Noch nicht im Bauhaus-Fieber? Wie kann das sein? Haben Sie noch nicht die Bauhaus Salz- und Pfefferstreuer aus Porzellan bestellt, die ein großer deutscher Buchversandhändler bereithält? Durch sie werden „jede Küche und jeder Esstisch ästhetisch aufgewertet“, wie es im Prospekt heißt. Sind Sie noch nicht auf einer der zahlreichen Tagungen, Führungen und Gedenkfeiern eingeladen oder angemeldet, die landauf, landab im Namen des Bauhauses gehalten werden?

Von Dessau nach Nippes: Ikonen für den Esstisch; Quelle: art-service.de
Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Vehemenz, mit der das 100-jährige Jubiläum gefeiert wird, sich einigen nur zu gern in Kauf genommenen Missverständnissen und Kurzschlüssen verdankt. „100 Jahre Bauhaus“ ist zuerst einmal ein gigantisches Presse- und Vermarktungskonzept, in das so ziemlich alles gepfercht wird, was zwischen 1910 und 1935 in Deutschland an Kunsthandwerk, industrieller Gestaltung, Architektur, Werbegrafik und in angrenzenden Gebieten entstanden ist und dem Stil des Konstruktivismus, der Neuen Sachlichkeit oder des Funktionalismus zugeordnet werden kann. Dabei wird das eine gerne mal mit dem anderen verwechselt oder in einen Topf geworfen – aber hey, 100 Jahre Bauhaus, da kann man ja mal ein Auge zudrücken!
Das Ideal: der Dombaumeister
Tatsächlich erzählt die Entstehung des Bauhauses das zähe Ringen um eine Erneuerung der (im weitesten Sinne) Gestaltungsausbildung in Deutschland nach der vorletzten Jahrhundertwende – bei gleichzeitiger Rückbesinnung auf das Mittelalter. Denn die Designphilosophie in dieser ersten Phase stand dem industriellen Fortschritt zurückhaltend, ja reaktionär gegenüber. Aus Angst, das Kunsthandwerk würde von der Maschine und der Industrialisierung vollkommen verdrängt werden, waren die frühen Jahre des Bauhauses auch ein Versuch, eine romantisierend-naive Vorstellung des mittelalterlichen Künstler-Handwerkers zu retten.

Nein, kein Weihnachtslied zum Mitsingen, sondern das erste Bauhaus-Curriculum 1919; Quelle: penccil.com
Die in Weimar gegründete Ausbildungsstätte warb 1919 mit einem Faltblatt um ihre ersten Studierenden, das auf dem Titel eine gotisch angehauchte Kathedrale bei Nacht zeigte – man hätte es auch für eine Einladung zum Weihnachtsgottesdienst halten können. Die Wiedervereinigung von Handwerk und Kunst, der Baumeister als höchster Künstler und die Kunst als höchstes Handwerk – das war weit weg von dem, was wir heute als Design bezeichnen. Zum ersten Bauhaus-Leitungsduo gehörte neben Walter Gropius auch der belgische Jugendstilgestalter Henry van de Velde, dessen Formensprache mit dem gerade aufkommenden, formal und gesellschaftspolitisch radikalen russischen und niederländischen Konstruktivismus nichts zu tun hatte.
Ideen in Formen bringen

Otti Berger am Hochwebstuhl der Textilklasse, 1920er Jahre. Quelle: Bauhaus Archiv/Yamawaki Iwao & Michiko Archives
Design ist nie nur Formensprache. Design ist die Form, in die gesellschaftliche Ideen gebracht werden, und zwar abhängig von der zur Verfügung stehenden Technologie und in Konkurrenz zu anderen zeitgleichen Ideengestaltern. Erst um 1922 herum erfuhr das Bauhaus durch neu berufene Lehrer einen Modernisierungsschub, der die Ausbildungsstätte in die Nähe dessen brachte, was wir heute unter einer Designschule verstehen. Aber man muss auch sehen, dass das Bauhaus seine besondere Position der Tatsache verdankt, dass es die erste Gestaltungsschule war, die das blinde Kopieren von historischen Vorbildern abschaffte. Kreativität und nicht allein die Handfertigkeit sollten in einer freieren Ausbildung trainiert werden. Und das ist vermutlich die größte, über alle heterogenen Phasen seiner Existenz bestehende Leistung. Die Ausbildung brach mit einer früheren, am Mittelalter orientierten Traditionslinie im Glauben an eine neue, von allem historischen Ballast befreite Ästhetik.
Die Gesellschaft gestalten
1925 zog die Designschule von Weimar nach Dessau. Vor allem dort entfaltete sich jenes modernistische, „heroische“ Bauhaus (ab 1924 bis ca. 1928) mit seinen mittlerweile ikonisch gewordenen Bauten und Möbeln, die heute Kultstatus genießen und teuer zu erwerben sind. Damals waren sie Prototypen einer tayloristisch inspirierten Maschinenästhetik, die nicht zum bequemen Leben, sondern zum funktionierenden Arbeiten gedacht war. Die Ästhetik dieser Objekte – allen voran die Stahlrohrmöbel, die uns heute als klassisch, zeitlos und was noch sonst verkauft werden – resultierte aus dem Versuch, der Verlockung der gestalteten Form als sozialer und zeitlicher Spur zu entkommen.
Gleichzeitig gelang diese Abkehr von der Stilistik nicht ganz und bescherte den anhaltenden Ruf der Objekte: Die Möbel haben natürlich einen Stil, es sind keine reinen Werkzeuge oder Maschinen, auch wenn manche Bauhäusler genau davon träumten. Die EntwerferInnen dieser Objekte waren einem Ansatz verpflichtet, der die ästhetische Formung der Umwelt als (Bildungs-)Aufgabe sah und in der Rezeption und Nutzung dieser Dinge die Chance auf einen gesellschaftlichen Aufbruch. Ironie der Geschichte, dass die Objekte dieses vermeintlichen Aufbruchs heute in Foyers von Geldinstituten, Empfangsräumen von Anwaltskanzleien und Oberschicht-Esszimmern herumstehen…
Avantgarde mit falschen Adressaten
Die Dessauer Phase unter Hannes Meyer war gezeichnet von politischem wie ökonomischen Erfolgsdruck. Meyer, Leiter der Architekturabteilung, löste 1927 Walter Gropius als Direktor ab und führte das Bauhaus in eine funktionalistisch-sozialreformerische Richtung. Nicht mehr Ästhetik, nur noch Wissenschaft und Planung sollten den Entwurf bestimmen. Meyers Ethos war ein sinnlich verkürzter Funktionalismus, der Gestaltung durch Zweckrationalität ersetzte. Es entstanden einige Sozialsiedlungsprojekte; die kommunale Wohnungs- und Geldknappheit erforderten damals ein Bauen für das Existenzminimum mit knappsten Ressourcen – dem Sinnlichen, Ästhetischen wurde kein Platz eingeräumt. Das Bauhaus erwarb sich in dieser Phase den zweischneidigen Ruf eines sozialreformerischen Instituts unter sozialistischer Führung, begründete aber auch eine Entwurfstradition, die den Vorstellungen der vermeintlichen Adressaten nicht entsprach.

Hannes Meyer und Hans Wittwer, Gebäudekomplex des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds ADGB in Bernau, 1928-1930. Quelle: bauhaus.de
Es zeigte sich eine doppelte Verschiebung: Die Gestalter entwarfen für einen noch im Entstehen begriffenen, idealen Menschen, für den Ästhetik nichts als überflüssiger Schein sein würde. Sie waren nicht nur Planer von Inneneinrichtungen, Häusern und Städten, sondern auch von Lebensentwürfen und Arbeitsbiografien. Die ursprünglich gemeinten Adressaten der Entwürfe – Arbeiterinnen und Arbeiter, kleine Angestellte – lehnten diese jedoch ab oder interessierten sich nicht dafür. Zur gleichen Zeit wurde die Stahlrohrmöbel und Flachdächer zu Ikonen einer neuen Elite, die bis heute über den ursprünglichen sozialen Impetus der Entwürfe hinwegsieht und die vorgebliche Sachlichkeit als Ausweis eines sinnvollen und (ökonomisch) gelungenen Lebens interpretiert.
Differenz und Opportunismus
Aufgrund seines sozialistisch-utopischen Images wird das Bauhaus gerne als widerständige Institution gesehen (vor allem die Ära Meyer). Die Schließung in Dessau 1932 durch die NSDAP-geführte thüringische Landesregierung, dann das Ende des nach Berlin exilierten Bauhaus’ durch die Repressionen der Nazis 1933 scheinen der Beleg dafür zu sein, dass die Schule auf der richtigen Seite stand und als Vorbild für ein aufgeklärtes, internationalistisches Deutschland taugt (und als Vorbild für eine andere deutsche Designschule, die HfG Ulm). Doch einige Studierende des Bauhauses und manche seiner Lehrer waren eher am persönlichen Erfolg oder an der ästhetischen Weiterentwicklung interessiert als am Widerstand. Der Architekt Ernst Neufert, einer der ersten Bauhaus-Absolventen und Gropius’ Mitarbeiter bei den Dessauer Meisterhäusern 1925, war später Albert Speers Mann für die Baurationalisierung der Kriegswirtschaft. Herbert Bayer, der bekannteste und erfolgreichste Grafikdesigner des Bauhauses (Absolvent und ab 1925 Leiter der Druckerei), emigrierte erst in die USA, nachdem er in den fünf Jahren zwischen 1933 und 1938 große Erfolge mit Ausstellungskonzepten, Werbekampagnen und Zeitschriftenentwürfen unter Federführung oder zumindest Duldung der NS-Regierung hatte. Erst als die Doktrin „deutscher“ Gestaltung mit Bayers international orientiertem und konstruktivistischem Ansatz kollidierte und ein Arbeiten schwieriger machte, folgte Bayer anderen Kollegen ins Exil (Ludwig Mies van der Rohe siedelte ebenfalls 1938 in die USA über). Das Bauhaus war keine Keimzelle des Nationalsozialismus, aber zur Stilisierung als Hort der guten Deutschen taugt es ebenfalls nur bedingt. Wie auch? Das Bauhaus war eine Gestaltungsschule, keine revolutionäre Zelle.
Der Blick zurück nach vorn
Vor dem Hintergrund der vielschichtigen Geschichte des Bauhauses lohnt deshalb die erneute Lektüre zweier Bücher, deren Blick auf das Bauhaus sehr verschieden ausfällt: Gerd Selle hat in seiner epochalen Design-Geschichte in Deutschland (1987) ein aufschlussreiches und sehr disparates Bild vom Bauhaus gezeichnet. Eigentlich sollte man daher nicht von „dem Bauhaus“ sprechen, sondern neben drei Bauhaus-Orten (Weimar, Dessau, Berlin) von fünf verschiedenen Phasen, die für die Verhältnisse zwischen Kunst, Design, Handwerk, Industrie und Gesellschaft jeweils eigene Fragestellungen und verschiedene Versuche ihrer Beantwortung lieferten. Die Heterogenität der Designkonzepte und der entstandenen Entwürfe macht die Auseinandersetzung mit dem Bauhaus einerseits vielfältig und reizvoll. Andererseits macht sie die Vereinnahmung durch nahezu jeden möglich. Das würde nicht weiter auffallen oder stören, wenn das Bauhaus als eine Gestaltungsschule unter vielen anderen gesehen würde. Stattdessen jedoch wird das Bauhaus zur deutschen Vorzeigeinstitution verklärt, was sich wohl vor allem aus einer Sehnsucht nach solchen positiven Instanzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erklärt.

Tom Wolfe, From Bauhaus to Our House, 1981; Quelle: zvab.com
Das zweite Buch ist wenige Jahre früher erschienen: Tom Wolfes beißende Abrechnung mit dem Künstlerkult und der akademischen Arroganz der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, From Bauhaus to Our House (1981). Dieser amerikanische Blick auf das europäische Phänomen der Avantgarde und des deutschen Design-Epizentrums Bauhaus rückt einiges gerade oder stellt sich vielem gegenüber quer, was in puncto funktionalem Neubeginn und gesellschaftlichen Ideen von dort kam. Vieles, was bis heute heute als avantgardistische Neuerung gefeiert wird, kann man bei Lichte betrachtet auch als funktionalen Nonsens und ästhetische Ideologie sehen. Die Rigidität, mit der formalästhetische Entscheidungen gegen die Lebenspraxis der Nutzer und/oder des Kontextes durchgesetzt wurden, grenzte an autokratisches Gebaren; möglich gemacht durch die Selbstinszenierung der Entwurfsprotagonisten als „Ingenieure der Gesellschaft“ und Visionäre eines „neuen Menschen“. Auch diese Seite einer kalten Technokratie-Avantgarde sollte man im Auge haben, wenn man das historische Bauhaus heute wieder als Modell einer zukunftsgerichteten Umweltgestaltung bemüht.