Die Auseinandersetzungen mit dem Holocaust auf dem afrikanischen Kontinent sind ebenso wenig bekannt, wie die reiche Literatur zum Thema. Unterschiedliche Erfahrungen und andere Formen des Gedächtnisses können zur Utopie einer Begegnung von Gleichberechtigten auf der Bühne des Weltgedächtnisses beitragen.

  • Charlotte Wiedemann

    Charlotte Wiedemann, langjährige Auslandsreporterin, lebt als Publizistin und Autorin in Berlin. Von Erinnerung, Empathie und Respekt handelt ihr jüngstes Buch: „Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis“, Berlin (Propyläen) 2022.

Auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent wachse das Inter­esse am Holo­caust, sagte kürz­lich die Histo­ri­kerin Tali Nates bei einem Vortrag im Berliner Selma Stern Zentrum für jüdi­sche Studien. Nates, in Israel geboren und seit Jahr­zehnten in Südafrika zu Hause, leitet in Johan­nes­burg das Holo­caust & Geno­cide Centre. Ihre Bemer­kung stand in auffäl­ligem Kontrast zu Mutma­ßungen, die sich zeit­gleich durch viele Kommen­tare zur Docu­menta 15 zogen: Der soge­nannte globale Süden sei wohl, was die Juden­ver­nich­tung betrifft, ahnungslos, empa­thielos und im Zwei­fels­fall antisemitisch.

Sene­ga­le­si­sche Soldaten, die im Zweiten Welt­krieg in der fran­zö­si­schen Armee kämpften; Quelle: senegal-online.com

Wie außer­halb Europas und Nord­ame­rikas über den Holo­caust gedacht, gespro­chen, geschrieben wird, ist nicht leicht zu sagen, denn die Masse an west­li­cher Forschung, Lite­ratur und Memory-Kultur ist so über­wäl­ti­gend, dass andere Stimmen leicht über­hört werden. Nur beispiel­haft seien hier deshalb einige Zugangs­weisen in Afrika darge­stellt, einem Konti­nent, dem gern histo­ri­sche Igno­ranz attes­tiert wird. So standen bei Ágnes Heller „die Afri­kaner“ schlicht für jene, die vom Holo­caust „nichts wussten“. Offen­sicht­lich kannte die unga­ri­sche Philo­so­phin weder die Rolle von einer Million afri­ka­ni­scher Kolo­ni­al­sol­daten, die unter fran­zö­si­scher Fahne gegen den Natio­nal­so­zia­lismus kämpften, noch die Juden­ver­fol­gung in den besetzten Staaten Nordafrikas.

Die verges­senen Juden Nordafrikas

1933 lebten im Norden des Konti­nents fast so viele Juden/Jüdinnen wie in Deutsch­land: dort eine halbe Million, im Maghreb vier­hun­dert­drei­zehn­tau­send. Und die Shoah kam bedroh­lich nahe: Die Juden in Marokko, Alge­rien und Tune­sien wurden durch das anti­se­mi­ti­sche Vichy-Regimes entrechtet, jene in Libyen durch den italie­ni­schen Faschismus. Tausende wurden in Lager verschleppt, manche zur Vernich­tung nach Europa depor­tiert. In jüngerer Zeit haben unter anderem alge­ri­sche Schrift­steller begonnen, diese Verflech­tung von Kolo­nia­lismus und Faschismus lite­ra­risch zu bear­beiten. Anouar Benmalek verbindet in Fils de Shéol in einer fiktiven Familien-Dynastie den Juden­mord in Polen, die Verfol­gung in Alge­rien und den deut­schen Genozid in Südwest­afrika. Letz­teren sieht er als eine Art Labor für den NS-Völkermord.

Quelle: veroniquechemla.info

Aus Libyen zieht sich wiederum eine gepunk­tete Linie über Deutsch­land nach Israel. Die Groß­mutter von Yossi Sucary wurde aus Benghazi nach Bergen-Belsen depor­tiert. Als ihr Enkel, in Israel geboren, seiner Lehrerin davon erzählte, hörte er: das habe er sich ausge­dacht, der Holo­caust beträfe nur euro­päi­sche Juden. Sucary schrieb später den Roman Benghazi – Bergen-Belsen: The Lost Story of the Holo­caust of North African Jews. Die Haupt­figur, seiner Groß­mutter nach­emp­funden, steht in Bergen-Belsen inmitten der euro­päi­schen Juden auf der untersten Stufe der Häft­lings­hier­ar­chie, wird als Schwarze bezeichnet, sexuell beläs­tigt und schließ­lich von drei hollän­di­schen jüdi­schen Kapos verge­wal­tigt. Ein herber Verweis auf die Diskri­mi­nie­rung, die der Autor aufgrund seiner Herkunft in Israel erlebte.

Kolo­ni­al­sol­daten gegen Hitler

In West­afrika stößt man vieler­orts auf Zeichen der Erin­ne­rung an den Beitrag der Kolo­ni­al­sol­daten zur Befreiung Europas; in der sene­ga­le­si­schen Haupt­stadt Dakar wird der Gefal­lenen auf dem zentralen Unab­hän­gig­keits­platz gedacht. In den fran­zö­si­schen Kolo­nien wurde ebenso wie in den briti­schen das Schre­ckens­bild des NS-Rassismus zur Rekru­tie­rung einge­setzt: Beweist Hitler, dass ihr keine Affen, sondern Menschen seid! Die Kriegs­be­tei­li­gung, schreibt der ghanai­sche Histo­riker Edward Kissi, sei auch als Akt der Selbst­er­hal­tung begriffen worden, als Antwort darauf, was NS-Herrschaft für Schwarze bedeuten würde. Seine Studie Afri­cans and the Holo­caust gilt als Pionier­pro­jekt, um subsa­ha­ri­sche Perspek­tiven in die Holocaust-Forschung zu inte­grieren. Gebil­dete Afri­kaner und Afri­ka­ne­rinnen hätten über­setzte Auszüge von Mein Kampf gekannt; der Hass auf Juden wurde nicht reli­giös oder mythisch erklärt, sondern als Verbre­chen aus Rassismus.

Quelle: taylorfrancis.com

Und es machte in diesem Zusam­men­hang Eindruck, dass die verfolgten Juden Nord­afrikas ebenso wie jene in Europa aus subsa­ha­ri­scher Perspek­tive weiß waren. „Dass sich die Haupt­täter des Holo­caust in ihrer physi­schen Erschei­nung nicht von den Haupt­op­fern unter­schieden, sahen Menschen in Afrika als ein bedrü­ckendes Vorzei­chen, was sie selbst unter einer Nazi-Herrschaft erwarten würde.“ Im kolo­nialen Kenia wurden hell­häu­tige Juden im Kasten­system der Kolo­ni­al­ver­wal­tung als euro­pä­isch einge­stuft, doch blieb es Afrikaner:innen nicht verborgen, dass die briti­schen Sied­ler­fa­mi­lien dazu ihre eigenen Ansichten hegten und Juden nicht als Ihres­glei­chen betrachteten.

Ein univer­selles Zeichen?

Anti­se­mi­tismus galt als Ausdruck euro­päi­scher Unzi­vi­li­siert­heit und das gab der anti­ko­lo­nialen Oppo­si­tion intel­lek­tuell Rücken­wind. Nach dem Ende der Kolo­ni­al­zeit aber ging das Inter­esse zurück, konsta­tiert Kissi – gerade weil der Holo­caust eben als eine dezi­diert euro­päi­sche Geschichte betrachtet wurde. Die hatte lange genug die schu­li­schen Curri­cula domi­niert und sollte nun nicht mehr das Bewusst­sein der neuen Gene­ra­tion bestimmen. Um beim Beispiel Kenia zu bleiben: Nicht nur galt der Anti­se­mi­tismus als eine euro­päi­sche Krank­heit, verwur­zelt im dortigen Denken, sondern aus Europa kam bald nach 1945 ein zweites mäch­tiges Signal: Die Exzesse der Gewalt gegen Unab­hän­gig­keits­be­we­gungen, etwa die des briti­schen Staats gegen die Mau-Mau-Kämpfer:innen. Die Welt mochte erschüt­tert sein über Shoah und NS-Verbrechen, doch für die Kolo­ni­sierten blieb dies ohne Konse­quenz. Selbst die UN-Genozid-Konvention wurde so abge­fasst, dass Kriegs­füh­rung gegen die Zivil­be­völ­ke­rung in den Kolo­nien nicht sank­tio­niert würde.

Im Zeit­raum zwischen 1940 und 1960 haben sich also in einer Reihe afri­ka­ni­scher Gesell­schaften Erfah­rungen einge­schrieben, die es kaum nahe­legen, den Holo­caust als einen einzig­ar­tigen Zivi­li­sa­ti­ons­bruch zu verstehen. Einzelne Intel­lek­tu­elle mögen gleich­wohl dieser Auffas­sung sein, und die Beson­der­heiten der Shoah zu verstehen, hängt ohnehin nicht von Haut­farbe oder Herkunft ab. Doch im Allge­meinen kommt der Juden­ver­nich­tung eher nicht die Bedeu­tung eines univer­sellen Zeichens zu. Doch findet sich in den Lite­ra­turen des Konti­nents schon länger das Phänomen soge­nannter Ko-Erinnerung, d.h. der Shoah werden andere, eigene Erfah­rungen von Vernich­tung beigesellt.

African Geno­cide

Der nige­ria­ni­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Chigbo Anya­duba unter­sucht ein Genre, das er Post­co­lo­nial African Geno­cide Novel nennt. Inspi­riert hat ihn dazu die bis heute unzu­rei­chende Aufar­bei­tung von Verbre­chen an der Zivil­be­völ­ke­rung während des Biafra-Kriegs Ende der 1960er Jahre, als sich das gleich­na­mige Gebiet Nige­rias unab­hängig machen wollte. Bilder ausge­mer­gelter Kinder mit aufge­blähten Hunger­bäu­chen galten in Europa meist nur als Stei­ge­rung von „Afrika“, während nige­ria­ni­sche Dichter empa­thi­sche Analo­gien zu Ausch­witz zogen. In der Lite­ratur über die Verbre­chen im Biafra-Krieg und über den Genozid in Ruanda fand Anya­duba nun Gemein­sam­keiten aufgrund ihrer beid­sei­tigen Refe­renz zum Holocaust.

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Quelle: afrikaroman.de

Unter dem Aspekt, ob und wie der Genozid in Ruanda darstellbar ist, dem in drei Monaten eine Million Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen, erregte Murambi. Das Buch der Gebeine beson­dere Aufmerk­sam­keit; es entstand im Rahmen einer panafri­ka­ni­schen Initia­tive „Schreiben um zu erin­nern“. Der sene­ga­le­si­sche Schrift­steller Boubacar Boris Diop erzählt nüch­tern und multi­per­spek­ti­visch aus der Sicht von Opfern und Peini­gern, von ohnmäch­tigen Exilierten und bewaff­netem Wider­stand. Diop ist der intel­lek­tu­ellen und poli­ti­schen Eman­zi­pa­tion Afrika verpflichtet und spart die engen Bezie­hungen Frank­reichs zu Prot­ago­nisten des Massen­mords nicht aus, ohne indes irgend­eine Seite aus Verant­wor­tung und Trauer zu entlassen.

Über­le­bende hatten ihn zunächst beschworen, aus dem von ihnen bezeugten Horror keine Belle­tristik zu machen; sie plagte dieselbe Angst wie 1945 Shoah-Überlebende: Niemand werde ihren Schil­de­rungen Glauben schenken. Anderswo preis­ge­krönt wurde Murambi erst zehn Jahre nach seinem Erscheinen ins Deut­sche über­setzt und von einem Verleger tune­si­scher Herkunft in einem kleinen Leip­ziger Verlag veröf­fent­licht. Afrikaner:innen wird gern unter­stellt, sie hätten zum Holocaust-Diskurs nichts beizu­tragen, während man ihre Ausein­an­der­set­zung mit eigenen Genozid-Erfahrungen ignoriert.

Die millio­nen­hafte Depor­ta­tion von Versklavten „African Holo­caust“ oder „Black Holo­caust“ zu nennen, kommt eher im afro-amerikanischen Akti­vismus als in Afrika vor; das erklärt sich aus der Stel­lung und dem Pres­tige von Holocaust-Memory in den USA, während die Geschichte der Versklavten dort weiterhin im Schatten unzu­rei­chender Schuld­an­er­ken­nung steht. Deren Leid an den Holo­caust heran­zu­rü­cken, damit verbindet sich auch die Hoff­nung, Repa­ra­tionen könnten eher erkämpft werden, wenn Verskla­vung als Verbre­chen gegen die Mensch­heit aner­kannt werde. Die kame­ru­ni­sche Essay­istin Léonora Miano diagnos­ti­ziert solche Anleihen indes als Unfä­hig­keit, die eigene, afri­ka­ni­sche Geschichte ohne Rück­griff auf die Kate­go­rien anderer zu denken. „Weil der Westen den Genozid an den Jüdinnen und Juden als Gipfel der Barbarei betrachtet, wird diese Termi­no­logie über­nommen, um mit eigenem Opfer­ka­pital aufzutrumpfen.“

Utopie der Begegnung

Man kann es als geteiltes Anliegen der unter­schied­li­chen Zugangs­weisen verstehen, aus einer Opfer­hier­ar­chie heraus­zu­finden, in der afri­ka­ni­sche Erin­ne­rung auf untere Ränge verwiesen wird. Beson­ders deut­lich wurde diese Posi­tion in einer Erklä­rung afri­ka­ni­scher Intel­lek­tu­eller, die zur Unter­stüt­zung von Achille Mbembe formu­liert wurde, als dem Philo­so­phen in Deutsch­land wegen seiner Haltung zu Israel Anti­se­mi­tismus vorge­halten wurde: „Die Bezie­hungen zwischen verschie­denen Erin­ne­rungen an mensch­li­ches Leid sind keine Bezie­hungen der Vorran­gig­keit oder Vorherr­schaft, sondern der Soli­da­rität. (…) Alle Erin­ne­rungen können geteilt werden, denn in jedem Unglück und jeder Kata­strophe unserer gemein­samen Geschichte ist die Gestalt eines jeden von uns verfins­tert worden. Alle Erin­ne­rungen der Erde, ohne jegliche Diskri­mi­nie­rung, sind für den Aufbau einer gemein­samen Welt uner­läss­lich.“ Noch ist das die Utopie einer Begeg­nung von Gleich­be­rech­tigten auf der Bühne des Weltgedächtnisses.

Das Gespräch über Hier­ar­chien der Erin­ne­rungen und damit der Geschichts­bilder ist seit den frühen Zeiten der Deko­lo­ni­sie­rung nie verstummt, doch erschöpfen sich die Bemü­hungen bis heute oft darin, rassis­tisch konno­tierte Abwer­tungen (Afri­kaner stehen außer­halb der Geschichte) zurück­zu­weisen und mit einer holz­schnitt­ar­tigen Gegen­er­zäh­lung von Heldentum und Leid zu kontern. Aber gerade wer davon über­zeugt ist, dass Afrikaner:innen jenseits allen Zwei­fels histo­ri­sche Subjekte sind, kann sich auf  die Viel­ge­stal­tig­keit ihres histo­ri­schen Bewusst­sein einlassen – und die Haltungen zum Holo­caust sind dafür ein gutes Beispiel. Zeigen sie doch, dass Globa­li­sie­rung selbst im Fall dieses beson­ders pres­ti­ge­träch­tigen Geden­kens, unter­stützt von unzäh­ligen Insti­tu­tionen der west­li­chen Welt, kein hege­mo­nialer Prozess ist, sondern sich in unter­schied­liche Aneig­nungen, Modu­la­tionen oder auch Zurück­wei­sungen auffä­chert, je nach Ort und Umständen.

Südafrika – radi­kale Aneignung

In diesem Panorama steht Südafrika für eine verblüf­fend radi­kale Form der Aneig­nung entfernten Leids zum eigenen Nutzen. Während der Jahr­zehnte der Apart­heid dienten dras­ti­sche Analo­gien zur Juden­ver­fol­gung dazu, die Herr­schaft der weißen Minder­heit als Verbre­chen anzu­klagen und inter­na­tio­nale Unter­stüt­zung für den Befrei­ungs­kampf zu mobi­li­sieren.  Bereits 1945 hieß es in einem Mani­fest, das Leben eines Schwarzen sei in Südafrika so billig „wie das Leben eines Juden in Nazi-Deutschland“.  Die im Rassen­system der Apart­heid als Schwarz klas­si­fi­zierte Bevöl­ke­rung war zwar nicht von Auslö­schung bedroht, aber die Folie der Juden­ver­fol­gung wurde welt­weit verstanden. Zudem war im buri­schen Rassismus zwei­fellos NS-Gedankengut enthalten, Anti­se­mi­tismus inbe­griffen. Und die Holocaust-Bezüge der Befrei­ungs­be­we­gung waren keines­wegs nur takti­scher Natur. Ahmed Kathadra, ein führender Kader des African National Congress (ANC), hatte Ausch­witz besucht, war davon tief beein­druckt und erwähnte die Vernich­tungs­stätte immer wieder in Reden auf Kundgebungen.

Die Geschichte des südafri­ka­ni­schen Befrei­ungs­kampfes steht noch für einen weiteren bemer­kens­werten Brücken­schlag im Welt­ge­dächtnis, nämlich zur Soli­da­rität in den USA zwischen Schwarzen und Juden/Jüdinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts – im dortigen Kampf für Bürger­rechte und gegen die Bedro­hung durch den Ku-Klux-Klan. Unter den Weißen im ANC stach die große Zahl von Juden und Jüdinnen heraus; manche kämpften bewaffnet, gingen ins Gefängnis, ins Exil. Die Entschei­dung, sich gerade als Juden an die Seite rassis­tisch Gede­mü­tigter zu stellen, war ähnlich wie in den USA von der Über­zeu­gung getragen, im Wesent­li­chen einen gemein­samen Feind zu haben. Aller­dings dachte so nur die Minder­heit der jüdi­schen Commu­nity; die Mehr­heit arran­gierte sich mit der Apart­heid und recht­fer­tigte dies mit einem geschichts­be­dingt größeren jüdi­schen Bedürfnis nach Sicherheit.

Ein inner­jü­di­scher Disput, in dem sich die Span­nung zwischen zwei Holocaust-Interpretationen ausdrückt: Einzig­ar­tig­keit versus Univer­sa­lität. Erstere erzeugte Opfer­be­wusst­sein, letz­tere moti­vierte zum Handeln. Die Kontro­verse hält welt­weit bis heute an, und es ist kein Zufall, dass der Vorwurf, in Israel-Palästina herr­sche Apart­heid, aus Südafrika beson­ders laut zu hören ist: Wegen der dortigen Erfah­rung mit univer­sa­lis­tisch verstan­dener jüdi­scher Soli­da­rität und mit einer anderen Kultur des Spre­chens über Lehren aus dem Nationalsozialismus.

Das Ende der Apartheid-Ära wurde symbo­lisch besie­gelt durch die Eröff­nung einer Anne-Frank-Ausstellung am Vorabend der ersten demo­kra­ti­schen Wahlen. „Indem wir Annes Ange­denken ehren“, sagte Nelson Mandela, „sagen wir mit einer Stimme: Niemals und niemals wieder!“ Holocaust-Gedenken wurde später in schu­li­schen Lehr­plänen veran­kert – als Erzie­hung zu Respekt für Menschenrechte.

Side by side

Johan­nes­burg Holo­caust and Geno­cide Centre; Quelle: un.org

Mitt­ler­weile gibt es drei Holocaust-und-Genozid-Zentren in Südafrika; jenes in Johan­nes­burg sticht heraus, weil es sich glei­cher­maßen der Shoah wie dem Genozid in Ruanda widmet. Zwei Portraits in glei­cher Größe zeigen eine Über­le­bende aus Polen und einen Über­le­benden aus Ruanda, beide treten als Zeitzeug:innen auf. Anti­se­mi­tismus wird nicht separat gestellt; die Besucher:innen sollen verstehen, welche furcht­baren Folgen Othe­ring in allen Formen haben kann. „Side by side“, Seite an Seite, solle man die großen Mensch­heits­ver­bre­chen betrachten, unter­strich Tali Nates, die Direk­torin, auch bei ihrem Vortrag in Berlin. Damit meinte sie nicht nur Völker­morde unter­schied­li­cher Art, sondern auch Shoah und kolo­niale Verbrechen.

Etwas mehr von diesem südafri­ka­ni­schen Geist würde dem Nach­denken über Erin­ne­rungs­kultur und Opfer­hier­ar­chien guttun. Die Ausschlüsse und Denk­blo­ckaden, mit denen die Debatte darüber so oft erschwert wird, erscheinen vor dem Hinter­grund afri­ka­ni­scher Umgangs­weisen ganz beson­ders absurd.