Der Antisemistismus hat in den USA eine lange Tradition und zeigt sich derzeit wieder in seiner radikalen und gewalttätigen Form mit Anschlägen, Übergriffen und einer hasserfüllten Rhetorik. Den Boden dafür bereitet ein Präsident, der sich mit Rechtsradikalen verbündet hat.

  • Kristoff Kerl

    Kristoff Kerl ist wissen­schaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Nord­ameri­kanische Geschichte an der Uni­versität zu Köln. Er forscht zur Geschichte des Rausches in den westlichen Gegenkulturen von den 1960ern bis in die 1980er Jahre.

In den öffent­li­chen und akade­mi­schen Debatten wurde Anti­se­mi­tismus in den USA in den letzten Jahren häufig als ein Phänomen der Linken beschrieben. Eine Viel­zahl von Vorfällen an (libe­ralen) Univer­si­täten sowie die zuneh­mende Popu­la­rität der anti­is­rae­li­schen Bewe­gung Boycott, Dive­st­ment and Sanc­tions (BDS) wurden als Ausdruck eines linken Anti­zio­nismus kriti­siert, der häufig auch Schnitt­stellen zu anti­se­mi­ti­schen Diskursen aufweist. Dieser Fokus­sie­rung auf linke anti­se­mi­ti­sche Haltungen und Sicht­weisen haben die zahl­rei­chen gewalt­tä­tigen anti­se­mi­ti­schen Vorkomm­nisse in den letzten Wochen und Monaten zumin­dest vorerst ein Ende gesetzt. Denn seit der Wahl Donald Trumps zum Präsi­denten hat die Zahl anti­se­mi­tisch moti­vierter Gewalt­taten in den USA dras­tisch zuge­nommen. Neben Haken­kreuz­schmie­re­reien, der Verwüs­tung jüdi­scher Fried­höfe sowie den zahl­rei­chen Einschüch­te­rungs­ver­su­chen und Drohungen gegen­über jüdi­schen Journalist_innen, aber auch anderen Jüdinnen und Juden, kam es zu zahl­rei­chen Anschlags­dro­hungen gegen Gemein­de­zen­tren und Schulen.

Vanda­li­sierter jüdi­scher Friedhof, Phil­adel­phia, Februar 2017; Quelle: dw.com

Trumps Flip-Flop gegen­über dem Antisemitismus

Anstatt sich dieser Auswei­tung und Radi­ka­li­sie­rung des Anti­se­mi­tismus von Anfang an entge­gen­zu­stellen, weigerte sich Trump zunächst wieder­holt, ein deut­li­ches und klares State­ment gegen Anti­se­mi­tismus abzu­geben. Statt­dessen bezich­tigte er einen jüdisch-orthodoxen Jour­na­listen der Lüge, der es auf einer Pres­se­kon­fe­renz gewagt hatte, ihn auf den sich ausbrei­tenden Anti­se­mi­tismus anzu­spre­chen. An anderer Stelle verdäch­tigte Trump im Stile anti­se­mi­ti­scher Verschwö­rungs­theo­re­tiker gar Juden und Jüdinnen hinter den anti­se­mi­ti­schen Vorfällen zu stehen, um auf diese Weise seine Präsi­dent­schaft zu diskre­di­tieren.

Ende Februar sprach sich Trump dann erst­mals auf einer Pres­se­kon­fe­renz öffent­lich gegen Anti­se­mi­tismus aus und bezeich­nete die Vorkomm­nisse und Angriffe als „entsetz­lich“. Zugleich versprach er im übli­chen Duktus, sich während seiner Präsi­dent­schaft dafür einzu­setzen, „Hass und Vorur­teilen und dem Bösen“ den Nähr­boden zu entziehen. Während eine solche, wenn auch vorsich­tige Verur­tei­lung des Anti­se­mi­tismus sicher­lich zu begrüßen ist, hat sie vor dem Hinter­grund des von Trump geführten Wahl­kampfes zumin­dest einen faden Beigeschmack. Wieder­holt hatte er auf anti­se­mi­ti­sche Verschwö­rungs­nar­ra­tive zurück­ge­griffen und damit den Anti­se­mi­tismus im rechten poli­ti­schen Lager befeuert. So bezich­tigte er seine Wider­sa­cherin Hillary Clinton in einer Wahl­kampf­rede, die Souve­rä­nität der USA zu unter­mi­nieren: „Hillary Clinton meets in secret with inter­na­tional banks to plot the destruc­tion of U.S. sove­reignty in order to enrich these global finan­cial powers, her special inte­rest friends and her donors.” In dem letzten Werbe­spot seiner Wahl­kam­pagne machte Trump dann auch explizit deut­lich, um wen es sich seiner Meinung nach bei den ‚inter­na­tio­nalen Finanz­eliten‘ handelte: um Juden und Jüdinnen. So wurden in dem Spot George Soros, Janet Yellen und Lloyd Blank­fein in den Momenten einge­blendet, als Trump von der „global power struc­ture“ und ‚dem Estab­lish­ment‘ fabu­lierte, das für die angeb­liche Misere der ‚einfa­chen‘ Bevöl­ke­rung in den USA verant­wort­lich sei. Auch mit der Ernen­nung von Steve Bannon zu seinem (unter­dessen offenbar in Ungnade gefal­lenen) Chef­be­rater trug Trump wesent­lich dazu bei, Anti­se­mi­tismus in konser­va­tiven Kreisen jenseits des rechts­ra­di­kalen Spek­trums salon­fähig zu machen.

Excep­tio­na­lism und Antisemitismus

Dass der von Trump mehr oder weniger offen anti­se­mi­tisch geführte Wahl­kampf in den USA erfolg­reich war und er diesen Kurs auch nach seinem Amts­an­tritt fort­führte, hat viele Beobachter_innen über­rascht. Die Ursache dafür liegt u.a. auch in der bis heute domi­nanten These des ‚American Excep­tio­na­lism‘, die besagt, dass Anti­se­mi­tismus in den USA, im Gegen­satz zu Europa, histo­risch keine signi­fi­kante Wirkung habe erzielen können. Es ist unbe­stritten richtig, dass Anti­se­mi­tismus im späten 19. sowie im 20. Jahr­hun­dert in den USA bei weitem nicht eine derart gewalt­tä­tige und tödliche Potenz entfaltet hat wie in Europa, und zur Abwehr geschichts­re­vi­sio­nis­ti­scher und anti­ame­ri­ka­nis­ti­scher Deutungen und Narra­tive ist es auch wichtig, diese bedeu­tende Diffe­renz zu betonen. Doch verstellt die These des ‚American Excep­tio­na­lism‘ mitunter den Blick auf die Exis­tenz und die Effekte anti­se­mi­ti­scher Diskurse in der Geschichte der USA, denn es lassen sich auch hier anti­se­mi­ti­sche Verschwö­rungs­nar­ra­tive bis in die zweite Hälfte des 19. Jahr­hun­derts zurück­ver­folgen. Bereits während des Bürger­kriegs galten Juden sowohl im Norden als auch im Süden als unpa­trio­ti­sche Profi­teure des Krieges. Diese anti­se­mi­ti­schen Vorur­teile führten mitunter zu diskri­mi­nie­renden Maßnahmen und in den Jahren nach Kriegs­ende entstanden bereits verein­zelt Ansätze anti­se­mi­ti­scher Verschwö­rungs­nar­ra­tive. So wurde Juden zum Beispiel vorge­worfen, zu ihrem eigenen ökono­mi­schen Vorteil und durch den Einsatz mone­tärer Mittel Einfluss auf die Kriegs­füh­rung der Unions­truppen ausgeübt zu haben.

Aller­dings entwi­ckelte dieser Anti­se­mi­tismus während des Bürger­kriegs und in den Jahren danach zunächst eine geringe Wirk­macht. Dies sollte sich am Ende des 19. Jahr­hun­derts ändern. Vor dem Hinter­grund gravie­render ökono­mi­scher Probleme weiter Teile des Agrar­sek­tors fanden Verschwö­rungs­theo­rien große Verbrei­tung unter (weißen) Farmern. So iden­ti­fi­zierten diese zum Beispiel eine vermeint­lich von „den Roth­schilds“ und „Shylocks“ ausge­hende finan­zi­elle Verschwö­rung gegen die Farmer als Ursache des Preis­ver­falls agra­ri­scher Produkte in den letzten Dekaden des 19. Jahr­hun­derts. Zudem sahen sie in Juden die heim­li­chen Regenten der USA, welche die Politik wie auch die Medien aus dem Hinter­grund kontrol­lieren und damit die repu­bli­ka­ni­sche Ordnung der USA erodieren würden. Zumin­dest in einigen Bundes­staaten wie Loui­siana oder Missis­sippi führte die Idee einer jüdi­schen Verschwö­rung, die in Diskurse der White Supre­macy einge­bettet war, zu Einschüch­te­rungen und Gewalt­taten gegen­über dort lebenden Juden und Jüdinnen.

Leo Frank – ein Mord am Beginn des kohä­renten Antisemitismus

Leo Frank (1884-1915); Quelle: georgiainfo.galileo.usg.edu

Eine zentrale Stel­lung inner­halb der Geschichte des Anti­se­mi­tismus in den USA nimmt der Leo Frank Case ein. Am 26. April 1913 war eine junge, anglo­ame­ri­ka­ni­sche Lohn­ar­bei­terin auf dem Gelände der von Leo Frank gelei­teten Fabrik ermordet aufge­funden worden. In einem zwei­fel­haften Indi­zi­en­pro­zess wurde Frank zum Tode verur­teilt. Die Todes­strafe wurde jedoch später vom dama­ligen Gouver­neur von Georgia, John M. Slaton in lebens­läng­liche Haft umge­wan­delt. Um diesen Mord­fall entspannten sich hitzige Debatten, in denen rassi­fi­zierte Geschlechter- und Sexua­li­täts­kon­struk­tionen eine enorme Wirk­macht entfal­teten. Im Verlauf der anti­se­mi­ti­schen Affäre wurde aller­dings nicht nur die anti­se­mi­ti­sche Vorstel­lung von einer ‚perversen‘ jüdi­schen Sexua­lität weit über die gesamten USA gestreut – so sollten Orgien und Verge­wal­ti­gungen in der von Frank gelei­teten Fabrik statt­ge­funden haben – viel­mehr kam es auch zu quali­ta­tiven Trans­for­ma­tionen des Anti­se­mi­tismus. Zuvor lose neben­ein­ander bestehende anti­se­mi­ti­sche Diskurs­stränge wurden zu einer kohä­renten anti­se­mi­ti­schen Welt­erklä­rung verflochten.

Für die weitere Geschichte des Anti­se­mi­tismus in den USA sollte der Leo Frank Case aber auch in anderer Hinsicht eine bedeu­tende Rolle spielen. Die Neugrün­dung des Ku Klux Klan (KKK) ist aufs engste mit dem Fall verknüpft: Sie erfolgte nur wenige Wochen nach dem Lynching an Leo Frank durch einen Mob, zu dem auch Rechts­an­wälte und ein Staats­an­walt gehörten. Mit dem rasanten Aufstieg des Klan seit den frühen 1920er Jahren zur ersten Massen­or­ga­ni­sa­tion in den USA mit dezi­diert anti­se­mi­ti­scher Program­matik und Stoß­rich­tung wurde dieser neuar­tige moderne Anti­se­mi­tismus über die gesamten USA verbreitet und beein­flusste die Welt­sicht von Millionen von US-Amerikaner_innen. Ein weiterer bedeu­tender Akteur dieser rasanten Expan­sion des Anti­se­mi­tismus war der Groß­in­dus­tri­elle Henry Ford, der über den in seinem Besitz befind­li­chen Dear­born Inde­pen­dent die Proto­kolle der Weisen von Zion in den USA verbrei­tete und damit eine derar­tige Massen­wir­kung erzielte, dass er von Adolf Hitler in Mein Kampf als „seine Inspi­ra­tion“ bezeichnet wurde.

Gene­rell lässt sich für die 1920er bis 1940er Jahre mit dem Histo­riker Robert Michael fest­halten, dass wesent­liche Teile der US-Gesellschaft von anti­se­mi­ti­schen Sicht­weisen durch­drungen waren. Und obwohl der Anti­se­mi­tismus in den USA auch zu dieser Hoch­phase nur selten zu Angriffen auf Leib und Leben führte, hatte er dennoch tödliche Konse­quenzen für die auf der Flucht vor dem Natio­nal­so­zia­lismus befind­li­chen Jüdinnen und Juden. Vielen von ihnen wurde die Einreise in die USA und damit die Rettung vor der anti­se­mi­ti­schen Raserei in Europa verweigert.

Keine Lande­er­laubnis in den USA: jüdi­sche Flücht­linge auf der „St. Louis“, 1939; Quelle: immigrationtounitedstates.org

Auch das Ende des Zweiten Welt­kriege führte keines­wegs zu einem Bruch mit anti­se­mi­ti­schen Einstel­lungen wie sich z.B. in den Debatten um den de facto Jüdinnen und Juden diskri­mi­nie­renden Displaced Persons Act von 1948 zeigte. Auch zwei natio­nale Umfragen, die im Jahre 1964 und 1981 durch­ge­führt wurden, verweisen auf ein hohes Niveau an anti­se­mi­ti­schen Einstel­lungen und Haltungen. So gaben 1964 46% der Befragten an, dass sich Juden und Jüdinnen dubioser Geschäfts­prak­tiken bedienen würden, 1981 waren es immerhin noch 22%. Eine weitere Umfrage aus dem Jahr 2002 wiederum ergab, dass 65 Millionen US-Amerikaner_innen glaubten, dass Juden Jesus Christus umge­bracht hätten, 58 bzw. 48 Millionen waren davon über­zeugt, dass Juden die Wall Street bzw. die Medien kontrol­lieren würden.

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Obwohl anti­se­mi­ti­sche Vorur­teile also auch nach dem Zweiten Welt­krieg in den verschie­denen Bevöl­ke­rungs­gruppen und poli­ti­schen Lagern zirku­lierten, wurden diese von Politiker_innen selten öffent­lich verwendet. So griff zwar Richard Nixon, der 37. Präsi­denten der USA, der das Land von 1969 bis 1974 regierte, in Gesprä­chen mit Bera­tern und poli­ti­schen Vertrauten wieder­holt auf anti­se­mi­ti­sche Topoi zurück. Aller­dings geschah dies immer unter Ausschluss der Öffent­lich­keit, was u.a. dazu führte, dass diese Aussagen erst in den letzten Jahren über alte Tonband­auf­nahmen publik wurden.

Eine Ausnahme hiervon bildeten rechts­ra­di­kale und neona­zis­ti­sche Grup­pie­rungen und Orga­ni­sa­tionen wie die Chris­tian Natio­na­list Party, die Aryan Nations oder der Ku Klux Klan. Diese propa­gierten auch nach dem Zweiten Welt­krieg weiterhin offen einen mili­tanten Anti­se­mi­tismus und schreckten auch vor Gewalt­taten nicht zurück. So verübten White Supre­macists zum Beispiel im Jahre 1958 einen Bomben­an­schlag auf den Atlanta Reform Temple, da sie in Juden Trieb­kräfte der Bürger­rechts­be­we­gung sahen.

Konti­nui­täten und Modifikationen

Der während der Präsi­dent­schaft Donald Trumps zuneh­mende oder zumin­dest deut­li­cher sicht­bare Anti­se­mi­tismus gründet also auf einer langen Geschichte des Anti­se­mi­tismus und einer weiten Verbrei­tung des Anti­se­mi­tismus in den USA. Auch ist Trump mitnichten der erste Präsi­dent im Weißen Haus, der anti­se­mi­ti­sche Sicht­weisen vertrat. Im Gegen­satz zu seinen Vorgän­gern hat Donald Trump aber in seinem gegen das ‚Estab­lish­ment‘ in Washington gerich­teten Wahl­kampf bewusst und massen­me­dial auf anti­se­mi­ti­sche Verschwö­rungs­nar­ra­tive gesetzt und sich nicht gescheut, den Schul­ter­schluss mit der radi­kalen und neona­zis­ti­schen Rechten in den USA zu suchen. Auch wenn Donald Trump mit der Entmach­tung Steve Bannons den Einfluss des offen anti­se­mi­ti­schen Lagers wieder geschwächt hat, hat er zumin­dest in zwei­fa­cher Hinsicht dazu beigetragen, das Gefah­ren­po­ten­zial des in den USA, und insbe­son­dere in der radi­kalen und neona­zis­ti­schen Rechten, auch schon vor seinem Wahl­kampf exis­tenten anti­se­mi­ti­schen Ressen­ti­ments zu stei­gern. Zum einen indem er dazu beigetragen hat, offen anti­se­mi­ti­sche Sicht­weisen salon­fähig zu machen, zum anderen weil rechts­ra­di­kale und neona­zis­ti­sche Grup­pie­rungen in Trump einen Verbün­deten und Gesin­nungs­ge­nossen sehen.