In den Tages- und Wochenzeitungen kann man regelmäßig Berichte über Vorfälle von Mobbing lesen, meist mit Blick auf Schule oder Arbeitsplatz. Im Internet finden sich im Handumdrehen diverse Webseiten, auf denen Ministerien, Anwälte, Schulen, Gewerkschaften oder auch Psychologen erläutern, woran man Mobbing erkennt und wie es um die Möglichkeiten bestellt ist, sich dagegen zu wehren – womöglich auch mit rechtlichen Mitteln. Denkbar breit ist allerdings das Spektrum an Verhaltensweisen, das mit „Mobbing“ gemeint ist: Es geht um alle möglichen körperlichen oder verbalen Handlungen, die bewusst oder unbewusst den Zweck verfolgen, eine Person zu verletzen, zu erniedrigen, zu demütigen oder zu schikanieren.
Dass Menschen körperlich oder verbal attackiert werden, hat es schon immer gegeben. Wie diese Verhaltensweisen allerdings wahrgenommen und eingeordnet wurden, ist historisch durchaus variabel. In diesem Sinne hat auch „Mobbing“, das uns heute als Begriff und Phänomen so geläufig ist, eine Geschichte: Nicht nur, weil beispielsweise körperliche Handlungen wie Schläge heute anders wahrgenommen werden als noch in den 1960er Jahren; das Konzept „Mobbing“ musste zur Beschreibung und Erklärungen diskriminierenden und verletzenden Verhaltens überhaupt erst einmal entstehen und sich verbreiten. Geht man dieser Entwicklung nach, die mittlerweile fünfzig Jahre umspannt, zeigen sich einige signifikante Verschiebungen.
Schweden, 1969
Ein wichtiger Strang dieser Geschichte führt nach Schweden, und zwar ins Jahr 1969, als der jüdische Emigrant und Arzt Peter-Paul Heinemann den Begriff „Mobbing“ erstmals zur Problematisierung aggressiven Verhaltens von Kindern verwendete. Der konkrete Anlass für den entsprechenden Artikel, der in der linksliberalen Zeitung Dagens Nyheter erschien, war ein persönlicher, Heinemanns Anliegen aber ein durch und durch politisches. Das signalisierte bereits der Titel des Textes, der kurz „Apartheid“ lautete. So prangerte Heinemann im Rahmen einer fulminanten Gesellschaftskritik Verhaltensweisen an, die er als Voraussetzung für Apartheidsysteme und weiter verbreitete, verstecktere Formen von Apartheid ansah – auch in Schweden. „Apartheid ist Isolation, Verlassenheit, Kontaktlosigkeit, Ausgrenzung, Vertreibung, Fremdheit, Absonderung“, erläuterte Heinemann, und er warnte: „Es ist eine tödliche Krankheit, wenn sie unbehandelt bleibt. Wir sind nicht immun, wir befinden uns in einem Vorstadium, wir wissen nicht, wie wir sie behandeln sollen.“

Illustration in: Peter Paul Heinemann, „Apartheid“, Dagens Nyheter, 1969
Für Heinemanns Intervention waren zwei Erfahrungen ausschlaggebend: zum einen die Diskriminierung, die er als Kind im nationalsozialistischen Deutschland hatte machen müssen, zum andern die Demütigungen und Ausgrenzungen seines schwarzen Adoptivsohnes, die er jetzt auch in Schweden erlebte. Um diese Verhaltensweisen zu bezeichnen, griff Heinemann auf den Begriff „Mobbing“ zurück, den der Ethologe Konrad Lorenz in seinem Buch Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression (1963) eingeführt hatte, um Gruppen von Tieren zu beschreiben, die ihre wirklichen oder vermeintlichen „Fressfeinde“ attackierten. „Pogrome“ und „Lynchmobs“ betrachtete Heinemann als äquivalent, vor allem aber gab er zu bedenken, dass Menschen bereits als Kinder anfingen zu „mobben“. Genau deshalb sah er hier eine Möglichkeit, tätig zu werden: Zwar hielt er „Mobbing“ von Kindern, die sich in Gruppen auf Einzelne stürzten, in Anlehnung an Lorenz seinerzeit für ein „speziesspezifisches“ und „natürliches“ Verhalten; Kinder in städtischen Vororten und großen Schulen seien besonders gefährdet. Doch folgte er Lorenz auch in dessen Überzeugung, dass „Aggression“ sich nicht zwingend in Gewalttätigkeit äußern müsse, sondern positiv umgelenkt werden könne. Heinemanns dringender Appell an die Pädagogen und Eltern lautete daher, Gewalt und „Mobbing“ nicht länger als „gutartige Kameradschaftsbildung“ oder gar als „willensfördernd“ anzusehen, sondern sie „an den Platz der maximal verbotenen Dinge“ zu rücken, an den sie gehörten.
Die Individualisierung von „Mobbing“
Peter-Paul Heinemanns Name fällt heute oft, wenn in wissenschaftlichen oder populären Publikationen die Herkunft des Mobbing-Begriffs thematisiert wird. Sein politisches Anliegen ist allerdings nicht mehr präsent. In der frühen Debatte über „Mobbing“, die auf Heinemanns Artikel folgte, hatte das vorübergehend anders ausgesehen: Zumindest anfänglich drehte sie sich vor allem um Kinder aus Einwandererfamilien, die besonders unter „Mobbing“ zu leiden hätten – verstanden als Gruppengewalt gegen „Abweichende“. Auch das Schwedische Schulamt deutete in diesem Zuge Maßnahmen an, um Schüler über die abschätzige Natur verschiedener Ausdrücke wie „Zigeunerpack“, „Schacherjude“ oder „Sozialfall“ aufzuklären, die im Alltag weit verbreitet seien. Doch wurden im populären Sprechen über „Mobbing“ bald auch andere Stimmen laut, die diskriminierende, abschätzige Verhaltensweise nicht länger als primäres Problem der „Ausländer“ oder „Zigeuner“ ansahen, wie es hieß. Kurz gesagt reklamierten Eltern, unterstützt durch Aussagen von Kindern, dass „Mobbing“ jedes Kind treffe könne, das irgendeine Form von Andersartigkeit als Individuum aufwies.
Mit den Studien des schwedischen Psychologen und Aggressionsforschers Dan Olweus, der sich Anfang der 1970er Jahre in der Debatte Gehör verschaffte und bis heute zu den Koryphäen der wissenschaftlichen Mobbingforschung zählt, wurde die Individualisierung von „Mobbing“ noch stärker akzentuiert. Zwar griff Olweus den Begriff „Mobbing“ auf, da er in Skandinavien durch die öffentliche Diskussion so geläufig geworden sei. Aber er fokussierte dabei weniger auf die Gruppe. Aufgrund seiner bisherigen Forschungen ging Olweus davon aus, dass „Aggressivität“ von spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen abhänge. Die psychische Disposition der beteiligten Individuen rückte damit als Erklärung eindeutig in den Vordergrund. Vor allem aber war „Mobbing“ kein Phänomen mehr, das in einen Kontext mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gestellt wurde und dazu aufforderte, diese zu problematisieren.
Politische Dimensionen
Die Tendenz zur Individualisierung von „Mobbing“ blieb – auch wenn sich die Debatte über die Reichweite des Phänomens, seine Ausdrucksformen, Ursachen und Präventionsmöglichkeiten im Verlauf der kommenden Jahrzehnte noch mehrfach verschob. Nicht immer zeigt sich dabei auf Anhieb, dass die Problematisierung von „Mobbing“ weiterhin oft um eminent politische Fragen kreiste. Dazu gehört in den 1970er Jahren beispielsweise die Kritik an der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen, die – wie Olweus und manch andere seinerzeit meinten – zu einer Vernachlässigung der Kinder und in der Folge zu ungezügelter Aggressivität und Mobbing führten. Auch die Einführung reformpädagogischer Erziehungskonzepte wurde von ihren Kritikern dafür verantwortlich gemacht, dass Kinder ihrer Aggressivität freien Lauf lassen könnten und selbst bei körperlicher Gewalt viel zu wenig eingegriffen würde.
Ein Blick ins Großbritannien der 1970er und 1980er Jahre macht noch deutlicher, dass der Kampf gegen „Mobbing“ – hier „Bullying“ genannt – höchst unterschiedlich motiviert sein konnte und seine Verfechter sehr wohl auch im konservativen Lager fand. Die konservative Boulevardzeitung Daily Mail berichtete über Jahre ebenso beständig wie umfangreich über Kinder und Jugendliche, die Mitschülerinnen und Mitschüler körperlich attackierten, sie erpressten, erniedrigten und ihnen das Leben zur Hölle machten. Die Zeitung öffneten ihre Spalten für Erfahrungsberichte von Eltern und Kindern, die über die scheusslichen Praktiken des „Bullying“ und das von den Söhnen und Töchtern erfahrene Leid berichteten.
Andere Artikel bekräftigten, dass Schüler mit ihren körperlichen Angriffen auch vor den Lehrern nicht haltmachten. Das Credo der Daily Mail war deutlich: Der Gewalt in den Schulen, die mutmaßlich Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen körperlich und psychisch verletzte, musste dringend Einhalt geboten werden. Die Daily Mail setzte auf eine Stärkung der Autorität und Disziplin. Bis Ende der 1980er Jahre ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie körperliche Strafen, den Einsatz des Rohrstocks eingeschlossen, in diesem Zusammenhang für eine geeignete und zu verteidigende Maßnahme hielt. „Bullying“ anzuprangern, schloss ein Plädoyer für den Einsatz von Gewalt keineswegs zwingend aus.
Mobbing als ökonomischer Faktor
Die Mobilisierung gegen „Mobbing“ ist heute bekanntlich nicht mehr auf den Bereich der Schule beschränkt. Studien des schwedischen Arbeitspsychologen Heinz Leymann, die seit Mitte der 1980er Jahre auf schwedisch, später auch in anderen Sprachen publiziert wurden, spielten dafür eine wichtige Rolle, zumal Leymann sich früh an ein nicht-wissenschaftliches Publikum richtete – und dieses auch außerhalb Schwedens erreichte. Auch im deutschsprachigen Raum wurde Leyman über die Wissenschaft hinaus bekannt, und zwar mit seinem kleinen Ratgeber Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt. 1992 erschien er erstmals in deutscher Sprache; seither wurde er mehrfach wiederaufgelegt. Die breite Rezeption des Buches machte allerdings nicht nur den Autor bekannt, auch der Begriff „Mobbing“ wanderte breitenwirksam überhaupt erst in die deutsche Sprache ein.
Die öffentliche Thematisierung von „Mobbing“ am Arbeitsplatz – in englischen Publikationen nach wie vor „Bullying“ genannt – hat sich seither in vielen Ländern des globalen Nordens beträchtlich ausgeweitet. Dafür gibt es viele Gründe, darunter die wachsende Zahl wissenschaftlicher Studien (insbesondere im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie), Regulierungsschritte politischer Instanzen auf nationaler und internationaler Ebene, die Finanzierung groß angelegter Umfragen sowie neue rechtliche Bestimmungen im Bereich des Arbeitsschutzes, die auch die Fürsorgepflicht von Arbeitgebern betrifft.
Dass die Beschwerden über „Mobbing“ am Arbeitsplatz dennoch nicht zurückgehen, sondern im Gegenteil während der vergangenen drei Jahrzehnte weiter zugenommen haben, wird dabei in der Regel wenig reflektiert. Das gilt noch mehr für die Frage, ob das Sprechen über „Mobbing“ eine politische Dimension hat, beziehungsweise welche politischen Erwartungen und Ziele im Kampf gegen „Mobbing“ und „Bullying“ zum Tragen kommen. Diese Frage ist gegenwärtig ausgesprochen schwer zu beantworten. Sie drängt sich allerdings auf, wenn man in der historischen Analyse der Arbeitsbeziehungen zeitlich weiter ausgreift und noch einmal in das Großbritannien der 1970er und 1980er Jahre zurückblickt, wo das Sprechen über „Bullies“ und „Bullying“ schon in jenen Jahrzehnten präsent war.

„Mr Hyde stalks the office“, The Times, 21.1.1993; Quelle: thetimes.co.uk
Dort heizte die konservative Daily Mail den Kampf gegen die Gewerkschaften gezielt an, indem sie Gewerkschaftsmitglieder, die Streikbrecher drangsalierten und einschüchterten, des „bullying“ bezichtigte und aufgrund ihrer Methoden als „bullies“ etikettierte. Die Diskreditierung des „bullying“ folgte also einem politischen Programm, das mit der Zerschlagung der Gewerkschaften unter Thatcher konform ging. Mitte der 1990er Jahre drehte der Wind, selbst für die Daily Mail war der Adressat jetzt ein anderer geworden: Sie nahm die Arbeitgeber oder Vorgesetzten ins Visier, und sie stützte sich auf jüngste Umfragen. Attackiert wurden nun die „bully bosses“, die ihre Angestellten herunterputzen, beständig kritisieren oder mit Arbeit überlasten. „Reign of terror by office bullies“ lautete jetzt eine der typischen Überschriften über einem Artikel, der versicherte, „bullying“ am Arbeitsplatz habe „epidemische Ausmaße erlangt“. Was auf den ersten Blick als Kehrtwendung erscheint, erweist sich beim zweiten Blick allerdings als merkwürdige Form von Kontinuität. Zwar drückte die Daily Mail auch ihre Sorge um die Arbeiter und Angestellten aus, die in schlechtem Gesundheitszustand seien und an geringem Selbstbewusstsein litten. Mindestens so sehr sorgte sie sich aber um die immensen volkswirtschaftlichen Schäden, die durch „bullying“ entstünden.
Eine rassistische Blindstelle
Tatsächlich ist eine Problematisierung des „Mobbing“ ohne einen Verweis auf den immensen ökonomischen Schaden auch heute kaum mehr denkbar. Das gilt für internationale Organisationen und nationale Akteure gleichermaßen, die mittlerweile diverse Anstrengungen unternommen haben, um den individuellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Schaden von Mobbing zu bemessen. Gemessen an dem Anliegen, das der Schwede Peter-Paul Heinemann im Jahr 1969 formuliert hatte, ist das eine beträchtliche Verschiebung. Dies nicht nur, weil „Mobbing“ mittlerweile in vielen Staaten deutlich ernster genommen wird, und entsprechend präventive Maßnahmen zum Schutz vor Mobbing lanciert und Sanktionieren etabliert wurden. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass mit der Individualisierung von „Mobbing“, die begleitet war von einer Ausweitung des Mobbingkonzepts, rassistisch motivierte Diskriminierungen aus dem Verständnis von „Mobbing“ über Jahrzehnte herausgelöst wurden. Es gibt heute Anzeichen dafür, dass sich das ändert. Ob damit auch das Identifizieren von Mobbing und seine Prävention ihre rassistischen Blindstellen verlieren, bleibt abzuwarten. Eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist, dass diejenigen, die über Mobbing sprechen, wieder vermehrt und auch neu über gesellschaftliche und politische Strukturen nachdenken, statt Mobbing mehr und mehr zu einer alleinigen Sache des Individuums und seiner persönlichen Verletzbarkeit zu machen.
Eine kürzere Version dieses Artikels erschien unter dem Titel „Signifikante Verschiebungen. Zur Geschichte des Mobbings“ in der Zeitschrift des Deutschen Hochschulverbandes Forschung & Lehre (6/2020).