
Das Ereignis schaffte es nicht in die Schlagzeilen. Am Rande der Weltklimakonferenz COP27 in Sharm El Sheikh im November 2022 betrat eine neue Initiative die Bühne der Klimapolitik. Sie nennt sich „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ und besteht aus einer breiten Allianz, die sich für ein internationales Vertragswerk einsetzt, mit dem man die „Ausbreitung fossiler Brennstoffe ausdrücklich stoppen und einen globalen gerechten Übergang weg von Kohle, Öl und Gas schaffen“ will. Die Initiative, vom Inselstaat Tuvalu eingebracht, orientiert sich an den Verträgen zur Nichtproliferation von Atomwaffen und fordert, dass die Welt heute einen vergleichsweisen Vertrag „über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe“ braucht.
Der „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ sei, schreiben die Initiant:innen, umso notwendiger geworden, als die COP27, einmal mehr, griffige Entscheide nicht getroffen habe. Das Schlussdokument der COP27 habe „die Hauptverursacher der Klimakrise: Kohle, Öl und Gas“, nicht genannt und habe auch nicht deutlich festgelegt, dass man sich in Zukunft von ihnen verabschieden müsse. Mit ihrem Vorschlag verlangen die Initiant:innen nicht mehr als die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015, das auf den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern hinausläuft. Doch mit dem „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ werde nun, so die Initianten, endlich gesagt, worum es gehen soll: um ein Verbot.
Populär ist diese Verbotsforderung nicht, um es vorsichtig auszudrücken. Unterzeichnet haben neben den Inselstaaten Vanuatu und Tuvalu bisher einzig – aber immerhin – die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Europäische Parlament und der Präsident von Timor, aber immerhin 78 Städte und Regionen (darunter auch Genf und Delémont), 101 Nobelpreisträger:innen und über 3000 Wissenschaftler:innen.
Zur Schwierigkeit des Verbots
Verbote haben es schwer, wenn es ums Klima geht. Im Juni 2022 beschloss das EU-Parlament, ab 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Der Beschluss, im Oktober 2022 durch die EU-Mitgliedländer abgesegnet, steht im Augenblick noch “on hold“, weil über die Zulassung von synthetischen Treibstoffen, die sogenannten E-Fuels, diskutiert wird. So oder so wird mit dem Verbot explizit gemacht, wie die EU die rund 20 Prozent der CO2 Emissionen, die der Verkehr verursacht, bis spätestens 2050 auf null bringen will, und es wird der Automobilbranche klar gesagt, welche Technologien noch zulässig sein werden. Auch dieses Verbot ist konsequent und sinnvoll, weil es letztlich nur einfordert, was das Pariser Klimaabkommen beinhaltet.
Die harschen Reaktionen folgten sehr rasch. Beispielhaft ist die von Andreas Burgener, Direktor von „Auto Schweiz“, die Vereinigung der Automobilimporteure, der meinte, ein Verbot sei grundsätzlich „der falsche Weg“, man müsse zum Erreichen der Klimaziele auf „freiwillige“ Maßnahmen setzen. Auch die Neue Zürcher Zeitung mahnte, nicht Verbote führten generell zum Ziel, sondern marktwirtschaftliche Mechanismen, unter anderem im Emissionshandel. Durch die Teilnahme am Emissionshandel würden sich Unternehmen aus „freien Stücken“ dazu verpflichten, ihre Emissionen zu senken; Verbote, so der Kommentar, führten zu einer Situation wie in Kuba „kurz nach der Revolution 1959“, als der freie Autohandel verboten wurde und die bis dahin importierten Fahrzeuge immer wieder repariert wurden. Kurzum, hinter dem Verbrennerverbot wird „Sozialismus“ vermutet, oder gar, so der Nebelspalter, die „Ökodiktatur“.
Solche Reaktionen können als Reflexe eines „libertären Autoritarismus“ gelesen werden, den die Soziolog:innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey am Beispiel des Widerstands gegen die Covid-Massnahmen diagnostizieren: Wie bei Covid wird auch hier gegen jede Einschränkung in autoritärer Form das „Prinzip Freiheit“ in Stellung gebracht. Gerade beim Auto, für viele nach wie vor der Inbegriff individueller Freiheit, zeigt sich mithin, dass die Idee von Verbot und Verzicht einen schweren Stand hat.
Prüfstein für den Neoliberalismus
Tatsächlich zielen Verbote im Bereich der Klimapolitik direkt auf Produktionsmittel, auf Gebrauchsgüter und auf lange eingeübte Privilegien. Sie treffen Lieferketten der Erdöl- und Gaskonzerne, der Kohleförderer, sie unterbinden die Finanzierung von fossilen Energien und bringen, wenn ausgesprochen, Technologien zum Verschwinden. Sie stellen, wenn sie den privaten Konsum betreffen, Selbstverständlichkeiten in Frage, etwa die Möglichkeit, sich in jedes beliebige Flugzeug zu setzen, jede gewünschte Feriendestination anzufliegen, ohne für die Verschmutzung der Atmosphäre zahlen zu müssen. Aber Verbote im Bereich der Klimapolitik bringen auch die Kernfrage, die alle Fragen rund ums Klima betrifft, auf den Punkt. Sie machen sichtbar, dass es hier um eine fundamentale Abwägung geht, nämlich einerseits einem öffentlichen Gut (die Stabilität des Klimas) und andererseits privaten Praktiken und wirtschaftlichen Interessen, die an den Gebrauch dieses öffentlichen Guts gekoppelt sind. Verhandelt wird, ob das westliche, auf freier Wahl beruhende Konsumverhalten mit dem unbegrenzten Gebrauch an Wohnraum, Mobilität und Konsumgütern eingeschränkt oder gesteuert werden darf, um das Klima zu retten. Und sie werfen die Frage auf, ob das Konsumverhalten westlicher Gesellschaften weiterhin auf Kosten anderer – das heißt Menschen im globalen Süden, die als erste und schwer von der Klimakrise betroffen sind – noch länger tragbar ist. Insofern hat der SVP-Nationalrat Christian Imark durchaus etwas begriffen, wenn er in Zusammenhang mit klimarelevanten Verboten „eine Kultur der Umverteilung“ vermutet.
Dass Verbote auf so wenig Gegenliebe stoßen, hat, so die Diagnose des US-amerikanischen Wirtschaftshistorikers Philip Mirkowsi, mit einem „alltäglich“ gewordenen Neoliberalismus zu tun, aber auch, so der Soziologe Philipp Lepenies, mit einem verkürzten Demokratieverständnis. Lepenies zeigt in seinem Buch Verbot und Verzicht eindringlich, wie es das neoliberale Weltbild geschafft hat, den Staat nicht als eine „Idee von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit“ zu verstehen, sondern als ein Gebilde, das dazu da ist, „unter dem Etikett der individuellen Freiheit ungestört und leidenschaftlich die eigenen Präferenzen [zu] befriedigen“. Die Möglichkeit, dass der Staat eine regulierende, ausgleichende, deshalb manchmal auch verbietende Funktion haben kann, ist im politischen Diskurs westlicher Gesellschaften weitgehend aus dem Blickfeld geraten.
Daher besteht die Gefahr, dass wir mit trotzigem Beharren auf individueller Glückserfüllung nicht nur sehenden Auges in die Klimakatastrophe rasseln. Und in selbstwidersprüchlicher Weise könnte das vorherrschende neoliberale Dogma seine eigenen Leitprinzipien von unbeschränkter Gewinnmaximierung und unbeschränkter individueller Freiheit auf lange Sicht untergraben. Denn zum Zeitpunkt, an dem globale Kipppunkte das gesamte Wirtschaftssystem in Gefahr bringen, wo Stürme und Überflutungen öffentliche Dienste und Rückversicherungen an die Grenze der Leistungsfähigkeit bringen, werden „Eigenverantwortung“ und „Marktmechanismen“ erst recht nicht mehr funktionieren; in der totalen Disruption des Klimasystems werden nur noch ausgesprochen harte, undemokratische, notrechtliche Eingriffe helfen.
Aber noch ist Zeit, um sich auf sinnvolle Verbote zu einigen; dies zum einen im Kontext einer legitimen und rechtfertigbaren Abwägung zwischen dem öffentlichen Gut des schützenswerten Klimas und den tangierten privaten Interessen, und zum anderen mit Einschluss eines weiteren Kriteriums: der zeitlichen Dringlichkeit. Und unter diesen Voraussetzungen waren Verbote immer schon effiziente und auch erfolgreiche Instrumente, wie sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat.
Keine Moderne ohne Verbote
Ein paar Beispiele: Die öffentliche Gesundheit stand im Zentrum beim Verbot von Bleibenzin, weil das zugegebene Teratethylblei zu schweren Vergiftungen führen konnte. Chronische Erkrankungen der Lungenwege führten zum Verbot von Asbest. Das Verbot der Beigabe eines Stoffs namens Bisphenol A in Kassenzetteln hat tausende Krebserkrankungen vermieden, das Verbot von Contergan hat verhindert, dass weiterhin Kinder mit schwersten Erkrankungen auf die Welt kamen; das Rauchverbot in öffentlichen Räumen und Restaurants ist heute eine unbestrittene Gesundheitsmaßnahme. Und zu erinnern ist auch an eines der erfolgreichsten Verbote in der jüngeren Geschichte, dem Verbot von FCKW im sogenannten Protokoll von Montréal, mit dem der Kollaps der Ozonschicht grade noch verhindert werden konnte. Beim Verbot konventioneller Glühlampen hingegen stand das knappe Gut Energie im Zentrum, ebenso beim Verbot von Elektroheizungen; hier ging es darum, Milliarden an Kilowattstunden Strom zu sparen.
Fakt ist, dass eine industrialisierte, mit hohen Risiken befrachtete Gesellschaft ohne Verbote nicht denkbar ist, vor allem zum Schutz der natürlichen Umwelt. So stand das Verbot von DDT als Insektizid am Anfang einer langen Reihe von weiteren Pestizid- und Insektizidverboten, um die bis heute gerungen wird. Als überaus effizient hat sich das Verbot von Plastiktüten für den Einweggebrauch herausgestellt, nicht nur in der EU, sondern auch in einem Land wie Ruanda. Dort hat das Verbot das ganze Land zu einem der saubersten in ganz Afrika gemacht, und Ruanda spart Millionen, weil die Kanalisationen nicht mehr mit Plastik verstopft sind. Und bei alledem zeigt sich, dass die transformierende, gestaltende Wirkung von Verboten oft schon im Voraus eintritt, weil nur schon die Aussicht auf ein angekündigtes Verbot massive technologische Transformationen bewirken kann. Geschehen ist dies unter anderem, als die EU die Grenzwerte für den CO2-Ausstoss senkte, hohe Strafen für die Überschreitung aussprach und so der Batterietechnologie für Fahrzeuge einen Boost verpasste.
Die Akzeptanz von Verboten zum Schutz des Klimas aber ist und bleibt prekär. So wurde zwar zum Beispiel der Beschluss des Präsidenten von Costa Rica im Jahr 2018, Carlos Alvarado, fossile Energien im Land explizit zu verbieten, öffentlich gefeiert; das nicht besonders reiche Land hat sich längst der Klimaneutralität verschrieben und verspricht sich von erneuerbaren Energien mehr Wohlstand. Umgekehrt aber hat die wohlhabende Schweiz jüngst in einer Volksabstimmung ein CO2-Gesetz abgelehnt, obwohl darin keinerlei Verbote, sondern einzig fiskalische Steuerungsmaßnahmen vorgesehen waren. In unzähligen europäischen Innenstädten sind Fahrverbote längst alltäglich und breit akzeptiert, während die Aufhebung von ein paar Parkplätzen in einer Stadt wie Zürich zu heftigen Polemiken führt, bis hin zum Vorwurf, wiederum, der „Ökodiktatur“. Breit akzeptiert ist in der Schweiz das schrittweise Verbot von Heizungen mit fossilen Brennstoffen, wie es beispielsweise im Kanton Glarus an der Landsgemeinde mit großer Mehrheit angenommen wurde, während dasselbe Verbot in Deutschland zu heftigen Reaktionen führt („Habeck will Ölheizungen verbieten!“, titelt die Bild fett).
Maßgebend für die Akzeptanz sind offensichtlich Faktoren, die mit eng mit Vorstellungen von Verzicht und Wohlstandsminderung gekoppelt sind. Akzeptiert werden Verbote, wenn für die verbotene Technologie (oder die verbotene Tätigkeit) eine valable, mindestens ebenso günstige, äquivalente Alternative real zur Verfügung steht, etwa die Wärmepumpe für die Ölheizung, oder der Ersatz von FCKW. Angenommen werden Verbote, wenn die städtische Politik es beispielsweise schafft, genussreiches Flanieren in der Innenstadt als Kompensation für das Fahrverbot zu vermitteln, wie das Anne Hidalgo in Paris gerade erfolgreich zeigt. Angstfrei reagieren Menschen auf Verbote, wenn Politiker:innen, wie im Fall von Costa Rica, erneuerbare Energien als den Weg in die Zukunft und zu mehr Wohlstand vermitteln. Und unproblematisch sind Verbote dann, wenn sie nicht nur effektiv sind, sondern auch keine Diskriminierung hervorrufen. So würde vermutlich ein Verbot von Privatflugzeugen und Megayachten mit ihrem exzessiven Treibstoffverbrauch keinen Widerstand von „Gilets Jaunes“ hervorrufen, weil evident ist, dass mit dem Verbieten dieses ostentativen Luxus ein effektiver Klimaschutz einhergeht und die breite Bevölkerung davon nicht tangiert wird.
Das Thema „Verzicht“
Allerdings wird das Klima nicht zu retten sein, ohne dass sich die Menschen in den reichen Gesellschaften Praktiken und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte „verbieten“, sprich: darauf verzichten.
Dazu gehören nicht nur bereits alltäglich gewordene Praktiken wie Kurzstreckenflüge, Kreuzfahrten, das Herumfahren mit Offroadern, das Belegen überdimensionierten Wohnraums, sondern auch der Konsum und der Verbrauch unzähliger, nicht lebensnotwendiger Produkte; unser Kleiderkonsum, unser Fleischkonsum, unser Medienkonsum sind klimarelevant, ebenso wie die Spekulationsgewinne von Nationalbanken, Pensionskassen und Großbanken mit fossilen Energien. Für dieses allgemeine „Zuviel“ gibt es keine Alternativen, weil die „Planetary Boundaries“ nun mal feststehen und es unter dem Aspekt der Klimagerechtigkeit nicht länger vertretbar ist, dass die Lebensführung der Menschen in westlichen Gesellschaften weiterhin auf Kosten der Menschen im Globalen Süden geht. Der „System Change“, den die Klimabewegung einfordert, beinhaltet im Kern die Aufgabe eines auf Gewinn- und Genussmaximierung ausgerichteten Lebens, hin zu einer Haltung, in der globale Verantwortung im Vordergrund steht. In einer solchen Zukunft wird es, wie Kim Stanley Robinson in seinem Roman Das Ministerium für die Zukunft (2020) sagt, maßgeblich sein, ob ökonomische, aber auch politische Entscheidungen gut sind für den Planeten und die künftigen Generationen – oder eben nicht.
Die Zeit für diese Transformation wird immer knapper, wie es die Sachstandsberichte des Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen (IPCC) in ständig größerer Dringlichkeit formulieren. Der Wandel hin zu einem nachhaltigen System, schreibt Philip Lepenies, ist denn auch „eine klare Notwendigkeit“, und sie brauche „eine Politik der Verhaltenssteuerung“.
Wieso nennt man es nicht einfach ökologische Vernunft?