Der Traum aus Schaum und Schoki erregt wieder einmal die Gemüter. In der Schweiz wird gerade heftig über Süssigkeiten und Rassismus diskutiert. Sprache tut weh. Und eigentlich ist doch alles klar: Zeit für ein Jetzt_aber!

Als ich ein Kind war, gab es Mohren­köpfe und Neger­kuss­bröt­chen beim Bäcker zu kaufen und James Baldwin, Angela Davis und Eldridge Cleaver standen im Bücher­regal meiner Eltern. Man disku­tierte unbe­fangen über „Neger­plastik“ und bald auch darüber – es waren die 1960er/1970er Jahren –, ob das Wort „Neger“ über­haupt ange­messen und ok sei. Bald war klar, dass die so bezeich­neten Menschen das Wort ablehnen, weil sie es verlet­zend finden, und das Wort zudem Frauen und Männer aus allen mögli­chen Konti­nenten und Ländern mit einem Begriff belegt, der sich allein auf ihren Teint bezieht und daher ganz über­flüssig ist – denn warum muss man Brasi­lia­ne­rinnen, Ghanaer, Ameri­ka­ne­rinnen und Haitianer mit einem gemein­samen Wort bezeichnen? Was haben sie gemeinsam? Ah ja, halt! Eine gemein­same Geschichte der trans­at­lan­ti­schen Skla­verei haben sie gemeinsam, als nämlich parallel zur Erfin­dung von Menschen­rechten und bürger­li­cher Frei­heit Euro­päer Menschen in Afrika kauften und als Arbeits­kräfte auf Plan­tagen in der Karibik, in den USA und in Latein­ame­rika ausbeu­teten. An diese Geschichte und nicht an die edlen Mohren des Mittel­al­ters, die Königin von Saba oder den Kirchen­fürsten Augus­tinus, erin­nert der Begriff.

In einer sehr inter­es­santen Diskus­sion im Deutsch­land­funk mit Réne Aguigah sagte der Sprach­phi­lo­soph und Redak­teur Wolfram Eilen­berger neben vielen anderen klugen und span­nenden Dingen auch, Sprache würde weit­ge­hend auto­ma­tisch funk­tio­nieren und gegen­sei­tiges Verstehen setze voraus, dass man den anderen verstehen möchte, das heisst nicht jedes Wort analy­siert und kontrol­liert und unter Verdacht stellt. Natür­lich! Aber warum will er unbe­dingt am N-Wort fest­halten? Denn wenn der Philo­soph morgens noch etwas unaus­ge­schlafen einem seiner Mitar­beiter begegnet und ihm auto­ma­tisch das Wort „schlei­miger Stink­stiefel“ durch den sonst so kulti­vierten Sinn geht, wird er dennoch „Guten Morgen“ sagen. Ist dieser Mitar­beiter viel­leicht im Gespräch mit dem Philo­so­phen Achille Mbembe, der gerade die Redak­tion seines Maga­zins besucht, mag ihm auch das Wort „Neger“ aufblitzen und trotzdem benutzt er es nicht. Aus Höflich­keit, aus Rück­sicht, aus dem Wissen, dass Sprache sich wandelt und Geschichte voran­schreitet und Bürger aus mitt­ler­weile mehr als 50 Jahre lang unab­hän­gigen Staaten nicht mehr kolo­niale Unter­tanen sind. Und wenn seine Kinder in der Schule schwarze Freunde haben, so ist es denen viel­leicht pein­lich, wenn Papi unbe­dingt zu Hause „Neger­kuss“ sagen möchte, wie Eilen­berger im Gespräch mit Réne Aguigah, eben­falls Philo­soph und Kultur­jour­na­list beim Deutsch­land­funk, fast ein wenig stolz über sich selbst sagte.

Was also soll die gespielte Naivität, dass nach etwa 40 Jahren – denn wie gesagt: schon in den 1970er Jahren begann die Debatte – immer noch gesagt wird, das Wort sei a) nicht böse gemeint, b) sei ja latei­nisch, weil es ja… ach egal, c) man es immer schon gesagt habe (nein, erst im Zuge der Skla­verei), d) Roberto Blanco das auch nichts ausmache, und schliess­lich e) dass dies ja wieder ein Zeichen für die herr­schende Sprach­dik­tatur sei…? Zum letzten Punkt bemerkte Réne Aguigah, dass wir ja wohl kaum in einer Welt der Sprech­ver­bote leben würden, wenn Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker in Deutsch­land heute öffent­lich die „Entsor­gung“ unlieb­samer Kolle­ginnen in Anato­lien empfehlen. Es handelt sich bei Lichte besehen eher um ein Klima sprach­li­cher Verro­hung und nicht der Zensur, das sich derzeit nicht nur im Umfeld der AfD mit nach­weis­lich völki­schem, rassis­ti­schen und faschis­ti­schem Voka­bular breit­macht. Zugleich werden, so Aguigah trocken, poli­ti­sche Einsprüche und Posi­tio­nie­rungen häufig umge­hend als „Sprech­ver­bote“ denun­ziert.  Das betrifft, wohl nicht ganz zufällig, gerade auch die nötige Ausein­an­der­set­zung mit kolo­nialen Zeichen und Bezeichnungen.

Es ist auffal­lend, dass Eilen­berger im Gespräch mit Aguigah auch die neuer­dings sehr beliebte Figur des von den Linken vernach­läs­sigten Arbei­ters bemühte: die sprich­wört­lich bildungs­fernen Milieus, denen solche „Sprach­ver­bote“ fremd seien und die sich dadurch einmal mehr von der „Elite“ diskri­mi­niert fühlen könnten. Die finden dann eben Roberto Blanco einen „wunder­baren Neger“, ohne sich Böses dabei zu denken. Ach nein, die Äusse­rung stammt ja vom bayri­sche Innen­mi­nister Joachim Herr­mann aus dem Jahr 2015. (Der kann anschei­nend nicht so gut zwischen privater und öffent­li­cher Rede trennen, wie Eilenberger.)

Was kann man daraus lernen? Die Gegen­über­stel­lung zwischen „den Arbei­tern“ und den in Sachen der Sprache angeb­lich so über­emp­find­li­chen schwarzen Menschen und ihren noch empfind­li­cheren weissen Freunden enthüllt unfrei­willig etwas Entschei­dendes. Als die AfD-Politikerin Frauke Petry die Schweiz besuchte, entfuhr ihr die erstaunte Frage: Deut­sche sind in der Schweiz auch Ausländer? Denn Deut­sche sind für sie per se keine Ausländer, egal, wo man sie antrifft. Das geht ebenso wenig zusammen, wie z.B. schwul und Bauer oder eben schwarz und einhei­mi­scher Kollege. Die Realität aller­dings ist längst eine andere. Und tatsäch­lich gibt es auch bei uns an der Uni schwarze Ange­stellte, unter anderem auch in der Mensa. Ich möchte sie nicht fragen müssen: Was kostet denn der N*kuss?

Monster-Küsse; Quelle: chefkoch.de