Meeresspiegel haben werden, lässt sich womöglich auch ohne unzulässige Vorannahmen über die menschliche Natur vermuten. In Wirklichkeit hatte diese Deutungsoffenheit jedoch in der Tat reale politische Folgen. Gerade weil „zukünftige Generationen“ ihre Interessen nicht selbstständig artikulieren konnten, ließen sie sich im politischen Diskurs für völlig unterschiedliche Ziele in Anspruch nehmen. Betrachtet man z.B., bei welchen Themenfeldern in den politischen Debatten des deutschen Bundestags und des britischen House of Commons in den 1970er Jahren auf „zukünftige Generationen“ verwiesen wurde, dann zeigt sich, dass Umweltthemen hier eher marginal blieben und die überwiegende Zahl der Beiträge auf Fragen der Wirtschaftspolitik, des Sozialstaats und des Schuldenabbaus gerichtet waren. Statt für ökologische Reformen wurde die Rhetorik der „zukünftigen Generationen“ also nicht zuletzt dafür genutzt, um unter Verweis auf steigende Staatsschulden und Sozialausgaben wirtschaftsliberale Reformen und einen Abbau des Sozialstaats zu legitimieren – Reformen also, die heute z.T. als Mitverursacher gegenwärtiger Probleme erscheinen. In anderen Kontexten besaß die Rede von „zukünftigen Generationen“ auch noch andere Konnotationen. In den USA beispielsweise verwies die Rhetorik zugleich auf die Culture Wars der Abtreibungsdebatten der 1970er und 1980er Jahre. Und in rechtsextremen Kreisen konnte die Metaphorik auch in völkisch-nationalistischer Stoßrichtung interpretiert und mit dem Ziel des Erhalts eines rassistisch interpretierten „Volkskörpers“ verbunden werden, wie z.B. im ersten Parteiprogramm der NPD aus dem Jahr 1967. Gerade in diesem Kontext erwies sich die Rede von „Generationen“ oft als besonders attraktiv. Als ein Begriff, der zwischen „Natur“ und „Kultur“ changierte und gesellschaftliche Veränderungen in einer ursprünglich biologistischen Metaphorik fasste, war er immer auch für eine Essentialisierung von Personen und Kollektiven offen. Nicht zuletzt spiegeln sich hierin auch die bevölkerungspolitischen und eugenischen Projekte und Verbrechen des 20. Jahrhunderts.
Diese Deutungsoffenheit ist bis heute charakteristisch. Mit der Sorge um „zukünftige Generationen“ können sowohl eine Schuldenbremse als auch der Ausbau von „Zukunftsinvestitionen“, sowohl eine ökologische Transformation als auch eine weitere Förderung der Automobilwirtschaft als Schlüsselindustrie des eigenen Wirtschaftsstandorts gerechtfertigt werden. In der Bundesrepublik war die Rede von der „Generationengerechtigkeit“ nicht zuletzt auch ein wichtiges Schlagwort in den Sozialstaatsdebatten der Hartz-Reformen. Und auch in der Gegenwart findet man bei der AfD Verweise auf „nachfolgende Generationen“, die in eine völkisch interpretierte Generationenfolge eingefügt werden, die durch Migration und vermeintliche „Überfremdung“ gefährdet seien.

Demonstration der Friday for Future-Bewegung; Quelle: wdr.de
„The eyes of all future generations are upon you”? In Wirklichkeit scheint das Grundproblem darin zu bestehen, dass genau dies nicht der Fall ist. Gerade weil zukünftige Personen noch keine Stimme und damit keine Möglichkeit der direkten Partizipation besitzen, sind sie im politischen Streit potenziell von allen Seiten und für jegliche politischen Themen und Ziele instrumentalisierbar. Heißt das, dass wir in unseren politischen Debatten auf die Bezugnahme auf zukünftige Akteure verzichten und den strukturellen „Präsentismus“ der Demokratie als gegeben akzeptieren sollten? Mit Sicherheit nicht. Die historische Perspektive verweist jedoch darauf, dass der Verweis auf „zukünftige Generationen“ nicht dazu genutzt werden kann, einen neutralen Standpunkt naturgegebener menschlicher Grundbedürfnisse einzunehmen, die vom politischen Streit enthoben wären. Vielmehr ist die Frage, welche Rechte wir zukünftigen Generationen zugestehen, selbst eine eminent politische Frage, die ins Zentrum gesellschaftlicher Kontroversen der Gegenwart führt.
Eine politische, keine anthropologische Frage
Statt in direkter Weise entscheiden zu wollen, welche Bedürfnisse zukünftige Akteure für sich reklamieren werden, lohnt es sich daher eher, demokratietheoretisch zu fragen, welche Formen der Repräsentation und Partizipation sich für Akteure vorstellen lassen, denen wir zwar in der Zukunft politische Rechte zusprechen, aber eben keine direkte politische Repräsentation in der Gegenwart ermöglichen können. Hierzu sind in der Politikwissenschaft – z.B. von Dennis Thompson, Michael Rose oder Kristian Ekeli – in den letzten Jahren Vorschläge erarbeitet worden. Mehrere Länder erproben aktuell auch Initiativen für eine institutionelle Verankerung. In Israel existierte von 2001-2006 ein Ombudsmann für zukünftige Generationen, Wales hat seit 2016 einen „Future Generations Commissioner“ und im britischen Parlament existiert seit 2018 eine „All-Party Parliamentary Group for Future Generations“. Mehrere Organisationen haben zuletzt die Einrichtung eines „UN High Commissioners for Future Generations“ angeregt.
Dass keine dieser Maßnahmen das Problem löst, dass die Interessen „zukünftiger Generationen“ nur durch Repräsentanten der gegenwärtig lebenden Generationen vertreten werden können, muss dabei kein Nachteil sein. Es verdeutlicht vielmehr, dass die Frage, welche Priorität wir zukünftigen Akteuren zuschreiben, integraler Bestandteil eines gemeinsamen politischen Aushandlungsprozesses sein muss. Während das metaphorische Sprechen von „zukünftigen Generationen“ oft das Ziel verfolgt, politische Kontroversen auf vermeintliche anthropologischen Grundwahrheiten zurückzuführen und auf diese Weise zu entpolitisieren, eröffnet die Fragen nach konkreten Formen der Repräsentation zukünftiger Akteure eine eminent politische Fragestellung. Dann ist der Verweis auf „zukünftige Generationen“ nicht das Ende politischer Kontroversen, sondern dessen Beginn.